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4. Ruf Teddybär 1- 4

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(Jonny Hill)

Wie immer am Donnerstagabend, kündigte uns bei der deutschen Hitparade auf HR3 Werner Reinke die Lieder der Top Fourty an. Und Werner war unser Freund, Werner war unser Held, denn Werner quatschte weder in den Anfang, noch in das Ende eines Liedes hinein und garantierte uns eine echt astreine Aufnahme. Ich mochte deutsche Lieder. Ich verstand den Text und konnte sie mitsingen, wenn ich wollte und darum nahm ich mir das angekündigte Lied halt einfach mal auf. Das Thema schien erst mal recht harmlos zu sein. Es klang zumindest nicht nach abgetrennten Körperteilen oder rasselnden Kettensägen. Aber was sollte ein Teddybär 1 – 4 sein? Um was ging´s da? Ein Roboter-Teddy, mit starren, toten Roboteraugen und mit einem 4.0 USB-Anschluss? Quatsch, gab´s damals noch nicht. Teddybär mit Rechenaufgabe? Eins minus Vier gleich minus Drei? Hm, auch eher nicht. Oder so ein seltener, 4-teiliger russischer Matrojschka-Teddy zum Auseinanderbauen? Machte jetzt auch irgendwie keinen Sinn. Ich meine, der Titel klang auf alle Fälle irgendwie nach Kinderlied. Aber dieser Titel hatte es, wie es sich herausstellen sollte, faustdick hinter den Ohren, mein lieber Scholli.

Ein kleiner Junge erzählte über CB-Funk einem Lkw-Fahrer, dass er so gerne mal mit seinem Vater im Lkw mitgefahren wäre. Immer wieder habe der Vater es ihm versprochen, aber da er im Rollstuhl sitzen würde, wäre das alles nicht so einfach gewesen. Aber dann wäre der Vater eines Tages von einer Fahrt nicht mehr nachhause zurückgekommen. Die Zeiten wurden härter und härter, das Gehalt des Vaters fehlte überall und der Junge vermisste seinen Vater sehr. Seine Mutter würde fast jede Nacht leise weinen. Sie wisse es nicht, aber er könne sie jedes mal weinen hören. Nur dieses Funkgerät hier sei die einzige Erinnerung, die ihm an seinen Vater geblieben ist. Diese Unterhaltung zwischen den beiden hörten natürlich auch die andere Fahrer mit und kamen ohne zu zögern vorbei und fuhren nun den kleinen Mann Stunde um Stunde umher. 18 Mal die Straße runter und 18 mal auch wieder rauf. Später am Abend meldete sich plötzlich „Mutter Teddybär“ über Funk und bedankte sich mit leiser und belegter Stimme bei den ganzen Fahrern für den wahrscheinlich schönsten Tag im Leben ihres Sohnes seit langer Zeit und wünschte ihnen noch allzeit gute Fahrt.

Das amerikanische Original des Liedes schrieb der amerikanische Lkw-Fahrer, Red Solvine, der ironischerweise viele Jahre später von einem Lkw überfahren wurde. Der Sänger Ferri Gilming, wie der Name schon verrät, ein Vollblutmusiker aus Österreich, hängte sich eine Gitarre um und beschloss fortan ein Country-Sänger mit dem Namen Jonny Hill zu sein. Herr Hill übersetzte das englische Original ins Deutsche und brachte damit die Traurigkeit in deutsche Kinderzimmer.

Und jetzt saß ICH hier, nennen wir es fassungslos-geschockt, ungläubig-zweifelnd, wie mit einem Elektroschocker in die Nüsse geschossen, in meinem Kinderzimmer vorm Radio und fragte mich, was schreibt denn dieses County-Arschloch für beschissene Lieder, Mensch?

