Читать книгу Mann 2020 - Markus Margreiter - Страница 6
ICH HABE ZWEI GESICHTER.
ОглавлениеDas eine wirkt beängstigend. Wenn ich in einer geselligen Runde sage, dass ich Urologe bin, »Dr. Margreiter, grüß Gott«, dann sieht man das Entsetzen in den Augen der Männer. Urologe. Aha. Das heißt, er zieht diesen Handschuh an und macht die Untersuchung, die kein Mann haben will. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Dort hinten. Rektal. Und dann gibt es noch die gemäßigtere Fraktion, und zwar die Männer, die ein schlechtes Gewissen kriegen und leise murmeln: Ah ja, genau, da sollte ich ja auch mal wieder hin, zum Urologen.
Spannend wird die Sache, wenn ich mein anderes Gesicht zeige. Das wirkt beruhigend. Wenn ich nämlich in der gleichen Runde sage: »Hallo, grüß euch, ich bin der Markus Margreiter. Ich bin Facharzt und leite ein Zentrum für Männergesundheit.« Dann ist es tatsächlich so, dass jeder große Augen macht und es cool findet, nachfragt: »Hey! Männergesundheit, total interessant, kann ich brauchen, na sicher. Was macht man da? Wo kann man sich anmelden? Gleich bei dir?«
Ich habe gelernt: Men’s Health ist hui, Urologe ist pfui. Die Kollegen vom Fach mögen mir hier verzeihen, aber es ist so unter Männern. Unter skeptischen Männern.
Daher Gesicht Nummer zwei für den Mann 2020, damit nicht gleich am Anfang eine schlechte Stimmung aufkommt: »Hallo, ich bin Markus Margreiter, und ich kümmere mich um Männergesundheit.«
Interessanterweise komme ich genau aus der anderen Ecke. Begonnen habe ich in der Gynäkologie. Von der Eva zum Adam also. Erst die Frauen verstehen, jetzt die Männer heilen.
Frauen sind in gesundheitlichen Fragen deutlich aufgeschlossener. Wenn eine Frau sagt, sie geht zum Gynäkologen, lässt sie entweder etwas kontrollieren oder hat ein gesundheitliches Anliegen. Aber es ist nie offenkundig mit Sex gekoppelt oder gar mit Potenzproblemen. Das hängt beim Mann ja irgendwie mit drinnen. Das hat man im Kopf, wenn dann die Frau sagt: »Du solltest einmal zum Urologen gehen, Schatzi«, dann glaubt jeder: Da geht gar nichts mehr im Bett oder es gibt ein Problem mit der Prostata. Ich habe das in den Jahren oft von Patienten gehört. Die Statistik zeigt: Auch heute gehen vier von fünf Männern nur zum Urologen, weil die Frau sie dazu drängt. Von selbst klappt das anscheinend nicht. Oder nur schwer, mit leisem Unbehagen, dort unten. Und meistens erst, wenn schon ein Problem da ist.
Was ich mit diesem Buch bezwecken möchte, ist dreierlei: Aufklärung leisten. Neues zeigen. Und Hoffnung geben. Ich möchte Männergesundheit in den richtigen Fokus stellen. Ich möchte motivieren, Angst nehmen und Mut machen.
Das ist mein Anliegen. Das ist meine Aufgabe. Das ist mein Ziel. Das Buch soll zeigen, dass es guttut, sich mit seiner Gesundheit auseinanderzusetzen, ja, dass es sogar Spaß macht. Es soll die Freude vermitteln, die ich täglich bei der Ausübung meines Berufes habe. Es soll zeigen, wie harmlos es für einen Mann ist, zum Arzt zu gehen.
Wir werden uns mit der Arbeit am Mann selbst auseinandersetzen, wir werden sehen, dass die Prostata viel zu stiefmütterlich behandelt wird, für das, was sie kann; wir werden uns mit dem prickelnden Thema Sexualität beschäftigen, mit dem Tabuthema Erektionsstörungen, mit dem Kraft-Stoff Testosteron, mit regenerativer Medizin, mit Anti-Stresstherapien und natürlich mit dem Duett des gesunden Alterns: Ernährung und Bewegung. Der Mann 2020 unter der Lupe der Wissenschaft. Wir werden Erstaunliches erkennen, das kann ich versprechen.
