Читать книгу Das Gift an Amors Pfeil - Marnia Robinson - Страница 34

Jenseits des Grolls

Оглавление

Ein paar Jahre später stellte eine Freundin (von der ich nicht wusste, dass sie bisexuell war) mir Kate vor, die gerade in der Stadt war. Meine Freundin, die das Drama liebt, hatte „vergessen“, mir zu erzählen, dass Kate homosexuell war, und war der Meinung, dass sie das, was ich gerade lernte, hochinteressant finden würde. Okay. „Auf einer Lesben-Skala von 1 bis 10 bin ich ungefähr eine 15,“ offenbarte mir Kate später. Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Allein den Gedanken ertrage ich kaum. Doch ich liebe Frauen.“ Am ersten Abend übersah ich die Signale: den diskreten Regenbogen-Ohrring, die schwarze Lederjacke und den trotzigen Blick. Ich sah nur eine brillante Ingenieurin mit einer bemerkenswerten Konzentrationsfähigkeit, einem breit gefächerten spirituellen Hintergrund und einem starken Willen, die ein paar der besten Fragen stellte, die ich bislang gehört hatte. Und so begann ein lebendiger Austausch über einige Distanz hinweg zwischen zwei sehr entschlossenen Frauen. Und es gibt ihn heute noch.

Wir studierten beide voller Feuereifer die gleichen spirituellen Texte und empfahlen einander begeistert dieses und jenes Buch. Als das Thema Vergebung zur Sprache kam, sagte ich ihr, dass es mir so vorkam, als würde sie Frauen alles vergeben, jedoch völlig erbost reagieren, wenn ein Mann irgendetwas tat, was ihr nicht gefiel.

Kate wurde sehr still. „Ich werde dran arbeiten,“ sagte sie mit der grimmigen Entschlossenheit einer wahren spirituellen Kriegerin. Eine Woche später bekam ich eine E-Mail von einer fürchterlich geschockten Lesbe! Nachdem sie sehr tief spirituell daran gearbeitet hatte, ihre Vorbehalte gegen Männer aufzulösen, hatte ein männlicher Kollege sie gefragt, ob sie mit ihm ausgehen wolle – zum allerersten Mal.

Am Tag ihrer Verabredung hatte sie zwar eine fürchterliche Migräne, doch der Abend verlief überraschend gut. Sie erzählte ihm alles über sich selbst. Verdutzt wollte ihr Kollege nur von ihr wissen, ob eine gemeinsame Zukunft denkbar wäre. Dem war wohl eher nicht so, da sie gerade ein Jobangebot in einem anderen Bundesland annahm.

Ein paar Monate später hatte sich definitiv etwas verändert. Männer, die sie früher als begriffsstutzige Hemmschuhe betrachtet hatte, stolperten förmlich übereinander in dem Wunsch, ihr Türen aufzuhalten, sie anzulächeln, ihr Hilfe, Möbel und Informationen anzubieten. „Und wenn ich einen Rock trage, sagen sie ‚Guten Morgen‘ zu meinen Beinen,“ lachte sie. „Natürlich, ich mag ja selber Frauenbeine.“

Als ich sie das nächste Mal sah, strahlte sie förmlich. Alle Spuren ihrer Abwehrhaltung waren verschwunden. Sie hatte zwar immer noch ein starkes Bedürfnis, in Lesbenbars rumzuhängen und sich auf lesbischen Websites zu tummeln, doch zu meiner Überraschung gab sie ihre sexuelle Orientierung an ihrem neuen Arbeitsplatz nicht bekannt, sondern verhielt sich neutral. Da sie dort quasi keine weiblichen Kolleginnen und kaum Freizeit hatte, fühlte sie sich im Laufe der Zeit zu einigen ihrer männlichen Kollegen hingezogen und fing an, sich mit ihnen zu verabreden. Mit einem von ihnen lebt sie nun seit neun Jahren zusammen.

Heute ist sie Managerin und leitende Ingenieurin in einer ansonsten rein männlichen Ingenieursfirma, in der ein hoher Leistungsdruck herrscht, und ist die Vorgesetzte von zahlreichen dieser Männer. Diese bewundern sie und lassen alles stehen und liegen, wenn sie bei einem Projekt kurzfristig Hilfe benötigt. „Die Leute sagen so tolle Sachen über mich, dass es mir schon peinlich ist,“ vertraute sie mir unlängst an.

Ich hatte gelernt, dass Vergebung, genauso wie ein Orgasmus, die Macht hat, unsere Wahrnehmung zu verändern. Oder, um es anders auszudrücken, Groll ist ein erstaunlich effektives Hindernis zwischen den Geschlechtern – doch wir haben die Wahl.

Das Gift an Amors Pfeil

Подняться наверх