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Sportgroßereignisse

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Brasilien wird in den nächsten Jahren die beiden wichtigsten und größten Sportereignisse der Welt ausrichten: 2014 die Fußball-Weltmeisterschaft und 2016 die Olympischen Sommerspiele. Schon seit Ende des 20. Jahrhunderts investiert das Land in diese Veranstaltungen. So war Rio de Janeiro 2007 Gastgeber der Panamerikanischen Spiele. Das letzte Sportgroßereignis Brasiliens fand zuvor im Jahr 1950 statt, als man für die Fußball-Weltmeisterschaft das Maracanã-Stadion baute. Fragen, die sich daraus ergeben, sind beispielsweise: Was führte zu diesen verstärkten Investitionen in Sportgroßereignisse? Was verspricht man sich davon? Wie wird sich das Gesicht der brasilianischen Städte dadurch verändern? Welchen Einfluss haben diese Events auf den Sport, die Politik und das nationale Selbstverständnis?

In Bezug auf den Fußball, wie auch auf den Mythos Brasilien im Allgemeinen, beherrschen viele Vorurteile unsere Vorstellungen. Das liegt einerseits an den Brasilianern selbst, aber auch an den europäischen Beobachtern. Im Jahr 2000 feierte Brasilien seinen 500. Geburtstag. Dabei wurde seiner Entdeckung am 22. April 1500 durch die Flotte des portugiesischen Seefahrers Pedro Alvares Cabral gedacht. Freilich ließ man dabei aus den Augen, dass indianische Stämme schon seit mehreren Tausend Jahren hier siedelten. Mit der Ankunft der Europäer begann eine über 300 Jahre andauernde Kolonialzeit. Unzählige Migranten aus Europa kamen ins Land, und Millionen Afrikaner wurden hierher verschleppt, um als Sklaven auf den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen zu schuften.

Vor allem die exotisch anmutende Ethnienvielfalt weckte das Interesse europäischer, besonders deutscher Forscher, Reisender oder Abenteurer. Diese hinterließen zahlreiche Reisebeschreibungen, die fleißig an dem Mythos Brasilien strickten. Der erste war vermutlich der 1525 im hessischen Homberg geborene Hans Staden. Als Söldner reiste er mehrfach nach Brasilien, um dort portugiesische Siedler in ihrem Kampf gegen Indianer zu unterstützen. Was ihm dort geschah, darum ranken sich Legenden. Angeblich wurde er von kannibalischen Indianern gefangen genommen, entging aber dem Tod, als er dem Häuptling während einer Epidemie versprach, ihn mit überirdischem Beistand zu retten. Der Häuptling überlebte und so auch Hans Staden. Seine Erlebnisse wurden 1557 unter dem dramatischen Titel „Warhaftige Historia und Beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen“ veröffentlicht.

Fast 300 Jahre später stattete der österreichische Außenminister Fürst von Metternich anlässlich der Vermählung von Maria Leopoldine, Tochter von Kaiser Franz I., mit dem portugiesischen Thronfolger und zukünftigen Kaiser von Brasilien, Dom Pedro I., eine groß angelegte Brasilienexpedition österreichischer und bayerischer Wissenschaftler aus. In dem 14-köpfigen Forscherstab befanden sich nicht nur Botaniker, Zoologen und Mineralogen, sondern auch Landschaftsmaler, die alles Interessante festhalten sollten. Gemeinsam machte sich die Gruppe 1817 auf den Weg. Allerdings zerstritten sich die Mitglieder rasch und trennten sich. Auf österreichischer Seite sammelte der Naturforscher Johann Baptist Natterer anschließend eine enorme Menge an Tierpräparaten und ethnografischen Artefakten, die bis heute in Wiener Museen bewundert werden können. Er bereiste fast jeden Winkel Brasiliens und kehrte erst 1835 in seine Heimat zurück.

Auf bayerischer Seite taten sich besonders der Konservator Johann Baptist Ritter von Spix und der Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius hervor. Die beiden bereisten Brasilien bis 1820 im Auftrag des bayerischen Königs Maximilian I. Ihre Forschungen gingen weit über den zoologisch-botanischen Auftrag hinaus. Auch sie brachten eine große Sammlung an ethnografischen Objekten der Indianer nach München, wo sie den Grundstock des dortigen Völkerkundemuseums bildeten. Gemeinsam verfassten sie zudem die Trilogie „Reise nach Brasilien“, die zwischen 1823 und 1831 erschien.

