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Kapitel 2 - Schwarze Schiffe aus dem Osten

Mit dem heutigen Tage waren genau vierzehn seit meinem kleinen Abenteuer auf See vergangen. Die Ersten davon verbrachte ich von Fieber und einer Erkältung heimgesucht im Bett. Eine Nebenwirkung des unfreiwilligen Bades. Während die Stirn glühte, fiel es mir sehr schwer, über das Erlebte nachzudenken, doch als es nachließ resümierte ich. Dennoch besuchte die Meerjungfrau meine Fieberträume. Sie kam mir so lebensecht vor, dass es schwer fiel den Gedanken zu akzeptieren, dass sie nur eine Mischung aus Phantasie und der Galionsfigur war. Ihr Geschenk dagegen, ich nenne es mal einfach so, trug auch nicht dazu bei. Diese beige Handteller große Auster war ein Rätsel für sich. Die Muschel schien eine echte geschlossene Auster zu sein, jedenfalls vom Material her. Wäre sie ein Stück der Galionsfigur müsste sie doch ein Teil davon, also aus Holz sein. Oder nicht? Diese jedoch fühlte sich so an, als ob die Schale aus vom Meerwasser geglättetem Kalk bestand. Sie schien hohl. Ob im Inneren etwas war? Beim schütteln hörte oder fühlte ich nichts. Leider war ein Versuch sie mit dem Taschenmesser zu öffnen vergeblich. Ich bekam nicht einmal die Klinge zwischen die Schalenhälften. Diese Muschel war sehr stabil, selbst Kratzer ließ sie nicht zu, was mich zu ihrem größten Geheimnis brachte. Auf beiden Muschelschalenhälften waren Gravuren. Da mein Messer nicht in der Lage war, musste etwas sehr viel stärkeres dazu benutzt worden sein und das einzige, was mir entsprechend einfiel war ein Diamant. Es war das härteste Material, das ich kannte. Zu erkennen waren feine gerade Linien. Möglicherweise Zeichen, Zahlen, Buchstaben oder ein Muster. Es schreite förmlich nach einer Botschaft. Zuerst dachte ich an Runen, aber sie waren sich lediglich ähnlich. Diese Muschel besaß eine mysteriöse Aura. Welches Geheimnis und Rätsel sie wohl hütete? Jedenfalls ließen sie und das dazugehöriges Abenteuer meine Phantasie arbeiten. Es war der beste Stoff für ein neues Buch.

Also setzte ich mich an den Schreibtisch in meinem kleinen Pensionszimmer und versuchte die Ideen zu Papier zu bringen. Da saß ich nun und starte auf eine weiße Seite. Der schwerste Moment für jeden Autoren.

Das kleine Pensionszimmer war im zweiten Stock untergebracht. Die Dachschräge nahm einen großen Teil ein, doch da der Schreibtisch, ein einfacher Holztisch mit einem gepolsterten Stuhl, vor der Fensterausbuchtung stand, beeinträchtigte die Schräge nicht. Das Zimmer war gemütlich und dennoch einfach ausgestattet. Es gab neben einem weichen und angenehmen Bett einen großen Schrank und eine Waschkommode. An der Wand davor hing ein Spiegel mit verschnörkeltem Holzrahmen. Auf der Kommode stand eine Porzellanschüssel mit Wasserkaraffe. Das Porzellan war von makellosem Weiß und einem dünnen blauen Blumenmuster an den Rändern. Neben der Tür befand sich die einzige Beleuchtung in Form einer Gaslampe. Zur weiteren Beleuchtung hatte ich eine kupferne Petroleumlampe auf dem Schreibtisch stehen.

Wie gesagt, da saß ich nun vor einer weißen Seite und überlegte, was für eine Geschichte ich schreiben sollte. Angelpunkt war ein Schiffbruch durch einen heftigen Sturm und die Überlebenden würden sich auf einer verlassenen Insel wiederfinden. Klang alles gut, doch mehr hatte ich bisher nicht.

