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Afrika

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Der junge Bauer, Martin Boeremann, freut sich, in die Exportregion zu kommen. Dass die Frau auch dort ist, gefällt ihm natürlich noch mehr. Geschäftig wie er ist, will er den Urlaub mit seinem Beruf verbinden. Das ist sein Vorhaben.

Dort unten vermutet er unendliche Absatzgebiete für seine Büchsen. Monika Boeremann wartet schon am Flughafen mit dem Auto. Als sie ihn sieht, freut sie sich sehr. Gemeinsam fahren sie in die große Stadt. Es stört ihn nicht, an den ganzen Pappvororten vorbei zu fahren. Alles hat für ihn seine Bedeutung. Die Armen und die Reichen können gut neben einander leben. Nur, dass natürlich die Reichen nicht seine Büchsen kaufen. Die Reichen sind reich genug, die Büchsen von hier, aus Afrika, zu kaufen. Über die Büchsen aus Europa wissen sie Bescheid. Die wollen sie nicht. Da, und genau da schließt sich der Kreis wieder.

Die Reichen kaufen die Büchsen der Armen, die das Fleisch für die Büchsen liefern, um die Büchsen der Reichen zu kaufen, die billiger sind. Das zu einem Preis, der sich zeigen lassen kann. Natürlich gibt es zwischen dem Lieferanten der Europäischen Büchsen und dem Konsumenten noch eine ganze Kette von Leuten, die mitverdienen. Paradoxerweise funktioniert das Ganze dank der Union einwandfrei.

„Jeder muss leben.“ So auch er. Er lebt nicht schlecht von seinem Geschäft mit den Armen. Jeder verdient. Was brauchen die noch mehr Geld? Hier leben sie in Papphütten, das ist gut so. Sie müssen ja nicht heizen wie wir. Hier zu leben muss ein Traum sein. Ohne Stress und große Verantwortung. Einfach den Tag genießen und faul in der Sonne rumhängen“. Er kennt das alles. Seine Mutter gibt jeden Monat Geld für die Armen in Afrika. Sie hat viele Patenkinder in Afrika. So schließt sich für ihn der Kreis wieder. Sein Mutter gibt und er nimmt. Punkt. Gerechtigkeit nennt er es.

„Mit meiner Arbeit kann ich viele Leute ernähren. Das sollte man nicht vergessen“, sagt er sich selbst, immer noch entlang der Papphütten fahrend.

Das Auto verlässt die Vorstadt. Alles scheint sich für ihn zu normalisieren. Der Asphalt, die gepflegten Gärten, die Einfamilienhäuser alles kurz nach der Pappstadt. Er fühlt sich wieder wie in Europa.

„Na also, geht doch. Hier gibts auch normale Sachen“, denkt er sich, als er in die Hauptstadt einfährt. Monika fragt ihn noch, wie es zuhause laufen würde. Er aber scheint mit den Gedanken schon ganz woanders zu sein.

„Du weisst wir müssen uns nicht beeilen. Wir haben doch alle Zeit der Welt“, meint er zu ihr. Sie sieht ihn verwundert an. Dann schüttelt sie ihren Kopf mit dem Wissen, dass er es nicht aushält, so langsam durch die Straßen zu fahren. Er will arbeiten und das bevor er überhaupt angekommen ist. Aber dieses Ankommen scheint ihm nicht zu gelingen. Monika lacht und sie fahren vorbei an einer Bayrischen Wursterei und einem Tourismusbüro.

„Ja, eh wie bei uns zuhause. Nur wärmer hier, viel wärmer.“ Er denkt darüber nach, hier noch eine Zweigstelle seiner Firma aufzumachen, als sie zur Einfahrt ihres Hauses kommen. Die Dämmerung setzt ein. Seine Frau scheint aufgeregt. Sie hat für ihn etwas vorbereitet. Eine Überraschung. So denkt sie. Monika Boeremann ist Mitte dreißig. Sie hilft dem Bauern im Vertrieb in der Firma. Einen Beruf zu haben ist ihr wichtig. Vorher war sie Lehrerin an einer Grundschule. Es ging ihr nicht um das Geld. Das Glück definierte sie nicht nach materiellem Erfolg. Das erste Mal hat nicht funktioniert. Fehlgeburt. Leider. Dann die Firma. Ablenkung. Etwas anderes tun. Dann herausfinden, dass es mehr gibt, als ihr Wunsch, eine Familie zu haben. Sich zu haben. Im Jetzt zu leben. Dennoch mit wiederkehrenden Gedanken an eine eigene Familie. Da hat der alte Bauer sicherlich Mitschuld. Immer wieder stößt er die verschlossene Wunde auf. Sie weiss, sie ist stark genug, über seinen Worten zu stehen. Dennoch lässt sie es zu, verletzt zu werden. Vielleicht, weil sie doch noch einen Weg finden will, eine Familie zu gründen.

