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Als er zuhause ankam, war das Haus dunkel und verlassen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel für ihn. „Bin beim Yoga, der Salat steht im Kühlschrank. – Kuss“. Lena hatte darunter ergänzt: „Schieb dir lieber gleich `ne Pizza rein. Ich bin im Kino und um 11 zurück“.

Lena blieb immer öfter abends länger weg, normal in ihrem Alter. Dadurch würde er zwangsläufig häufiger mit Pia allein sein. Das hieß auch, er brauchte dringend weitere Hobbys. Das wöchentliche Bowling war schön und gut, aber einfach zu wenig.

Lucas haute sich rasch ein paar Stücke Putenbrust in die Pfanne und öffnete seine Post. Dann schenkte er sich ein Glas Rotwein ein, legte die Putenstücke zu dem Salat und klickte sich während des Essens durch eine Nachrichtenseite. Der Salat war gar nicht so schlecht, wie Lenas Kommentar hatte vermuten lassen, doch Pia konnte ihr derzeit gar nichts recht machen.

Nach dem Essen trieb es ihn hinab in den Keller in sein Arbeitszimmer. Früher hatte er einmal ein hübsches Zimmer unter dem Dach mit schöner Aussicht gehabt. Aber als Lena größer wurde, hatte er es ihr abgetreten. Sie brauchte in dem Alter einfach mehr Platz für sich. Er war ohnehin den ganzen Tag außer Haus und in ein paar Jährchen, würde sein altes Dachzimmer wohl auch wieder frei werden. Jetzt standen ein kleiner Schreibtisch, seine Fachliteratur und der PC in einem kleinen Kellerraum, den sie eigentlich als Gästezimmer hatten umbauen lassen.

Er nahm das Glas und die angebrochene Flasche mit und holte ein paar dicke Fachbücher hervor. Darunter auch ein altes Buch von seinem Vater, ein richtiges Schätzchen der Rechtsmedizin mit wirklich gruseligen Bildern. Sein Vater hatte ihm irgendwann nach der Auflösung seiner Chirurgiepraxis alle Bücher vermacht, und ein paar hatte Lucas tatsächlich aufgehoben. Er las über Erstickungstod und Gifte, Letaldosen und Totenzeichen, Agonie und Leichenschau. Die meisten Themen konnte er nur anreißen, doch mit jeder Seite wuchs seine Faszination. Aus diesem Blickwinkel hatte Lucas die Medizin noch nie richtig betrachtet.

Eine Entscheidung nahm Formen an. Er würde Krott helfen. Warum sollte er ihn unnötig leiden lassen? Der Mann hatte keine Chance mehr und keine Aussicht auf Besserung. Seine letzten Tage oder Wochen – das war abzusehen – würden eine einzige Qual. Und was Krotts Pöbeleien anging, würde er einfach darüber stehen. Er betrachtete diese Aufgabe von nun an als medizinische Herausforderung. Einen derart aufregenden Ablauf wie bei Frau Rahn hatte er nicht zu erwarten. Bei Insulin oder einem Barbiturat in einer Infusion würde Krott friedlich wegdämmern und nie mehr aufwachen.

Lucas konzentrierte sich jetzt auf die Barbiturate für Herrn Krott. Diese waren stärker als einfache Schlafmittel. Krott würde keine Schmerzen spüren, sondern einfach nur einschlafen. Der Blutdruck würde dann in den Keller gehen und es käme zum Sauerstoffmangel mit Atem- und Herzstillstand. Im Internet fand Lucas für das Barbiturat seiner Wahl die Angaben für die erforderliche tödliche Dosis. Eigentlich war es ganz einfach. Er konnte die Aktion bereits beim nächsten Besuch durchführen.

Nach einem weiteren Glas Wein sah Lucas kurz entschlossen in Krotts Akte nach der Telefonnummer und rief ihn an. Seine Frau nahm ab. Im Hintergrund hörte er den Fernseher.

„Hier ist Doktor Robert, guten Abend Frau Krott. Könnte ich noch einmal ihren Mann sprechen, bitte?“

„Ja, einen Moment. ich sehe mal nach, ob er schläft.“

Lucas hörte Türen, leises Gemurmel. Sie reichte ihrem Mann das Telefon.

„Ja“, meldete sich Krott schläfrig und schlecht gelaunt.

„Hier ist Doktor Robert. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich mich um Ihren Wunsch gekümmert habe. Wir können es übermorgen machen, wenn Sie bereit sind. Vielleicht möchten Sie ja erst noch das Eine oder Andere regeln.“

Einen Moment lang hörte Lucas nur Krotts angestrengtes Atmen. Wahrscheinlich bedeutete er seiner Frau, den Raum zu verlassen. Dann hörte Lucas durch das Telefon das Schließen einer Tür.

