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Exkurs 2: Eine Weihnachtsliturgie im Koran?

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Der bereits mehrfach erwähnte Forscher mit dem Pseudonym Christoph Luxenberg gehört in Deutschland zu einem Kreis von Gelehrten, die behaupten, dass dem Koran ein vorislamisches christliches Lektionar zugrunde liege, das in einer syro-aramäischen Mischsprache abgefasst gewesen sei, die sprachgeschichtlich dem koranischen sowie dem späteren Hocharabisch vorausgehe. Als Beleg für seine These, dass so manche Texte der syrischen Kirche im Koran anzutreffen seien, führt Luxenberg Sure 97 an: In ihr deute sich eine vorislamische christliche Weihnachtsliturgie an. Diese frühe Sure mit dem Titel „Die Nacht der Bestimmung (oder: Die Nacht des Schicksals bzw. der Macht, arab. laylat al-qadr), die aus der ersten Periode der Wirksamkeit Muhammads in Mekka stammt, wurde bislang kaum in Verbindung mit Jesus im Allgemeinen und der Weihnachtsgeschichte im Besonderen gebracht. Die Übersetzung lautet (nach Rückert):

1 Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht.

2 Weißt du, was ist die Nacht der Macht?

3 Die Nacht der Macht ist mehr als was In tausend Monden wird vollbracht.

4 Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, Auf ihres Herrn Geheiß, daß alles sei bedacht.

5 Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht.

Von wessen Herabkunft in dieser Sure eigentlich die Rede ist, wird nicht explizit gesagt. Sowohl muslimische wie auch westliche Koranausleger gehen davon aus, dass in Vers 1 der Koran gemeint sei, der erstmals und anfänglich von Gott in dieser Schicksalsnacht an Muhammad überbracht wurde und dann die folgenden gut 20 Jahre bis zu seiner vollständigen Übermittlung. In der islamischen Tradition wurde die 27. Nacht des Fastenmonats Ramadan, in der fromme Muslime (in der Moschee) wachen, beten und den Koran rezitieren, gleichsam zum „Sitz im Leben“ dieser Sure. Einige westliche Forscher wie etwa Richard Bell haben aufgrund gewisser Stichworte in der Sure – Nacht, Engel, Friede – bereits Anklänge an die Weihnachtsgeschichte vermutet, doch erst Luxenberg hat die These aufgestellt, dass dieser Text – syro-aramäisch entschlüsselt – nicht von der Herabsendung des Korans, sondern Jesu in der Weihnacht spreche. Im Folgenden sei die (re-)konstruierte Fassung Luxenbergs sowie einige seiner Erläuterungen präsentiert. Ich gebe diese in jedem Fall interessante Deutung von Sure 97 den Lesern hiermit zur Kenntnis. Eine philologische Diskussion kann an dieser Stelle leider nicht erfolgen.64

1 Wir haben ihn (= Jesus) in der Nacht der Schicksalsbestimmung (des Geburtssterns) herabkommen lassen.

2 Was weißt du, was die Nacht der Schicksalsbestimmung ist?

3 Die Nacht (= die Nokturn) der Schicksalsbestimmung ist gnadenreicher als tausend Vigilien.

4 Die Engel, vom Geiste (begleitet), bringen darin mit Erlaubnis ihres Herrn allerlei Hymnen herab.

5 Friede ist sie bis zum Anbruch der Morgendämmerung.

Luxenberg glaubt, mit dem arabischen Terminus shahr in Vers 3 sei nicht arabisch „Monat“ (Rückert: „Mond“), sondern syro-aramäisch shahra gemeint, ein Fachausdruck der christlich-syrischen Liturgie für „Vigilie“, also für das Nachtgebet vor einem hohen Feiertag. Und mit dem Wort amr sei nicht arabisch „Befehl“ (Rückert: „Geheiß“) gemeint, sondern syro-aramäisch memra, was Hymne heiße. Denn die syrischen Weihnachtsvigilien streckten sich mit „allerlei Hymnen“ länger hin als sonstige Nachtgebete. Luxenberg zufolge belegt ein von Aisha, der jüngsten und Lieblingsfrau Muhammads, überliefertes Hadith, dass der Prophet selbst die von den Christen gefeierte Weihnachtsnacht wachend und den Koran rezitierend verbracht habe. „Die Sure ‚al-Qadr‘ als Andeutung einer vorislamischen christlichen Weihnachtsliturgie ist somit von unschätzbarer religionshistorischer Bedeutung.“ Später wurde sie islamisch umgedeutet: „Nicht in Christus hat das Wort Gottes Gestalt angenommen, sondern im Koran. (…) Folglich: nicht das Jesuskind ist in dieser Nacht geboren – der Koran ist in dieser Nacht herabgekommen.“ Wenn Muslime seit Jahrhunderten in der 27. Nacht des Ramadan wachen und beten, dann wissen sie Luxenberg zufolge nicht, was sie tun: „dass sie mit diesen Vigilien eigentlich Weihnachten feiern.“

41 Bobzin übersetzt: „Da rief es ihr von unterhalb der Palme zu“ – ich jedoch schließe mich der im Haupttext wiedergegebenen Übersetzung Luxenbergs an, die weiter unten noch erläutert werden wird.