Ja, es hat sich sehr viel getan in den vergangenen zwanzig Jahren. Es gab viele bahnbrechende Entwicklungen in der Medizin, vor allem in der geschlechterspezifischen Medizin, der Gender-Medizin, die sich sogar zu einer eigenen Sparte entwickelt hat. Dinge, die wir vor dreißig, vierzig Jahren nicht für möglich gehalten haben, funktionieren heute. Neue Techniken zum Beispiel, um dem Mann mit Potenzproblemen wieder zu Standhaftigkeit zu verhelfen.
Auch haben sich neueste minimalinvasive Therapien bei Prostataerkrankungen herauskristallisiert: zum Beispiel eine Behandlung mit Wasserdampf oder die Prostata-Arterien-Embolisation. Letztere mache ich in Zusammenarbeit mit einem interventionellen Radiologen, Professor Florian Wolf, einem Studienkollegen von mir. Wir können heute bahnbrechende und schonende Therapien bei jeglicher Form von Prostataerkrankung anbieten. Wir haben auch neue faszinierende Ansätze für die Behandlung von Erektionsstörungen. Wo man kein Viagra danach braucht. Wo man die Gefäße wieder auf Vordermann bringt. Das muss man sich vorstellen wie bei einem Herzinfarkt: Die winzigsten Gefäße, die man bisher nicht beachtet hat, stentet man heute, das heißt, Gefäße im Penis werden gedehnt und gestützt. Wir verwenden mittlerweile ganz winzige Stents, weniger als zwei Millimeter Durchmesser, und der Patient kann nachher eine völlig normale Erektion haben. Das Ganze funktioniert ohne Narkose, nur mit lokaler Betäubung. Über eine Punktion in der Leiste oder im Arm geht man über die Arterie hin zu den kleinsten Gefäßen im Becken. Die Beckengefäße hat man früher kaum beachtet. Und man hatte natürlich auch nicht die technischen Möglichkeiten. Heute haben wir dafür ganz spezielle Röntgen-OP-Tische, wo man wie bei einer Computertomografie die Bildgebung am Tisch machen kann und genau sieht, in welchem Gefäß man drinnen ist, dreidimensional. Die Eingriffe dauern nicht lange, und gleichzeitig kann man Männern unglaublich helfen. Die Kombination der Verfahren ist übrigens einzigartig auf der ganzen Welt, ein Full Service for the Aging Male.
Der Patient, nennen wir ihn Herbert, kam mit einer vergrößerten Prostata zu uns in die Klinik, er hatte Probleme beim Harnlassen und gleichzeitig Erektionsstörungen. Wir wissen, dass zwei Drittel der Patienten mit gröberen Prostataproblemen auch Erektionsstörungen haben. Jetzt haben wir Herrn Herbert einerseits ohne Narkose, ohne operativen Eingriff, an der Prostata behandelt, die schrumpft über die Zeit, und andererseits seine Gefäße mit Stents behandelt – damit hat er ein volles Service bekommen. Er ist Anfang sechzig, zum Teil haben das auch jüngere Patienten. Tatsächlich war das weltweit das erste Mal. Diese Techniken habe ich mit meinen Kollegen weitergeführt.
Vor drei Jahren habe ich gesagt, wenn ich aus der Medizinischen Universität herausgehe, will ich meinen Fokus noch mehr auf die Männergesundheit legen. Das hat sich schön ergeben. Meine ganze berufliche Laufbahn war davon geprägt, dass ich mir für Menschen Zeit genommen habe.
Ich habe verschiedene Credos. Zum Beispiel: Ich schau genau. Wenn ein Mann zu mir in die Ordination kommt, betrachte ich ihn ganzheitlich und nahezu unmerklich: Wie kommt er bei der Tür herein? Wie ist seine Körperstatur und Hautbeschaffenheit? Was sagen seine Gestik und Mimik? Wie ist unsere Interaktion? Ich mache mir ein Bild, ich überlege schon, was Mit-Faktoren sind. Das kann die Hautfarbe sein – bitte nicht falsch verstehen – ich meine, ob jemand blass ist oder gerötet, ob er schwitzt, kurzum: wie jemand in der sozialen Interaktion ist. Weil man auf diese Art unglaublich viel herauslesen kann. Das mache ich nicht, damit sich jemand ungut fühlt oder durchleuchtet vorkommt. Aber das ist etwas Grundlegendes, etwas Entscheidendes, um herauszufinden: Wo sind die Probleme? Und genau das interessiert mich über die Jahre. Menschen in ihrer ganzheitlichen Erscheinung. Mannsbilder.
