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Und doch sitzt er hier

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Die Welt um mich herum beginnt sich zu drehen. Kein schwindelerregendes Drehen, sondern ein schwebendes, welches sich sonderbar gut anfühlt. Ich halte die Augen geschlossen, um in diesem Gefühl zu erstarren. Ich fühle mich geborgen, gehalten, beschützt und wie auf Händen getragen.

Piep. Piep. Piep. Piep. Bitte, nimm mir nicht diesen kostbaren Moment der Sicherheit!

Piep. Piep. Piep. Piep. Ich will nicht aufwachen. Ich kann nicht aufwachen.

Piep. Piep. Piep. Piep. Ich spüre etwas Schweres auf meinem Bauch und etwas unangenehm drückendes an meinem linken Zeigefinger.

Piep. Piep. Piep. Piep. Das Geräusch wird schneller und ich schrecke auf.

»Tam?!« Ich reiße mir planlos den Pulsmesser vom Finger und ziehe die Beine schützend vor meinen Körper. »Scheiße, was machst du denn hier?« Völlig verpeilt reibt er sich die Augen und rückt mit seinem Stuhl einige Zentimeter zurück.

»Es,…du,…Moreno hat gefragt und ich hab ja gesagt. Lass mich…«

»Was soll er denn gefragt haben? Wo sind wir überhaupt?« Die Frage kann ich mir nach wenigen Sekunden selbst beantworten, als ich die Monitore und Schreibtische voller Mappen und Ordner wiedererkenne. Das Krankenhaus. Ich liege im Versteck der BePolaristen und Tam ist anscheinend zu meinem Wachhund erkoren worden. Ob in der Stellenbeschreibung vermerkt war, dass Händchenhalten oder Kopf auf dem Bauch der Klientin ablegen Teil der notwendigen Überwachung ist?

»Frauen! Lass mich doch bitte ausreden, bevor du noch den Wachdienst herunterlockst.« Mit ernstem Gesicht rückt er vorsichtig näher und lässt sich mit einem Kopfnicken bestätigen, dass dieses Verhalten geduldet wird. »Du warst gestern Nacht total aufgelöst nach unserem Gespräch und ich wollte dich nicht allein hier unten lassen. Das war es auch schon. Keine Hintergedanken, kein Gegrabsche. Ich bin eingeschlafen. Das ist wohl mein einziges Vergehen.« Sofort bereue ich die Überreaktion. Meine Erinnerungen kehren in Fetzen zurück und es war ungerecht und verletzend von mir, ihn so anzufahren.

»Entschuldige bitte, ich muss einen Teil der jüngsten Ereignisse wohl irgendwo im Hinterstübchen vergraben haben. Konnten die anderen ihre Särge unbeschadet verlassen?« Tam lehnt sich zurück und sieht mich etwas misstrauisch an.

»Du erinnerst dich nicht mehr?«

»Nur bruchstückhaft, sorry.«

»Wir warteten noch zwei Stunden, bis Ceyda endlich die Kabinen öffnete und alle Kandidaten befreite. Sly und Taranee schafften es noch in der vorgegebenen Zeit aus ihrem Gefängnis. Ihre Boxen waren jedoch zu abgelegen, um mit uns Kontakt aufnehmen zu können.«

»Und die anderen? Was ist mit Ebba, Berd…«

»Lana und Kuno? Alle sind wohlauf und kurieren ihren Schock in den BePolarräumlichkeiten der jeweiligen Bezirke aus. Ihnen fehlte wohl der ›Antrieb‹, meinte Moreno.«

»Hä, verstehe ich nicht?« Tam sieht mich eindringlich an auf der Suche nach einer versteckten Antwort.

»Wirklich nicht, Roya?« Er glaubt mir nicht. »Du hast gekämpft, weil du einen Anker in dieser Welt hast. Du verfolgst ein Ziel, hast Menschen, die dir am Herzen liegen und einen Grund zurückzukehren. Moreno meint, wer nicht weiß, wofür er die Strapazen der Initiation auf sich nimmt, der ist hier fehl am Platze. Sie bekommen eine weitere Chance in einer simulierten, lebensbedrohlichen Situation. Wann und wo verrät uns natürlich keiner.« Toll, super, spitzen Idee. Stürze die Jugendlichen einen Abgrund hinunter und sieh zu, wer wieder herauffindet. ›Fragwürdige Methoden‹ – habe ich schon immer gesagt.

Tam sitzt schweigend auf dem Stuhl und starrt auf seine Hände. Keine Ahnung, was er von mir erwartet. Ein Dankeschön? Ein paar nette Worte? Die Anspannung in der Luft ist so allgegenwärtig, dass mir heiß und kalt wird und meine Hände zu schwitzen beginnen. Eines weiß ich genau: Letzte Nacht habe ich diesem Jungen all mein Leid geklagt, mich nackt gemacht und meiner verwundeten Seele eine Tür geöffnet. Ihn und mich verbindet nichts mehr. Das Einzige, was ich ihm in den letzten Wochen entgegengebracht habe, war Verachtung, Misstrauen und Wut. Und doch sitzt er hier an meinem Bett und war für mich da. Ich fühle mich so elend und klein. Ich möchte nicht mit ihm befreundet sein – ich kann nicht mit ihm befreundet sein, aber er war da und ich stehe in seiner Schuld.

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