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Die 1000 Facebookfreunde des Dr. Mabuse

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Der erste Fehler, den Dr. Mabuse machte, war, seine Verbrechen bei Facebook zu posten.

Bin gerade auf dem Weg, den Leiter der Irrenanstalt umzubringen, schrieb er, wünscht mir Erfolg!

Vielen Leuten gefiel das, der Polizei weniger. Sie verfolgte seine Taten online und verhaftete ihn offline. Sein Beziehungsstatus wechselte schnell von *ledig* zu *verhaftet* zu *vor Gericht* zu *lebenslänglich*.

„Es gibt einen Verräter in meiner Organisation“, hatte er während der Gerichtsverhandlung geschrieen.

„Es gibt eine Organisation?“ hatte der Staatsanwalt überrascht gefragt.

„Wer hat Ihnen das verraten?“ zischte Mabuse zurück, dem man inzwischen seinen Doktor aberkannt hatte und der sich nur noch „Herr Mabuse“ oder, für den internationalen Markt, „Mr. Mabuse“ nennen durfte.

Sein Anwalt beugte sich zu ihm herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Was???“

Mabuse sah den Juristen ungläubig an.

„Niemand hat etwas durchsickern lassen“, wiederholte der.

Mabuse hatte triumphierend sein Smartphone in die Höhe gehalten und geschrieen: „Das sehen meine Freunde aber anders!“

Im Gefängnis begann Mabuse sofort damit, sich eine neue Doktorarbeit zusammenzukopieren und durfte schon bald wieder seinen alten Titel benutzen. Angebote auf Ministerposten lehnte er jedoch ab. Er hatte wichtigeres zu tun. Er saß in seiner Zelle und brütete einen neuen Plan aus. Aber er musste vorsichtiger sein. Wie er nun wusste, wurde seine Tätigkeit bei Facebook vom Feind überwacht.

Früher, dachte er, da war alles anders gewesen. Da hatte man seine Pläne für Massenmord noch in einem Buch veröffentlichen können und niemand hatte sie vereitelt. Weil niemand las. Aber heutzutage? Zu faul, um ein Buch in die Hand zu nehmen, aber trotzdem den ganzen Tag vor dem Computer herumhängen und den Leuten mitteilen, was sie gerade nicht taten, worüber sie gerade nicht nachdachten und was sie als nächstes nicht tun würden. Dr. Mabuse lachte.

Ruhe!“ schrie sein Zellengenosse.

Mabuse verstummte sofort. Der Mann saß wegen Körperverletzung im Gefängnis, also war er offensichtlich nicht in einem sozialen Netzwerk, er behelligte die Leute direkt. Typen mit solchen Hobbys waren selten online zu finden. Oder überhaupt Leute mit Hobbys.

Der Doktor sah auf den Bildschirm. Und lächelte. Auf seiner „Dr. Mabuse Fanpage“ teilten ihm viele ihr tiefstes Bedauern über seine Verhaftung und das damit verbundene Sinken der Kriminalität mit. Die „Wählt Dr. Mabuse zum König der Verbrecher Gruppe“ wartete mit einer Auflistung seiner bisher geleisteten und seiner noch angestrebten Verbrechen auf, gab den Usern aber auch die Möglichkeit, sich Verbrechen zu wünschen oder eigene Verbrechen zu posten. Und auf der „Befreit Dr. Mabuse Seite“ gab es Tipps und Anregungen für den Ausbruch aus dem Gefängnis sowie einen Hinweis, warum er sich von der Dusche besser fernhalten sollte. Sein diabolisches Lachen wurde durch das angesäuerte Husten seines Zellengenossen abrupt unterbrochen.

Er hatte Anhänger, er hatte Genossen, er hatte Freunde dort draußen. Das wusste er, seit er eine neue Seite eröffnet hatte. Sie trug den schlichten Titel „Krieg“ und sie bewies, dass er auf dem richtigen Weg war: „5000 Usern gefällt Krieg“ war die klare Aussage der Facebook-Gemeinde. Mabuse lächelte diabolisch, damit sein Zellengenosse nicht wieder sauer wurde. Es gab viel zu tun.

Dr. Mabuse hat Dr. Mabuses Status kommentiert. Dr. Mabuse gefällt Dr. Mabuses Kommentar. Das waren wichtige Informationen, Dinge, die seine Anhänger, die seine Freunde dort draußen wissen wollten. Verbrechen wurden nicht mehr in der Dunkelheit der Anonymität ausgeübt, sie wurden von einem Filmteam begleitet, in Shows vorgestellt und von Jurys bewertet. In Formaten wie „Germany’s Nest Top Gangster“ und „Deutschland sucht den Superverbrecher“ würde schon bald der Nachwuchs der Unterwelt gecastet werden. Verbrechen lohnte sich wieder! Also wurde es Zeit, sein Profil zu aktualisieren. Bei „studiert“ hatte er angegeben: „die menschlichen Schwächen“, laut seinem Eintrag arbeitete er für „das Böse“ und wohnte derzeit in „der Hölle“. Lediglich die Angabe, er wäre auf der „Märchenwald Grundschule“ gewesen, stach ein wenig hervor.