„Nein, nein, da gibt es nichts zu regeln. Ich bin bereit. Aber wehe, Sie kneifen!“

„Gut, ich werde eine Infusion mitbringen. Das ist am sichersten. Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich keine Zeugen dabei haben möchte.“

„Ich schicke meine Frau weg. Wann werden Sie da sein?“

„Ich bin um Viertel nach Sechs bei Ihnen.“

„Und nehmen Sie was, das nicht wehtut. Man hat mich lange genug unter Schmerzen gelassen!“

„Nein, nein. Sie werden einschlafen, träumen und nicht mehr aufwachen“, sagte Lucas ruhig.

„Hoffentlich träume ich nicht von meiner Frau“, sagte Krott und legte auf.

Lucas nahm noch einen Schluck und lehnte sich zufrieden im Stuhl zurück. Das mit dem Träumen hatte er sich ausgedacht. Aber wer wusste das schon so genau.

In zwei Tagen sollte es also passieren. Er hätte sich selbst belügen müssen, um sich die Aufregung darüber nicht einzugestehen. Es würde weniger spektakulär verlaufen als bei Frau Rahn, aber die Vorstellung ließ ihn von diesem Moment an nicht mehr los.

Wenig später hörte er Pia an der Haustür. Das vernehmliche Plumpsen der Sporttasche verriet ihre Erschöpfung. Irgendwann hatte Lucas begriffen, dass Yoga auch anstrengend sein konnte.

„Ich bin hier unten!“, rief er und war sich sicher, dass sie nicht kommen würde, da sie wie üblich erst duschen und dann essen wollte.

„Ist gut“, rief sie zurück, „Wo ist Lena?“

„Im Kino, ich glaub´ mit Julia.“

„Wann kommt sie zurück?“

„Um 11 oder so.“ Das Geschreie durch’s ganze Haus ging ihm mächtig auf die Nerven. Die Hälfte von dem, was Pia dann sagte, verstand er nicht. Hauptsache, sie ging duschen. Eigentlich war 11 Uhr ganz schön spät für eine 15-Jährige, dachte Lucas, aber Lena sah wie viele ihrer Freundinnen eher älter aus, sodass sie abends meist problemlos ins Kino kamen, und dann gingen die Filme eben so lange. Auch wenn Lena nur auf ihrem Zimmer blieb, war im ganzen Haus mehr Leben. Ohne sie war nur die Stille mit Pia laut.

Das Anfangsglück ihrer Ehe war nach gut zehn Jahren längst verflogen. Sein familiäres Leben war bis ins Kleinste von einer vorstädtischen Vorhersagbarkeit durchwirkt. Nicht dass ihm dieser Umstand an sich größeres Kopfzerbrechen bereitete. Der größte Teil der Menschheit hätte wohl liebend gern mit ihm getauscht. Aber er war ohne Leidenschaft und vom Leben betrogen.

Manchmal hatte er das Gefühl, sich gerade erst die Zähne geputzt zu haben, und schon saß er wieder mit Pia vor den Tagesthemen. Er wusste bereits während eines Themas, welchen Kommentar Pia anschließend abgab. Nach dem Wetterbericht bewegte er sich wie ferngesteuert ins Bad. Pia war dann irgendwo vor, neben oder hinter ihm. Auch die nächsten Minuten, die vor ihm lagen, lagen schon tausendfach hinter ihm. Er würde als Erster ins Bad gehen, weil er nicht so lange brauchte, würde die Türe hinter sich schließen, sich fertigmachen und stumm über die Zahnseide fluchen, die in seine Finger schnitt. Die Zahncreme war immerhin angenehm minzig.

Von Jahr zu Jahr wurde es langweiliger an Pias Seite. Die ehemals strahlende Antlitz der Tage, der ewige Frühling, hatte sich zu einer hässlichen Fratze entwickelt. Nach dem Ausziehen streckte die Hose über dem Stuhl ihm die Zunge heraus, seine Socken verströmten reine Schadenfreude und sein Nachthemd überzog ihn mit Häme.

Doch an diesem Abend war etwas anders.

Nachdem er eine Weile in seinem mäßig spannenden Krimi gelesen hatte, legte er das Buch zur Seite und schaltete das Licht aus. Nicht weil er, wie üblich eingenickt war, sondern weil er viel lieber darüber nachdenken wollte, wie er vorzugehen hatte, um Krott eine professionelle Sterbehilfe zu geben, die ihn ohne Schmerzen und zusätzliches Leid genau dieses in seinen letzten Wochen ersparen sollte. Er widmete sich eine ganze Weile diesen Gedanken, während er mit offenen Augen ins Dunkle starrte.


Doktor Robert

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