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1 Grundlagen des strategischen Marketing 1.1 Abgrenzung des Aufgabenspektrums
ОглавлениеDie Entwicklungslinien des Marketing sind seit den 1950er Jahren, als dieses Konzept der bewussten Führung einer Unternehmung vom Absatzmarkt her aufkam, vielfältig verlaufen. Neben einer Vertiefung und einer Verbreiterung des Marketing (Meffert, Bruhn 1976) haben insbesondere die mannigfaltigen Veränderungen der Aufgabenumwelt und vor allem deren diskontinuierliche Entwicklung den Stellenwert der strategischen Orientierung im Marketing verdeutlicht (Ansoff 1981; Köhler, Böhler 1984). Damit hat sich das Marketing immer mehr zu einem integrierten Konzept der marktorientierten Unternehmensführung entwickelt (Meffert 1989; Köhler 1993).
Abb. 1-1: Strategisches Marktteilnehmerdreieck
Betrachtet man die Entwicklungsverläufe im Einzelnen, so lassen sich grundsätzlich sechs verschiedene Phasen der Absatzmarktorientierung voneinander abgrenzen. Abbildung 1-1 verdeutlicht diese Entwicklung anhand des strategischen Dreiecks der Marktteilnehmer (Meffert 1986):
1. Die erste Phase der Absatzmarktorientierung ist dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund von – wodurch auch immer verursachten – Mangelsituationen ein Verkäufermarkt vorherrscht: die Nachfrage ist in einer solchen Marktsituation größer als das Angebot. Unternehmungen streben deshalb vor allem nach Massenproduktion. Dominante Engpassfaktoren sind einerseits Finanzmittel und Produktionskapazitäten und andererseits die zugelieferten Mengen an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen. Diese Engpassfaktoren dominieren die strategische Unternehmensplanung. Dem Marketing kommt hingegen ein untergeordneter Stellenwert zu. Aufgabe des Marketing ist vor allem die Distribution der in Massenfertigung erstellten Erzeugnisse.
2. In der zweiten Phase verändern sich die Marktbedingungen deshalb nachhaltig, weil erste Sättigungserscheinungen im Absatzmarkt auftreten: Der Verkäufermarkt entwickelt sich zu einem Käufermarkt. Entsprechend kann nicht mehr alles abgesetzt werden, was im Zuge der Massenproduktion hergestellt wird. Der Kunde wird zum dominanten Engpassfaktor, an dem sich die gesamte Unternehmenstätigkeit auszurichten hat (Nieschlag et al. 2002). Diese Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucher kennzeichnet die eigentliche »Geburtsstunde« des Marketing. Definitionen wie »Marketing soll durch die dauerhafte Befriedigung der Kundenbedürfnisse die Unternehmensziele im gesamtwirtschaftlichen Güterversorgungsprozess verwirklichen« (Meffert et al. 2019), kennzeichnen diese Phase der Absatzmarktorientierung. Die kundenorientierten Instrumente des Marketing werden in dieser Phase erstmals systematisch entwickelt und eingesetzt, die Grundgedanken der Beeinflussung und Steuerung des Absatzmarktes durch den Marketing-Mix erlangen zunehmende Verbreitung.
3. In der dritten Phase, die in Deutschland mit Aufhebung der »Preisbindung der zweiten Hand« im Jahre 1972 einsetzt und die den Absatzmittlern vollständige Preisautonomie verleiht, beginnt ein Konzentrationsprozess in vielen Sektoren des Handels. Dieser Konzentrationsprozess mündet letztlich in einer permanent steigenden Nachfragemacht des Handels. Neben der Kaufbereitschaft der Konsumenten entsteht in diesem Zuge ein zweiter absatzmarktbezogener Engpassfaktor: der Regalplatz im Handel. Entsprechend reagieren die Konsumgüterhersteller und setzen zunehmend handelsgerichtete Instrumente des Marketing ein. Die Grundgedanken des vertikalen Marketing und der Marketingführerschaft im Absatzkanal entstehen in dieser Phase. Marketing wird somit immer stärker auch als Führungskonzeption im Absatzkanal verstanden.
