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6. Sabine, Sabine, Sabine

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(Trio)

Konfi-Freizeit in Neuendettelsau. Wir merkten schnell, „aufregend“ war ‘was anderes. Im Leben pubertierender Großstadt-Jungbullen pulsierten die Großstadtlichter sehr, sehr weit weg von Neuendettelsau. Viel los war hier nicht. Alles in uns schrie nach Abwechslung, nach Aufregung, nach Spannung, aber man hätte uns schon jede Minute eine Ampulle Adrenalin ins Herz pumpen müssen, um auch nur im Ansatz das zu erleben, was irgendwelche Großstadtkinder erleben durften.

Aber wie befanden uns nun mal eben auf einer kirchlichen Konfirmandenfreizeit und nicht auf der Uferpromenade von Nizza. Dass wir da abends zusammensaßen und Trio hörten, war gewissermaßen schon ein Tageshöhepunkt. Immer nach dem Abendessen traf sich eine kleine Gruppe aus beiden Konfi-Gruppen im Aufenthaltsraum und hörte die Songs der Trio-Kassette hoch und runter.

„Sabine, Sabine, Sabine“ wurde von einer eher sanften und perkussiven Rhythmusgruppe angeschoben und von einer warm klingenden Gitarre begleitet, die nur einzelne Akzente setzte oder auch mal Akkordfolgen mitspielte und damit hatte das eher Ähnlichkeit mit der unaufdringlichen Fahrstuhlmusik der Steigenberger-Hotelkette. Heute würde man das wahrscheinlich als „Easy Listening“ bezeichnen und Phil Collins würde daraus Lieder für ein ganzes Familien-Musical schreiben und dafür mehrere Grammys erhalten. Ein mehrstimmiger Damenchor begann abwechselnd „I love you“ und „Sabine, Sabine, Sabine“ hin und her zu singen und bevor das Ganze begann, zu unauffällig durch die Gehörgänge zu mäandern, um sich irgendwo in den Synapsen zu verstecken, hörte man das markante, ratternde Drehen eines alten Wählscheibentelefons. Danach hörten wir zwei oder dreimal das Freizeichen, bis eine, wer hätte das erwartet, Sabine, Sabine, Sabine den Hörer abnahm, und wir mussten ab hier mit anhören, wie Herr Remmler quasi fast darum bettelte, die absolut fetteste telefonische Klatsche ever zu bekommen.

Während des Tages führten wir Gespräche, die sich um die Bedeutung der Konfirmation drehten und wie sie sich auf unser noch recht junges Leben auswirken könnte. Wir sprachen über unseren Glauben, über Religion und über die Bibel, wie sich unser Leben nach der Konfirmation verändern würde und solche Sachen. Am Abend trafen wir uns alle wieder und hörten Lieder über „Schwanzparaden“ und ein Telefongespräch mit „Sabine, Sabine, Sabine.“ Das alles stand irgendwie in einem seltsamen Kontrast zueinander. Also wollten wir halt auch was Blödes machen. Ich meine, war es clever, dass Herr Remmler diese Sabine, Sabine, Sabine angerufen hat, um sie, mitten in der Nacht noch klar zu machen? Am Telefon? Wahrscheinlich noch volle Kanne zugedröhnt? Hallo? Wohl kaum. Aber ab und zu musste man einfach was riskieren. Etwas Großes raus hauen. Einen fetten Bob in die Bahn schicken. So´n richtig dickes Ding eben. Was schien da besser geeignet, als das alte Gemäuer dieses bayerischen Kapuzinerklosters? Wuchtig wirkte es,, groß und erhaben, wie es dort auf einem Hügel stand. So von weitem gesehen, hatte es sogar etwas Ähnlichkeit mit der alten Zauberschule Hogwarts. Natürlich huschten hier nicht Ron oder Hermine und erst recht nicht Harry durch die dunklen Gänge, nein, hier waren unsere beiden Konfi-Gruppen und noch verschiedene andere Gruppen untergebracht und verbrachten ein paar Tage. Auf dem gleichen Stockwerk wie wir war noch eine Gruppe kleinerer Jungs und Mädchen, höchsten sechs oder sieben Jahre alt. Wir Konfirmanden waren jeweils in 6-Mann-Zimmern mit Stockbetten untergebracht. Die Kids schliefen in Schlafsälen auf kleinen Feldbetten, die schön nebeneinander aufgereiht auf dem Boden standen. Die eine Gruppe Jungs kamen aus Nürnberg und war die Vorschulgruppe eines kirchlichen Kindergartens und durft nochmal zusammen ein paar nette Tage verbringen, bevor man sie in den harten Alltag der Grundschule entlassen würde.

