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2.3 Alte und neue Formen der geografischen Mobilität

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Mithilfe ihrer Navigations- und Schiffstechnik erkundeten die Europäer seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts permanent neue Gebiete, legten große Entfernungen zurück und unternahmen lange Reisen. Immer mehr Menschen überquerten auch den Atlantik. Das Schiff, auf den Illustrationen in den Amerika-Berichten, auf den See- und Landkarten oder in Form von kunstvollen Objekten dargestellt, wurde zum Inbegriff der neuen Zeit (vgl. Abb. 3).

Fallbeispiel: Das Schlüsselfelder-Schiff (Abb. 3)

Das Schiff symbolisierte um 1500 ganz im Sinne der mittelalterlichen Vorstellung noch immer die transzendente Pilgerreise des Christen auf Erden. Zugleich stand es auch für das Verkehrs- und Transportmittel, durch das die Umsegelung der Welt und transkontinentale Wanderungen erst möglich wurden. Es versinnbildlichte die tatsächliche Aneignung der Welt und somit die mentale Überschreitung der Grenzen, wie sie noch für das Mittelalter konstitutiv gewesen waren. Der aus vergoldetem Silber angefertigte Tafelaufsatz aus Nürnberg, das eine zeittypische Karacke mit insgesamt 74 Figuren als Besatzung und Passagiere darstellt, ist ein repräsentatives Trinkgerät. Es wurde zur Zierde einer festlichen Tafel bestimmt und demonstrierte Status und Reichtum seines Eigentümers.


Abb. 3 Das Schlüsselfelder-Schiff, Nürnberg um 1503.

Voraussetzung der stetig zunehmenden Wanderungsbewegungen bildeten erschlossene Seewege, kontinentale Wasser- und Landstraßen und die auf ihnen verkehrenden Verkehrs- und Transportmittel. Die beiden wichtigsten Transportmittel für Waren und Menschen in der Frühen Neuzeit, das Schiff und der Wagen, wurden schon seit der Antike benutzt, erfuhren aber durch die Dynamik der Wanderungsbewegungen in der Frühen Neuzeit einen gewissen Modernisierungsschub.

Entscheidend für die Entwicklung der Hochseeschifffahrt wurde einerseits die Verwendung von Dreimastern mit variabler Besegelung, die das Kreuzen gegen den Wind und somit die Hochseeschifffahrt überhaupt erst ermöglichten, andererseits der Übergang zur Kraweelbeplankung der Schiffe, die eine bessere Dichtigkeit bewirkte und den Bau größerer Schiffe ermöglichte. Im ausgehenden 15. Jahrhundert war die portugiesische Karavelle der bekannteste Schiffstyp dieser Bauweise, mit der eine Reise über den Atlantik etwa zwei bis drei Monate dauerte. Als die kleineren Karavellen für den regelmäßigen Transport und die sichere Fahrt nicht mehr ausreichten, entwickelte man in Spanien gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Galeone. Bei diesem neuen Schiffstyp handelte es sich um ein hochseetaugliches Transport- und Kriegsschiff, das schnell und wendig war. Rumpf und Aufbauten erhielten allerdings infolge der zunehmenden Warentransporte zwischen Südamerika und dem Mutterland eine Übergröße, die das Schiff schwer manövrierbar machte.

