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3. Rock around the clock
Оглавление(Bill Haley & The Comets)
Mein erster Plattenspieler war ein weißes Gerät der Firma Philips. Man klappte dieses kleine Ding auf und im Deckel des Gerätes hatten die Ingenieure einen kleinen Lautsprecher reingenagelt, der eigentlich den Namen gar nicht verdient hatte. Ein winzig kleines Ding war das und es grenzte fast an ein Wunder, dass da überhaupt was rauskam. Man musste den Tonarm abheben, einmal vorsichtig ganz nach rechts ziehen, bis man mit einem Klicken den Motor in Bewegung setzte und sich der Plattenteller zu drehen begann. Dann hob man den Tonarm über die sich drehende Platte, senkte den Diamanten langsam ab und setzte ihn mit einem Knacken in die erste Rille. Nach ein oder zwei Umdrehungen, in denen sich die Nadel knisternd durch die Rillen drehte, quäkte mir dieser winzige Lautsprecher: „One-two-three o´clock, four o´clock Rock ....” entgegen. Der Anfang von Bill Haleys „Rock Around The Clock.“ Es klang mupfelig, dumpf, es knackte und rauschte. Schön war das. Nostalgisch. Es sollte noch über 20 Jahre dauern, bis man Musik auf CDs digitalisierte und es technisch schaffte, dieses Hintergrundrascheln aus der Musik zu entfernen, nur um heute in den Tonstudios mit teuren Effektgeräten das Knistern und Knacken der alten Vinylplatten wieder digital auf die CD dazu zu mischen.
Eine richtige Geschichte zu diesem Lied gibt es leider noch nicht. Sorry, lieber Leser, da werden Sie sich noch bis zum nächsten Lied gedulden müssen. Ich war da wohl schlicht und ergreifend einfach noch zu jung, um damit richtig etwas zu verbinden. Bis dahin legte ich nur Märchenschallplatten von Europa auf, wie zum Beispiel „Der kleine Muck“, „Krieg der Knöpfe“ oder „Die Abenteuer von Robinson Crusoe“, um mir die Langeweile zu vertreiben. Aber diese Single war meine erste, die ich ganz bewusst und gezielt auflegte, um das Lied darauf zu hören. Als ich mich heimlich durch den Plattenschrank meines Vaters wühlte, fiel mir eine Art Sammelalbum in die Hände. Könnte man vielleicht noch mit einem Fotoalbum vergleichen. Klappte man es auf, waren lauter Klarsichthüllen drin und in jeder einzelnen steckte eine Single. Insgesamt ungefähr 25 oder 30 Stück: „So sammelten wir früher unsere Platten“, sagte mein Vater, als er die Früchte meines Raubzuges in meinem Zimmer entdeckte: „Das sind alles Singles, die ich bis Ende der 50er gekauft habe.“ Dass ich jetzt ausgerechnet „The Clock“ als Erstes auflegte, war einfach Zufall, ebenfalls dass ich die B-Seite zuerst wählte. Es hätte jede andere sein können. Aber durch diesen Zufall wurde Bill Haleys Single für mich der Urknall zur Musik.
Dieses Lied ist schuld an meinem lebenslangen Rock & Roll
Tinnitus.
Oh, keine Sorge, ich möchte jetzt keine Führung durch den großen Rock & Roll-Brockhaus machen. Gute Bücher zur Musikgeschichte gibt es zuhauf und freilich sind die alle besser als das, was ich Ihnen sagen möchte. Ich jage hier nur möglichst schnell, kurz und bündig die Sau „Rock & Roll“ durch den Ort, damit wir richtig anfangen können.
Spricht man über den Rock & Roll der 50er Jahre und über die musikalische Entwicklung bis heute, wird an erster Stelle vermutlich immer Elvis Presley als King of Rock & Roll erwähnt. Zu Recht, selbstverständlich. Taucht man aber ein bisschen tiefer in den Ozean Rock & Roll ab, erfährt man ziemlich schnell, dass es eigentlich Bill Haley war, der die Rock & Roll-Lawine richtig losgetreten hat, mit der Herr Presley dann zu Tal rodelte. Keine Angst, lieber Leser und Rock & Roll-Fan, ich werde jetzt sicher nicht am Thron des Königs rütteln. Der gehört Herr Presley und dort soll er auch bleiben.
