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IV
ОглавлениеIch stieg mit meiner schwarzen Sporttasche in der einen Hand und einem Stadtplan in der anderen aus dem Zug. Mehr als ein paar Klamotten und ein paar Andenken, ohne die ich anscheinend nicht konnte, hatte ich nicht dabei. Das waren Fotos, ein kitschiger Aschenbecher aus Lissabon, den ich von meiner ersten Freundin geschenkt bekommen hatte, wenige Lieblings-CDs und ähnliches Zeug. Finanziell sah es nicht gerade rosig aus, und da ich keinen Abschluss vorweisen konnte, musste ich mich ranhalten, sonst wäre ich gefickt gewesen, wie man in der Weltstadt mit Herz und Schnauze zu sagen pflegte.
Es war Anfang Oktober, abends, ein bisschen kühl und es fiel Nieselregen. Schuldgefühle machten auf sich aufmerksam und krabbelten mir auf den Schultern herum, weil ich keiner Menschenseele gesagt hatte, dass ich ging und wohin. Aber dafür hatte ich keine Zeit, also ließ ich die entfesselte Ekstase in mir den unerwünschten Schuldgefühl-Wurm schlucken, was mühelos gelang; nur ein Happs und weg war er – fürs Erste zumindest.
Vom Bahngleis, von dem aus das in die Höhe ragende Wahrzeichen Berlins, der Ost-Funkturm, wunderbar zu bestaunen war, ging es hinunter in die Eingangshalle, in der die zahlreichen Geschäfte nicht über mangelnde Kundschaft klagen konnten. Als ich einen Zeitungsstand passierte, erregte die Titelseite einer Tageszeitung mein Aufsehen. Steve Jobs war am gestrigen Tag verstorben. Der Tod dieses Mannes berührte mich nicht sonderlich, trotzdem blieb ich einen Moment lang stehen, um mir durchzulesen, was genau mit ihm passiert war. Ich vermutete, dass ich nur deshalb stehenblieb, weil der Name berühmt und die Schlagzeile derart fett abgedruckt worden war. Ich verschwendete also meine Zeit, aber davon hatte ich zum Glück genug.
Obwohl ich zur U-Bahn musste, die sich noch eine Etage weiter unten befand, ging ich auf den Alexanderplatz, der mich trotz seiner nicht vorhandenen Schönheit anzog. Man hörte so oft von ihm in den Nachrichten sowie in Geschichten von Freunden und Bekannten, und in der Schule hatten wir sogar ein Buch mit gleichnamigem Titel lesen müssen, also musste etwas an ihm dran sein, dachte ich. Es war aber nicht so. Ich sah graue Gebäude auf grauem Beton, es stank nach Urin, und es schien, als ob es in Berlin Fashion gewesen wäre, wie ein Penner herumzulaufen. Diese Vermutung sollte sich bestätigen.
Ich ging zurück in Richtung U-Bahn und wurde unterwegs gute vier- oder fünfmal angerempelt. Eine Entschuldigung? Fehlanzeige. Und dennoch, obwohl mich diese ersten Eindrücke meiner neuen Stadt vielleicht hätten vergraulen sollen, gefiel sie mir auf Anhieb. Mir gefiel diese Rohheit, und wie so oft in meinem Leben hatte ich keine Ahnung, wieso, aber ich wusste: Hier war ich richtig.
Ich nahm die U8 zum Moritzplatz, einer wenig einladenden Ecke von Kreuzberg, aber nah an den spannenden Straßen, in denen sich all die berüchtigten Kneipen befanden. Dort sollte ich Jörg treffen, meinen ersten Vermieter, den ich einige Tage zuvor im Internet, auf irgendeiner der vielen gleich aussehenden Seiten für Wohnungen, kennengelernt hatte.
