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Vorwort

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Jesus im Koran – wer ist das? Bei meinen Vorträgen, Seminaren und Fortbildungen in den vergangenen fast zwanzig Jahren habe ich gerne zu Beginn einen Fragebogen verteilt: „Was wissen Sie über Jesus im Koran?“ Sie finden diesen Fragebogen im Anhang des Buches. Die Auswertung zeigte regelmäßig: die meisten Christen bzw. Nichtmuslime haben kaum eine Ahnung vom koranischen Jesus. Sie haben in der Regel den Koran nicht gelesen, sie kennen allenfalls ein paar Zitate aus der Sekundärliteratur oder der Zeitung, meist in schlechten, lückenhaften Übersetzungen. Dass Jesus dem Koran zufolge auf jeden Fall nicht der Sohn Gottes sei, hat sich immerhin herumgesprochen. Doch dass dies keine Respektlosigkeit gegenüber Jesus zum Ausdruck bringt, ist kaum jemandem klar. Auch wenn für Muslime Jesus ein bloßer Mensch ist, ist er kein gewöhnlicher Mensch, wie schon die Umstände seiner Geburt zeigen, die der Koran anders als die christliche Weihnachtsgeschichte schildert, aber eben doch nicht völlig anders. Dieser Jesus ist für Leser, die mit einem kirchlichen oder allgemein christlichen Umfeld einigermaßen vertraut sind, ein Bekannter und ein Fremder zugleich. Dass dieser in mancher Hinsicht fremde Jesus des Korans nicht fremd oder gar befremdend bleiben muss, dazu will das vorliegende Buch beitragen. Dennoch bleibt dieser Jesus jemand, dessen Fremdheit auch nach der Lektüre dieses Buches nicht gänzlich wegfallen wird. Denn der Jesus des Korans lässt sich nicht mit den üblichen christlichen Maßstäben messen. Wer Jesus im Koran allein durch die „christliche Brille“ wahrnimmt und zu verstehen sucht, wie das jahrhundertelang unter Theologen üblich war, läuft Gefahr, ihn an den entscheidenden Punkten zu verfehlen. Bis heute ist in Kirchengemeinden beispielsweise das – meist geringschätzig gemeinte – Urteil anzutreffen: „Bei euch Muslimen ist Jesus ja nur ein Prophet …“ Eben das trifft nicht zu! Jesus ist auch im Koran mehr als ein Prophet, wie wir sehen werden. Um den vertrauten und doch auch fremden Jesus des Korans verstehen zu können, muss man sich die Mühe machen, diesen Jesus nach den Maßstäben seines Kontextes, also denen des Korans und nicht denen der Bibel zu verstehen. Etwas vereinfacht kann man vielleicht sagen: Die Aussagen des Korans über Jesus sind primär vernünftiger Natur, wenngleich sie stellenweise durchaus visionäre Züge tragen. Doch in der Hauptsache ist Jesus Gegenstand rationaler Einsichten des Glaubens über ihn. Insofern unterscheiden sich die Aussagen des Korans über Jesus von vielen (nicht allen!) Aussagen des Neuen Testaments und grundlegend dann vor allem von den Aussagen der späteren christlich-dogmatischen Tradition. Diese tragen nämlich primär Züge einer Glaubensschau und -spekulation, wie sie mit den Visionen vom Auferstandenen unter den Jüngerinnen und Jüngern am Ostermorgen beginnt und sich später in der Wahrnehmung der „Herrlichkeit“ Jesu besonders im Johannesevangelium fortsetzt das seinerseits zum Ausgangspunkt für die christologische Dogmenbildung wurde. Wohlgemerkt: Hüben und drüben ist es der Glaube, der von Jesus spricht. Nicht nur Christen glauben an Jesus, sondern auch Muslime – freilich in unterschiedlicher Weise. Doch artikuliert sich dieser Glaube im Koran stärker auf vernünftige Weise und mit einer Wertschätzung seiner Person, die ganz innerhalb der Schranken eines strikten Monotheismus verbleibt. Wohingegen eben diese Schranken bereits in späten Teilen des Neuen Testaments im Zuge einer visionären göttlichen Verehrung seiner Person zu fallen beginnen. Diese grobe Typologie sollte man freilich nicht zu streng handhaben. Es gibt selbstverständlich auch Muslime, besonders in der Mystik (Sufismus), deren Jesusbild primär visionäre und esoterische Züge hat, und auf der anderen Seite Christen, etwa in den unitarischen Kirchen oder in der liberalen Theologie, deren Auffassung von Jesus vor allem rational und ethisch fundiert ist.