Doch was saß er hier so untätig herum und überprüfte seine Freundschaftsanfragen? Er hatte Verbrechen zu planen, Menschen zu ermorden, Regierungen zu stürzen. Die Welt sollte im Chaos versinken und seine Mannen dort draußen sollten ihm dabei helfen. Das waren seine Facebook-Freunde, auf die er sich verlassen konnte, die ihm treu zur Seite standen und die ihn nie im Stich lassen würden.

Stürzen wir die Regierung, schrieb er deshalb voller Eifer.

Ich bin auch gestern gestürzt, antwortete sofort einer seiner Freunde.

Gute Besserung! schrieb jemand anders.

Hast du dir Weh getan? war eine gut gemeinte Frage.

Nicht sehr, aber das Bein ist gebrochen, beruhigte die Antwort.

Ich habe auch eben erbrochen, war daraufhin ein launiger, mit einem LOL versehener Kommentar.

Und die Regierung? wollte Mabuse seine Gemeinde auf das eigentliche Thema zurück bringen.

Bei der muss ich auch immer erbrechen, meinte ein Witzbold.

Ich könnt kotzen, wenn ich die sehe, war einer der weniger subtilen Kommentare.

Hab ich gerade, meldete sich der LOL-User von eben zurück, und: Wollt ihr mal sehen?

Dann veröffentlichte er eine Reine von Bildern, eins, das ihn beim Kotzen zeigte und zwei mit dem Resultat.

Ganz schön bröckelig, meinte jemand.

Hattest du Gummibärchen zum Frühstück? preschte jemand vor.

Mit Tomaten und Möhren? rätselte ein anderer weiter.

Und Bieeeeeer! schrieb LOL und stellte die Sounddatei eines Rülpsers online.

Dr. Mabuse verzweifelte. Das waren seine Untergebenen, seine Gehilfen, seine Helfershelfer, warum verhielten die sich wie unterbelichtete Idioten?

Die Regierung! schrieb er. Stürzen!!! mit drei Ausrufezeichen, aber ohne Emoticon.

Die stürzt doch von alleine, so wie die stolpert, schrieb jemand.

Sind nicht bald Wahlen? fragte ein anderer.

Die Wahlen sind vom Aussterben bedroht! meinte einer.

Das sind Wale, korrigierte jemand.

Wer den Wal hat, hat die Qual, meldete sich der Witzbold wieder zu Wort.

Wer den Kater hat, hat auch die Qual! kam es von LOL.

Mabuse seufzte. Das führte zu nichts. Das war nicht so wie früher. Da musste man nur ein Wort sagen und die Leute erfüllten seine Wünsche. Man hatte in seinem Namen Morde begangen, da war niemand auf die Idee gekommen, seinen Mageninhalt zur Schau zu stellen.

Weltherrschaft! schrieb er, schlicht und auf den Punkt.

Um wie viel Uhr? fragte jemand.

Schon bald! antwortete Mabuse.

Hab ich auch mal versucht, meldete sich LOL zu Wort, aber mein Abischnitt hat nicht gereicht.

Da hätt ich gar nicht die Zeit für! schrieb der Witzbold, doch Mabuse wusste, dass das eine Lüge war, denn der Kerl postete stündlich irgendwelchen Mist. Wenn einer Zeit hatte, dann der!

Ich erwarte eure Hilfe! lautete Mabuses Aufruf an seine Handlanger.

Ich erwarte den Pizzadienst, schrieb LOL.

Ich erwarte ein Kind, schrieb eine Userin aus Bayern.

Ich erwarte dich in der Dusche, schrieb ein bekannter Gewalttäter aus Zellenblock 6 und Mabuse wurde ein bisschen unwohl zumute. Das hatte er sich alles ein bisschen anders vorgestellt. Seine Facebook-Freunde hatten ihm helfen sollen, doch sie waren nutzlos. Er wollte Chaos. Er wollte Verwirrung. Er wollte Wege, die Polizei abzulenken und zu beschäftigen, während er seine teuflischen Pläne ausführte. Und dann hatte er es. Er lächelte böse vor sich hin, während er an seinem Plan tüftelte, einem Coup, der nicht Fehl schlagen konnte.

Erleben Sie das genialste Verbrechen des Jahrhunderts in:

Die Facebook-Party des Dr. Mabuse

NICHT MASSENTAUGLICH

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