Es war ein günstiger Schlafplatz, ein Altbauzimmer, um genau zu sein, das ich wöchentlich bezahlen durfte, mit nichts darin außer einer an einem Kabel von der Decke hängenden Glühbirne, mehr als genug Staub und einer abgeranzten Matratze. Jörg, das war ein Ketamin-Junkie-Typ, der für einen Mittdreißiger zu verbraucht aussah, den rechtzeitigen Absprung in seinen Zwanzigern nicht geschafft hatte und noch immer in der Experimentierphase festhing. Mit seinem kahlgeschorenen Kopf, seiner olivgrünen Bomberjacke, seinen grauen enganliegenden Jeans und den schwarzen Springerstiefeln sah er aus wie ein Nazi, war aber keiner, sondern mochte nur das Outfit, soweit ich das beurteilen konnte. Aus irgendeinem Grund besaß er eine ziemlich hübsche Wohnung, und man konnte gut mit ihm zusammenleben, da er meist entweder feiern war oder zu Hause in seinem selbstgebastelten Koma lag. Wir ließen uns so gut es ging in Ruhe. Er wollte nur mein Geld, und ich war noch viel zu wenig kaputt, um gerne mit ihm abhängen zu wollen.
Ohne viele Worte zu verlieren, knüpfte mir mein neuer Mitbewohner an diesem Abend 70 Euro für die erste Woche ab, gab mir zwei lose Schlüssel, einen für oben, einen für unten, zeigte mir, wo mein Zimmer, das Bad und die Küche waren und verschwand für eine Weile, um sich zu holen, was er später im halbe-Stunden-Takt sniefen würde.
Währenddessen richtete ich mich provisorisch ein, stellte die mitgebrachten Andenken an einer Wand entlang auf, stapelte meine Klamotten auf der leeren schwarzen Sporttasche, stellte meinen Laptop aufs Fensterbrett, rollte die Matratze zusammen, um eine Sitzgelegenheit zu haben und stellte eine Verbindung mit dem Internet her.
Vom Späti holte ich mir eine kleine Flasche Jack Daniels, huschte wieder ins Haus und konnte es kaum erwarten, wieder in mein verstaubtes Berlin-Zimmer zu kommen, sodass ich mit jedem Sprung drei oder vier Stufen auf einmal nahm. Ich machte es mir gemütlich, stellte ein paar Teelichter, die ich in der Küche gefunden hatte, im Zimmer auf, trank den Jackie, rauchte ein paar Luckys, klickte mich auf der Suche nach gutem Blues durch YouTube, überblickte vom dritten Stock aus einen Teil der Oranienstraße und befand meine Situation für nicht weniger als perfekt.
Berlin bedeutete eine neue Spielwiese. Ich kannte niemanden, hatte aber trotzdem scheinbar unbegrenzt viele neue Mitspieler. Ein konkretes Ziel hatte ich nicht, aber viel Energie, um das Leben bei den Hörnern zu packen. Es war genauso, wie ich es gewollt und gebraucht hatte, und ich wusste, in dieser Stadt würde ich ein Weilchen bleiben.
Es gab aber eine Sache, die mir die ganze Tour vermiesen konnte. Eine Bedingung musste erfüllt werden, damit ich überhaupt mitspielen durfte. Zaster musste her; schöne, frisch gesendete Zahlen, herrlich geruchlose, virtuelle Euro, die selten als Schein oder Münze das Tageslicht erblickten und lieber formlos blieben.
*
Am nächsten Morgen, ich hatte lange geschlafen, stand Jörg über mir und starrte mich an. Der Typ machte mich wacher als jeder Espresso. Nicht, dass er etwas Böses mit mir anstellte, aber wie er es tat, das ließ mich an seiner mentalen Stabilität zweifeln. In Boxershorts und Bademantel hatte er über mich gebeugt gewartet, mich beobachtet, nur um mir zu sagen, dass er auch für mich einen Kaffee mitgekocht habe. Dann ging er wieder.
Wäre er nicht so ein Freak gewesen, hätte ich vielleicht nicht derart schnell nach Arbeit gesucht, um genug Geld für eine eigene kleine Bleibe zusammenkratzen zu können.
Ich putzte mir die Zähne, holte meinen Kaffee aus der Küche, hoffte, dass Jörg den Zucker nicht mit seinen privaten weißen Pülverchen vertauscht hatte und verzog mich wieder in mein staubiges Paradies.