Sie verbrachten ihre Tage damit, irgendwelche Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen, spielten Kindertheater, sangen Lieder und machten mit diesen Orffschen Instrumenten völlig sinnlosen Lärm. Ansonsten kneteten sie unerklärliche Dinge aus Fimo-Knete und machten den lieben langen Tag über so typischen Kinderquatsch. Wir überlegten uns, ob wir nicht hier, bei den kleinen Jungs, ein bisschen Verwirrung stiften könnten. Es sollte nichts Außergewöhnliches oder Spektakuläres sein und weh tun wollten wir ja auch keinem. Im Idealfall würde es so laufen, dass zwar etwas gewesen wäre, irgendwie ´ne komische Sache, aber keiner wusste so richtig, was, und da man denen nicht so richtig glauben würde, denn immerhin waren es Kinder und die träumten ja schon mal wirres Zeug, würde niemand auf uns kommen und wir wären damit aus dem Schneider. Das zumindest war der grobe Plan.

Die erst Aktion ging leider voll daneben. Vielleicht waren wir ein bisschen zu nachlässig in der Planung. Matze sagte, er hätte einen phosphoreszierenden Edding dabei und wir könnten doch ein paar Namen der Burschen und ein paar Botschaften auf die Zimmerwände schreiben. Wenn sie dann nachts das Licht ausmachten, würden sie, wie von Geisterhand, irgendwelche seltsame Nachrichten aus dem Jenseits lesen können. So was wie: „Lieber Uwe, Dein Bruder hat Deine Carrerabahn kaputt gemacht und nicht der Papa“ oder „Thomas, Deinen Hund Hasso hat der Nachbar totgefahren. Der Hund jetzt sieht nur genauso aus, wie Hasso. Schönen Gruß, Oma“ und „Thomas, hier oben gibt es auch Schnitzel, Dein Opa.“ Solche Sachen eben. Fanden wir klasse, die Idee. Nur die phosphoreszierende Wirkung des Stiftes, war derart erbärmlich, denn man konnte nur irgendwelches Krickel-Krackel an der Wand sehen, und aus: „Thomas, hier oben gibt’s auch Schnitzel. Dein Opa“ wurde: „ ... oma ... asch ... Opa ...“ Das Ganze war in etwa so gruselig, wie wenn sich ein Glas Milch in der Mikrowelle dreht. Einem Apfel beim Verfaulen zuzusehen, ist spannender.

Wir mussten nachbessern. In der darauffolgenden Nacht schlichen wir zu siebt in den kleinen Schlafsaal. Es war still und ruhig und man hörte von jedem Feldbett das entspannte und gleichmäßige Atmen der Jungs. Jeweils zwei von uns hoben eines der Betten vorsichtig an und schlichen damit im Kriechgang, Schritt für Schritt, aus dem Zimmer. Wir wollten die Bettchen irgendwo außerhalb des Zimmers wieder abstellen. Im Waschraum, auf´m Klo, im Treppenhaus oder neben dem Getränkeautomaten. Also irgendwo halt, wo man nicht unbedingt aufwachen möchte. Der siebte Mann war dabei, um Türen zu öffnen, mögliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen und mit der Taschenlampe den Weg auszuleuchten. Die Knirpse würden am nächsten Morgen aufwachen und ihren Betreuern dann irgendeine wirre Geschichte erzählen. So von wegen: „Ich bin heute Morgen im Klo aufgewacht.“ Natürlich würde niemand der Sache so richtig Glauben schenken wollen und die Betreuer würde nachfragen: „Was erzählst´n du da für Sachen, Bursche? Niemand wacht aufm Klo auf“, während wir in der Zwischenzeit schnell die Bettchen einsammeln und in den Saal zurückbringen würden. Unschuldig mit den Schultern zuckend, würden wir ungläubig antworten: „Na, wer macht den so was?“, wenn man uns fragen würde, ob wir etwas bemerkt hätten.