4. Die zunehmende Internationalisierung des Wettbewerbs auf Konsum-, aber auch auf Industriegütermärkten, die spätestens in den 1980er Jahren zu einer Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen führt und die charakteristischen Züge des Verdrängungswettbewerbs trägt, hat zur Folge, dass die strategischen und dabei insbesondere die wettbewerbsstrategischen Aspekte einer marktorientierten Unternehmensführung besondere Bedeutung erlangen. Die langfristig erfolgreiche Positionierung der Unternehmung und ihrer Produkte bzw. Marken erhält damit einen herausragenden Stellenwert. Die Marketingstrategie wird dabei als »bedingter, globaler und langfristiger Verhaltensplan zur Erreichung der Unternehmens- und Marketingziele« (Meffert 1986) verstanden. Diese strategische Orientierung äußert sich insbesondere darin, dass Marketingstrategien darauf auszurichten sind, dauerhafte Wettbewerbsvorteile aufzubauen und zu sichern (Faix, Görgen 1994). Denn nur dann, wenn die Konsumenten und auch die Absatzmittler die Leistungsangebote eines Herstellers besser einschätzen als die Angebote seiner Wettbewerber, kann dieser Anbieter seine Unternehmensziele langfristig erfüllen (Porter 1985). Vor diesem Hintergrund »reduziert« sich die Konzeption des strategischen Marketing darauf, dass Unternehmungen immer dann in besonderer Weise erfolgreich sind, wenn sie in den Augen ihrer Nachfrager eine qualitativ bessere oder kostengünstigere Leistung als ihre Konkurrenten anbieten. Das Konstrukt des »komparativen Konkurrenzvorteils« (Backhaus 1992) wird damit zum zentralen Merkmal des strategischen Marketing.
5. Wenngleich sich mit der Konsumerismus-Bewegung der frühen 1970er Jahre bereits erste Anzeichen andeuteten (Hansen, Stauss 1982; Aaker, Day 1972; Fischer-Winkelmann, Rock 1977), haben sich in jüngster Vergangenheit die Herausforderungen, die von verschiedenen Anspruchsgruppen an die Unternehmensführung herangetragen werden, nochmals verschärft. Der Absatzmarkt mit den drei wesentlichen Marktteilnehmergruppen Hersteller, Absatzmittler und Verbraucher ist gleichwohl nach wie vor ein wesentlicher Engpassfaktor der Unternehmensplanung. Daneben treten jedoch weitere Anspruchsgruppen, die den Erfolg der Unternehmung nachhaltig beeinflussen (Raffée 1987, Hansen 1988). Besonders deutlich wird dies anhand der umweltschutzbezogenen Ansprüche, die an die Unternehmungen herangetragen werden. Unternehmungen, denen es gelungen ist, diesen Ansprüchen in besonderer Weise gerecht zu werden, haben dadurch auch in ihrem Absatzmarkt Wettbewerbsvorteile aufgebaut (Meffert, Kirchgeorg 1998). Diese ganzheitliche, anspruchsgruppenorientierte Interpretation zwingt dazu, Marketing als integrierte, marktorientierte Führungskonzeption anzusehen. Neben die gleichberechtigte Unternehmensfunktion tritt somit ein markt- und anspruchsgruppenorientiertes Leitkonzept des Marketing-Management (Meffert et al. 2018).
