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DIE PROSTATA

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Eigentlich sollte jeder Mann den Tag mit einem »Danke« beginnen. »Danke«, sollte jeder von uns zu seiner Prostata sagen, »du bist ein großartiges Organ, ich bin stolz, dass ich dich habe.«

Falls Sie sich jetzt fragen, was ein Urologe mit so einem obskuren Rezept will, kann ich Sie beruhigen. Ich sage das nicht als Arzt, ich sage das als Mann. Als Arzt sage ich, warum wir uns bei der Prostata bedanken können.

Die Prostata ist eines der wichtigsten Geschlechtsorgane des Mannes. Ohne die Prostata gäbe es uns alle nicht. Einmal nur vom Beitrag des Mannes aus betrachtet, wäre die Menschheit nicht existent. Das haben wir diesem kleinen, kastanienförmigen Knödelchen zu verdanken, das uns letztlich zum Mann macht. Wollte man einen Mann biologisch auf das Wesentliche reduzieren, er wären Prostata und Hoden.

Und was tun wir zum Dank dafür? Wir ignorieren sie.

Fragen Sie irgendeinen jungen Mann auf der Straße, ob er sich um seine Prostata kümmert, Sie werden wenig zu hören bekommen. Die Prostata ist ein Alt-Herren-Thema, mit dem man sich Zeit lassen kann. Das ist die herrschende Einstellung bis zu dem Moment, in dem wir sie als Problem wahrnehmen. Dann allerdings geht es ziemlich rasant, von einem Moment auf den anderen. Gerade noch war sie unbeachtetes Inventar, das tagein tagaus verlässlich ihren Dienst tut, und auf einmal ist sie eine Krankheit.

Wären wir uns schon in jungen Jahren bewusst, was wir an ihr haben, hätten wir länger was von ihr. Denn alles, was wir an unserem Körper ignorieren, hat etwas potenziell Negatives, das heißt, es kann uns einmal auf den Kopf fallen.

Aber es gibt ein Leben dazwischen. Ein gutes, gesundes, sexuell erfreuliches Leben, im Laufe dessen man der Prostata schon einiges Gutes tun kann, damit sie erst viel später oder gar nie zum Problem wird. Grundsätzlich darf sich jeder von uns schon einmal darauf einstellen, dass er sich irgendwann auf die eine oder andere Weise mit seiner Kastanie wird auseinandersetzen müssen, so wie er irgendwann auch schlechter hört, nicht mehr so gut sieht, der Blutdruck steigt oder ein Knie jault. Wobei die Prostata sehr viel Geduld hat, medizinisch nennen wir das Latenz. Mit der Latenz einer Prostata könnte man auf Godot warten, ohne dass einem fad werden würde.

Anders gesagt: Die Prostata ist nicht wehleidig. Bis sie meldet, dass etwas nicht stimmt, stimmt wirklich schon etwas nicht. Der typische Umgang des Mannes mit sich selbst, auweh, jetzt spüre ich etwas, ich nehme ein Medikament, und dann ist alles wieder gut, greift nicht bei der Prostata. Sie hat gern durchgehend Aufmerksamkeit, kontinuierliche kleine Schritte sind ihr das Liebste. Und beginnen kann man damit schon mit dreißig.

Passiert nicht, ich weiß.

An dieser Stelle finde ich es angebracht, ein Geständnis abzulegen: Als junger Mann hat mich meine Prostata genauso wenig interessiert. Nicht einmal als junger Arzt. Da ich mich der Gesundheit des Mannes und damit der Prostata über die Hormone und die Sexualmedizin angenähert habe, habe auch ich ihr meine Aufmerksamkeit erst später geschenkt.

Als Organ, das erst ernst genommen wird, wenn es Probleme macht, teilt die Prostata das traurige Schicksal des Blinddarms. Nur, dass der Blinddarm nicht so großartig ist. Im Gegensatz zur Prostata hat er keine Aufgabe, er hat nicht das Geringste zu tun. Die Aufgaben der Prostata hingegen sind riesig und unglaublich erfreulich.

Wir brauchen sie für

• das Empfinden in der Lendengegend,

• die Bildung eines Großteils des Ejakulats,

• den Samenerguss,

• und den Orgasmus.

In ihr mündet alles, was für die Sexualität und die Fortpflanzung zuständig ist. Höchste Zeit also, sich mit ihr bekannt zu machen. Ich übernehme das gerne.

Gestatten: die Prostata, man kennt sie auch als Vorsteherdrüse. Und das schon sehr lange. Es war der Arzt und Anatom Herophilos von Chalkedon, der sie 300 vor Christus erstmals beschrieb und ihr den Namen gab. Pro und statos bedeutet vor und stehend und bezieht sich auf ihre Lage unter der Blase und auf ihre prominente Rolle dort.

