Читать книгу Nochmal Blut gegangen - Martin Cordemann - Страница 8

Der Barpianist

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Müde rieb sich Kelly die Augen. Er gähnte. "Noch eins", rief ein halb Betrunkener. Wahrscheinlich war nicht er gemeint. Kelly ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Von seinem Platz am Piano konnte er alles sehen. Keine lohnenden Frauen, wie üblich. Um diese Zeit befanden sich ohnehin nur noch ein paar Kreaturen in der Bar, die normalerweise morgens von der Müllabfuhr entsorgt werden sollten. Wenn abends hübsche, reizvolle Frauen die Bar betraten, waren sie gegen Ende von Kellys Arbeitszeit schon mit irgendeinem anderen – oder irgendeiner anderen – verschwunden. Manche auch allein. Wie Kelly. Manchmal fragte er sich, ob ihn die Frauen überhaupt wahrnahmen, ihn, den Barpianisten. Wahrscheinlich nicht. Man beachtete ja auch nicht die Musicbox, wenn sie spielte. Und schon gar nicht verabredete man sich mit einer. Barpianisten waren eine vom Aussterben bedrohte Art.

Noch einmal ließ Kelly seine Finger über die Tasten gleiten, Pink Panther von Henry Mancini, sein Lieblingsstück, dann klappte er den Klavierdeckel zu und lehnte sich auf ihn. Jedes mal wenn er gegen vier Uhr seinen Deckel zuklappte war er hundemüde. Wie lange würde es dauern, bis man auch ihn durch eine Musikbox ersetzen würde? Sein Drink, Scotch Whisky, pur, ohne Eis oder Wasser, war halb ausgetrunken. Er kippte den Rest und ließ noch einmal seinen Blick durch die Bar wandern. Der Betrunkene an der Theke trank etwas, das Kelly nicht näher identifizieren konnte, wankte dann zum Zigarettenautomaten und verschwand anschließend in der Herrentoilette. Nur noch Kelly und der Barkeeper befanden sich im Raum. Der nickte Kelly zu, als er sich bückte, um seine Tasche vom Fußboden aufzuheben. Undeutlich hörte er, wie sich die Tür der Bar öffnete, jemand herein kam, dann dröhnten zwei Schüsse durch die Bar. Die Tür zur Herrentoilette ging auf, der Betrunkene erschien und wurde sofort von ein paar Schüssen niedergestreckt.

Vorsichtig, ganz vorsichtig, sah Kelly über das Piano. Eine hübsche Frau, eigentlich genau die Art Frau, nach der er sich verzehrte, eine, die er schon öfter gesehen hatte, sah auf die beiden Männer herunter, die sie gerade erschossen hatte. Ohne Kelly zu bemerken drehte sie sich um und verließ die Bar. Wie oft hatte er diese hübsche Frau angesehen, sie angelächelt? Sie hatte ihn nie wahrgenommen. Sie hatte ihn nie bemerkt. Sonst hätte sie sich daran erinnern müssen, dass sie den Barpianisten nicht erschossen hatte. Aber der Barpianist war ja so etwas wie eine Musikbox, stand da und spielte Lieder. Wen konnte eine Musikbox schon bei der Polizei verpfeifen? Nie hatte sie ihn auch nur bemerkt. Kelly war tief gekränkt. Oder wollte sie einfach nur nicht zur Ausrottung einer aussterbenden Art beitragen? Genau so fühlte sich Kelly, wie eine aussterbende Art. Immer, wenn er am Klavier saß und vor sich hinspielte...

...sah er in den Raum. Langsam kehrte er aus seinen Gedanken zurück. Die Bar war noch halb voll und ein paar Tische entfernt saß diese wundervolle Frau. Sie ignorierte ihn. Die Bar begann sich langsam zu leeren und Kelly stimmte den Pink Panther, sein Lieblingsstück an. Die wundervolle Frau verließ gerade die Bar, zusammen mit einem Bodybuilder, ohne ihn, Kelly, den Barpianisten auch nur eines Blickes gewürdigt zu haben. Kelly war froh darüber. Wer konnte schon wissen, zu welchen Gewalttätigkeiten diese Frau fähig war? Sein Blick richtete sich auf den Betrunkenen, der aus der Toilette zurückkam. Der Barkeeper nickte Kelly freundlich zu. Kelly würde heute ein paar Minuten früher gehen als sonst. Er hatte keine Lust, von dieser oder irgendeiner anderen wundervollen Frau erschossen zu werden. Es gab auch andere Frauen. Irgendwann würde seine Zeit kommen.

Nochmal Blut gegangen

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