In den Weiten des WWW machte ich mich auf die Jagd nach einem Job. Google stand für meine Wünsche bereit, und ich musste nur noch dahinterkommen, welche Stichwörter ich in die Suchleiste hämmern musste, um zu finden, wonach ich suchte. Einige nicht unerhebliche Fragen galt es aber noch zu klären: Was wollte ich mit meiner Zeit anfangen, jetzt, da für mich ein neues Leben begonnen hatte? Was konnte ich gut? Und wo würden sie mich überhaupt einstellen?
Körperlich anstrengende Jobs, die nur wenige Euro pro Stunde einbrachten, kannte ich nur zu gut aus meinem vorherigen Leben, doch die hatten mich nicht glücklich gemacht. Ich war ein zu empfindliches Wesen mit zu häufigen Kopfschmerzen und anderen Wehwehchen. Das konnte ich also streichen. Wenn ich so etwas täte, brächte das niemandem was.
Grips hatte ich, aber das zählte nicht, zumindest nicht in der Welt, in der ich lebte. Da hieß es, zeig mir dein Zeugnis oder verpiss' dich – sinngemäß. Das schränkte meine Möglichkeiten enorm ein. Aber es musste etwas geben, das ich gut konnte und das ich machen durfte. Ich kam nur noch nicht dahinter.
Ein weiterer Faktor, der mir meine Jobsuche erschwerte, war die Tatsache, dass ich anfing, allen Menschen gegenüber eine profunde Abneigung zu entwickeln, sobald sie sich nur ein bisschen danebenbenahmen. Ich hatte keine Geduld mit ihnen; nicht mit den Midlife-Typen, die sich auf dem Gehsteig aufregten, dass man ihnen im Weg stand, weil sie so fett waren, ebenso wenig mit den alten Schachteln, die einen ankeiften, wenn man im Einkaufszentrum zwischen ihnen, die in ihren Massagesesseln saßen, und dem Fernsehgerät im Schaufenster des Elektrogeschäftes stand, und auch nicht mit all den Gestalten, die mit ihren schmierigen Mündern ihre dummen zwei Cents zu allem dazugeben mussten, weil sie glaubten, es besser zu wissen, in Wahrheit aber einen Dreck wussten. Sie machten mich aggressiv, und ich wollte nicht aggressiv sein. Das passte nicht zu mir, beschloss ich.
Für mich kam nur eine Tätigkeit in Frage, und zwar eine, bei der ich mit niemandem außer meinem eigenen kranken Hirn interagieren musste. Das war schon anstrengend genug, und alles andere wäre Unsinn gewesen.
So kam das erste Wort aus dem Äther geflogen: Heimarbeit. Ich tippte es ins Suchfeld ein. Die wirkliche, unberechenbare Welt kam auch sehr gut ohne mich aus. Und ich ohne sie, zumindest dachte ich das.
Der Verdienst war mir schnuppe. Ich war dazu bereit, viel zu arbeiten, mich anzustrengen und dazuzulernen, unter der Voraussetzung, dass ich machen konnte, was ich gerne tat.
Doch was war das? Ich kam noch immer nicht drauf. Es konnte so vieles sein, solange es… das zweite Wort für die Suchleiste poppte vor meinem inneren Auge auf: Computerarbeit. Am besten etwas schreiben, zeichnen oder ähnliche Dinge, die ich gerne tat, bei denen ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass mir jemand Geld dafür geben würde.
Was soll's?, dachte ich. Fragen kostet nichts.
Mich überkam ein Moment der Hoffnung, des Übermuts und der weltfremden Risikobereitschaft. Ich ergänzte meine ersten beiden Wörter mit „schreiben“, denn das konnte ich zumindest ansatzweise, und es wäre ein Traum gewesen, von zu Hause aus mit dem Computer irgendwas für andere zu schreiben, egal was, Hauptsache, es gab Geld dafür.
Anscheinend war ich zum richtigen Zeitpunkt ein weltfremder Träumer gewesen, und schon bald drauf ein Glückspilz auf Zeit.
An diesem Morgen fand ich die Internetseite www.ich-schreibe-deine-arbeit.de.