Als aufmerksamer Leser, werden Sie sicher schon längst bemerkt haben, dass ich hier die ganze Zeit im Konjunktiv, also in der Möglichkeitsform schreibe. Daraus könnten Sie schließen, dass irgendwas passiert sein könnte, was unseren ursprünglichen Plan etwas aus dem Gleis hob.

In der Nachbetrachtung behauptete Andi später, die Sache wäre in dem Augenblick schon erledigt gewesen, als Momo, nach dem Liter Cola, den er auf einen Zug trank, so richtig herzhaft rülpsen musste. Erstens hallte dieser Rülpser in den hohen Gängen des Kapuzinerklosters doch beachtlich nach, was die Lautstärke irgendwie noch zu verdoppeln schien, und zweitens hatte Momo die Angewohnheit, irgendwelche bescheuerten Wörter oder Sätze zu rülpsen. Was da dann kam, konnte Momo selbst nicht einschätzen, das war so mehr, wie ein Tourette-Syndrom und er erschrak selber darüber am meisten.

Sein herzhaft gerülpstes: „FordDieTunWas“ hallte durch die Gänge und hatte Gott sei Dank noch keine Auswirkung auf die Aktion. Endgültig durch war die Nummer, als Matze, der vorne lief, flüsterte: „Boah, Mann. Das Chili von heute Mittag liegt mir irgendwie ganz komisch im Magen. Das fühlt sich an, als ob es noch leben würde.“ Dem kleinen Mann, der hinter ihm auf der Liege lag, wehte es kurz und schnell die Haare ins Gesicht und auch diese, nun, Flatulenz, so will ich sie mal nennen, hallte von den hohen, glatten Wänden beachtlich wider. Momo, hinten laufend, kicherte kurz dümmlich, was ihn kurz straucheln ließ und stolperte dabei über eine hochstehende Bodenfliese. Den Knirps im Bett hob es kurz aus den Federn, er knurrte leicht, hob etwas den Kopf und blinzelte ein paar Mal etwas irritiert umher, hätte aber bestimmt weiter geschlafen. Ich meine, wenn Momo ihm nicht seine Pranke, die so groß war, um Waldbrände auszuschlagen, ins Gesicht gedrückt und ihn mit den Worten: „Bleib liegen, du Frettchen“, zurück in sein Kissen gedrückt hätte, wäre auch sicher weiter nichts passiert. Nun wachte der Bengel aber leider genau deswegen und in diesem Moment ganz auf. In diesem Augenblick hätten wir zwar alle immer noch die Zeit gehabt, die Bettchen abzusetzen und einfach leise abzuhauen und zu hoffen, dass der Bursche noch so verpennt gewesen wäre, um keinen zu erkennen. Sie sehen schon, „hätte, hätte, Fahrradkette“, wie man so schön sagt, nicht wahr? Also, ab hier, so könnte man sagen, lief die Sache komplett aus dem Ruder. Tommi, der mit seiner Taschenlampe ganz vorne lief und die Vorhut bildete und mit der Aktion eigentlich nichts zu tun hatte, versuchte, die Situation zu retten, damit hätte jetzt von uns keiner wirklich gerechnet. Er schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete sein Gesicht damit von unten an. Durch das Licht der Lampe und verschiedenen Schatten auf seinem Gesicht, wirkte Tommis ganzer Kopf irgendwie verschoben, krumm und schief, so wie dieses Zeug in den Lavalampen und sein Gesicht war, fratzenhaft verformt, also jetzt nicht gerade eben von Vorteil in so einer Situation. Der Junge schaute Tommi mit weit aufgerissenen Augen an. Als ob Tommis schiefe Birne alleine nicht schon genug gewesen wäre, sagte er, mit tiefer, irgendwie monsterhaft verstellter Stimme: „Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Widerstand ist zwecklos“ und imitierte dazu noch irgendwelche merkwürdigen Roboter-Geräusche: „Miiiieb ... Mubmubmub … Ööüüööüü.