Im 17. Jahrhundert führten die Niederländer wichtige Innovationen in der Seefahrt ein. Der von ihren Schiffsbauern entwickelte neue Schiffstyp, die Fleute, war aus leichterem Holz und streng nach Zweckmäßigkeitskriterien gebaut. Sie leitete zugleich auch die Standardisierung des Schiffsbaus ein, was die Herstellungszeit von einem Jahr auf vier Monate reduzierte – kein Wunder, dass viele Handwerker aus Europa unterwegs waren, um in einer der niederländischen Werften Arbeit zu finden und die neue Technologie zu erlernen. Unter ihnen war sicherlich der russische Zar Peter I. der berühmteste, der seine Flotte ausbauen und modernisieren wollte und deshalb inkognito als Handwerker in Zaandam und Amsterdam arbeitete. Die Serienherstellung der Schiffe führte zu einer erheblichen Senkung der Produktions- und Betriebskosten, wodurch der Massentransport von Waren rentabel wurde, was zugleich auch dem Personenverkehr zugutekam. Im 18. Jahrhundert wurden die Schiffstypen durch die Engländer weiterentwickelt. Ihre Fregatten und größeren Linienschiffe machten Großbritannien zur Seemacht und zu einer der führenden Handelsmächte.

Als Passagier auf einem Schiff reiste man allerdings sehr unbequem. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts konnte ein Auswanderer von Rotterdam nach Philadelphia für 7½ Louisdor fahren, dafür erhielt er Verpflegung und einen Schlafplatz, der sechs Fuß lang und ebenso breit war, den er aber mit weiteren drei Personen teilen musste. Der spätere Schriftsteller Johann Gottfried Seume, der als Student zum Kriegsdienst in Amerika genötigt wurde, beschrieb diese Enge am Bord: „In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepökelt wie die Heringe […]. Im Verdeck konnte ein ausgewachsener Mann nicht gerade stehen, und im Bettverschlage nicht gerade sitzen.“[47] Auch machte den allermeisten Europäern eine Atlantikfahrt auf diesen Schiffen Angst. Der Brandenburg-Bayreuther Gefreite Johann Konrad Döhla, der ebenfalls zum Kriegsdienst in Amerika gezwungen wurde, notierte in seinem Tagebuch:

Die Wellen steigen als wie große Berge nach einander fort auf und gegen das Schiff daher, daß man alle Augenblicke meint, sie würden es verschlingen, ja, sie schlagen oft über das ganze Schiff zusammen […]. Wir wurden, als die ersten Seefahrer, ziemlich zaghaft und wünschten uns öfters in unserem lieben Vaterlande zu sein.[48]

Versuchten Portugiesen und Spanier im 15. und 16. Jahrhundert ihre Kenntnisse über die Seewege mit den dort herrschenden Strömungs- und Windverhältnissen als Staatsgeheimnisse zu bewahren, so waren diese zur Zeit der Ausweitung der Schifffahrt nicht sehr lange zu verheimlichen, zumal die Bemannung der zahlreichen Schiffe ohne fremdes seemännisches Personal nicht möglich war. Ein Großteil der Seemänner der 1602 gegründeten Niederländischen Ostindien-Kompanie etwa kam aus ganz Europa. Es entstand ein für die gesamte Frühe Neuzeit charakteristischer internationaler Migrations- und Arbeitsmarkt für Seeleute. Handelsgesellschaften und Reedereien warben nicht nur um freiwillige Seeleute, sondern rekrutierten seemännisches Personal auch mit Gewalt.

Gewaltsam wurde auch ein Großteil der Ruderer auf den Galeeren im Mittelmeerraum rekrutiert. Alle Meeresanrainer setzten Kriegsgefangene oder eigene und von anderen Staaten gekaufte Strafgefangene als Galeerenruderer ein. So gab es unter den Ruderern der venezianischen Flotte wegen ihrer Konfession verurteilte Hugenotten aus Frankreich oder Protestanten aus den österreichischen und ungarischen Gebieten wie auch wegen Diebstahl, Raub und Mord Verurteilte aus deutschen Reichsstädten und Territorialstaaten.