Monika will an eine glückliche Zukunft glauben, doch hinterfragt sie diese oft. Was für eine Zukunft? Was für ein Glück? Bei allen anderen scheint es ein Leichtes zu sein. Bei ihr nicht. Das Heim steht. Die Sicherheit, gegeben für eine sehr große Familie. Sie liebt ihn. Er liebt sie. Er liebt seinen Erfolg. Der Erfolg liebt ihn. Nur die Neider mögen ihn nicht. Aber da stehen beide darüber.

Er liebt sie, weil sie anders ist als die anderen Bauern und ihre Frauen. Sie liebt ihn. Den knochigen, harten Mann. Den Wortkargen. Sie mag das Leben mit ihm, obwohl es nicht das Leben war, dass sie sich erträumt hatte. Aber ein Leben. Ein gutes Leben.

Die Türe zu ihrem großen Haus, welches im Kolonialstil, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, erbaut wurde, öffnet sich. Eine alte Afrikanische Frau, in weissem Dienstkleid und gleichfarbiger Schürze begrüsst die beiden mit einem warmen

„Sir, Madame, willkommen.“ Sie nimmt ihnen ihre Tasche ab und geht ins Haus hinein.

„Ein gutes Haus“, meint Martin zu Monika. Sie hat sich einige der Häuser in der Gegend angesehen. Dieses ist wirklich eines der schönsten in diesem Bezirk. Vor allem der Garten und der Pool. Den Blick über die Unterstadt soll er sich zuerst ansehen. Wenn in der Nacht die Lichter der Stadt angehen, sieht es aus, als ob man in den Sternenhimmel sehen würde. Er fragt sie nach einem kühlen Bier. Er trinkt gerne Bier. Gerade nach so einer langen und anstrengenden Reise. Monika schickt die Haushälterin in die Küche, um die Getränke zu holen. Selber trinkt sie einen leichten Weisswein, gespritzt mit Mineralwasser.

Aufgereiht stehen sie neben der riesigen offenen Feuerstelle im Wohnrau. Drei kleine, schwarze, Mädchen in weissen Kleidern. Die Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden. Jede hat eine Orchidee auf der rechten Seite über das Ohr gesteckt.

„Wer sind die“ fragt er, als er sein Bier bekommt. Die Haushälterin sagt kein Wort. Mit ihren Augen deutet sie in Richtung seiner Frau.

„Sind sie nicht süss?“ fragt Monika ihren Mann mit einem erfreuten Lächeln im Gesicht.

„Gehören sie zur Haushälterin?“

„Nein“, unterbricht sie ihn.

„Es sind Strassenkinder. Sie haben niemanden. Kein Zuhause. Auch keine Eltern mehr, sagten sie. Sie kommen, um den Müll aus unseren Tonnen zu holen um damit ein paar Cent zu verdienen. Ich habe sie aufgenommen. Freiwillig. Sie wollten bleiben. Alle drei. Die vom Amt hier meinten, es sei gut von mir, das zu tun. Die Kinder von der Straße zu holen sei eine barmherzige Sache.“ Er nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner Bierflasche.

„Was soll das jetzt?“

„Ich weiss du willst ein Kind. Ich will es doch auch für uns. Für dich würde ich alles tun, was in meiner Macht steht. Sind sie nicht süss?“

„Sie sind schwarz. Ja, sie sind süss, aber schwarz. In unserem Dorf? Kannst du dir das vorstellen? Die Grubers, die Vietnamesen adoptierten, weisst du, wie schwer die Kinder es hatten? Da sieht man auf tausend Meter, dass die nicht ihre sind. Die da sind schwarz. Das wäre das gleiche.“

„Schau sie doch an“, meint sie.

„Das sind die liebsten Kinder die ich je gesehen hab. Sie haben eine Geschichte zu erzählen, dass muss ich zugeben. Aber wir können eine Familie sein. Hier würden sie nur sterben. Die Gangs würden sie ausnutzen und zum arbeiten nötigen. Dann, wenn sie älter sind werden sie zur Prostitution gezwungen. Das, hier, in dem Vorort der Stadt, ist ihr Todesurteil. Noch bevor sie zwanzig sind, werden sie an Krankheiten sterben wenn sie nicht vorher von einem europäischen Sextouristen erschlagen werden. Wir haben doch wirklich von allem alles. Es fehlt uns an nichts. Wir haben genug Geld um aus unserem Leben, mit den Kindern, eine Familie zu machen.“

„Aber sie sind schwarz!“ sagt er noch einmal, bevor er einen letzten Schluck aus seiner Flaschen nimmt.

„Komm jetzt, schick die Kinder, ich bin müde. Ich geh schlafen.“ Martin Boeremann verlässt sichtlich genervt den Raum. Sie sagt den Kindern, dass alles gut wird und er sie sehr gerne möge. Die Haushälterin hilft ihr bei der Übersetzung. Dann geht sie auch nach oben, während die Haushälterin die Kinder in ihre Zimmer bringt.

Annisas Flügel

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