Читать книгу Big Ideas. Das Psychologie-Buch - Маркус Уикс - Страница 24
ОглавлениеJEDER MENSCH KANN UNABHÄNGIG VON SEINEM NATURELL GRUNDSÄTZLICH ZU ALLEM AUSGEBILDET WERDEN
JOHN B. WATSON (1878–1958)
IM KONTEXT
ANSATZ
Klassischer Behaviorismus
FRÜHER
1890er-Jahre Der in Deutschland geborene Biologe Jacques Loeb erklärt tierisches Verhalten in rein physikalisch-chemischen Begriffen.
1890er-Jahre Iwan Pawlow entwickelt das Prinzip des klassischen Konditionierens nach Versuchen an Hunden.
1905 Edward Thorndike zeigt, dass Tiere durch positive Resultate bestimmte Verhaltensweisen lernen.
SPÄTER
1932 Die Theorie des latenten Lernens von Edward Tolman ergänzt den Behaviorismus um ein kognitives Element.
1950er-Jahre Die kognitive Psychologie konzentriert sich auf die Bewusstseinsprozesse, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren viele Psychologen davon überzeugt, dass das menschliche Bewusstsein mit introspektiven Methoden nicht adäquat erforscht werden konnte. Sie befürworteten daher kontrollierte Laborversuche, bei denen durch wissenschaftliches Beobachten des Verhaltens Erkenntnisse über das Bewusstsein gewonnen werden sollten.
John B. Watson war zwar nicht der erste Befürworter eines radikal behavioristischen Ansatzes, aber sicher der prominenteste. Obwohl seine akademische Karriere wegen einer außerehelichen Affäre ein jähes Ende fand, gilt er als einer der einflussreichsten und umstrittensten Psychologen des 20. Jahrhunderts. Mit der Weiterentwicklung der Reiz-Reaktions-Theorie des Lernens, deren Grundlagen Thorndike geschaffen hatte, wurde er zum »Gründervater« des Behaviorismus. In seinem programmatischen Artikel Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht von 1913 äußerte er die Auffassung, dass die Zeit gekommen sei, »da die Psychologie jeden Bezug auf das Bewusstsein aufgeben muss«. Stattdessen solle sie sich einzig mit der Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens beschäftigen.
Bevor Watson an der Johns Hopkins University in Baltimore zu forschen begann, hatten die meisten Verhaltensforscher mit Tieren experimentiert und die Ergebnisse dann auf den Menschen übertragen. Watson selbst stellte für seine Doktorarbeit Versuche mit Ratten und Affen an, war jedoch (vielleicht aufgrund seiner Erfahrungen beim Militär während des Ersten Weltkriegs) begierig darauf, Experimente mit Menschen durchzuführen. Er fragte sich, ob sich das Reiz-Reaktions-Modell des klassischen Konditionierens auch nutzen ließe, um das menschliche Verhalten vorherzusagen und zu kontrollieren. Watson zufolge haben Menschen drei elementare Gefühle: Furcht, Zorn und Liebe. Er wollte herausfinden, ob ein Mensch konditioniert werden konnte, diese Emotionen als Reaktion auf einen Reiz zu entwickeln.
»Psychologie, wie der Behaviorist sie sieht, ist ein vollkommen objektiver, experimenteller Zweig der Naturwissenschaft.«
John B. Watson
Der »kleine Albert«
Zusammen mit seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Rosalie Rayner entwickelte Watson eine Reihe von Versuchen, unter anderem mit »Albert B.«, einem neun Monate alten Baby aus einem örtlichen Kinderkrankenhaus. Die Experimente sollten zeigen, ob es möglich ist, einem Kind Furcht vor einem Tier beizubringen, wenn man ihm dieses Tier zeitgleich mit einem lauten, Furcht einflößenden Geräusch präsentierte. Außerdem wollte Watson herausfinden, ob diese Furcht sich auf andere Tiere oder Objekte ausweiten und wie lange sie anhalten würde. Heute würde man seine Methoden für ethisch fragwürdig, wenn nicht grausam halten, doch zu Watsons Zeit sah man darin eine logische und natürliche Weiterentwicklung der Tierstudien.
Für sein heute als klassisch geltendes »Little-Albert«-Experiment setzte Watson das gesunde, »im ganzen gleichmütige und unemotionale« Baby zunächst auf eine Matratze und beobachtete seine Reaktionen, während er ihm eine weiße Ratte, ein Kaninchen, einen Affen und einige unbelebte Objekte wie Masken und brennendes Papier zeigte. Albert zeigte bei keinem der Tiere und Objekte Furcht, stattdessen streckte er sogar seine Hand danach aus.