Bis ins 16. Jahrhundert war es anatomisch gespenstig ruhig um die männliche Drüse, bis 1538 das erste Bild von ihr auftauchte, eine Illustration in der anatomischen Schrift von Andreas Vesalius, Tabulae anatomicae heißt sie, falls es wen interessiert. Und auch dann dauerte es immer noch seine Zeit, bis sie richtig unter die Lupe genommen wurde.

Bis ins 40. oder 50. Lebensjahr eines Mannes verhält sich die Prostata praktisch symptomlos. Außer bei Patienten, die sie aufgrund einer Infektion zu spüren bekommen, aber das kann man ja nicht unbedingt der Prostata vorwerfen. Erst ab dem mittleren Alter regt sie sich schließlich, vor allem streckt sie sich. Sie wird größer. Die Hyperplasie ist ein Thema des Älterwerdens, was erklärt, warum über Prostata-Vergrößerungen erst im 18. Jahrhundert etwas nachzulesen ist: Damals lag die Lebenserwartung der Männer weit unter der heutigen, sie starben, bevor die Prostata ächzen konnte.

Außerdem haben Hyperplasie und auch Prostata-Krebs viel mit der Ernährung zu tun, die damals noch nicht die beste war, weder in ausreichender noch in nährstoffreicher Hinsicht.

Heute sehen wir den Einfluss des Essens auch an der Häufigkeit dieser Erkrankungen und dem dramatischen Unterschied in den Ernährungsgewohnheiten zwischen der westlichen Welt und Asien. In Asien war Prostata-Krebs fast nicht existent. Fleischkonsum ist dabei ein Riesenthema, vor allem aber Kuhmilch. Ganz abgesehen von der Heiligkeit der Kühe sind viele Asiaten lactoseintolerant. Außerdem essen sie generell mehr Obst und Gemüse und weniger tierisches Fett und Eier.

Anhand der Ergebnisse der US-amerikanischen Health Professional Follow-Up Study 2012 an 40.000 Angehörigen von Gesundheitsberufen lässt sich ganz gut absehen, was der Prostata schmeckt und was ihr schadet.

Reduzieren Sie

• die Nahrungsmengen an sich,

• rotes Fleisch und Wurstwaren,

• und gezuckerte Getränke.

Es gibt einen ganz eklatanten Zusammenhang zwischen Prostata-Krebs und Limonaden, das zeigte eine Studie, 2014 veröffentlicht im American Journal of Clinical Nutrition: Softdrinks and the risk of cancer and cardiovascular desease. Es genügen pro Tag schon ein bis zwei Dosen Coca-Cola, Sprite und dergleichen, um das Risiko auf Prostata-Krebs zu erhöhen.

Essen Sie mehr

• fetten Fisch, die Omega-3-Fettsäuren wirken anti-entzündlich und anti-tumorös,

• und Tomaten, sie enthalten das Vitamin Lykopin, dem eine heilende Wirkung zugeschrieben wird, man nennt es mittlerweile schon das Tomaten-Vitamin.

Außerdem sollten sie Ihrer Prostata zuliebe das Rauchen einstellen und mehr Sport betreiben. Übergewicht erhöht das Risiko auf Prostata-Krebs. Bewegung hemmt nicht nur die Entstehung eines Karzinoms, es wirkt selbst bei diagnostizierten Krebspatienten lebensverlängernd.

Jaja, höre ich Sie jetzt denken, ich kenne die Regeln. Tatsächlich sind es die üblichen Verdächtigen, die auch der Prostata schaden, und die bekannten Wohltäter, die ihr guttun. Im Grunde sind es die gleichen Faktoren, die die WHO oder der World Cancer Report 2007 gegen das generelle Krebsrisiko auflisteten. In den Kapiteln Ernährung und Bewegung erfahren Sie mehr darüber.

Prävention ist also der beste Verbündete, um die Prostata gesund zu halten. Gesund bedeutet in ihrem Fall die Abwesenheit folgender Erkrankungen:

• Die gutartige Prostata-Vergrößerung, wir Mediziner nennen das Hyperplasie. Sie macht mit Beschwerden beim Harnlassen auf sich aufmerksam, man erkennt sie in den meisten Fällen daran, dass man beim Pinkeln ein halbes Buch auslesen könnte.

