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Deutschland

Kapitel I

“Praxis, Dr. van den Hout, Jasmin Wagner am Apparat, Guten Tag.”

Jens zögerte kurz, dann beschloss er, dass es kein Zurück mehr gab. Sie war die einzige, die ihm vielleicht noch helfen konnte.

“Hallo Jasmin, hier ist Jens, Jens Hoffmann, bitte leg nicht auf, ich brauche deine Hilfe.”

Das andere Ende der Telefonleitung blieb still, Jens war froh, ihr Gesicht nicht sehen zu müssen. Er wusste ganz genau, dass sie auf ihn wütend war.

“Wie kommst du darauf, dass ich dir helfen möchte?”

Jasmins Stimme klang bissig.

“Ich weiß, dass was ich dir und deiner Familie angetan habe, war nicht sehr nett.”

Jens kam ins Schwitzen, vor Jemanden zu Kreuze kriechen war nicht seine Art.

“Ach so, nicht sehr nett”, kam die Antwort aus dem Telefon, “du warst gemein zu ihnen, meine Eltern sind heute noch sehr traurig darüber, wie du sie behandelt hast. Und das, nach alldem, was sie für dich getan haben.”

Sie schrie ihn förmlich durch den Apparat an.

“Ja, es ist mir bewusst, dass ich ein blödes Arschloch war, aber darum geht es ja auch. Ich habe von deinen Kommilitonen erfahren, dass du einen Nebenjob hast. Und dass der Mann, für den du arbeitest, spezialisiert auf besondere psychische Probleme ist. Deswegen melde ich mich bei dir, ich brauche dringen Hilfe.”

Der leicht paranoide Unterton in Jens Stimme ließ Jasmin aufhorchen. Es stimmte, dass Dr. van den Hout sich auf psychische Probleme der ganz besonderen Art spezialisiert hatte. Die Menschen, die zu ihm kamen, waren oft am Ende ihrer Kräfte. Sie wurden von Träumen und Visionen systematisch in den Wahnsinn getrieben. Viele brachten sich um, noch bevor ihnen geholfen werden konnte. Doch diejenigen, die mit dem Professor sprachen, kamen oft mit einem Lächeln wieder aus dem Behandlungsraum heraus.

Jasmin fand die Arbeit bei diesem Mann faszinierend. Er war ein Freund ihrer Familie und half ihr beim Studium. So kam sie direkt in Kontakt mit Personen, die psychologische Betreuung brauchten. Das war auch der Grund dafür, dass Dr. van den Hout sie eingestellt hatte.

Die Patienten, die kamen, wurden aus ganz Deutschland an ihn verwiesen, teilweise auch aus dem benachbarten Ausland. Nick genoss einen hervorragenden Ruf, da er nur Spezialfälle annahm, bei denen seine Kollegen mit ihrem Latein am Ende waren.

Die Patienten, die Jasmin beim Eintreten in die Praxis sahen, waren fasziniert von ihr. Das war ein weiterer Grund dafür, dass Nick sie bei sich arbeiten ließ. Nicht nur ihre dunklen braunen Augen, die schulterlangen braunen Haaren und ihre grazile Figur sorgten dafür, dass die meisten Patienten sich bei ihm schon wohl fühlten noch bevor sie ihn trafen. Ihre Ausstrahlung von Ruhe und Geborgenheit sorgte dafür, dass die Meisten schon bei ihr anfingen von ihren Problemen zu reden.

Normalerweise brauchte er gar keine Sprechstundenhilfe, er hatte selten mehr als zwei Patienten am Tag. Für Jasmin machte er eine Ausnahme, sie kam immer in den Semesterferien und dann, wenn sie keine Vorlesungen hatte.

Oft durfte Jasmin bei den Gesprächen zugegen sein, für ihr Studium war das sehr nützlich. Die Bezahlung war für die Arbeit eigentlich viel zu hoch, aber Dr. van den Hout hatte darauf bestanden. Er half ihr auch, wenn sie Probleme in den verschiedenen Studienfächern hatte, so dass sie mittlerweile die beste Studentin an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät war.

Dr. van den Hout, oder besser gesagt Nick, war ein alter Freund ihrer Eltern, erst als sie ihr Studium angefangen hatte, erfuhr sie, dass er selbst Psychologe war. Nick war Mitte 40, er kleidete sich stets sportlich und geschmackvoll, seine permanent gute Laune steckte die Menschen um ihn herum an. So dass das Arbeiten mit ihm sehr viel Spaß machte und den Patienten geholfen werden konnte.

