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Wir Menschen sind hochgradig wandelbare Wesen, die zwischen Geburt und Tod mehrere Metamorphosen erleben. Erst sind wir Säuglinge, dann Kinder, Teenager, junge Erwachsene, gereifte Erwachsene und schlussendlich Greise, wenn alles glattgeht. Wie eine Raupe, die einem Schmetterling nicht im Geringsten ähnelt, so ist es auch mit den Entwicklungsstufen eines Menschen. Das Baby ist dem Kind fern, so wie das Kind dem Teenager, dieser dem jungen Erwachsenen und so weiter. Während das Baby und das Kind noch etwaige Ähnlichkeiten aufweisen können, ist die Transformation zwischen einem Baby und einem Greis derart fortgeschritten, dass der Vergleich mit der Raupe und dem Schmetterling leicht verständlich wird. Es ist fast so, als ob sich mehrere Menschen denselben Namen teilen würden, der wie der Stock im Staffellauf, den es über die Ziellinie zu tragen gilt, weitergegeben wird.

Die Persönlichkeit eines Homo sapiens ist nichts Festes, nichts, woran man sich festhalten kann, jedoch gibt es einen anderen Anker, falls Halt etwas ist, wofür man sich interessiert, und zwar der Teil von uns, der sich nicht verändert, der vielleicht weniger ein Teil ist, sondern die gewisse Couleur eines Menschen, die Art und Weise, wie er sich verändert, wie er auf seine Umwelt reagiert und wie er seine Persönlichkeiten wechselt. Diese Couleur macht den Hans Meiser zum Hans Meiser, die Karolin Bauer zur Karolin Bauer und den Tom Schulz zum Tom Schulz.

Für mich war die Couleur seit jeher das eigentlich Interessante am Menschsein, ein Funke unzerstörbarer Individualität, eine Art Entschuldigung des Universums für die Bürde des Wissens um den eigenen Tod.

Ähnlich wie mit unseren Persönlichkeiten verhält es sich mit unseren Körpern. Auch sie erneuern sich im Laufe des Lebens, tauschen sich aus und sind zum Schluss nicht mehr dieselben wie am Anfang. Dem Mythos vom siebenjährigen Zyklus nach, erneuert sich während dieses Zeitraumes jede einzelne Zelle im Körper, physisch entsteht also ein vollkommen neuer Mensch, und ähnlich wie bei der Persönlichkeit bleibt nur der Name gleich. Auch wenn es sich um einen Mythos handelt, ganz falsch ist er nicht. Beinahe unser ganzer Körper erneuert sich, manche Körperteile schneller, manche langsamer. Die Leber, zum Beispiel, erneuert sich schon innerhalb von zwei Jahren, das Herz wiederum bleibt zu einem großen Teil das ganze Leben lang dasselbe, die Linsen in den Augen verändern sich als Einzige nie, sie bleiben uns Zelle für Zelle erhalten.

Wir Menschen sind äußerst interessante Wunder, die weder physisch noch psychisch gesehen am Ende unserer Reise dieselben sind wie am Anfang. Nichtsdestotrotz, die meisten werden sich ihr Leben lang als der- oder dieselbe fühlen. Selbst ein Greis wird in den allermeisten Fällen von sich als einem Kind sprechen und Erinnerungen an das erste bewusst genossene Eis, den ersten Sommerurlaub am Strand, die erste kindliche Verliebtheit und den ersten gröberen physischen Schmerz beschreiben können.

Bei mir war es ein Meloneneis an einem heißen Sommertag vom Italiener an der staubigen Hauptstraße, der sandige Weg durch einen Birkenwald, das baltische Meer war schon zu hören und wenige Schritte später in all seiner Pracht hinter einer Anhöhe zu sehen, Pia in der Dritten, ein schüchternes Mädchen aus der Parallelklasse mit schulterlangen schwarzen Haaren und gerade geschnittenen Stirnfransen, und aufgescheuerte Knie und Handflächen, nachdem ich in einem Park einige Stufen mit dem Fahrrad hinunterfahren wollte und es nicht geschafft hatte, die Balance zu halten.

Dieser letzten Erinnerung haftete seit meiner Kindheit ein Beweis an, und zwar eine kleine Narbe auf der rechten Handfläche. Manchmal begutachtete ich diese Narbe ungläubig, so wie auch an jenem 2018er Septemberabend, nachdem ich meinen Laptop zugeklappt hatte und drauf und dran war, hinauszugehen, um frische Luft zu schnappen.

Nirgendsmann

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