• Die Gruppe der Prostata-Entzündungen, im Fachjargon Prostatitis. Diese Infektionen entstehen meistens aufgrund von Bakterien, können aber auch ohne sie auftreten. Ebenso hierher gehören die funktionellen Störungen, die sich mit Schmerzen oder Spannungszuständen in der Prostata-Region bemerkbar machen. Sie betreffen oft den Beckenboden, die dortigen Faszien und den Halteapparat.

• Der Krebs, die bösartige Entartung der Prostatazellen. Wie wenig man landläufig das eine vom anderen unterscheiden kann, erfährt man am besten am Stammtisch: Wenn dort der Toni ein paar Wochen lang nicht erschienen ist, weil er’s an der Prostata hat, bedeutet das immer nur das eine: Der Toni ist operiert worden da unten, jetzt kann er nimmer und verliert den Harn. Und schon ist der Toni impotent und inkontinent, als Mann praktisch insolvent. Dabei hatte der Toni möglicherweise nur einen harmlosen Eingriff wegen einer ganz normalen Prostata-Vergrößerung. Zwischen dem und einer radikalen Entfernung der Prostata im fortgeschrittenen Krebsstadium liegt ein weites Feld, das den meisten Männern völlig unbekannt ist.

In Wahrheit beginnt das Rätselraten aber schon viel früher. Bei Fragen wie:

Was ist die Prostata eigentlich?

Wo liegt sie überhaupt?

Und was macht sie den ganzen Tag?

Sollten Sie darauf keine Antworten haben, lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen. Bei meinen Vorträgen im Rahmen von Gesundheitsaktionen in Firmen mit männerlastiger Belegschaft frage ich zum Auflockern immer ins Auditorium: »Prostata, hm? Hat das nur die Frau? Oder nur der Mann?« Sie würden sich wundern, wie man da ins Grübeln kommen kann.

In diesem Zusammenhang sei der hohe Stellenwert sogenannter Setting-spezifischer Gesundheitsaktionen erwähnt. Dabei werden Menschen in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld in eine medizinische Vorsorge eingebunden. Studien zeigen deutlich, dass darüber die Gesundheit nachhaltig verbessert und Erkrankungen frühzeitig erkannt werden können. Daher ein großes Lob an Firmen wie OMV und Siemens, für die ich schon solche Männergesundheitsaktionen organisieren und durchführen durfte. Auch dort fragte ich nach, wer nun wirklich eine Prostata hat und blickte in viele ratlose Männergesichter.

Um keine Unklarheit aufkommen zu lassen: Die Prostata ist rein männlich. Sie zählt zu den akzessorischen Geschlechtsdrüsen und ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Hoden, Samenleiter und Außenwelt. Falls Sie am Stammtisch glänzen wollen: Das Pendant im weiblichen Körper sind die Paraurethralen oder Skeneschen Drüsen.

Bei jungen Männern zwischen 20 und 30 hat die Prostata ein Volumen von etwa 15 Millilitern, im Alter kann sie sich zu einem Pfirsich auswachsen. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn ein 50-Jähriger eine Kastanie von 40 bis 50 Millilitern in sich herumträgt, was etwa ihrer dreifachen Größe entspricht. Wirklich aussagekräftig ist das alles aber letztlich nicht. Es gibt Patienten, die mit einer 150-Milliliter-Prostata zu mir kommen und weniger Symptome haben als jemand mit einem Winzling von 30 Millilitern. Die Größe der Prostata geht also nicht automatisch mit dem Schweregrad der Symptome einher. Willkommen im Irrgarten der Diagnostik.

Könnte man einfach so einen Blick in den Körper werfen, fände man die Prostata leicht nach vorne geneigt direkt unter dem Blasenhals, wo sie den ersten Teil der Harnröhre umschließt, die sogenannte prostatische Harnröhre. Nach hinten hin kuschelt sie sich ans Rektum, was die gefürchtete Fingeruntersuchung nahelegt. Das ist die einzige Möglichkeit, die Kastanie abzutasten, es gibt keinen anderen Weg ohne Hilfsmittel von außen. Auf der anderen Seite, also nach vorne hin, stößt die Prostata an das Schambein, nach unten an den Beckenboden.

Womit wir bei einem Begriff sind, auf den Männer rein gar nicht reagieren. Der Beckenboden ist, sofern man überhaupt von ihm gehört hat, reine Frauensache. Was für ein Irrtum. Denn im Becken des Mannes fließt extrem viel zusammen, rund um die Prostata herum zentriert sich die Männlichkeit.

Zwischenfrage: Kennen Sie Ihren Beckenboden?

