Читать книгу NICHT MASSENTAUGLICH - Martin Cordemann - Страница 8

Als der Frühling kam

Оглавление

Der Frühling ritt in die Stadt und hielt sein Pferd vor dem Saloon an. Ed Winter, der Sheriff von Seasons Welch, wich vor ihm zurück. Die beiden hatten schon immer ein gespanntes Verhältnis gehabt.

„Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide“, hatte der Frühling gesagt, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Und er hatte Recht behalten. Immer, wenn Frühling in die Stadt kam, zog sich Winter zurück.

Auch Ron Sommer und Jo Herbst ließen sich nie blicken, wenn einer von den anderen in der Stadt war. Es war, als würden sie einander bewusst aus dem Weg gehen. Sie waren alle ebenbürtige Gegner, aber es wäre fatal gewesen, wenn sie sich gleichzeitig am selben Ort aufhalten würden.

Winter war ein kaltblütiger Hund. Er hatte schneeweiße Haare und man sagte, durch seine Venen würde Eiswasser fließen. Schon viele hatte er mit seiner Kälte in den Tod getrieben.

Sommer war eher der strahlende Typ. Er hatte eine trockene Art und ein sonniges Gemüt. Manche fanden ihn heiß. Aber auch an ihm konnte man sich die Finger verbrennen, wenn man nicht aufpasste.

Herbst war ein bisschen unstet. Seine Wechselhaftigkeit machte ihn zu einem unberechenbaren Gegner. Man sollte niemals mit ihm pokern, denn es ging das Wort, dass er nicht nur ein Blatt im Ärmel hatte, sondern dass bei seinem Anblick alle Blätter fielen.

Und dann war da Frühling, Steve Frühling, der eine warme Art hatte, bei dem die Leute dahinschmolzen und der sich durch seine blühende Phantasie auszeichnete. Er brachte die Menschen zum Lächeln, während Winter sie zu Hauff in den Selbstmord trieb. Gut, Winter hatte mit Cris Weihnachten einen starken Verbündeten, aber auch das half ihm nicht. Irgendwann war für ihn immer die Zeit gekommen, zu gehen – und dann trat Frühling auf den Plan.

Frühling band sein Pferd am Geländer fest und wollte gerade in den Saloon schlendern, da sah er, dass Winter sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Er stand noch immer auf der anderen Straßenseite, vor dem Büro des Sheriffs, und sah missmutig zu ihm herüber. Frühling tippte sich an den Hut und wollte weitergehen, aber Winter blieb einfach nur da stehen und starrte ihn an. Irgendetwas stimmte nicht, dachte Frühling. Aber was? Warum verzog sich Winter nicht, so wie er es immer tat? War er plötzlich mutig geworden? Hatte er sich mit einer Bande von Unwettern zusammengetan, die sich nun gegen ihn, den Frühling, auflehnen wollten?

Und dann geschah es. Die Tür zum Büro des Sheriffs öffnete sich und eine Gestalt trat heraus. Sie war groß und freundlich und leuchtete gülden. Frühling traute seinen Augen nicht. Das war kein verwitterter Bandit, das war kein verregneter Wegelagerer, das war kein jahreszeitlicher Gauner. Es war niemand anders als Weihnachten.

Aus dem Saloon hinter ihm hörte Frühling, wie der Klavierspieler „Oh du Fröhliche“ spielte. „Oh du Fröhliche“, nicht „Oh du Frühling“! Er hatte sich geirrt. Er war zu früh gekommen!

Winter schritt jetzt langsam auf ihn zu, flankiert von Weihnachten und Neujahr. Beide waren sie Frühling nie wohl gesonnen gewesen. Alle drei kamen langsam über die Straße, die Hände in der Nähe ihrer Colts.

Frühling sah zu seinem Pferd. Er konnte hinlaufen, aufspringen, davonreiten. Würden ihn die drei ziehen lassen? Würden sie verstehen, dass es nur ein Irrtum war? Er sah auf seine Uhr. Bestimmt war sie stehen geblieben, bestimmt hatte sie ihm deswegen die falsche Zeit angezeigt. Doch nein, sie lief. Und sie zeigte den 20. März an, Frühlingsanfang, der Zeitpunkt seines Erscheinens.

Dann erinnerte er sich. Sommer hatte ihm bei ihrem letzten Aufeinandertreffen diese neue Uhr geschenkt. Er hatte gesagt, sie wäre ein Geschenk, damit er immer pünktlich kommen würde, damit niemand zu lange auf ihn warten musste.

Und dann sah er es. Gegenüber, beim Haus des Totengräbers. Einen Sarg und einen Grabstein. Auf dem Stein stand „Jo Herbst – Mögest du für immer ruhen“. Daneben ein weiterer Sarg, ein weiterer Grabstein, noch ohne Aufschrift. Und dann verstand Frühling. Das ganze war eine Falle, ein Komplott, um ihn auszuschalten. Sommer und Winter hatten sich zusammengetan, um ihre Gegner aus dem Weg zu räumen. Sie wollten die Stadt unter sich aufteilen.

Frühling stand den dreien nun gegenüber. Die Luft schien den Atem anzuhalten. Drei gegen einen, das war nicht fair. Noch bevor Frühling diesen Gedanken zu ende gebracht hatte, zogen die drei ihre Waffen und streckten ihn nieder. Frühling bekam ein bescheidenes Grab auf dem Friedhof, direkt neben Herbst, Neumond und der immer ein bisschen selbstverliebten Sonnenfinsternis. Das Quartett der Jahreszeiten war um eine weitere Karte ärmer geworden. Aber wer würde gewinnen, wenn sich im Showdown Sommer und Winter gegenüberstanden? Nun, das ist eine andere Geschichte.

NICHT MASSENTAUGLICH

Подняться наверх