Auch Jens kannte Nick, bevor Jens Eltern gestorben waren, hatten alle viel Kontakt zueinander gehabt. Jasmins Eltern hatten Jens aufgenommen, als er ein Waise wurde, zum Dank dafür hatte er sie tyrannisiert und schikaniert, das war der Grund, weshalb Jasmin auf ihn sauer war.

“So und was für Hilfe brauchst du?”

Noch immer klang ihre Stimme gereizt, und Jens wollte sie nicht noch mehr verärgern.

Er versuchte so freundlich wie möglich zu bleiben.

“Na, ja, ein Gespräch mit Dr. van den Hout wäre schon einmal der Anfang, vielleicht kann er mir ja helfen.”

“Du weißt, dass du eine Überweisung brauchst und dass deine Krankenkasse erst ein Gutachten eines anderen Psychologen braucht, damit sie es übernehmen. Wenn sie es überhaupt machen.”

Jens wurde nervöser, das hatte er nicht gewusst, woher auch. Wie sollte er das denn machen? Sobald er zu einem der so genannten Seelenklempner ging, würde die Uni sofort Bescheid wissen.

“Kann ich die Behandlung auch Privat bezahlen?”

Die Stimme von Jens zitterte, er hatte erst vor kurzem das Erbe seiner Eltern antreten dürfen. Mit den Banken hat er schon alles besprochen, die einzige Auflage hatte er vor Kurzem geschafft. Er durfte erst über das Geld verfügen, sobald er das 25ste Lebensjahr erreicht hatte, und das war vor wenigen Tagen gewesen. Noch wollte es nicht in seinen Kopf hinein, dass er über eine Unmenge Geld verfügte. Ständig musste er sich das ins Gedächtnis rufen.

“Ja, das geht auch, hast du den genug Geld? Haben deine Drogengeschäfte dir genug eingebracht?”

Jasmin genoss es, Jens leiden zu hören, seine Stimme wurde immer zittriger.

“Aber Jasmin, ich habe nie mit Drogen gedealt, nur für meinen Eigengebrauch habe ich welche gekauft. Und das war immer nur Haschisch oder Marihuana.“

Sie konnte schon fast hören, wie er innerlich zerbrach.

“Bitte, Jasmin, ich halte es nicht mehr länger aus.”

Was ihr die ganze Zeit Spaß gemacht hatte, fing jetzt langsam an, ihr Angst einzuflößen. Sie wusste ganz genau, wie groß die Überwindung für Jens gewesen sein musste, sie um Hilfe zu bitten. Immerhin hatten sie seit knapp elf Jahren keinen Kontakt mehr, und der Tonfall von Jens wurde immer mehr zu einem Klagen.

“O.K. Jens, bleib kurz dran, ich werde den Doktor fragen.”

Sie hörte noch ein erleichterndes Seufzen, als sie den Telefonhörer beiseite legte.

Jasmin klopfte leise an die Tür von Nicks Büro, sie wusste, dass er die Akten von einem erst vor kurzem beendeten Fall studierte. Der Betroffenen hatte sich vor einen Zug geworfen, und Nick machte sich Gedanken darüber, ob er es hätte verhindern können.

“Herein, Jasmin, was gibt es denn?”

Sie trat ein und nahm auf dem Stuhl, der für die Patienten gedacht war, Platz.

“Ich habe einen Studienkameraden am Telefon, er möchte gerne einen Termin bei dir haben. Allerdings war er nicht bei einem Arzt und hat somit auch keine Überweisung.”

Nick blickte Jasmin kurz an.

“Ist es einer aus deinem Studienbereich?”

“Oh nein, soviel ich weiß, studiert er Geschichte und Archäologie, warum?”

Jasmin fragt sich, wozu er das wissen wollte, prompt bekam sie die Antwort.

“Na ja, ich hatte schon öfter Anrufe von jungen Studenten, die etwas über meine Arbeit erfahren wollten. Das eine Mal, wo ich mich darauf eingelassen habe, kam es zu einem Fiasko. Der Student schrieb einen Beitrag in der Studentenzeitung und bezeichnete mich als Scharlatan.”

Sie runzelte die Stirn.

