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Wo Schalke tatsächlich Meister ist

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Dass Fußballspiele Menschen so viel bedeuten, liegt aber nicht nur an der Lust am Wettkampf. Wie fast jedes Videospiel dienen sie auch dem Eskapismus, der Flucht aus dem Alltag, hinein in die Träume von Fußballfans. Denn die können sich in Games wie FIFA erfüllen. Autor Montazeri hat seit dem Teenageralter einen wiederkehrenden Traum, oft vor wichtigen Spielen seines Lieblingsklubs Werder Bremen. Das Szenario ist immer gleich: Weil mehrere wichtige Werder-Spieler fehlen, muss Montazeri einspringen. Dabei ist er sogar im Traumszenario kein Profifußballer. Unter Flutlicht betritt er den Rasen des Weser-Stadions, anfangs meganervös, doch je länger das Spiel dauert, desto klarer wird, dass er mithalten kann … So absurd dieser Traum ist, auf der Konsole hat Montazeri ihn schon ausgelebt: Mit Bremen ist er in FIFA und PES schon dutzendfach Meister geworden, als er jünger war sogar mit einer selbst erstellten Figur: MONTAZERI, 10, stand auf ihrem Trikot, Typ: Spielmacher, Passstärke: 94, Antritt: 13. Die Aussicht auf Erfolge, die in Realität extrem selten sind, reizt natürlich nicht nur Bremen-Fans. Wohl seit den 90er Jahren kursiert dieser Witz: »Was macht ein Schalker, wenn er Meister wird? Die Playstation aus.« Bei Fernsehübertragungen kann man als Fan nur mitzittern, an der Konsole lässt sich noch der mieseste Klub zum Bayern-Bezwinger hochzüchten. Wer Fußballgames spielt, erzählt gerne Heldengeschichten. Autor Böhm erwischt sich manchmal, wenn er allein spielt, dabei, das Geschehen leise mitzukommentieren. In Modi wie der »Meister-Liga« in PES oder der »Karriere« sowie »The Journey« in FIFA, in denen der Spieler mal den kompletten Klub verantwortet und mal nur die Geschicke eines Profis, versuchen die Games solche Erzählungen etwa mit Videoschnipseln zu unterstützen. In FIFA 19 gibt es sogar die Möglichkeit, ein gewöhnliches Freundschaftsspiel zum Champions-League-Endspiel umzuwandeln: So braucht man sich nicht mal mehr auszudenken, um was es gerade geht, in der vielleicht einzigen Partie dieses Feierabends: Die Hymne, den Pokal, das liefert das Spiel. Alternativ kann man auch das Finale des FA Cups oder des DFB-Pokals direkt anwählen.

Bessere Erzähler als bei EA gibt es unter den Fans aber durchaus. Auf dem YouTube-Kanal »hankgames« etwa lädt der bekannte US-Autor John Green (Das Schicksal ist ein mieser Verräter) seit Jahren FIFA-Videos hoch, in denen er mit dem AFC Wimbledon, einem englischen Drittligisten, um Titel kämpft. Um die Spieler seiner Mannschaft – gleich zwei tragen seinen Namen und sind ein Paar – hat sich Green Geschichten ausgedacht, er macht aus FIFA-Saisons kleine Telenovelas.

Games-Forscher Jesper Juul sieht solche Überhöhungen des Geschehens sowohl beim virtuellen als auch beim realen Fußball. »Selbst wenn ich allein in meinem Garten spiele, spiele ich oft eine Art fiktionalisierte Version des Fußballs«, sagt er uns. »Ich schieße auf ein kleines Spielzeug-Tor, aber ich stelle mir dabei trotzdem vor, ich wäre Cristiano Ronaldo, der im WM-Finale steht.« So habe man mitunter einen verzerrten Eindruck von den eigenen Fähigkeiten, weil man sich die ganze Zeit ausmale, dass man viel besser sei, als es tatsächlich der Fall ist. Auf der Konsole sei die Illusion noch besser, sagt Juul: »Das Spiel sagt einem sogar, dass man Ronaldo ist und dessen Fähigkeiten hat.« Eine Garantie dafür, erfolgreich zu sein, sei das aber nicht: Es könne immer noch sein, dass man am Controller schlecht sei. Vielleicht schmerzt das Scheitern in einem Fußballspiel gerade deshalb, weil man – anders als in der Realität – denkt, dass nicht allzu viel schiefgehen kann.

Fußballgames. 100 Seiten

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