Hans Staden nutzte um die Mitte des 16. Jahrhunderts die rege Küstenfahrt, die schon seit der Hansezeit den Ostseeraum, die skandinavischen und deutschen Nordseeküsten mit den englischen, französischen und iberischen Hafenstädten verband und sich in der Frühen Neuzeit weiterentwickelte. Auch die Binnenschifffahrt hatte ständig neue Wege zu beschreiten. In den Niederlanden etwa entstand ein dichtes Netz von Kanälen und Wasserwegen, aber auch in den deutschen Territorialstaaten nutzte man schon früh die Flüsse für den gleichzeitigen Waren- und Personenverkehr. Zwischen Mainz und Frankfurt am Main beispielsweise fuhren ab 1600 täglich verkehrende Marktschiffe. 1789 reiste der dänische Schriftsteller Jens Bagessen zwischen Kohl, Erbsen und Rüben auf diesem Schiff zusammen mit „etwa zweihundert Personen beiderlei Geschlechts, aus verschiedenen Völkerschaften, allen Ständen und allen Religionen. Deputierte, Kaufleute, Soldaten, Bauern, Juden, Rattenfänger, Pfarrer, Werber, Handwerker, Komödianten, Frauen, Mädchen und Krebsweiber“.[49]

Der von Bagessen beschriebene Tumult der Passagiere ist nicht nur ein Beleg für die Mobilität der Menschen und die massenhafte Zunahme des Reisens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sondern zugleich für dessen beginnende Egalisierung, da Vertreter aller Stände als gleichbehandelte Passagiere unterwegs waren. In den meisten Fällen reisten jedoch Adelige und betuchte Bürger nach wie vor mit eigenen Transportmitteln, und auf den größeren Schiffen wurden Arme und Reiche durch für sie eigens errichtete Schiffsdecks getrennt.

Die Belastung der Fahrt mit Zöllen, die saisonale Befahrungsmöglichkeit der Flüsse und die meistens in eine Richtung verlaufende Talfahrt stellten Hindernisse für längere Fahrten dar. Nur im Fall von größeren Warenmengen war der Wasserweg gegenüber dem Landweg rentabler: so etwa beim Holztransport aus dem Schwarzwald für die niederländischen Schiffswerften und Städtebauten auf dem Rhein oder bei der Verlegung der Truppen des Schwäbischen und des Bayerischen Reichskreises an die ungarische Türkenfront im 17. Jahrhundert auf der Donau. Dennoch waren längere Fahrten auf den größeren Flüssen auch für Passagiere in der Regel die bequemere Art des Reisens. Auf der Donau wurde 1696 die planmäßige Schifffahrt zwischen Regensburg und Wien eingerichtet, 1712 folgte Ulm mit seinen bis Wien verkehrenden Ordinarischiffen, als die große Auswanderungswelle nach Ungarn eingesetzt hatte.

Gegenüber dem Schiff, das pro Tag bis zu 200 Kilometer zurücklegen konnte, war die Fahrt auf dem Landweg mit dem Wagen, der lediglich 20 Kilometer pro Tag fahren konnte, unverhältnismäßig langsamer. Sogar ein Fußgänger schaffte je nach Wegbeschaffenheit und Wetterlage 30 bis 50 Kilometer an einem Tag. Dennoch gehörte dem Wagen auf Europas Straßen die Zukunft. Frachtwagen, die dem Nah- und Ferntransport von Gütern aller Art dienten, wurden in der Frühen Neuzeit immer sicherer und größer und konnten bei guten Straßenverhältnissen Warenmengen zwischen vier und acht Tonnen transportieren. In Frankreich wie auch in den deutschen Territorialstaaten wurde der Transport auf Rädern bis ins 18. Jahrhundert hinein durch anliegende Bauern im Nebenerwerb oder als Frondienst geleistet. Nicht selten spezialisierten sich mit der Zeit ganze Gemeinden auf den Transport von Gütern und Personen.

