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Auf Spurensuche in Rio Grande do Sul

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Ich habe mich auf eine fast archäologische Suche begeben. Ich will die Anfänge des brasilianischen Fußballs ausgraben. Wie allgemein bekannt ist, wurde dieser heute so urbrasilianisch anmutende Sport von den Engländern erfunden. Doch wann hat man in Brasilien zum ersten Mal gegen den Ball getreten? Um diese Frage zu klären, muss ich mich in den äußersten Süden des Landes begeben. Ganz in der Nähe Uruguays im Bundesstaat Rio Grande do Sul liegt die kleine Hafenstadt Rio Grande mit knapp 200.000 Einwohnern. Von der Landeshauptstadt Porto Alegre sind es fast fünf Stunden Busfahrt. Rio Grandes Sport Club, ein von Deutschen gegründeter Fußballverein, gilt als der älteste aktive seiner Art in Brasilien. Was hat ausgerechnet Deutsche gegen Ende des 19. Jahrhundert in dieses abgelegene Städtchen getrieben? Und wie war es möglich, dass sie einen Fußballklub gründeten? Bisher hatte ich immer gedacht, Engländer seien die Fußballmissionare gewesen.

Die Bewohner des brasilianischen Südens haben den Ruf, etwas eigen zu sein. Sie werden, wie ihre Nachbarn in Argentinien, Gaúchos genannt, und auch ihre Bräuche sind sehr ähnlich. Auf der Straße sieht man Männer mit Ponchos, Lederhüten und kniehohen Reiterstiefeln. Es ist normal, dass jemand sein Matetrinkgefäß, mit Trinkrohr und Thermoskanne, unter den Arm klemmt und mit sich führt. Selbst der hier gesprochene Dialekt erinnert stark ans Spanische.

Der Bus nähert sich Rio Grande und der Mündung des Flusses, welcher der Stadt ihren Namen gab. Die Landschaft ändert sich nun ein wenig. Man sieht schon die ersten Seen und Flussarme, die alles in ein riesiges Sumpfgebiet verwandeln. Zwischen den Schilfblättern und den Seerosen blitzt immer wieder die sich im Wasser spiegelnde, tiefstehende Wintersonne. Draußen ist es schneidend kalt, ganz unbrasilianisch. Vereinzelt sieht man auf den Inseln Schweine oder Schafe, die in voller Wolle stehen. In wenigen Wochen werden sie geschoren. Das Bild wird jedoch bestimmt von unzähligen Vögeln, die von dem Nahrungsreichtum des Feuchtgebietes angezogen werden. Ich sehe Störche, Reiher, Schnepfen und viele kleine Schwärme von Vögeln, die Pirouetten drehen. An fast jedem Strommast kleben die aus Lehm gebauten, charakteristischen Nester des João-de-barro, des Rosttöpfers bzw. Lehmhans.

Eine mächtige geschwungene Brücke führt über die Sümpfe auf die Halbinsel von Rio Grande. Kurz nach den ersten Häusern erblickt man auf der rechten Seite das grün-gelb-rot gestrichene Stadion des Sport Clubs. Von Weitem leuchtet die riesige stolze Inschrift der Tribünenrückseite: „Erster Fußballverein Brasiliens!“ Ich bin am Geburtsort des brasilianischen Fußballs.

Der Bus setzt seine Fahrt fort durch die enge Hauptstraße. Vorbei an bunten kleinen Reihenhäusern aus dem 19. Jahrhundert, wie sie auch in Uruguay gang und gäbe sind, geht es zum Busbahnhof. Das historische Zentrum mit seinen beeindruckenden Gebäuden erzählt von vergangenen Tagen, in denen der Hafen von Rio Grande einer der wichtigsten Brasiliens war. Die Stadt hatte eine Zollstation, eine Bücherei und ein Theater. Unternehmer, die mit ihren Im- und Exportaktivitäten zu Geld gekommen waren, bauten sich kleine Paläste. Heute wirkt alles etwas heruntergekommen und verlassen. Es gibt kein Gebäude, von dem nicht der Putz bröckelt.


Hotel Paris in Rio Grande: Hier übernachtete schon Kaiser Pedro II.

Das Hotel Paris, in dem ich residiere, fügt sich nahtlos ein. Man sagt, dass hier schon Pedro II., der Kaiser Brasiliens, übernachtet habe. Ich betrete das zweistöckige Gebäude im portugiesischen Kolonialstil durch mächtige Holztüren. Die Lobby des Hotels, in deren Mitte ein funkelnder, schwerer Kristallleuchter hängt, ist eine weiträumige Eingangshalle mit schweren, barocken Möbeln. Links und rechts führen verschnörkelte Holztreppen hinauf zu den Zimmern. Am Ende der Lobby öffnet sich eine weitere Holztür zu einem Innenhof mit Pflanzentöpfen und Mosaikboden.

In meinem Zimmer stelle ich fest, dass das Hotel offenbar in der Kaiserzeit stehen geblieben ist. Es gibt weder Heizung noch warmes Wasser, und die Zimmerwände sind fast fünf Meter hoch. Kommende Nacht soll die Temperatur auf zwei Grad fallen, da könnte ich eine Modernisierung mit Einbau einer Heizung also durchaus vermissen. Aber irgendwie passt alles zusammen: die prunkvolle Schale, der bröckelnde Putz und das durchgelegene Bett. Genauso wie Rio Grande.

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