Gerade der Kontakt mit den indianischen Ureinwohnern Brasiliens faszinierte nicht nur die Forschungsreisenden, sondern auch die europäischen Leser ihrer Werke. Von Martius sagte selber, dass er in eine unbekannte Welt aufbrach und dachte, er würde eine unberührte Kultur finden, die noch nicht von modernen Einflüssen verschmutzt ist. Nach seiner Reise revidierte er dieses Bild vom „edlen Wilden“ jedoch. Von Martius fand die Indianer nun eher abstoßend und bezeichnete sie als kulturloses Volk, das seine Geschichte vergeudet habe.

Am 7. September 1822 beendete der portugiesische Thronfolger Pedro die Kolonialzeit in Brasilien, indem er sich vom Mutterland Portugal lossagte und den brasilianischen Kaiserthron als Pedro I. bestieg. 1838 gründete sein Nachfolger Pedro II. das brasilianische Institut für Geografie und Geschichte mit dem Ziel, die nationale Identität zu definieren und zu stärken. Es wurde ein Wettbewerb ausgelobt, den von Martius mit der Arbeit „Wie man die Geschichte Brasiliens schreiben sollte“ gewann. In diesem Werk befasst er sich auch ausführlich mit den verschiedenen Ethnien in Brasilien: den Indianern, aber auch den Afrikanern und den Europäern. Seine rassistischen Schlussfolgerungen heben die Verdienste der europäischen Siedler hervor und beschuldigen die anderen Ethnien, ein Hindernis für den Fortschritt zu sein.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten dann die Völkerkundler Brasilien für sich. Die berühmteste Reisedokumentation dieser Zeit „Durch Central-Brasilien: Expedition zur Erforschung des Schingú“ (1886) stammt von dem deutschen Ethnologen Karl von den Steinen: Er klassifizierte die Indianerstämme und beschäftigte sich insbesondere mit ihren Sprachen. Dabei war von den Steinen viel weniger von Vorurteilen belastet als von Martius. Er betrachtete die Indianer weiterhin als Naturvölker, die sich in reiner und unbescholtener Weise von der Natur inspirieren lassen würden.

Das Verbot der Sklaverei 1888 führte zu landesweiten Aufständen bei Großgrundbesitzern und beim Militär. Ein Jahr später, am 15. November 1889, wurde durch die Ausrufung der Republik die Kaiserzeit beendet. Unterbrochen nur durch die Diktatur von Getulio Vargas (von 1937 bis 1945) und die Militärdiktatur (von 1964 bis 1985), ist Brasilien seitdem eine Republik.

Während der Regierungszeit von Präsident Getulio Vargas kamen zwei wichtige europäische Intellektuelle unter verschiedenen Umständen, aber mit ähnlichen historischen Vorzeichen nach Brasilien: der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig und der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss. Beide sollten typischen Missverständnissen aufsitzen, die zwischen Brasilianern und ihren europäischen Beobachtern häufig entstehen.

Im Falle von Stefan Zweig sollten diese Missverständnisse tragische Konsequenzen haben. Zweig war vor den Nazis nach Brasilien geflohen, wo er als berühmter Autor begeistert empfangen wurde. Nach den Erfahrungen im rassistischen Deutschland war er beeindruckt von der scheinbar friedlichen Form, in der die verschiedenen Ethnien in Brasilien zusammenleben. Aufgrund seines Ruhmes hatte er Zugang zu Präsident Vargas und bat diesen, mehreren Deutschen und Österreichern jüdischer Abstammung Asyl zu gewähren. Vargas war jedoch in erster Linie Politiker und somit wenig an ethischen Fragen interessiert. Deshalb versprach er Zweig, seiner Bitte nachzukommen, wenn dieser ein Buch über Brasilien schreiben würde.

Zweig ließ sich auf den Deal ein und veröffentlichte 1942 „Brasilien – ein Land der Zukunft“, eine aus heutiger Sicht naive Beschreibung des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Rassen in Brasilien. Er dachte, damit würde er gut bei der brasilianischen Leserschaft ankommen, täuschte sich aber. Denn alles, was er positiv darstellte, hassten die alphabetisierten Brasilianer: Sie wären lieber ein weißes, europäisches Land gewesen.