*
Da stand: Gegen gutes Geld wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Bis dahin hatte ich nicht einmal gewusst, dass das möglich oder besser gesagt legal war. Ich klickte.
Ohne auch nur ansatzweise zu wissen, wie man wissenschaftlich schrieb, fing ich an, mich zu registrieren. Ich glaubte ohnehin nicht, dass sie mich nehmen würden, aber einen Versuch war es in meiner Situation wert, wie ich so dastand, mit dem Rücken zur kapitalistischen Wand, die mit dollargrünen Banknoten und markanten Unternehmensmarken tapeziert war.
Jörg zog gut hörbar eine guten Morgen-Line, draußen wanderten die ortsansässigen Asis zum Aldi, um ihr Mittagsbier zu kaufen, ein paar Nachtschwärmer torkelten von ihren Clubs nach Hause und ich fälschte Bewerbungsunterlagen.
Zuerst musste ich ein paar Angaben zu meiner Person machen – Name, Geburtsjahr, Adresse und ähnlichen Hokuspokus – und einen Reisepass-Scan hochladen. Kein Problem, diese Dinge hatte ich. Dann wurde es kniffliger, aber nicht schwierig. Man musste zwar keinen Uniabschluss vorweisen, aber wenigstens ein paar absolvierte Seminare an einer Hochschule bestätigen können. So eine Bestätigung war im Netz nicht einfach zu finden, deshalb lud ich mir eine Bachelor-Urkunde runter, von irgendeinem Hanswurst, der sie auf Facebook gepostet hatte, höchstwahrscheinlich, um vor seinen Freunden mit ihr anzugeben. Ich bearbeitete lediglich den Namen in Paint und war innerhalb weniger Sekunden, zumindest auf dem digitalen Papier, zu einem Bachelor of Arts geworden. Ich speicherte die Datei, lud sie hoch und war fertig, denn mehr wollten die bei www.ich-schreibe-deine-arbeit.de nicht. Da ich mich unmöglich auf eine Zusage seitens der Betreiber von ISDA verlassen konnte, suchte ich gleich nach weiteren Jobangeboten und verschickte weitere Mails an dutzende Unternehmen. Es dauerte in etwa zwei Stunden, ich war noch dabei, das Internet nach passenden Inseraten zu durchforsten und dachte gar nicht mehr daran, dass ich mich an diesem Morgen als Ghostwriter beworben hatte, als ich folgende Mail erhielt:
Da tritt mich doch ein Pferd.
Ab sofort konnte ich bei Auktionen für Haus-, Bachelor- oder Masterarbeiten mitbieten. Es lief nämlich so ab: Kunden schrieben in wenigen Sätzen, was für eine Arbeit sie brauchten. Sie beschrieben Thema und Studienfach, gaben Länge der Arbeit und manchmal auch die Formatierungsangaben oder notwendige Literatur an. Die Experten, wie die Ghostwriter bezeichnet wurden, konnten ein Honorar für die Bearbeitung des Auftrages bieten und ein paar Zeilen zur eigenen Person hinzufügen, um den Kunden von sich zu überzeugen. So unterboten sich die Ghostwriter gegenseitig, freie Marktwirtschaft par excellence. Natürlich wurden vor allem die günstigen Angebote genommen, auch wenn die kostspieligeren Anbieter bessere Arbeiten versprachen. Aber zu günstig durfte das Angebot auch nicht sein, denn Ramsch wollte keiner haben. Für das, was die fleißigen Schreiber bei ISDA leisteten, waren die gängigen Preise ohnehin bereits auf Ramschniveau, für die Kunden waren sie naturgemäß nach wie vor zu teuer, aber für mich genau richtig, da ich nicht viel brauchte und über jedes bisschen froh war – vorerst.
Für mich war es wie ein Spiel, die Kunden digitale Avatare, meine Gegner, wenn man so wollte, und meine Arbeit notwendig, um das nächste Level zu erreichen. Denn je mehr Arbeiten man geschrieben hatte, desto mehr Aufträge konnte man annehmen. Hinzu kam, dass die Kunden einen bewerteten.