Keine Frage war Elvis Presley unter dem Strich der erfolgreichste und bekannteste Vertreter des Rock & Roll. Das ist völlig unbestritten. Wahrscheinlich nutzte das Management bei ihm schon den Einfluss des Fernsehens, die Werbung, die Filme, die Plattenverkäufe und sicher auch den Aufenthalt in Deutschland geschickter aus, um ihn als King of Rock & Roll zu inthronisieren. Das alles gab es bei Bill Haley ein paar Jahre zuvor so in der Form noch nicht und konnte eben auch nicht genutzt werden. Der Weichensteller für alle, die danach kamen, war trotzdem Bill Haley. Er war es – und lassen Sie mich an dieser Stelle bitte etwas feierlich und pathetisch werden –, der 1954 der Welt den Rock & Roll brachte. Ab diesem Datum sollten die musikhistorischen Geschichtsbücher um ein Kapitel erweitert werden, was von keinem Musikhistoriker bestritten werden kann und dieses Kapitel beginnt bedeutungsschwanger mit den Worten:
„1954 machte Billy Gussak drei rhythmische Rimshots auf der Snare und genau um 16.30 Uhr sang Bill Haley die unsterblichen Worte, die für immer zur Hymne des Rock & Roll werden sollten: „One-two-three o´clock, four o´clock Rock … “ Und diesen supertollen Satz hab ich mir im Übrigen nicht ausgedacht, sondern er wurde original so in einer Bill Haley-Biografie der Rockabilly Hall Of Fame in Stein gemeißelt. Ich hab ihn sogar exakt so durch den Google-Übersetzer gejagt, um zu sehen, ob es so stimmt: „Ab da brach die Hölle los...“, schreibt die Rockabilly Hall Of Fame weiter. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass der Autor, der diese Zeilen geschrieben hat, sehr stolz darauf war, diesen erhabenen Augenblick der Musikgeschichte schriftlich festgehalten zu haben. Allerdings verwette ich meine Nüsse gleich mit, dass er sich danach wahrscheinlich brüllend vor Lachen auf dem Fußboden der Redaktion hin und her gewälzt hat, als dieser Absatz dann auch tatsächlich genau so in den Druck ging. Aber mal ganz nüchtern betrachtet, sagte er die Wahrheit. Bill Haley And The Comets haben mit „Rock Around The Clock“ eine, wenn nicht sogar DIE Ursuppe der Musikgeschichte geköchelt. In jeder Dokumentation, in jedem Bericht im Fernsehen, im Radio, in jedem Buch, in jeder Zeitschrift, Zeitung oder Fachbuch und in jeder Art der Medien, in der über den Rock & Roll berichtet wird, ist dieses Lied ein paar Takte lang zu hören oder es wird zumindest namentlich erwähnt. Achten Sie mal darauf, wenn Sie in Zukunft im Fernsehen irgendetwas zum Thema Rock & Roll sehen. Irgendwann wird „Rock Around The Clock“ für ein paar Sekunden zu hören sein. Insofern hat der Text der Rockabilly Hall Of Fame nicht übertrieben. Bill Haley And The Comets erschufen den perfekten Rock & Roll Song, der mit keinem anderen Lied vergleichbar ist. „Rock Around the Clock“ wurde ein Millionenseller und im Laufe der Zeit wahrscheinlich eine Quadrillionen mal gecovert. Die Magie, die Kraft und Lebendigkeit aber, die in Bill Haleys Version lag und den Zeitgeist jener Jahre, hat nie mehr eine Band auch nur annähernd wieder so hinbekommen. Na ja, außer vielleicht Boppin´ B., eine recht erfolgreiche Rock & Roll-Band aus der bayerischen Stadt Aschaffenburg, die auch, wie es der Zufall will, meine Heimatstadt ist. Aber dieser Satz, verehrter Leser, dieser wunderwunderschöne Satz: „Die Magie, die Kraft und Lebendigkeit aber, die in Bill Haleys Version lag und den Zeitgeist jener Jahre, hat nie mehr eine Band auch nur annähernd wieder so hinbekommen“ stammt aus meiner Feder. Können Sie gerne so zitieren. Ich dachte da an so was wie: „Der Erfolgsautor, Schriftsteller, ehemalige Musiker und Kenner der Szene, Markus Gleim sagte: „Die Magie, die Kraft und ... .“, okay?
Der ganz klassische Bill Haley-Sound war und ist immer noch, mein „Nuk Nuk“, der mir nach spätestens einem Lied ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Snare knallt wie eine schallende Ohrfeige auf die Backen. Der helle, klare Slap des Kontrabasses tackert wie in Metronom und die Gitarren- und Saxophonläufe sind wie ein Tourette-Syndrom und man kann sich einfach nicht entscheiden, ob man jetzt die Gesangsmelodie oder die Einwürfe der Gitarre und des Saxophons mitsingen soll. Dreckiger, ehrlicher Garagensound, gerade und ungefiltert rausgerotzt. Right in the face, bitch. Ich bin heute noch der festen Überzeugung, dass man jede langweilige Party, die auf geradem Weg in die Grütze ist, durch eine Runde Rock & Roll noch mal richtig anschieben kann. Lieder, wie „Rock Around The Clock“, „The Twist“ oder „The Wanderer“, Sam Cookes „Wonderful World“ oder Nina Simones rauchige Stimme bei „My Baby Don´t Cares For Me“ sorgen immer noch für gute Laune und für Partygäste, die sich in den Armen liegen und albern im Kreis hüpfen und „Let´s twist again“ singen. Say: „Rock & Roll, Baby“