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2. Expansion und Erfahrung der Welt 2.1 Die Begegnung mit der Neuen Welt

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Im 16. Jahrhundert wurde Europa von einer gemeinschaftlichen Neugier an der Neuen Welt und von einem Reisefieber mit dem Ziel erfasst, das Unbekannte zu erfahren. So verwundert es nicht, dass der 1557 gedruckte Bericht des aus dem hessischen Homberg stammenden Soldaten Hans Staden über seine Reise nach Südamerika in kürzester Zeit zu einem der größten Bestseller auf dem deutschen und, in mehrere Sprachen übersetzt, bald auch auf dem internationalen Buchmarkt des 16. Jahrhunderts wurde.

Staden, von dem Drang geleitet, „Indiam zu besehen“,[38] verdingte sich 1548 auf einem portugiesischen Schiff nach Südamerika und kehrte noch im gleichen Jahr zurück. Doch die Faszination der Neuen Welt muss auf ihn so stark eingewirkt haben, dass er sich 1550 erneut auf den Weg machte. Von dieser Reise kehrte er erst fünf Jahre später zurück, nachdem er aus der Gefangenschaft der anthropophagen Tupinambá-Indianer befreit worden war. In seinem Buch berichtete er nicht nur über die Umstände dieser Gefangenschaft, sondern mit gewisser Unbefangenheit auch über das Leben der Tupinambá an Brasiliens Küste, wodurch er das Bedürfnis der Leser an dem Exotischen befriedigte.

Waren bei Staden die von ihm angegebene Neugier für seine Reisen ausschlaggebend, so belegen andere zeitgenössische Autoren wie Nikolaus Federmann und Philipp von Hutten die ökonomischen Gründe für die Amerikareise. Auch das kann nicht weiter verwundern, ging doch die geografische Ausweitung mit einer wirtschaftlichen Expansion Europas einher. Federmann und Hutten standen als stellvertretender Gouverneur bzw. als Generalkapitän im Dienst der Handels-, Bank- und Mienenkompanie der Augsburger Welser in Südamerika.

Die großen Handelshäuser im Heiligen Römischen Reich waren bestrebt, den iberischen Häusern folgend, sich am gewinnbringenden Amerikahandel zu beteiligen. Dabei kam es ihnen zugute, dass der spanische König Carlos I. aus dem Haus Habsburg 1520 als Karl V. gerade mit finanzieller Hilfe der oberdeutschen Handelsgesellschaften zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt wurde. Als Gegenleistung erhielt die Gesellschaft der Welser 1528 die Statthalterschaft in der spanischen Überseeprovinz Tierra firme, im heutigen Venezuela, übertragen, nachdem Karl den überseeischen Markt allen Bewohnern seines weltumspannenden Reiches vorübergehend geöffnet hatte.

Die Welser, die schon am Orienthandel beteiligt waren, witterten in Amerika ein ähnlich lukratives Geschäft. Sie richteten Anfang des 16. Jahrhunderts eine Faktorei in Sevilla, dem einzigen autorisierten Hafen für den Transatlantik-Handel, ein. 1526 folgte eine Niederlassung in Santo Domingo auf Hispaniola in der Karibik, dem damaligen politischen und wirtschaftlichen Zentrum in der Neuen Welt. Zwischen den beiden Kontinenten handelten die Welser mit Wein und Textilien für die südamerikanischen Gebiete und mit Häuten, Perlen, Arzneimitteln und vor allem mit Zucker für Europa. An die Übernahme von Tierra firme knüpfte die Handelsgesellschaft die Hoffnung, einen Gewinn durch Exportgüter wie Gold, Silber, Salz und Perlen nach Europa sowie durch die mit der spanischen Krone ausgehandelten Zollvergünstigungen erwirtschaften zu können. Der Vertrag räumte der Gesellschaft auch das Monopol für den besonders profitablen Handel mit afrikanischen Sklaven ein. Vier Jahre lang sollten 4000 Sklaven durch das Handelshaus nach Amerika eingeführt und auf den Antillen und dem Festland verkauft werden.

