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„Hallo Schatz! Hast Du an die Bio-Eier gedacht?“

„Ja, hab ich“, rief Lucas aus dem Flur in Richtung Küche. Eine rhetorische Frage von Pia. Ohne Bio-Eier hätte es kein Abendessen gegeben, und mit gewöhnlichen Eiern hätte er sich nicht nach Hause getraut. Glückliche freilaufende Eier, womit er nicht nur die Tiere und sich mitsamt der ganzen Familie rettete, sondern gleich auch die Zukunft ihrer Tochter Lena, das Klima, den Planeten und vielleicht auch ein klein wenig die Titanic. Wer wusste das schon so genau!? Pia jedenfalls war sich sicher, dass all die Anstrengungen, die Umwege mit dem Auto und die glücklichen Hühner die Mühe wert waren.

„Du bist spät“, sagte sie, während sie ihn flüchtig auf den Mund küsste. Zugleich hantierte sie noch mit dem Küchenhandtuch herum, musste hier noch etwas abtrocknen und da noch etwas einräumen. Für Lucas sah eigentlich alles tipptop aus, aber Pia musste immer fleißig wirken. Hatte er es auch nur ein einziges Mal erlebt, dass er nach Hause kam und sie mit irgend etwas beschäftigt war, nur weil es ihr Spaß machte? Er konnte sich nicht erinnern. Nicht einmal jetzt, wo er „spät“ war.

„Du bist spät“ war wesentlich mehr als eine nüchterne Feststellung. Der Vorwurf, der mitschwang, war so klein und so geschickt in den Taschenfalten ihrer Stimmbänder versteckt, dass Lucas ihn auch einfach hätte überhören können, aber dann hätte er ihn auf eine andere Weise aufs Butterbrot bekommen.

„Frau Rahn ist gestorben“, sagte Lucas, ein wenig beiläufig, damit ihr der Vorwurf nach Möglichkeit im Halse stecken blieb. Er schwang sich auf die Anrichte und ließ die Beine baumeln, so wie er es oft gemacht hatte, wenn er bei seiner Mutter in der Küche gesessen hatte.

„Ohje, du Armer! Sie war bettlägerig, oder? Wahrscheinlich besser so.“ Pia machte sich jetzt daran, die Eier zügig mit der Füllung des Gemüseauflaufs zu vermischen, für die sie anscheinend unerlässlich waren. Sie schob den Auflauf in den Ofen, stellte den Wecker und legte die Schürze ab. „So, in zwanzig Minuten können wir essen.“ Sie stellte sich vor Lucas und nahm ihn tröstend in den Arm. „War es schlimm für Dich? Du hast sie gemocht, oder?“

Lucas widerstand so gerade noch dem Impuls, sie fortzustoßen. Er hatte überhaupt nicht das Gefühl, getröstet werden zu müssen. Alles war so routiniert und einstudiert. Manchmal fragte er sich, ob er vielleicht in Wahrheit mit einem hochwertigen Cyborg zusammenlebte. Es gab da doch diesen Film mit den Hausfrauen, die in Wahrheit von den Ehemännern konstruierte Roboter waren oder so ähnlich. Am liebsten hätte er sie mal aufgeschnitten, um nachzusehen, ob noch ein Herz in ihr steckte.

Es war nicht einmal zwei Stunden her, und er stand noch völlig unter dem Eindruck dessen, was passiert war. Er hätte gerne mit jemandem geredet, aber Trost brauchte er nicht. Früher wäre das mit Pia möglich gewesen, als er ihr noch vertraut hatte, als sie noch eine Ehe führten, die den Namen verdiente und ab und zu noch Sex hatten.

„Ja, es war sicher eine Erlösung. Die Pflegerin rief an. Als ich kam, hatte die Rahn kaum noch Kraft zum Atmen. Ich hab dann noch die Tochter alarmiert. Die kam zwar schnell, aber da war sie schon gestorben. Hatte einfach keine Kraft mehr und ist friedlich eingeschlafen.“ Er gab den mitfühlenden Arzt. Das war in etwa das, was Pia hören wollte und auch nicht diskutiert werden musste. Heucheln konnte er. Er hatte ja eine gute Lehrerin. Wie er inzwischen ihr Gutmenschentum hasste. Jeder Joghurtdeckel, jede Currywurst und jede Fahrt zum Supermarkt stand im Zeichen der Weltenrettung. Aber so sehr sie die Natur auch zu lieben vorgab, wenn es um ihre eigene Natur ging, war schnell Schluss. Lena war inzwischen so pubertär, dass sie für gemeinsame Spaziergänge und Ausflüge nicht mehr zu gewinnen war. Wie gerne hätte Lucas es noch mal mit Pia im Freien getrieben, aber dann war es ihr zu hart, zu kalt, zu weich, zu feucht, zu trocken oder zu warm.

Sie tätschelte noch einmal seine Hand, bevor sie wieder irgendetwas in der Küche zu tun fand.

Lucas konnte eigentlich zufrieden mit sich sein, dachte er. er hatte spontan eine schwere und einsame Entscheidung getroffen, von deren Richtigkeit er zutiefst überzeugt war. Er musste dies jedoch für immer für sich behalten. Tatsächlich durchpflügte eine Sorge seinen Verstand, wie ein Hai das Wasser, ohne dass er sich bisher einmal an der Oberfläche gezeigt hätte.

Doktor Robert

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