6. In der jüngeren Vergangenheit hat insbesondere die Digitalisierung im Marketing neue Impulse gesetzt. Sie hat nicht nur in Konsumgüterbranchen – durch neue Vertriebswege – den Wettbewerb nachhaltig verschärft (Ahlert et al. 2020; Kollmann 2019a). Die Digitalisierung hat weiterhin in jenen Branchen, die Technologien sowie digitale Dienste bereitstellen und für diese Technologien einen Mehrwert schaffen, eine bislang nicht gekannte Wettbewerbsdynamik ausgelöst (Kollmann 2019b). Und sie hat schließlich die Vernetzung zwischen Anbietern und Nachfragern, aber auch unter den Nachfragern nachhaltig gefördert.
Diese Entwicklungslinien verdeutlichen insgesamt, dass der marktorientierten Führung der Unternehmung ein besonderer Stellenwert zukommt (Dichtl 1994). Dabei gilt es, über die Festlegung von Marketingstrategien den marktorientierten Handlungsrahmen zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen einzugrenzen. In diesem Sinne besagt die Marketingkonzeption, »dass der Schlüssel zur Erreichung unternehmerischer Ziele darin liegt, die Bedürfnisse und Wünsche des Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer und wirtschaftlicher zufrieden zu stellen als die Wettbewerber« (Kotler, Bliemel 2001).
In dieser Abgrenzung werden dem strategischen Marketing zwei wesentliche Aufgabenstellungen zugewiesen:
• Die Identifikation von Wünschen und Bedürfnissen und damit einhergehend die Abgrenzung des Zielmarktes.
• Die Formulierung und Implementierung von Wettbewerbsstrategien, die auf Wirksamkeit und/oder auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sind.
Diese Abgrenzung des Aufgabenspektrums im strategischen Marketing ist sehr global gehalten. Andere Autoren haben im Gegensatz dazu die Aufgaben des strategischen Marketing erheblich differenzierter aufgeschlüsselt. Tabelle 1-1 gibt einen Überblick über fünf unterschiedliche Abgrenzungen dieses Aufgabenspektrums.
Erkennbar ist dabei, dass die Autoren unterschiedliche Schwerpunkte im Aufgabenspektrum des strategischen Marketing sehen. So heben Kotler und Bliemel (2001) die Definition generischer Wettbewerbsstrategien als Aufgabenstellung des strategischen Marketing in besonderer Weise hervor, Meffert et al. (2018) nennen hingegen die Ableitung von Marktteilnehmerstrategien als besondere Aufgabe des strategischen Marketing, Becker (2019) weist auf Marktfeld und Marktarealstrategien hin, Backhaus und Schneider (2019) verweisen in spezieller Weise auf den Zeitpunkt des Marktein- und -austritts und Bruhn (2014) betont schließlich die Verbindung zum strategischen Controlling.
Tab. 1-1: Aufgabenspektrum des strategischen Marketing
Kotler, Bliemel (2001)Meffert et al. (2019)Becker (2019)Backhaus, Schneider (2019)Bruhn (2014)
Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzung macht ein Vergleich der verschiedenartigen Aufgabenspektren deutlich, dass im Kern die Aufgaben des strategischen Marketing relativ einheitlich gesehen werden. Kernaufgaben sind danach:
• Festlegung der Unternehmensphilosophie und der strategischen Zielsetzungen.
• Abgrenzung und Auswahl der strategischen Geschäftsfelder und Festlegung des Internationalisierungsgrades.
• Entwicklung, Bewertung und Auswahl der Marktteilnehmer- und Marktbearbeitungsstrategien.
• Implementierung der Strategien in der Unternehmung und im Markt.
In diesem Sinne soll im Folgenden unter strategischem Marketing die Entwicklung, Bewertung und Auswahl globaler markt-, anspruchsgruppen- und dabei vor allem auch wettbewerbsgerichteter Verhaltensrichtlinien verstanden werden, die den Einsatz des Marketing-Instrumentariums kanalisieren und die Ressourcenallokation steuern. Dabei muss gewährleistet sein, dass diese Verhaltensrichtlinien über einen längeren Zeitraum gültig sind, sich gleichzeitig jedoch an Veränderungen in der Aufgabenumwelt der Unternehmung flexibel anpassen.