Da unterbrach ein Klopfen meine ohnehin wenigen Gedanken.

„Monsieur Verne?“

„Ja, Madame Delpierre. Kommen Sie rein.“

Madame Delpiere, die Besitzerin der kleinen Pension ‚La Delpierre’ trat ein. Sie war eine kleine rundliche Frau mit fast siebzig Jahren, die allein die Familienpension führte. Vom Essen, bis hin zum reinigen der Zimmer ließ sie sich nicht abhalten, alles selbst zu erledigen und dafür bekam sie meinen Respekt. Die Pension führte ihre Familie bereits in der dritten Generation und leider auch in der letzten, da Madame Delpierre kinderlos geblieben war. Ihr Mann, der liebenswürdige Francois, verstarb vor drei Jahren. Ich werde immer sein Bild vor Augen haben, wie er auf der Veranda auf einer alten Teeliste saß und eine Flöte aus einem Eichenast schnitzte. Dabei trank er kalten Tee und schaute besonders gerne im Sommer den Kindern auf der Strasse beim spielen zu. Eines Tages erzählte er mir die Geschichte der Flöte, dass er seinem jüngeren Bruder in der Kindheit versprach ihm eine Flöte zu basteln. Leider erkrankte dieser schwer und zu starkes Fieber beendete das junge Leben viel zu früh. Francois gedachte seines Bruders somit und immer wenn er an einer Flöte arbeitete, dann war ihm so, als schaute sein ihm über die Schulter.

„Dieser Brief wurde für Sie abgegeben, Monsieur.“ Sagte sie mit ihrer leisen, freundlichen Stimme.

„Vielen Dank, Madame Delpierre. Darauf habe ich bereits gewartet.“ Erwiderte ich und nahm den weißen Brief mit einem braunen Siegel entgegen.

„Das freut mich. Übrigens ich werde das Essen erst um sieben fertig haben, da Amelie mir erst später das Fleisch bringen kann. Ihr Junge hat sich mit Anderen geprügelt. Sie war gezwungen, ihn nach Hause zu bringen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.“

„Durchaus nicht. Ich verstehe die Situation, außerdem habe ich zu arbeiten, da kommt es mir ganz gelegen.“

„Dann werde ich Sie mal wieder alleine lassen.“ Madame Delpierre wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen, als sie sich noch einmal umdrehte. „Das wollte ich Sie noch fragen, Monsieur Verne. Haben Sie schon von den Fremden in der Stadt gehört?“

„Nein, Sie wissen ja, durch meine Unpässlichkeit habe ich in letzter Zeit kaum das Zimmer verlassen.“

„Fremde wandern in komischen Kleidern durch die Stadt. Sie sollen unfreundlich und voller Gewalt sein.“

„Davon habe ich noch nicht gehört. Haben Sie einen der Fremden selbst gesehen?“

„Leider nein. Aber sie sollen dunkle Haut haben und einen schwarzen Bart tragen. Ihren Kopf hüllen sie in rote Tücher. Wenn ich davon höre, wird mir ganz unwohl bei dem Gedanken auf die Strasse zu gehen. Bitte versprechen Sie mir, Monsieur Verne, das Sie auf sich achtgeben.“

„Das werde ich, Madame. Das werde ich.“

Ohne weitere Worte verschwand Madame Delpierre und in meinem Kopf arbeitete es. Stoff aus dem Geschichten sind, laufen in der Stadt umher und das sollte ich mir nicht entgehen lassen. Also zog ich mich sofort an, schlüpfte in Schuhe und warf die bequeme braune Stoffjacke, meine Lieblingsjacke über. Dann zog ich unterm Bett die lederne Umhängetasche hervor, in der ich Papierbögen und Schreibutensilien stopfte, sowie die seltsame Muschel, die mir Glück bringen sollte. Den Brief ließ ich auf dem Arbeitstisch liegen.