42 Ich schließe mich der Übersetzung „um die Wahrheit zu sagen, über die sie im Zweifel sind“ an. Sie folgt der offiziellen Lesart (arab. qawla-l-haqqi) – wörtlich: „Ausspruch der Wahrheit“ – und entspricht der m. E. treffenderen Übersetzung Parets. Bobzin folgt offenbar einer anderen Lesart (arab. qawlu-l-haqqi) und übersetzt: Jesus „als Wort der Wahrheit, über das sie uneins sind.“

43 Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen von Gernot Rotter, Kandern 1999, S. 69f.

44 Zit. nach BK, Teil 15–16, 1992, S. 71, Anm. 49. Ebenso urteilt Daryabādī (ebd.).

45 Die Christologie des Koran’s, Gera/Leipzig 1800, S. 193. Ebenso deutet 100 Jahre später Hubert Grimme (Mohammed, a.a.O. S. 94, Anm. 3): „Es könnte die Stimme des Kindes in ihrem Leibe gemeint sein.“

46 Versuch einer Darstellung der Christologie des Koran, Hamburg/Gotha 1839, S. 35.

47 Die syro-aramäische Lesart des Koran, a.a.O. S. 136–154. Der weiteren Interpretation und Übersetzung Luxenbergs von Sure 19,24 folge ich nicht.

48 Zit. in eigener Übersetzung nach: Evangelium infantiae Salvatoris arabicum, in: Evangelia apocrypha, hg. von Tischendorf, Leipzig 2. Auflage 1876, S. 181.

49 Erste Hymne [an den delischen Apollon], Verse 117–119 und 131f., zit. nach Thassilo von Scheffer, Die Homerischen Götterhymnen, Leipzig 3. Auflage 1987, S. 53.

50 Vgl. Bauschke, Jesus – Stein des Anstoßes, a.a.O. S. 121f.; Ders., Jesus im Koran, Köln u.a. 2001, S. 185f., Anm. 51; Mourad, From Hellenism to Christianity and Islam: The origin of the Palm tree story concerning Mary and Jesus in the Gospel of Pseudo-Matthew and the Qur’ān, in: OC 86, 2002, S. 213.

51 Zit. in eigener Übersetzung nach Evangelia apocrypha, hg. von Constantinus de Tischendorf, Leipzig (1853) 2. Auflage 1876 (Nachdruck 1966). Ungenauer ist die Übersetzung bei Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen, Bd. 1, S. 368.

52 Dies behaupten etwa Gerock, Versuch einer Darstellung der Christologie des Koran, a.a.O. S. 34; Sayous, Jésus-Christ d’après Mahomet, Paris/Leipzig 1880, S. 28; Rudolph, Die Abhängigkeit des Qorans von Judentum und Christentum, Stuttgart 1922, S. 79. Dieser Meinung haben sich im 20. Jahrhundert bedeutende westliche Koranforscher angeschlossen: Bell, Blachère und Paret (vgl. deren Übersetzungen und Kommentare zur Stelle).

53 Zit. nach Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen, a.a.O. Bd.1, S. 366. Der im Norden Kairos gelegene Balsamhain Matarīya war wohl schon zu Muhammads Zeiten das Ziel alljährlicher Palmsonntagsprozessionen koptischer Christen.

54 Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum und Christentum, Darmstadt 1988, S. 126. Vgl. bereits Schedl, Muhammad und Jesus, a.a.O. S. 197.

55 Der Koran als Text der Spätantike, a.a.O. S. 485.

56 Vgl. Bauschke, Der Spiegel des Propheten. Abraham im Koran und im Islam, Berlin 2008, S. 100ff.

57 Mary in the Qur’ān. A reexamination of her presentation, in: Reynolds (Hg.), The Qur’ān in Its Historical Context, New York 2008, S. 169ff.

58 The Holy Qur’an, a.a. O. S. 883, Anm. 2907. Schon Hubert Grimme hatte erkannt, dass Sure 23,50 in den Kontext der Geburt Jesu gehört: Maria habe mit Jesus „längere Zeit auf einem Hügel im Genusse der wunderbar geschenkten Speisen gelebt“ (Mohammed, a.a.O. Bd.2, S. 94). Auch Bell (A Commentary on the Qur’ān, Bd.1, Manchester 1991, S. 583) und Wensinck (Art. Maryam, S. 421) beziehen den Vers auf den Kontext der Geburt Jesu.

59 Bobzin übersetzt mit „Unterdrücker“, obwohl es sich hier im Arabischen um dasselbe Wort djabbāran handelt wie in Vers 32 bei Jesus. Um die Parallelität der koranischen Beschreibung auch in der deutschen Übersetzung zu verdeutlichen, ersetze ich Bobzins Ausdruck hier durch den, den er selbst in Vers 32 benutzt hat: „Gewaltmensch“.

60 Vgl. Bauschke, Der Spiegel des Propheten, a.a.O. S. 52ff., bes. S. 56f.

61 Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen 3. Auflage 1981, S. 15.

62 Oscar Cullmann, Kindheitsevangelien, in: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, hg. von W. Schneemelcher, Bd. 1, Tübingen 5. Auflage 1987, S. 338.

63 Ich verweise z.B. auf die Filmdokumentation (2004) „Christen und Muslime – der Weg zu einem interreligiösen Miteinander“ des Instituts für Deutsch-Türkische Integrationsstudien und interreligiöse Arbeit e. V. in Mannheim.

64 Vgl. zum Folgenden: Luxenberg, Weihnachten im Koran, in: Chr. Burgmer (Hg.), Streit um den Koran, 3. erweiterte Auflage Berlin 2007, S. 62–68.

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