Vargas unterdessen war vor allem am Kriegsausgang interessiert, denn er wollte sich alle Kooperationsoptionen mit den möglichen Siegermächten offenhalten. Deswegen kam er den Bitten Zweigs nach Asylgewährung für einige Bekannte nicht nach. Und als Vargas dann 1944 an der Seite der Alliierten schließlich doch gegen Nazideutschland in den Krieg zog, war es für Zweigs Freunde zu spät. Ja, es war sogar für Zweig selber zu spät, denn nachdem er die Ausweglosigkeit seiner Lage und das politische Kalkül Vargas erkannt hatte, nahm er sich 1942 in Petrópolis bei Rio de Janeiro das Leben. Er war einem folgenschweren Irrtum aufgesessen und hatte den versteckten brasilianischen Rassismus nicht rechtzeitig erkannt.

Im Gegensatz dazu zeigte Lévi-Strauss wenig politisches Engagement und hatte auch nie Zugang zum Präsidenten. Aber auch er schildert 1955 in seinem Buch „Traurige Tropen“ die Turbulenzen der 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts, die ein europäischer Jude umschiffen musste, um nach Brasilien zu kommen. Zudem gesteht er, zunächst eine sehr verklärte und romantische Vorstellung von Brasilien gehabt zu haben. So trat er eine Stelle als Lehrbeauftragter an der Universität São Paulo an, in dem Glauben, an den Wochenenden in die Vororte fahren zu können, um Indianerstämme zu erforschen. Das erwies sich als Irrtum, denn São Paulo war schon damals eine Metropole, und die nächsten Indianerdörfer befanden sich mehrere Tagesreisen entfernt.

Lévi-Strauss konnte aber Mittel auftreiben, um eine monatelange Forschungsreise ins Innere Brasiliens zu organisieren. Das Ergebnis wurde unter dem bereits genannten Titel „Traurige Tropen“ in französischer Sprache veröffentlicht und gilt heute als Klassiker der anthropologischen Literatur. Detailliert stellt er vier verschiedene Indianervölker vor und beschreibt, wie unterschiedlich deren Kulturen sind. Schon der Titel des Buches signalisiert, dass der Autor vom Untergang dieser Kulturen überzeugt ist und ihnen nachtrauert.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Traurige Tropen“ hatte sich die öffentliche Wahrnehmung in Brasilien geändert. Man war inzwischen stolz auf seine sogenannte Rassendemokratie, in der angeblich alle Bürger unabhängig von der Hautfarbe den gleichen Zugang zu Bildung, Gesundheitswesen und Kultur haben. Trotzdem erfuhr Lévi-Strauss’ Buch zunächst wenig Aufmerksamkeit unter urbanen Gruppen, die Brasilien als modernes und zukunftsorientiertes Land definierten. Für sie waren im Urwald lebende Indianer weiterhin ein Symbol der rückständigen Teile des Landes.

Heute gehört Brasilien zu den wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt. Gemeinsam mit Russland, Indien und China bildet man die BRIC-Gruppe der neuen ökonomischen Mächte. Die heimische Wirtschaft exportiert in erster Linie Metallwaren, Erdölprodukte und Agrarerzeugnisse wie Soja und Fleisch. Brasilien hat ein ausgeprägtes und starkes kulturelles Leben mit international bekannten Schriftstellern (Machado de Assis, Paulo Coelho), Musikern (Caetano Veloso, Ivete Sangalo), bildenden Künstlern (Hélio Oiticica, Vik Muniz), Architekten (Oscar Niemeyer) und Kinoregisseuren (Fernando Meirelles – City of God, José Padilha – Tropa de Elite). Zu den bekanntesten Persönlichkeiten des Landes zählen neben den schon genannten Pelé und Lula auch Sozialwissenschaftler wie Paulo Freire, Gilberto Freyre und Roberto DaMatta.

Mit seinen 8.500.000 km² ist Brasilien etwa 24-mal so groß wie Deutschland. Es gibt immense regionale Unterschiede in Fauna und Flora, Küche, Aussprache des Portugiesischen und Kultur. Im Allgemeinen wird Brasilien in fünf Makroregionen geteilt.