Minuten später verließ ich die Pension “La Delpiere“ und atmete frische Luft ein. Es tat sehr gut wieder draußen zu sein. In der Feuchtigkeit schmeckte ich das Salz des Atlantiks, den Atem der See, wie ich ihn gerne nannte. Wind verzauste das kurze Haar schneller, als ich es wieder glattstreichen konnte.

Es war später Nachmittag. Die Sonne stand noch hoch genug die schöne Stadt Nantes eindrucksvoll zu beleuchten, indem ihre Strahlen sich an den Kalksteinfassaden der Häuser brachen und überallhin verteilten.

Ich beschloss in Richtung Hafen zu gehen, mit Glück würde ich die LEVIN vor Anker vorfinden und könnte mit Kapitän Reno Worte wechseln. In der Ferne hörte ich, wie sich die geschmeidigen Wellen der Loire an der Kaimauer brachen. Auf meinem Weg dorthin traf ich einige Menschen, die ich sogleich auf die merkwürdigen Fremden ansprach. Jeder hatte von ihnen gehört, doch keiner wirklich gesehen. Sie sollen sich am Tage nahe ihrer Schiffe aufhalten, doch in der Nacht durchstreiften sie laut den Geschichten die engen Gassen und breiten Strassen.

Irgendwann erreichte ich den Hafen und schritt den prächtigen Backsteinkai entlang mit wachem Auge nach der LEVIN, doch bisher konnte ich sie nirgends entdecken. Da fiel mein Blick auf den alten Hafenmeister. Mittlerweile hatte er sein Amt nicht mehr, aber wegzudenken war der gute Maurice nicht. Mit seinen bestimmt siebzig Jahren, wirkte er noch so kräftig, wie zwanzig Jahre zuvor. Das Gesicht faltig und wettergegerbt, eingebettet von wenigen grauen Haaren und dank tiefliegender Lider wirkten die grünen Augen müde. Auf dem Kopf eine graue speckige und abgewetzte Kapitänsmütze, die er nicht einmal beim schlafen abnahm. Die Arbeit am Hafen hatte tiefgehende Spuren hinterlassen. So verlor er vor dreißig Jahren bei einem Verladeunfall das rechte Bein und trug seitdem einen Ersatz aus Holz. Auch fehlten an jeder Hand je zwei Finger. Im rechten Mundwinkel klemmte eine rauchende Pfeife aus Meerschaum, doch im Gegensatz zu Kapitän Renos Pfeifenrauch, roch dieser einfach nur grauenhaft. Manchmal fragte ich mich, was für einen komischen Tabak Maurice benutzte und doch scheute ich mich zu fragen, weil ich das Gefühl hatte, die Antwort nicht hören zu wollen.

„Maurice, schön dich zu sehen.“

„Der Verne.“ Erwiderte Maurice durch die gelblichen Zähne hindurch. „Wie geht es? Hörte von guten Reno am Stammtisch bei einem Gläschen Rum von Deinem … Meerjungfrauenerlebnis.“ Er lache vor sich hin.

Ich fand die Sache nicht so amüsant. „Viel besser. Sag mal, wo hat denn die LEVIN festgemacht?“

„Tja, ich wünschte ich wüsste es. Reno ist bereits fünf Tage überfällig. Warum weiß niemand. Dabei gab es keine raue See in den letzten Tagen, die ihn entschuldigen würde.“

Maurice paffte den stinkenden Rauch in meine Richtung und ich musste ein hüsteln verkneifen.

„Schade, ich hätte gerne mal wieder mit ihm gesprochen. … Was anderes, Maurice. Hast du von diesen Fremden gehört, die sich hier am Kai herumtreiben sollen?“

„Du meinst die Inder.“

„Aha, Inder also.“

„Aber welche wie die, habe ich noch nie gesehen. Sie wirken nicht wie Händler, eher wie Reisende.“

„Verstehe ich nicht.“

„Das liegt daran, wie sie sich geben. Sie sind gepflegt und tragen edle Kleidung. Haben etwas Erhabenes an sich.“

„Hört sich spannend an. Die würde ich gerne mal sehen. Weißt Du wo sie sich aufhalten?“