Im Wesentlichen ist es so, dass ich im Rückblick gesehen, von Kindheit an eine gewisse Faszination am Geschlechterthema hatte. Frau und Mann fand ich wahnsinnig interessant. Eines meiner ersten Bücher, als ich lesen konnte, war ein medizinisches Buch: Der Mensch, ein Biologiebuch, und das mit fünf. Das hat mich damals schon interessiert. Reproduktion, Hormone, Herz, Nieren, Knochen und Skelett. Ich fand das immer verlockend, vor allem was sich da in einem drinnen tut, die Verbindung zwischen Frau und Mann und die weitere Entwicklung. Schon damals habe ich mir gesagt, es wird dich einmal in die Medizin verschlagen. Dort ist dein Platz.
Bei uns in der Familie war es offenkundig, wir sind alle in sehr unterschiedlichen Richtungen tätig. Mein Vater war in der Wirtschaft, eher die rationale Ebene in der Familie. Meine Mutter war eine sehr emanzipierte Frau, die sehr fortschrittlich dachte, sie war Psychologin. Ich glaube, dass ich von Jugend an einen anderen Zugang zum Menschen mitbekommen habe. Es war ein gelungener Ausgleich: das Rationale meines Vaters und die emotionale, empathische Mutter. Letztlich hat sich mein Fokus in der Schule auf das Naturwissenschaftliche gerichtet. Nicht zuletzt, weil da auch die Mädchen waren. Ich kann sagen, dass ich sehr viel Glück in meinem Leben hatte und bin dafür sehr dankbar. Ich hatte eine wunderbare Familie und eine Basis des Vertrauens in meinen Eltern. Ich habe mir beim Lernen, vor allem während des Medizinstudiums und für meine amerikanischen Medizin- und Zulassungsprüfungen, leichtgetan. Und ich hatte schließlich großartige Mentoren, Lehrer und auch Kollegen, ohne die ich nicht dort wäre, wo ich heute bin, und nie das Wissen hätte, das ich heute habe; einmal ganz abgesehen davon, dass dabei auch tiefe Freundschaften entstanden sind. Meine Patienten profitieren von diesen Wegbegleitern, die mich im Zug meiner Karriere an Stationen haltmachen ließen, an denen ich ohne sie vielleicht vorbeigerauscht wäre.
Der Ausnahmemediziner Professor DDr. Johannes Huber hat mir schon während des Studiums die Hormone und die Reproduktionsmedizin nahegebracht und für beides das Feuer in mir entfacht. Er begleitet mich nun schon während meines gesamten beruflichen Weges und ist bis heute ein höchst geschätzter Austauschpartner für Hormonfragen. Professor DDr. Michael Marberger war ein harter und strenger Lehrer. Er hat mich immer gefördert und holte mich aus Amerika zurück nach Wien. Ihm verdanke ich neben meinen vielen ehemaligen Kollegen an der Universitätsklinik meine fundierte urologische Ausbildung. Professor Dr. Shahrokh Shariat war ein Wegweiser in eine zukunftsorientierte, sehr wissenschaftliche Sicht der Dinge. Unter seiner Führung schrieb ich meine Habilitation, wurde zum Assoziierten Professor ernannt und übernahm die Leitung der Andrologie an der Universitätsklinik für Urologie im AKH Wien.
Medizinisch prägte mich das Jahr mit dem gesamten Ärzte-Team um Professor Patrick Walsh und Professor Alan Partin der James Buchanan Brady Urology Clinic in Johns Hopkins wie kein anderes. In diesem Jahr operierte ich so viel wie nie zuvor und verbrachte so viele Stunden im Krankenhaus, dass man sagen kann, ich hatte ein Spitalsbett dort. Die dortigen Professoren, die zur Weltelite in der Urologie zählen, gaben mir sehr viel Wissen mit sehr viel Herzlichkeit mit.