“Ach so, nein, der Student wird das wohl nicht machen, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Kenne ich den Studenten, der das gemacht hat?”

Nick schüttelte den Kopf.

“Nein, das ist schon ein Jahrzehnt her, aber ich spüre da einen Anflug von Hass in deiner Stimme, wer ist der zukünftige Patient?”

Jasmin war etwas verdutzt, sie war der Meinung, dass sie ganz souverän aufgetreten war.

“Du kennst ihn, es ist Jens, den meine Eltern aufgenommen hatten.”

Nick lächelte.

“Weißt du eigentlich, wie viel ihr früher miteinander gespielt habt? Ständig hat man euch zusammen gesehen, wie eineiige Zwillinge.”

Jasmin wollte nicht daran erinnert werden oder darüber nachdenken, sie wollte böse auf Jens sein. Sie war noch immer sauer auf ihn, nicht nur weil er die Gefühle ihrer Eltern verletzt hatte, sondern auch weil er die ihren mit Füßen getreten hatte.

“Ja, ich weiß das alles noch, aber er war unfair zu uns.”

Jasmin saß auf dem Stuhl und schmollte. Nick musste sich zusammenreißen, sie sah aus wie ein kleines Mädchen und nicht wie eine junge Frau.

“Du meinst wohl, er war unfair zu dir, denn deine Eltern verzeihen ihm, weil sie nachvollziehen können, wie schwer alles für ihn war. Lass ihn nicht noch länger am Telefon warten, er soll in einer Stunde da sein, dann schauen wir mal, wo sein Schuh drückt.”

Als sie das Büro verließ, wurde Nick bewusst, was sie doch für eine Schönheit geworden war. Damals, als Jens die Familie verlassen hatte, war Jasmin noch nicht mal in der Pubertät gewesen. Das, was danach kam, hätte Jens sicherlich gefallen. Sie nahm schlagartig ab und ihr Gesicht zeigt immer mehr weibliche Züge. Aus dem hässlichen Entlein wurde ein Schwan, natürlich konnte Nick sich vorstellen, dass Jens über ihr heutiges Aussehen informiert war, immerhin studierten sie an der gleichen Uni. Aber ob er sie seit damals wieder gesehen hatte, beziehungsweise - falls er sie gesehen hatte - auch wusste, dass es Jasmin war, wagte Nick zu bezweifeln.

Nick wusste nicht genau, wie Jens heute aussah, vor elf Jahren hatte er noch in Köln gewohnt. Erst als er davon erfuhr, dass Jens freiwillig in ein Heim gegangen war, war Nick nach Wittlich gezogen. Er glaubte allerdings, dass Jens mit großer Wahrscheinlichkeit wie sein Vater aussehen würde.

Er genoss schon die Aussicht auf Jens verwirrtes Gesicht, zumal dieser nicht wusste, dass Nick der Psychiater war, an den er sich wendete. Jens würde sich an Nick erinnern, wahrscheinlich würde er ihn sofort wiedererkennen, da Nick sich kaum verändert hatte. Jedoch kannte Jens nicht den Nachnamen von Nick, so dass es sehr wahrscheinlich war, dass ihm die Kinnlade auf die Brust klappen würde. Innerlich freute sich Nick auf das Wiedersehen, all die Jahre hatte er nur wenige Lebenszeichen von Jens bekommen.

Jasmins Eltern hatten Nick darüber informiert, dass der Nachlassverwalter Jens gefunden hatte. Nick hatte zu seinem Leidwesen sehr viele und nicht gerade schöne Geschichten über Jens gehört. Nun hoffte er, heute die Erklärung dafür zu bekommen, er hatte auch schon eine Ahnung, was Jens zu ihm führte. Konnte sein alter Weggefährte Janus doch recht gehabt haben? Wenn das der Fall war, sollte er ihn umgehend darüber informieren.

Jasmin nahm den Telefonhörer wieder in die Hand.

“Tut mir leid Jens, dass es so lange gedauert hatte, aber Dr. van den Hout ist bereit, dich in einer Stunde zu empfangen.”

Ein Seufzer der Erleichterung war am anderen Ende zu hören.

“Vielen Dank Jasmin, bis später.”

Jens legte auf, ohne dass Jasmin auch noch irgendetwas hätte sagen können. Dieses Verhalten ärgerte sie wieder und steigerte ihre Wut auf Jens erneut.

Die Prophezeiung

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