Was war denn da bei der Familie Hill daheim los? Hatte man bei ihm vielleicht eine schwere Depression diagnostiziert und jetzt stand er auf dem alten, wackligen Steg eines tiefen österreichischen Bergsees und hatte sich einen 50 Kilo Steinbrocken an die Fußgelenke gebunden? Und plötzlich stand mir die Antwort glasklar vor Augen. Wie konnte ich das nur übersehen, Mann? Ein Kinderhasser. Das lag doch auf der Hand. Jonny Hill war ein Kinderhasser. Wenn Herr Hill am Wochenende von seinen anstrengenden Auftritten heimkam, wollte er sich erholen. Dazu mähte er im Vorgarten immer schön den Rasen und wusch und polierte dann stundenlang zur Beruhigung die silber-ne E-Klasse in der Einfahrt. Aber immer wieder hinterließendiese undankbaren Kinderplagen der Nachbarn, bratzige, schmierige und winzige Fingerabdrücke aufm Wagen und ballerten ständig mit dem Fußball gegen das Garagentor. Noch dazu kamen noch die eigenen Enkelkinder an, ach Gott, ja, auch noch die eigenen Enkelkinder. Zu denen musste er auch noch höflich und nett sein und sie fragten im Chor: „Ooopaaa Jonny, singst du uns mal ein Lied vor?“ Also rächte er sich an allen rotzigen Kindern und er schrieb einfach ein scheiß-trauriges Kinderhasser-Lied, um allen damit so richtig die Woche zuversauen. Nun stand ich heulend in meinem Kinderzimmer undmusste meiner fassungslosen Mutter erklären, warum ich heulte.

Sooo, na vielen Dank auch, Herr Hill.

Und was sollte ich als 11-jähriger Frischling auch meiner Mutter sagen?: „Ja, nee. Alles ok, Mutti. Mich hat nur der Text hier ein bisschen getouched. Ist so emotional und mir war jetzt einfach mal nach Heulen. Das musste jetzt mal raus. Alles gut, kein Problem.“ Nee, nee, nee und nochma nee. Mit 11 Jahren kann man so was aber nicht erklären, sondern nur die rotzige Nase hochziehen und wimmernd mit den Schultern zucken. Ich war das geliebte Kind meiner Mutter und sollte keinen Grund haben, einfach so losheulen zu müssen. Dafür musste es doch einen Anlass geben, dem man natürlich auf den Grund gehen musste. Sofort steckte mir Mutti ein Fieberthermometer in dem Mund, bekuckte Mandeln, Zunge und Hals, bis ich würgen musste. Ich bekam sofortige Bettruhe verordnet und sie klatschte mir einen nassen Waschlappen in den Nacken. Ich wurde auf alle bekannten Kinderkrankheiten wie Masern, Röteln, Mumps oder Windpocken und auf alle unmöglichen Krankheiten wie das Watumba-Fieber, die Makacken-Darmviren und der Umpalumpa-Grippe untersucht. Und gleichzeitig wurden zur Sicherheit mal alle Körperöffnungen nach Legosteinchen, „Mensch ärgere Dich nicht“-Spielfiguren und Puzzleteilchen abgesucht, nur finden konnte sie freilich nichts. Auch mein damaliger Kinderarzt gab zu, ratlos zu sein, schloss mich aber trotzdem nur zur Sicherheit an alle vorhandenen Maschinen der bis dato bekannten Gerätemedizin an, um einmal sein Honorar zu rechtfertigen und um zu zeigen: „Hohoo, sehen Sie, wir können auch, wenn wir wollen.“

Als die deutschen Spezialisten keine Antwort fanden, wurden internationale Kinderärzte um Rat gebeten, denn völlig grundlos heulende Kinder, sollte es auch im Ausland nicht geben.