Die Nordregion umfasst die sieben Bundesländer des Amazonas-Regenwaldes. Es handelt sich um den Bereich mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte; die Fortbewegung kann oft nur auf dem Wasser- oder Luftweg bewältigt werden. Ein Großteil der hier lebenden Menschen hat eine indianische Physiognomie. Typisch für die regionale Küche sind tropische Früchte mit wohlklingenden indianischen Namen wie Açai und Cupuaçu, Süßwasserfische aus dem Amazonas und die gelbliche, saure Manioksauce Tucupi. Die Region ist bei der WM 2014 durch Manaus, die Hauptstadt des Bundeslandes Amazonas, vertreten.

Der Mittelwesten wird bei der WM durch die Bundeshauptstadt Brasilia und seine futuristische Architektur repräsentiert. Die Landeshauptstadt wurde in den 1950er Jahren von Rio de Janeiro nach Brasilia verlegt, um der dortigen Infrastruktur auf die Beine zu helfen. Die drei Bundesländer des Mittelwestens haben große Bedeutung durch ihre riesigen Weidelandschaften und Sojaplantagen, die in der lokalen Steppe ideale Bedingungen finden. Cuiabá wurde nach Brasilia als zweiter WM-Standort der Region ausgewählt, um das dortige Feuchtgebiet Pantanal und seine Artenvielfalt touristisch zu erschließen. Die kulinarischen Spezialitäten konzentrieren sich auf Süßwasserfische, Wild und Backwaren.

Der Nordosten ist eine der bevölkerungsreichsten Regionen, die schon vor Längerem vom Tourismus entdeckt wurde. Namentlich die WM-Städte Salvador, Recife, Natal und Fortaleza sind für ihre Strände berühmt. Die Steppen des Hinterlandes indes werden regelmäßig von Dürreperioden geplagt. Regionale Spezialitäten sind getrocknetes Fleisch mit Maniok und Kürbis. Im Gegensatz dazu findet man in den Küstenstädten die besten Seefrucht- und Meeresfischgerichte des Landes. Salvador in Bahia ist bekannt für seine großen afrikanischen Einflüsse in der Küche, in der Musik und beim Tanz.

Am berühmtesten dürften die drei südöstlichen WM-Städte Rio de Janeiro, São Paulo und Belo Horizonte sein. Es handelt sich um die wirtschaftlichen Zentren des Landes. Während die ehemalige Hauptstadt Rio de Janeiro mit ihren Stränden und dem Regenwald ein Touristenparadies ist, überrascht die industrielle Megametropole São Paulo als Betonwüste mit intensivem kulturellen Leben. Hier kamen Anfang des 20. Jahrhunderts Millionen Migranten aus Europa, Japan und arabischen Ländern an. Die verschiedenen Gruppen übten allesamt Einfluss auf die regionale Küche aus, wobei Steak mit Reis und Bohnen am beliebtesten ist. Belo Horizonte ist berühmt für seine deftigen Eintöpfe.

Schließlich wurden mit Porto Alegre und Curitiba zwei Städte aus dem gut erschlossenen Süden als WM-Spielstätten ausgewählt. Nachfahren von Migranten aus Italien und dem deutschsprachigen Raum prägen hier das Straßenbild. Das Klima ist vergleichbar mit dem Italiens, und während der WM, die im brasilianischen Winter stattfindet, kann es durchaus kalt werden. Die kulturellen Einflüsse des Nachbarn Argentinien sind unübersehbar, und so nennen sich die Einwohner des südlichsten Bundeslandes Rio Grande do Sul auch „Gaúchos“, trinken Mate und sind berühmt für ihre Grillspezialitäten. Namentlich der deutsche Einfluss treibt im Süden Brasiliens manchmal interessante Blüten, die von Europa aus gesehen kurios anmuten.

Da es unmöglich ist, Brasilien in all seinen Einzelheiten vorzustellen, müssen zwangsläufig Schwerpunkte gesetzt werden. Ich möchte daher einige geschichtliche Entwicklungen des Landes nachzeichnen und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Verbindungen zu Deutschland legen. Unter diesem Aspekt ist vor allem das Bundesland Rio Grande do Sul an der Grenze zu Uruguay und Argentinien interessant. Begeben wir uns also auf eine kleine Zeitreise zu den Anfängen der europäischen Besiedlung dieser Region.

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