„Geht weiter den Kain entlang. Du kannst sie nicht verfehlen. Sie treiben sich bei ihren Fregatten rum.“

„Hier ankern Fregatten?“

„Aber keine ist wie ihre. Siehst du die Drei pechschwarzen dort hinten? Das sind die ihren.“

„Schwarze Schiffe.“ Beeindruckt schluckte ich. „Danke, Maurice.“

Wie in Trance wanderte ich den Kai weiter entlang. Pechschwarze Schiffe. Konnte das, ein Zufall sein? Das Wrack war auch schwarz und ebenfalls eine Fregatte. Vielleicht suchten sie sogar nach dem untergegangenen Schiff?

Als ich direkt vor ihnen stand staunte ich nicht schlecht. Imposante Anblicke. Genau, wie beim Wrack war sämtliches Holz schwarz bemalt. Da die Segel gerafft waren, konnte ich nicht genau erkennen, ob diese ebenfalls schwarz waren. Die Schiffe waren verdammt gut gepflegt. Maurice hatte Recht, sie wirkten nicht wie Handelsschiffe, eher wie Kriegsschiffe.

Plötzlich stand ein Fremder vor mir und sprach in einer mir unbekannten Sprache. Doch seine Gestik sagte mir, was meine Ohren nicht hören konnten: Ich sollte verschwinden. Er war einer dieser Inder. Ein Schrank von einem Mann, bestimmt zwei Meter groß und kräftiger als ich je sein würde. Er trug einen roten kunstvoll gebundenen Turban, sowie einen gepflegten Vollbart. Die dunklen tiefliegenden Augen blickten mit Autorität und Dominanz. Die Narbe auf der linken Wange wirkte bedrohlich. Weiter trug er ein schwarzes, eng anliegendes Gewand, an dessen Gürtel ein kunstvoller Säbel mit verziertem Griff hing. Als er mich mit der rechten Hand weg wies, sah ich einen goldenen Armreif am Gelenk baumeln.

Ohne zu zögern trat ich zurück. Alle hatten recht, diese Inder waren schon beeindruckend und hier standen mehr als zwanzig herum. Ich war angetan von ihnen und sinnte bereits in Gedanken, wie ich diese Figuren in meine Geschichten einfließen lassen konnte. Da erhaschte ich einen Blick auf eine kleine Flagge an der hintersten schwarzen Fregatte. Sie war blutrot mit dem Abbild eines schwarzen Skorpions drin. Ich suchte bei den anderen Schiffen nach der gleichen Flagge, doch die hatten keine oder waren eingeholt. Unter wem sie wohl fuhren?

Die schwarze Farbe schien den Indern wichtig zu sein, denn sie hob sie von allem und jedem ab. Zusätzlich gab es ihnen eine geheimnisvolle und mysteriöse Note.

Ich suchte mir eine vereinsame Kiste am Kai, die nicht so schnell verladen werden würde, setzte mich drauf und zog aus der Umhängetasche Papier und Bleistift. Dann begann ich die eindrucksvollen schwarzen Fregatten und einen Inder zu zeichnen – na ja, so gut ich es eben konnte.

Es war bereits dunkel, als ich in die Pension zurückkehrte. Madame Delpierre war darüber nicht begeistert. Sie hatte sich viel Mühe gegeben ein gelungenes Abendessen zu kochen. Butterweich geschmorte Lammkeule im Kräutermantel, dazu kleine Kartoffeln und eine Gemüsekombination aus Erbsen mit gewürfelten Wurzeln. Allein das klang so lecker, das mir das Wasser im Mund zusammenlief. Doch da ich viel zu spät kam, blieb mir nichts anderes übrig, als auf einem Baguette von vorgestern herumzukauen. Selbst die Reste wollte sie mir partout nicht geben. Schade. Was blieb mir also, als mit flauem Magen ins Bett zu gehen.