Der Wiener Kinderpsychologe Dr. Pakowitz beriet sich mit wichtigen Kollegen und diagnostizierte: „Hab i noch nie vorher gesehen. Schwierig, schwierig, uiuiui … nicht einfach und langwierig, aber therapierbar.“

Wer von all den studierten Medizinern hätte auch darauf kommen können, dass einfach nur ein blödes Lied der Grund war, und ich sah auch nicht ein, ihnen das zu sagen. Sie waren die Mediziner, sollten sie doch mal die richtigen Fragen stellen. Die Fachbücher des Kinderpsychologen sagten, dass ich die typischen Symptome einer Borderlineerkrankung aufweisen würde: „Himmelhoch jauchzend und zu Tode be-trübt. Eigentlich g´rod im morbiden Wien, mit seinem Wiener Schmäh, völlig normal. Jeder Ober, in einem typischen Kaffeehaus zeigt mehr Verhaltensauffälligkeiten auf.“ Man überwies mich jedoch zur stationären Aufnahme ins Universitätsspital in die Kinderpsychologie Praxis „Plötzlicher Kindstod“ im ersten Bezirk.

Huiiii … wie war das schön da. Wir tanzten unsere Namen, formten unsere Gedanken aus Lehm und umarmten dicke, alte Laubbäume mit knorzigen Stämmen. Eine ebenso knorzige Krankenschwester erklärte: „Biiitteee, nur Laubbäume umarmen, ja? Die Nadelbäume san die Orschlöcher unter den Bäumen.“ Wir sangen Lieder, malten Bilder und machten Rollenspiele. Allerdings klinkte ich mich nicht, wie es für Borderliner typisch wäre, bei den Rollenspielen aus und prügelte aggressiv auf die anderen Kinder ein. Meine Bilder zeigten keine schwarz-weißen Schmierereien mit blutbeschmierten Monstern, sondern viele bunte Blumen und lachende Kindergesichter. Beim Singen und Musizieren im Garten mit den anderen Kindern hatte ich ordentlich Spaß. Nur Jonny Hill schaffte es, mich vollkommen aus dem Sattel zu kippen. Kurzfristig galt ich in der Station sogar als nicht therapierbar und Dr. Pakowitz riet meinen Eltern: „Sie wer´n sich vielleicht an den Gedanken g´wöhnen müss´n, fortan mit diesem Damien aus dem Film „Omen“ zusammen leb´n zu müss´n. Das Leb´n is halt leider net: „Wüsch dir was“ sonder eher: „So isses.“

Als scheinbar urplötzlich meine Stimmungsschwankungen aufhörten, schrieb man den therapeutischen Erfolg den täglichen Therapiesitzunge zu und entließ mich nach Hause. Mutti und Papa holten mich mit Tränen in den Augen aus der Kinder-Klapse ab und versprachen Dr. Pakowitz, ewig dankbar zu sein und ihm zu Ehren ein Kapellchen zu errichten. „No, mir wäre es schon lieber, Sie würden eine fürstliche Dankessumme auf die Cayman-Inseln überweisen.“

Ich war geheilt. Ich durfte wieder in die Schule.

Als die gute Seele der Kinder-Klapse, Schwester Inga Kochs-lowski, den Raum für das nächste Kind vorbereitete, fand sie einen betagten Kassettenrekorder, in dessen Laufwerk sich circa vier Meter Tonband gekrempelt hatte. Durch den heiß laufenden Motor verschmolz das Band komplett mit dem Rest des Gerätes, zu einem, Brocken Plastik, den Schwester Inga ordentlich entsorgte.

Aber was bitte veranlasste einen Musiker, solche Texte zu schreiben? Sollten Musiker nicht dreckige Gitarren-Riffs aneinanderreihen, die sie in die Menge prügeln, anstatt junge Stadtkinder zum Heulen zu bringen? Hatte man den Herrn Hill eigentlich mal dazu befragt? Insgesamt drei Kinderhasserlieder hat er geschrieben und ich wette, ich war nicht der Einzige, der damals heulend vor dem Radio saß. Ich möchte ihnen etwas verraten: Musiker, die solche Texte schreiben, stippen auch kleine Kinder in den Kaffee und schubsen junge Hunde in Pfützen. So.

Ein bleibendes Trauma habe ich dadurch nicht zurückbehalten. Na ja, gut, bis auf diese leise, helle Kinderstimme, die ich hin und wieder höre und die mir zuflüstert: „Bring den Arzt um. Bring den Arzt um“, aber ich messe ihr keinerlei Bedeutung zu. Also, noch nicht.


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