In einem weiteren Vorversuch schlug Watson, hinter Albert stehend, mit einem Hammer auf eine Eisenstange. Wie zu erwarten war, reagierte Albert sehr erschrocken auf den plötzlichen Lärm und brach in Tränen aus. Damit hatte Watson einen unkonditionierten Reiz gefunden, der bei Albert eine Angstreaktion auslöste.
Das Hauptexperiment wurde durchgeführt, als Albert knapp elf Monate alt war. Eine weiße Ratte wurde neben ihn auf die Matratze gesetzt und sobald Albert die Hand nach ihr ausstreckte, schlug Watson mit dem Hammer auf die Eisenstange. Albert begann zu schreien. Dieser Vorgang wurde im Lauf von zwei Sitzungen, zwischen denen eine Woche lag, insgesamt siebenmal wiederholt. Danach reagierte Albert jedes Mal mit Angst, sobald die Ratte hereingebracht wurde – selbst dann, wenn das Geräusch ausblieb.
Watson hatte die Form des klassischen Konditionierens benutzt, die Pawlow in seinen Experimenten mit den Hunden entwickelt hatte. Die natürliche Reaktion des Kindes auf Lärm – sein Erschrecken und seine Angst – war nun mit der Ratte verbunden. In der Sprache der klassischen Konditionierung war die Ratte zunächst ein neutraler Reiz, der keine besondere Reaktion erzeugte; der Lärm war ein unkonditionierter Reiz oder Stimulus (US), der eine unkonditionierte Reaktion (UR) der Angst hervorrief. Nach der Konditionierung war die Ratte zu einem konditionierten Reiz (CS) geworden, der die konditionierte Reaktion (CR) der Angst erzeugte.
Um zu testen, ob eine Generalisierung stattgefunden und Alberts Angst sich auf andere ähnliche Objekte ausgeweitet hatte, zeigte Watson ihm fünf Tage später einige weiße, pelzige Objekte, z. B. ein Kaninchen, einen Hund und einen Pelzmantel. Albert reagierte darauf ebenso furchtsam wie auf die Ratte.
»Ich werde erst zufrieden sein, wenn ich ein Labor habe, in dem ich Kinder … unter ständiger Beobachtung erziehen kann.«
John B. Watson
Watson hatte damit gezeigt, dass menschliche Gefühle konditionierbar sind. Er hatte entdeckt, dass menschliches Verhalten nicht nur vorhersagbar ist, sofern bestimmte Reize und Voraussetzungen bekannt sind, sondern auch kontrolliert und beeinflusst werden kann. Ein weiterer Test, den Watson einen Monat später durchführte, legte die Vermutung nahe, dass die Wirkung der Konditionierung anhielt. Allerdings ließ sich das nicht mehr beweisen, weil Alberts Mutter ihren Sohn aus dem Krankenhaus holte. Man munkelte, ihr seien die Experimente unheimlich gewesen, doch laut Watson und Rayner war die Übergabe vorab vereinbart worden.
Unendliche Formbarkeit
Watsons Karriere fand kurz nach den »Little-Albert«-Versuchen ein abruptes Ende. Die Universität forderte ihn auf, wegen seiner Affäre mit Rosalie Rayner die Professur niederzulegen. Obwohl seine Forschungen nicht abgeschlossen waren, fühlte sich Watson in seinen behavioristischen Überzeugungen bestätigt. Das galt vor allem für die Annahme, dass sich die Methode der klassischen Reiz-Reaktions-Konditionierung auf Menschen anwenden ließ. Möglicherweise lag es an seinem erzwungenen Ausscheiden aus der akademischen Welt (er wechselte mit großem Erfolg in die Werbebranche), dass Watson, der ein Talent für Eigenwerbung besaß, die Tragweite seiner Entdeckungen gerne übertrieb.
Für Watson war ein Kind eine Tabula rasa. Er war überzeugt, dass man jedes Kind ungeachtet seiner Begabungen und Anlagen mit behavioristischen Methoden zu jeder Art von Spezialist erziehen konnte.
Er beließ es z. B. nicht bei der Feststellung, Gefühlsreaktionen seien konditionierbar, sondern behauptete, nach demselben Prinzip sei es möglich, nahezu jeden Aspekt des menschlichen Verhaltens, gleichgültig, wie komplex er sei, zu kontrollieren und zu modifizieren. In seinem 1924 erschienenen Buch Behaviorism (Der Behaviorismus, dt. 1930) prahlte er gar: »Gebt mir ein Dutzend gesunder, wohlgebildeter Kinder und meine eigene Umwelt, in der ich sie erziehe, und ich garantiere, dass ich jedes nach dem Zufall auswähle und es zu einem Spezialisten in irgendeinem Beruf erziehe, zum Arzt, Richter, Künstler, Kaufmann oder zum Bettler und Dieb, ohne Rücksicht auf seine Begabungen, Neigungen, Fähigkeiten, Anlagen und die Herkunft seiner Vorfahren.« In der »Nature-Nurture«-Debatte, die um die Frage kreiste, ob eher die Anlagen eines Menschen oder seine Umwelt beziehungsweise kulturelle Sozialisation entscheidend seien, entschied sich Watson klar für die Umwelt.