Die vorliegende Ausgabe ist eine vollständig überarbeitete, in weiten Teilen neu geschriebene und zugleich stark erweiterte Fassung meines Buches „Jesus im Koran“, das 2001 im Böhlau-Verlag erschienen war. Dabei wurde die zwischenzeitlich erschienene Literatur berücksichtigt. So ist diese Neuausgabe auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes nach wie vor die einzige vollständige Bearbeitung des Themas in deutscher Sprache. Aus den ursprünglich zwölf sind nunmehr vierzehn Kapitel geworden. Hinzu kommen außerdem acht Exkurse, ein Nachwort sowie etliche Übersichtstabellen im Anhang. Um die Neuausgabe nicht allzu ausufern zu lassen, wurde stattdessen das zwölfte Kapitel der früheren Ausgabe weggelassen, in welchem nach der Rolle Jesu im Dialog zwischen Christen und Muslimen gefragt wurde. Mit dieser Weglassung deutet sich auch eine Akzentverschiebung dieser Neuausgabe an. Ich bin zwar nach wie vor davon überzeugt, dass die Gestalt Jesu ein Schlüssel für den christlich-islamischen Dialog sein kann und dass Christen und Muslime heute nicht umhin können, miteinander auch über Jesus zu sprechen. Dennoch soll mit der vorliegenden religionshistorischen und religionsvergleichenden Darstellung eher das Feld bereitet werden für ein christlich-muslimisches Gespräch über Jesus, als dass dieses hier von mir zu führen sei. Dieses Buch möchte primär die historischen und exegetischen Grundlagen für den Dialog über Jesus bereitstellen, weniger diesen selbst führen. Da jedoch insbesondere im Dialog engagierte Menschen nach Informationen über Jesus im Koran greifen, werde ich im Nachwort auf die Frage antworten, weshalb Christen und Muslime miteinander über Jesus sprechen sollten.

Das Buch wendet sich an eine breite, am Koran interessierte Leserschaft, mag diese nun zusätzlich am interreligiösen Dialog Interesse haben oder nicht. Vorkenntnisse über Bibel und Koran sind natürlich nützlich, werden jedoch nicht vorausgesetzt. Der leichteren Lesbarkeit wegen wird auf arabische, hebräische und griechische Schriftzeichen verzichtet. Die arabischen Namen und Begriffe sind in vereinfachter Umschrift wiedergegeben, zwar mit den Langvokalen, doch – außer in Zitaten – ohne diakritische Punkte und ohne Sonderzeichen am Wortanfang (also etwa Īsā statt cĪsā oder djinn statt ğinn). Arabische Namen werden abgekürzt unter Weglassung des Artikels aufgeführt (z.B. Rāzī statt al- oder ar-Rāzī). Im Unterschied zur früheren Ausgabe wird der Koran, wenn nicht anders angegeben, nunmehr nach der neuen Übertragung von Hartmut Bobzin (2010) wiedergegeben. Aus meiner Sicht fällige Korrekturen dieser Übersetzung sind als solche kenntlich gemacht: Notwendige Hinzufügungen in Bobzins Koranzitaten stehen in eckigen Klammern; von mir stammende Erläuterungen in runden Klammern mit scilicet („das heißt“). Runde Klammern in Zitaten ohne „sc.“ sind Klammern der originalen Quelle. Zitate aus dem Neuen Testament folgen in der Regel der bewährten Ökumenischen Einheitsübersetzung (1980). Jahreszahlen und Todesdaten, auch muslimischer Personen, folgen der Einfachheit halber der christlich-westlichen Zeitrechnung. Viele Quellen, aus denen ich zitiere, benutzten noch die alte Rechtschreibung. Diese bleibt in den Zitaten beibehalten. Zum Schluss bleibt mir, Andreas Ismail Mohr von Herzen für seine wunderbare Kalligraphie zu danken, die das Titelblatt schmückt und den Titel dieses Buches „Der Sohn Marias“ auf Arabisch (Ibn Maryam) wiedergibt.

Berlin, Ende April 2012 Martin Bauschke
Der Sohn Marias

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