Als Gegenleistung verpflichteten sich die Welser zum Bau von drei Festungen und zur Gründung von zwei Städten in dem ihnen vertraglich überlassenen Gebiet, die mit jeweils 300 Kolonisten aus Spanien besiedelt werden sollten. Die von der Handelskompanie aufgestellte und finanzierte Verwaltung sollte außerdem die Landvergabe für die einwandernden Siedler organisieren und für die Christianisierung der indigenen Bevölkerung Sorge tragen. Doch bei einer Befragung durch die spanischen Behörden im Jahre 1546 gaben die Siedler ein vernichtendes Urteil über das Wirken der Augsburger Kompanie ab. Sie beklagten, dass sie in größter Armut leben müssten und weder Nahrung noch Bekleidung hätten, nicht zuletzt weil das von den Welsern eingesetzte Personal nicht die Erschließung des Landes, sondern lediglich ihr eigenes Interesse verfolgt habe, indem es lange Erkundungs- und Eroberungszüge führte, in der Hoffnung auf Gold zu stoßen. Die Klage gegen die Handelsgesellschaft hatte schließlich zur Folge, dass die Welser die Verwaltung des Gebietes aus der Hand geben und Südamerika 1556 endgültig verlassen mussten.

Die auch im Druck erschienenen Berichte der beiden Männer im Dienst der Welser dokumentieren, Staden ähnlich, die Begegnung mit „viel seltsame[n] und fremde[n] Nationen“ in Südamerika.[39] Um das Fremde zu beschreiben, stellten alle drei Autoren die vermeintlich typischen Merkmale der indigenen Bevölkerung heraus. Die Indianer wurden als „wild“, „nackt“, „grimmig“ und „Menschenfresser“ dargestellt. Die Berichte vermischten reale Verhältnisse mit vereinfachenden Vorstellungen, die vom europäischen Lebenskontext des 16. Jahrhunderts heraus auf die Ureinwohner Amerikas schauten. So wurde Nacktheit von den Europäern, die sich gerade strenge Kleidervorschriften auferlegten, mit Animalität gleichgesetzt, die mit der Natur verbundene Lebensform der Ureinwohner wiederum als grimmig im Sinne von nicht affektbeherrscht gewertet und der eher selten vorkommende Kannibalismus als Barbarei par excellence gedeutet. Damit wurde die indigene Bevölkerung Amerikas als wild im Sinne von unzivilisiert deklassiert. Federmanns Aufzeichnung dokumentiert auch die aus dieser Einstellung erfolgte Brutalität, mit der seine Soldaten Dörfer niederbrannten, ihre Bewohner vertrieben und versklavten oder „wie die Säue“ erstachen.[40]

Gold wie Silber besaßen einen grundlegenden Wert für das europäische Wirtschaftssystem und die Sucht nach diesen Edelmetallen bestimmte das Verhalten der Eroberer gegenüber der indigenen Bevölkerung. Die Misshandlung und Versklavung der Eingeborenen durch die Konquistadoren löste eine von spanischen Vertretern des Dominikanerordens ausgehende Debatte über ihr Wesen und ihre Stellung in der europäischen Gesellschaft aus. Auf dem Höhepunkt der Debatten prangerte Francisco de Vitoria, ein an der Universität Salamanca lehrender Dominikaner, nicht nur die Gewaltmaßnahmen gegen die Ureinwohner an, sondern stellte sogar die aus der Entdeckung abgeleitete Legitimation der spanischen Herrschaft in Südamerika in Frage. In seinen Argumenten ging er von einem für alle Menschen gültigen Naturrecht aus und sprach allen Gemeinwesen, so auch den Heiden, Autonomie zu.

Unterstützung erhielten die Befürworter des gleichberechtigt menschlichen Wesens der Ureinwohner von Papst Paul III., der in seiner 1537 erlassenen Bulle „Sublimis Deus“[41] festhielt: Alle Völker der Erde sind ihrer Natur nach wahre Menschen und als solche genießen sie Freiheit und können nicht zu Sklaven gemacht werden. Schwebte dem Papst bei seinen Argumenten die Christianisierung der indigenen Bevölkerung als Ziel vor Augen, so muss für die spanischen Könige auch das ökonomische Argument ausschlaggebend gewesen sein, denn ohne die Arbeitskraft der Eingeborenen war die spanische Einrichtung in Südamerika nicht möglich. 1542/43 stellte deshalb Karl V. in den „Leyes Nuevas“, den Gesetzen für das spanische Überseegebiet, die indigene Bevölkerung unter den Schutz seiner Krone, womit er die Maßnahmen seiner Vorgänger fortsetzte. Diese hatten schon 1500 die Versklavung der indigenen Bevölkerung untersagt. Die von Theologen und Humanisten geführten Debatten über die Ureinwohner Amerikas stießen Überlegungen über das Naturrecht, aber auch über die Bedeutung von Bevölkerung an, die längerfristig bei der Handhabung von migratorischen Fragen eine Rolle spielen sollten.

Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit

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