“ Ich lief ein Bettchen direkt hinter dieser Gruppe und schlug mir die Hände vors Gesicht und murmelte nur noch: „Ohgottohgottohgott.“ Tommi blickte nun selber leicht panisch, mit weit aufgerissenen Augen umher, glaubte seinen offensichtlich Fehler zu erkennen und setzte erneut an: „Ähm ... ja, also ... scheiße ... ich meine natürlich. ICH BEFEHLE DIR: SCHLAF WEITER. HÖRE AUF MICH, DENN ICH BIN DEIN GEBIETER, ICH BIN SAATAAAN.“ Auch Tommis SAATAAAN hallte von diesen dunklen, hohen Wänden, noch ein paar Mal zurück. In diesem Augenblick fing der kleine Bursche völlig kopflos an zu schreien. Beeindruckende Lautstärke, die der Bengel da aus seinem kleinen Körper heraus presste. Ab da überschlugen sich die Ereignisse ein klein wenig: Man hörte, wie an verschiedenen Ecken des Ganges kleine Feldbetten abgestellt wurden und mehrere Kinder fingen simultan an zu brüllen. Man hörte, wie mehrere Jugendliche in unterschiedliche Richtungen abhauten. Lichter gingen an, Türen wurden aufgerissen, Kinder und Erwachsene erschienen im Gang. Ein Knirps schrie: „Das waren die großen Jungs aus dem großen Zimmer .....“, Matze brüllte: „Na, toll gemacht, Tommi“ Tommi meckerte: „Ach ja und der feine Herr Schröder hat ja alles richtig gemacht.“ Momo rief: „Hört endlich auf eure Scheiß-Namen zu nennen, ihr Idioten“ Beide brüllten: „Fresse, Momo“ „Gott sei Dank nicht meinen Namen“, dachte ich so bei mir, als es durch die Gänge hallte „Wo is´n der Gleim und die anderen beiden Arschlöcher ...“, mehr nahm ich auf meiner kopflosen Flucht nicht wahr.

Auf dem Weg in den Speisesaal zum Mittagessen fing uns der Herr Pfarrer ab. Mit zusammen gepressten, blutleeren Lippen, vibrierten seine beiden nach oben gezwirbelten Bartenden leicht vor Zorn: „Auf ein Wort, meine Herren. Bitte in mein Büro.“ Irgendwie hatten wir das erwartet, jedoch nicht so früh. Noch als er die Türe hinter sich zu zog, fing er schon an zu brüllen: „SATAN? ECHT JETZT? IST DAS IHR ERNST? AUSGERECHNET HIER?“, dann fiel die Türe ins Schloss. Alter Verwalter, ich habe noch nie einen Pfarrer so viele hässliche und böse Worte brüllen hören, die alle irgendwie aus der Wortfamilie „Blöd“ stammten. Als Momo sagte: „Na, da muss jetzt aber mal einer so richtig ordentlich seinen Mund mit Weihwasser ausspülen, was?“, bekam der Herr Pfarrer tellergroße Augen und fing an, zu hyperventilieren. Die Sanitäter ließen ihn in eine Tüte atmen. Wir sprachen nie mehr wieder über die Satan-Sache.


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