Ich betrat mein kleines Zimmer, zündete das Gaslicht an und schritt zum Arbeitstisch. Da die Flamme schwach war, erhellte sie den Raum nicht wirklich. Um die Umhängetasche leichter abzunehmen, klemmte ich mir das harte Baguette zwischen die Zähne. Dann legte ich sie auf den Tisch und bemerkte den Brief von heute morgen. Ich hatte ihn völlig vergessen. Mit Schwung setzte ich mich in den Stuhl, nahm den Brief in die Hand und schaute ihn an. Währendessen kippelte ich mit dem Stuhl. Es war die Antwort meines guten Freund Alexandre Dumas auf ein Schreiben von mir. Ich hoffte inständig, dass er mir weiterhelfen konnte. In der ersten Krankheitswoche war ich so bettlägerig, das ich nicht viel tun konnte und immer, wenn der Kopf nicht dröhnte, schaute ich mir mein Souvenir an. Irgendwann hatte ich den Eindruck, die Symbole auf der Muschel bereits gesehen zu haben. Doch Grübeln tat nicht so gut, denn es verstärkte die Kopfschmerzen nur. In den Fieberträumen träumte ich neben der hübschen Meerjungfrau sogar von der Muschel mit den Symbolen. Dadurch erinnert, sah ich eine Zeichnung vor Augen. Zuerst glaubte ich an ein Hirngespinst, doch mit der Zeit kam die Erleuchtung. Diese Zeichnung hatte mir Alexandre gezeigt, als er über die Entstehung seiner Romane sprach und mir Tipps für den meinen gab. Da ich aber alle Zusammenhänge inzwischen vergessen hatte, schrieb ich ihn deswegen an und nun hielt ich die Antwort in den Händen.

Vorsichtig brach ich das Siegel und zog einige Zettel heraus. Neben dem Antwortbrief erkannte ich mehrere Zeichnungen beiliegend. Da es im Zimmer zu dunkel war, zog ich ein Streichholz aus der Jackentasche, öffnete die Petroleumlampe und entzündete den getränkten Docht. Nachdem der Glaszylinder geschlossen war, verteilte sich flackerndes Licht überm Tisch.

Ich wollte gerade eine der Zeichnungen hochnehmen, als mich ein kräftiger Arm um den Hals vom Stuhl in die Luft riss. Die Beine strampelten ohne den Boden zu berühren, instinktiv griff ich nach dem Arm, der mich von hinten hielt. Das Atmen fiel mir immer schwerer und langsam wurde mir schwindlig. Ich spürte, wie sich der Fremde meinem Ohr nährte, wobei ich fest gegen seine Brust gedrückt wurde. Mir schwanden die Kräfte und gerade als ich das Zappeln ließ, berührten die Füße die Dielen wieder. Dennoch hielt der starke Arm mich fest im Griff. Ich hörte den Fremden atmen und roch Schweiß.

„Still!“ befahl er mit einem Akzent, als ob französisch nicht seine Sprache war. Wenn ich doch nur einen Blick auf ihn erhaschen konnte, doch nicht einmal im Fenster spiegelte sich etwas.

Plötzlich blitzte es vor meinen Augen und ich erkannte die silbern glänzende Klinge eines Krummdolches. Die Flamme des Gaslichts reflektierte darin und bereitete mir ziemliche Angst. Ich musste mich zusammenreißen, denn beinahe hätte ich mich in meine Hosen erleichtert. Die Klinge kam näher und mein Körper versteifte sich als der Fremde sie mir über die rechte Gesichtshälfte zog.

Ich dachte: Das war es. Dann zeigte er mir die Klinge erneut und erkannte Bartflaum darauf liegen. Ohne dass ich es gespürt hatte, hatte er meinen Vollbart auf der rechten Seite abrasiert. Solch eine scharfe Klinge sah ich zum ersten Mal.