Man kann sagen, dass mein Weg zum Mann über die Frau geführt hat. Nach meinem Studium dachte ich, ich gehe in die IVF, kurz für In-vitro-Fertilisation, künstliche Befruchtung. Weil mich die Hormone immer interessiert haben. So bin ich in der Klink mit Johannes Huber zusammengekommen. Irgendetwas in meinem Bauch sagte: Wunderbar – aber. Ich habe bei einem der Kinderwunsch-Päpste Professor Wilfried Feichtinger wissenschaftlich mitgearbeitet, aber gespürt, dass mir da thematisch etwas fehlt. Nach meinem Turnus bin ich nach München gegangen und habe dort ein halbes Jahr IVF gemacht, ich fand die Hormone reizvoll, doch die Gynäkologie war’s eben nicht. Damals habe ich festgestellt, dass es kaum jemanden gibt, der sich mit männlicher Unfruchtbarkeit auseinandersetzt. Das war genau zu der Zeit, 2000 bis 2005, wo die Gynäkologen den Mann hormonell de facto mitbehandelt haben, und ich habe gesagt: Ich schaue, wo es auf der Welt das Zentrum für männliche Unfruchtbarkeit gibt. Das war damals an der Cornell Universität in New York. Noch vor meiner urologischen Ausbildung bin ich nach NY gegangen und habe dort ein sogenanntes post doc fellowship gemacht, bei den führendenen Ärzten auf dem Gebiet der männlichen Unfruchtbarkeit, Professor Peter Schlegel und Professor Marc Goldstein, der mich übrigens auch auf den Geschmack des Marathon-Laufens brachte. Auf einem urologischen Kongress in Atlanta bot mir dann der Ordinarius der Wiener Universitätsklinik, Professor Michael Marberger, eine volle Ausbildungsstelle an seiner Abteilung an, was damals ausgesprochen selten war. Zurück in Wien ereilte mich rasch wieder das Fernweh nach NY. Daher habe ich auch etwas später die einmalige Chance genutzt, wieder nach Amerika zu gehen, konkret nach Baltimore in die renommierte Johns Hopkins Universität, dem Mekka der Urologie. Und dort eben gab es den Papst der Prostata: Patrick Walsh, er hat schon 1982 eine Operation der Prostata gemacht, mit der die Nerven erhalten bleiben konnten. Davor war jeder Patient nach einer Prostata-OP impotent, und die meisten waren inkontinent. Walsh, eine Ausnahmefigur, hat in seinem Leben rund 7.000 solcher OPs gemacht. Die Giganten der Urologie waren dort. Ich durfte eine einjährige Ausbildung bei ihnen machen. Für Amerika musste ich Prüfungen nachholen, um operieren zu dürfen, das Zusatzstudium habe ich in sechs Monaten geschafft. Es war sicher das härteste Jahr in meinem Leben, dort in Baltimore. Morgens arbeiten, abends Evaluationen von unseren Profs, alle drei Monate Mentoren-Gespräche. Viel Feedback von den Patienten, das einem weitergegeben wird. Das war toll. Ich habe viel mitgenommen. Man agiert so eng miteinander, mit den Oberärzten, operieren, analysieren, therapieren. 20-Stunden-Tage. Von dort zurück, dann Habilitation, danach habe ich den andrologischen Bereich mit aufgebaut, die vergangenen Jahre geleitet, mehr als zehn Jahre war ich im AKH. Und bin letztendlich mit einem eigenen Männergesundheitszentrum in der Wiener Privatklinik Confraternität angekommen. Männergesundheit, Sexualität, all die Bereiche habe ich zum Zentrum des Mannes werden lassen. Willkommen im Men’s Health Center Vienna.
Bitte nicht falsch verstehen: Männergesundheit, darauf gibt es kein Monopol. Das hat niemand gepachtet. Weder der Arzt, noch der Ernährungsberater oder der Lifestyle-Mediziner, der einen am Ergometer checkt, noch der Sportmediziner oder der Fitnesstrainer. Bei Männergesundheit horchen aber alle auf. Das ist frisch, jugendlich, viril. Besser als das Schreckwort Urologie. Leider passiert es ja allzu oft, dass wir Mediziner gut gemeinte medizinische Empfehlungen klingen lassen, als würde man die Patienten mit erhobenem Finger ermahnen. Das soll in diesem Buch nicht vorkommen. Keine zu medizinische Sprache, sondern eine, die wir Männer verstehen. Allem voran eine menschliche Sprache. Wichtig ist es mir, Ihnen die Inhalte auf Augenhöhe zu vermitteln. Auf Augenhöhe mit den Männern.
Ich möchte auch keine Dogmen aufstellen. Die gibt es in der Medizin nur selten oder sie werden nach einiger Zeit widerlegt.
Jeder Mensch ist individuell.
Kein Mann gleicht dem anderen.