Schon am ersten Tag erhielt ich den Zuschlag für drei Hausarbeiten mit jeweils 10 bis 15 Seiten. Eine Pädagogische, eine Wirtschaftliche und eine aus dem Fachbereich Geschichte. Ich hatte gute Preise gemacht, und die Kunden, die mit dieser neuen Internetseite genauso unvertraut waren wie ich, hatten meinem Profil vertraut. Kein Wunder, denn laut Profil, das man nach Belieben bearbeiten konnte, hatte ich bereits zwei Studiengänge abgeschlossen, Philosophie und Wirtschaft, sprach mehrere Sprachen fließend und war Mitte dreißig. So einem hätte ich auch vertraut.
So weit, so gut. Mit diesen drei Arbeiten alleine konnte ich ein paar hundert Euro verdienen, genug für einen ganzen Monat Berlin-Spaß. Jetzt galt es nur noch, eine letzte Hürde zu meistern, nämlich herauszufinden, wie man akademische Arbeiten schrieb. Ich hatte keinen blassen Schimmer.
*
In den kommenden Tagen ließ mich das Gefühl nicht los, dass mein Start in mein neues Leben viel zu einfach gewesen war. Da musste es doch einen Haken geben. Kam ich wirklich so einfach davon? Konnte es sein, dass mir ISDA die Schmach ersparte, in mein kleines Dorf am Meer zurückzukehren, wo ich mich erst wenige Tage zuvor viel zu großspurig von meinen Freunden verabschiedet hatte?
»Hinaus muss man«, hatte ich gesagt, »die Welt sehen, wachsen, sonst kann man es doch nie weit bringen.«
Zunächst dachte ich noch, dass ich etwas Unrechtes machte, doch diese Sorgen wurden mir rasch genommen. ISDA versicherte mir, dass an meiner neuen Tätigkeit nichts verkehrt war. »Wir stellen nur Vorlagen bereit«, hieß es. »Was die Kunden mit den Arbeiten machen, ist nicht unsere Sache.«
Ich war kein kompletter Trottel und wusste schon damals, dass die ganze Sache stank und die bei ISDA auch nur auf die 20 Prozent Provision scharf waren, die sie von jedem Ghostwriter für jeden vermittelten Auftrag bekamen.
Aber es schien alles legal abzulaufen, nicht versteckt, höchstens unmoralisch. Wie es sein konnte, dass es kein Gesetz gegen das Schreiben akademischer Arbeiten für andere gab, war mir schleierhaft. Der Gesetzgeber sah weg, aber wieso? Dass hiermit das Bildungssystem der Hochschulen zu einer Farce degradiert wurde, war klar, ebenso, dass jährlich tausende Studenten ihren Bachelor, Master und Doktor machten, ohne wirklich etwas zu leisten. Diese gingen dann in Berufe, von denen sie keine Ahnung hatten.
Doch damals, als ich mit dem Schreiben anfing, schob ich derartige Gedanken weg von mir, sobald sie auftauchten. Ich wollte Geld verdienen, wollte in Berlin bleiben, wollte nicht für einen Hungerlohn arbeiten, wollte auch mal was übrighaben, um auszugehen, wollte ein Mädchen auch mal auf ein Bier einladen können, wollte Teil der Gesellschaft sein und wollte tun, was mir Spaß machte. Diese Bedürfnisse ließen jegliche Bedenken endgültig verstummen, für eine Zeit lang zumindest. Sieben Jahre, um genau zu sein.
Also lernte ich, wie man wissenschaftliche Arbeiten schrieb, las mich in die jeweilige Materie ein und gab das Gelesene mit eigenen Worten wieder. Die ersten Wochen verließ ich mein staubiges Paradies kaum, ging nur zum Späti oder zum Aldi runter, um mir Essen und Whiskey zu holen. Die Stadt musste warten, auch wenn ich sehr gespannt war, was sie für mich bereithielt. Aber zuerst musste ich das eine Spiel spielen, um beim anderen mitmachen zu dürfen. Ich recherchierte, aß, paukte, trank, schrieb, machte Nickerchen und wurde schnell gut in dem, was ich tat, mit dem schniefenden Jörg im Rücken und der belebten Oranienstraße vor mir.