Parallel zum Gütertransport entwickelte sich auch der Personenverkehr mit dem Wagen. Für die Mobilität auf den Landwegen war der seit dem 16. Jahrhundert allmählich erfolgte Mentalitätswandel des männlichen Adels von großer Bedeutung, der neben dem Reiten die Beförderung per Wagen als standesgemäß akzeptierte. Dieser Wandel begann nach den Quellen in Ungarn. Die aus leichtem Holz gebaute und deshalb eine hohe Elastizität und Bequemlichkeit aufweisende ungarische Kutsche (kocsi) erlangte dort eine so große Beliebtheit, dass den Militärdienst leistenden Adeligen in einem königlichen Dekret von 1523 bedeutet werden musste, nicht mit der Kutsche, sondern zu Pferd ins Feldlager zu ziehen. Der ungarische Wagentyp wurde europaweit übernommen und für den Personenverkehr weiterentwickelt. Zunächst noch von Fürsten und dem Hochadel zu offiziellen Anlässen benutzt, wurde die Kutsche in italienischen Werkstätten aufwendig und prachtvoll ausgestattet. Im 17. Jahrhundert von Ludwig XIV. gefördert, entstand in Frankreich ein wichtiges Zentrum des Kutschenbaus. Die Kutsche erhielt jetzt eine mit Türen und Fenstern versehene geschlossene Kabine, die den Reisenden vor den Unbeständigkeiten der Witterung und dem Staub der Wege schützte. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts spielte auch Großbritannien eine führende Rolle bei der technischen Entwicklung und der Massenproduktion der Kutsche. Die große Beliebtheit dieses Transportmittels in den Städten zeigte sich in der Entstehung der ersten Mietkutschenunternehmen in London und Paris. In England verkehrten zwischen den Städten bald auch coaches und wagons, die bis zu 20 Personen auf einmal beförderten.

Mit der Verschmelzung der gewerblichen Personenbeförderung und der Post im 17. Jahrhundert erfolgte im Personenfernverkehr ein Durchbruch. Ende des Jahrhunderts waren bereits alle großen Städte im Alten Reich durch kaiserliche, territoriale oder private Postbeförderungssysteme miteinander verbunden, die verschiedene Bereiche der Beförderung von Briefen, Kleingütern und Personen bündelten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich dann das Postkutschenwesen eindeutig durch. Durch das System der Posten, d. h. der Stationen für den Wechsel der Pferde, und die Einrichtung von festen Routen und unabhängig von der Tagesnachfrage eingehaltenen Abfahrtszeiten wurde die Reise planbar und nicht zuletzt auch schneller. So konnte in Zedlers Universallexikon festgehalten werden: „Wer geschwinde reisen will, nimmt die Post.“[50] Die Geschwindigkeit hatte allerdings ihren Preis und dieser war nicht für jedermann erschwinglich. So kostete eine einfache Fahrt zwischen Hamburg und Berlin im 18. Jahrhundert ziemlich konstant neun Taler, was dem Monatsverdienst eines Maurergesellen gleichkam.

Schnelligkeit war größtenteils von den Straßenverhältnissen abhängig und diese ließen trotz erster großer Anstrengungen beim Chausseebau im 18. Jahrhundert noch viel zu wünschen übrig. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die Trassen der Fernwege in der Regel unbefestigt, was dazu führte, dass die Räder der Wagen und Postkutschen Spurrillen im Untergrund der Straßen hinterließen und sich stellenweise Hohlwege herausbildeten, die vor allem bei schlechtem Wetter die Fahrt erheblich einschränkten.

Der Wunsch nach rentablem Transport von Gütern und nach schnellerer und besserer Mobilität der Menschen führte zu neuen Innovationen in Technik und Organisation des Transports- und Verkehrswesens. Doch trotz aller Neuerungen konnte sich die Mobilität während der gesamten Frühen Neuzeit nicht von der Natur emanzipieren. Sie blieb auf See von den Wind- und Wasserströmen und auf der Straße vom Pferd als Kraftmaschine abhängig. Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren die meisten Menschen allerdings „auf Schusters Rappen“ unterwegs, war dies doch die erschwinglichste Form der Fortbewegung.

Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit

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