Kein Drama, wenn Sie jetzt den Kopf schütteln, die meisten von uns wissen gar nicht, dass sie einen haben. Tatsache ist aber, dass wir ohne ganz schön blöd dastehen würden. Generell hat der Beckenboden eine wichtige Haltefunktion nach unten für den Stützapparat und die Rückenmuskulatur. Gemeinsam mit dem Zwerchfell, das nach oben hin wirkt, entscheidet er über die gesamte Rumpffestigkeit.

Obwohl der Aufbau etwas unterschiedlich ist, verhält sich der Beckenboden in den Grundfunktionen bei Mann und Frau gleich. Der feine Unterschied besteht in den Durchtrittsöffnungen. Die Frau hat drei, für Harnröhre, Scheide und Enddarm, beim Mann sind es zwei, weil Harn und Geschlechtstrakt sich einen Weg teilen.

Ist die Muskulatur im Beckenboden eher schwach, merkt man das beim Harnlassen. Bei Frauen zeigt sich das mit Inkontinenz nach Geburten. Bei Männern betrifft es das berühmte Nachtröpfeln, für das meistens die Prostata beschuldigt wird. In vielen Fällen liegt es aber an fehlgesteuertem An- und Entspannen der Beckenbodenmuskeln.

Was tun?

Zusammenzwicken und loslassen. Als müsste man ganz dringend, und es wäre keine Toilette in der Nähe. Das ist eine Übung, die in viele Richtungen nützt. Der Aufwand ist überschaubar: An- und Entspannen, mehr ist nicht nötig, um den Beckenboden in Form zu halten. Da auch die Muskeln, die für den Orgasmus zuständig sind, im Beckenboden verankert sind, wirkt sich die Übung auch in der Sexualität erfreulich aus.

Wenn wir uns weiter im Zentrum der Männlichkeit umschauen, begegnen wir rund um oder in der Prostata noch ein paar Mitspielern des Orchesters, das die Sexualität dirigiert.

Zum Beispiel die Nerven, die für die Erektion zuständig sind. Sie laufen in der Hülle, die die Prostata umgibt. Ohne diese Nerven keine Manneskraft.

Oder eine Produktionsstätte der Samenflüssigkeit. Die meisten wissen das nicht, aber als exokrine Drüse bildet die Prostata selbst einen großen Teil des Ejakulats, immerhin etwa ein Drittel. Die Hoden liefern nur zehn Prozent der Samenzellen. Ungefähr fünfzig Prozent stammen aus den Samenbläschen, die an der Prostata dranhängen. Das Sekret enthält ganz wichtige Bestandteile, die die Spermien beweglich halten. Ohne diese Beweglichkeit keine Zeugungsfähigkeit.

Ein anderes Sekret, das sogenannte Prostata-spezifische Antigen, kurz PSA, verhilft zur Verflüssigung des Ejakulats. Das ist nötig, weil das Ejakulat in dem Moment, da es zusammengemischt wird, so zähflüssig ist, dass es die Samenzellen schwer hätten, sich ihren Weg über die Gebärmutter zu bahnen und sich mit der Eizelle zu verbinden. Ohne PSA kein Weiterkommen.

Wieder ein anderes Sekret ist für die Säure zuständig, die gebraucht wird, um den pH-Wert im weiblichen Geschlechtstrakt gut abzupuffern, damit die Samenzellen überleben können.

Die Menge des Ejakulats ist übrigens keine Messlatte für die Potenz. Sie hängt einmal ganz banal davon ab, wie groß die Samenblasen sind, die die Flüssigkeit produzieren. Zweitens spielt die Ernährung eine Rolle. Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Prostata sind möglich, allerdings anders, als man es erwarten würde. Eine vergrößerte Prostata erkennt man nicht an einer gewaltigen Ladung Samenflüssigkeit. Im Gegenteil, oft verringert sich die Menge dann sogar, oder die Ejakulation wird schmerzhaft.

So ein Schmerz im schönsten Augenblick kommt zum einen daher, dass sich ja nicht nur das funktionelle, gute Drüsengewebe vergrößert. Zum anderen werden die 30 bis 50 Ausführungsgänge von der Größe so abgedrückt, dass sie nicht mehr gut gereinigt werden. Diese winzigen Gänge und Schläuche, von denen auch kaum ein Mann eine Ahnung hat, verhalten sich dann wie eine umgekehrte Brause.

Eine der Hauptrollen in all diesem Zusammenspiel haben die Hormone über. Was Hamlet oder Mephisto am Theater sind, ist das Testosteron in der Entwicklungsgeschichte unserer Kastanie. Erst das Testosteron macht die Prostata während der Pubertät zu einem funktionsfähigen Organ. Und die Balance der Hormone, insbesondere von Testosteron, Östrogen und Progesteron ist ganz entscheidend für spätere Probleme.

Mann 2020

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