„Ich kann Dich in Stücke schneiden ohne, das Du es mitbekommst!“ warnte mich der Fremde und dann tauchte irgendwo aus dem Dunkeln eine zweite Gestalt auf, die anfing das Zimmer zu durchwühlen. Ich traute meinen Augen nicht, es war einer der schwarz gekleideten Inder mit den roten Turbanen und das würde heißen, das der der mich festhielt ebenfalls einer von ihnen war. Was wollten sie von mir und … warum? So sehr ich den Kopf zerbrach, eine logische Antwort wollte nicht einfallen. Ich hörte, wie sich die Beiden leise unterhielten, wahrscheinlich gab der hinter mir Anweisungen, wo der Andere suchen soll, aber verstehen tat ich kein Wort. Die Sprache, die sie sprachen war mir völlig fremd, obwohl ich glaube, dass es eine Indische sein musste.

Die Angst in mir wuchs. Ich wusste zwar nicht, was die Inder suchten und warum oder was ich mit der Sache zu tun hatte. Aber in mir keimte der Gedanke: Was passiert mit mir, wenn sie haben, was sie wollen? Honorines Bild erschien vor meinem geistigen Auge und das meiner Kinder. Würde ich sie je wiedersehen? Was würde ich nicht alles geben, um es zu können? Noch vor einiger Zeit hatte ich dem Tod ins Angesicht gelacht, war das nun die Strafe dafür? War meine Zeit jetzt gekommen?

Der Inder öffnete die Umhängetasche und zog die Muschel, das Andenken an meinem Nahtod, heraus und zeigte begeistert den Fund. Mein Inder antwortete ihm und es kam mir so vor, als gratuliere er ihm zum Fund.

Die Muschel? Sie hatten die Muschel gesucht? Ich traute meinen Augen nicht. Der Inder hielt sie wie Siegesbeute in der Hand. Die Muschel von der Kapitän Reno behauptet hatte, sie gehöre zur Galionsfigur. Fieberte ich schon wieder und lag eigentlich im Bett und dies war alles nur ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen konnte? Es war alles so surreal.

Dann schaute der Inder mit der Muschel zu mir rüber und zog langsam die Hand über den Hals. Ich kannte diese Geste und sie gefiel mir überhaupt nicht. Bitte Gott, lass all dies nur ein Alptraum sein! Ich will aufwachen! Bitte!

Ich sah den Dolch näherkommen und wusste, diesmal würde er nicht meinen Bart abschneiden. Dem Ende nahte und ich wusste nicht, wie ich es aufhalten konnte. Also schloss ich die Augen, Tränen sammelten sich und ich atmete zu letzten Mal ein. Ich nahm einen Windhauch am Hals wahr und …

Auf einmal schrie ein Inder auf und der Griff um meinen Hals lockerte sich. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah, wie er eine von Dumas Zeichnungen wild gestikulierend dem Anderen hinhielt. Dabei unterhielten sie sich mit schnellen Worten ohne darauf zu achten leise zu sein. Leider hatte ich zu viele Tränen in den Augen, so dass ich alles nur unscharf mitbekam. Der Inder zeigte abwechseln auf die Zeichnung und dann auf mich. Wenn ich doch nur ihre Sprache sprechen würde, dann wüsste ich wenigsten, warum sich mein Ende so unerwartet herauszog. Einen kurzen Moment hatte ich einen klaren Gedanken und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Im nächsten wurde mein Körper butterweich. Der Inder ließ mich los. Ich fiel ohne etwas tun zu können zu Boden. Der Körper reagierte nicht mehr und Gefühle, wie Schmerz waren meilenweit entfernt. Die Sinne schwankten, er hatte wohl die Dolchklinge über meine Kehle gezogen. So war es also zu sterben. Zu sehen, zu hören, zu spüren, wie das Leben einen verließ. Schwärze breitete sich im Kopf aus und ich suchte verzweifelt nach dem weißen Licht. Mein letzter Blick galt einem der Inder, welcher gerade Dumas Brief und die Muschel in meine Ledertasche stopfte. Dann schloss ich die Augen und sah nichts als Finsternis. War das der Tod? Still, dunkel und voller Einsamkeit?

Im Land unter dem Sternbild

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