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1. Die Botschaft der Knochenflöte
im »Klagenden Lied«

Mahlers musikalische Produktion beginnt mit dem »Klagenden Lied«. An diesem Stück ist seine Stellung zur absoluten Musik ausführlich zu erörtern.

1.1 Zur Methodik

Wissenschaftlichen Arbeiten werden gemeinhin sogenannte methodische Überlegungen vorangestellt, in denen der Autor darlegt, nach welcher spezifischen wissenschaftlichen Vorgehensweise er sich seinem Stoff widmet, etwa »positivistisch« oder »hermeneutisch«. Darauf wurde hier bewusst verzichtet. Stattdessen erfolgte in diesem Buch mit dem ersten Satz der Sprung ins kalte Wasser. Dieses Vorgehen folgt der Hegel‘schen Einsicht, derzufolge das Schwimmen ausschließlich im Wasser gelernt werden könne. Vorgeschaltete theoretische Überlegungen gleichen dem Trockenschwimmen, denn Inhalt und Methode können nicht getrennt werden. Die jeweilige Art des Vorgehens muss aus dem behandelten Stoff selbst resultieren. Das entspricht Mahlers Kompositionsweise, die keinen starren Konventionen, wie etwa der herkömmlichen Sonatensatzform folgt. Die Form erwächst bei ihm aus dem Inhalt: »Daß ich sie Symphonie nenne, ist eigentlich unzutreffend, denn in nichts hält sie sich an die herkömmliche Form. Aber Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen. Der immer neue und wechselnde Inhalt bestimmt sich seine Form selbst.« (NBL, 35) Der in dieser Arbeit favorisierte Zugang (griechisch: methodos) zu Mahlers Werk besteht im Unbehagen am Konzept der absoluten Musik und deren zwischenzeitlich erstarrten Formen. Diese antimethodische Methode entspringt ihrem jeweiligen Gegenstand, schmiegt sich dem sich artikulierenden Inhalt an. Aus der Problematik des Ungenügens der absoluten Musik ergibt sich der Spannungsbogen, das »Klagende Lied« als Mahlers erstes Werk, mit dem er seinen eigenen Weg ging, angemessen diskutieren zu können. Die in diesem Werk sich artikulierende Melodie der Knochenflöte, also das klagende Lied i. e. S., stellt insofern absolute Musik dar, als sie tatsächlich von einem Instrument vorgetragen wird, der Knochenflöte. Sie stellt jedoch insofern das gerade Gegenteil instrumentaler Musik dar, als dieses Instrument durch den Gesang einer Knabenstimme ausgedrückt wird. Die absolute Musik beklagt darin sich selbst, ihr Ungenügen. Aber singend. Mithin gerade nicht absolut. Als Gesang verweist sie darauf, dass ihr zum Ganzen etwas fehlt: die Musik. Als absolute Musik zeigt sie, dass der Gesang aussteht. Beide vertreten sich wechselseitig und zeigen dabei, dass das jeweils andere fehlt. Das Ganze klagt darüber, dass es kein solches zu sein vermag. Die Klage der Musik über sich selbst theoretisch reflektiert nachzuvollziehen, darin besteht meine, sich aus der Sache selbst ergebende, Methode. Dieses Konzept unterscheidet sich von anderen möglichen Blicken auf Mahler, denen gleichfalls ihr Recht zukommt11.

Vorübung zu einer Kunst des Sterbens

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