Emotionsfreie Erziehung
Weil Watson nun nicht weiter an der Universität forschen konnte, verlegte er sich auf das Thema Kindererziehung. Wie zu erwarten, propagierte er auch dabei einen streng behavioristischen Ansatz. Seine Erziehungsbücher waren in den 1920er- und 1930er-Jahren ungeheuer populär. Rückblickend ist es leicht, zu dem Schluss zu kommen, dass sein Ansatz, der auf extremer emotionaler Distanz zwischen Eltern und Kind beruhte, falsch, ja gefährlich war, aber damals übernahmen Millionen von Eltern diese Methoden – einschließlich John B. Watson und Rosalie Rayner selbst.
»Der Watsonismus ist in den Kinderzimmern und Salons Amerikas zum Evangelium und Katechismus geworden.«
Mortimer Adler
Ein Kind, so glaubte Watson, wird von seiner Umwelt geformt. Und diese Umwelt wird von den Eltern kontrolliert. Im Kern betrachtete er Kindererziehung als eine Übung der Verhaltensmodifikation, insbesondere wenn es um Gefühle wie Furcht, Zorn und Liebe ging. Watson, der selbst eine unglückliche Kindheit gehabt hatte – was seine Ansichten vielleicht verständlicher macht –, tat Zuneigung als sentimental ab. Sie führe zu übergroßer Abhängigkeit des Kindes von den Eltern. Doch er wandte sich auch gegen das andere Extrem und war ein erklärter Gegner körperlicher Züchtigung.
Seine Übertragung der Reiz-Reaktions-Konditionierung auf die Kindererziehung rief schließlich auch Kritiker auf den Plan. Spätere Generationen betrachteten seine pädagogischen Ansätze als manipulativ und lieblos. Die Langzeitschäden bei den Kindern, die nach Watsons behavioristischem Modell erzogen worden waren, traten erst nach und nach zutage und erwiesen sich als erheblich – selbst in Watsons eigener Familie. Rosalie erkannte schließlich die Mängel in den Erziehungstheorien ihres Mannes und verfasste einen kritischen Aufsatz für das Parents’ Magazine mit dem Titel I Am the Mother of a Behaviorist’s Sons (»Ich bin die Mutter der Söhne eines Behavioristen«). Watsons Enkelin, die Schauspielerin Mariette Hartley, gab in ihrer Autobiografie Breaking the Silence eine Schilderung ihrer zerrütteten Familie.
Alternative Theorien zur Kindererziehung ließen selbst unter erklärten Behavioristen nicht lange auf sich warten. So wandte der Psychologe B. F. Skinner, der zwar Watsons Grundprinzip der Konditionierung akzeptierte und als Ausgangspunkt für seinen eigenen »radikalen Behaviorismus« nutzte, seine Erkenntnisse auf eine wesentlich heilsamere – wenngleich exzentrische – Weise auf das Gebiet der Kindererziehung an.
Watson nutzte sein Wissen über das menschliche Verhalten auch in der Werbebranche. Er zeigte, dass sich Menschen durch das bloße Image eines Produkts zum Kauf motivieren lassen.
John B. Watson
John Broadus Watson wuchs in armen Verhältnissen in South Carolina auf. Sein Vater war ein Trinker und Schürzenjäger, der die Familie verließ, als John 13 Jahre alt war, die Mutter war sehr religiös. Watson war ein rebellischer, aggressiver Teenager, aber auch ein brillanter Nachwuchswissenschaftler. Schon mit 16 Jahren besuchte er die nahe gelegene Furman University. Nach seiner Promotion in Chicago wurde er Professor an der Johns Hopkins University. Im Ersten Weltkrieg arbeitete er kurzzeitig für die Armee, kehrte dann aber an die Johns Hopkins University zurück. Nach einer Affäre mit seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Rosalie Rayner wurde er entlassen. Er wechselte in die Werbebranche und publizierte weiter. Als Rayner mit 37 Jahren starb, zog Watson sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Hauptwerke
1913 Psychologie, wie sie der Behaviorist sieht
1920 Conditioned Emotional Reactions (mit Rosalie Rayner)
1924 Der Behaviorismus