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Der Flieger

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Es war ein Fahrrad aus den Fünfzigerjahren. Ein Männerrad, das heißt mit einer Querstange vom Sattel zur Lenkstange und einem sehr hohen Rahmen. Vater hatte es nach dem Tod der Großeltern nach Weitersfeld gebracht und bei Frau Sirf eingestellt. Uns Buben begeisterten der große runde Scheinwerfer, der breite Ledersattel und der weit ausladende Lenker.

Vater hatte das Rad nie repariert. So beschlossen wir eines Tages in den Ferien, das Rad selbst herzurichten. Zunächst wurde es vor unserem Haus gewaschen und geputzt. Unter einer dicken Dreckschicht kam das Steyr-Puch-Waffenrad zum Vorschein, was uns sehr beeindruckte, denn auch wir wussten schon um die Langlebigkeit dieser Räder.

Interessant war die Vorderbremse. Sie bestand aus einem senkrecht verankerten Eisenstab, der durch ein Loch im vorderen Kotflügel einen Bremsklotz mit Gummibelag von oben auf das Vorderrad presste, sobald man den Bremshebel zog. Die zweite Bremsmöglichkeit war der Rücktritt. Das Rad hatte keine Gänge. Ein kleiner, an das Vorderrad anklappbare Dynamo versorgte den großen Scheinwerfer und das Rücklicht mit Strom.

Auch wenn man den Sattel auf seine tiefst mögliche Position einstellte, so war doch der Abstand vom Sattel zum Boden so groß, dass wir alle vier nur beim Gartenmäuerl auf das Rad aufsteigen konnten. Die Herausforderung bestand darin, mit dem Rad zu fahren und aufzupassen, dass man nie stehen bleiben und absteigen musste, denn das konnte man nur durch seitliches Herunterspringen vom Rad bewerkstelligen, wobei das Rad dann meist mit lautem Getöse umfiel.

Georg war wie immer der Geschickteste von uns. Es gelang ihm sogar, einige Minuten am Stand zu balancieren, indem er das Vorderrad hin und her bewegte. Wenn zum Beispiel, was sehr selten vorkam, ein Auto vor unserem Haus vorbeifuhr, blieb er auf diese Weise abseits der Straße stehen, tänzelte mit dem Rad umher und fuhr danach wieder ganz gemütlich auf die Straße zurück.

Sowohl der Weg zum Mühlgang-Tumpf als auch der Weg zur Riesel und zu anderen unserer Lieblingsorte waren einspurige Wegerln, die sich von den umliegenden Wiesen und Unterholz nur dadurch unterschieden, dass auf ihnen kein Gras wuchs. Auf diesen schmalen Pfaden kam nun das Waffenrad zum Einsatz, nachdem wir es geputzt und geölt hatten. Es war auch der lang ersehnte Zuwachs zu unserer Fahrzeugflotte, zu der bislang ein kleines Kinderrad gehört hatte, mit dem jeder, der es fuhr, wegen seiner kleinen Übersetzung gegenüber den anderen zurückbleiben musste.

Georg fuhr zumeist mit dem Waffenrad. Er hatte aber das Problem, dass er als der kleinste von uns im seltenen Fall eines erzwungenen Abstiegs mit einem hohen Satz von diesem Riesenfahrrad springen musste. Wir anderen fielen regelmäßig mit diesem herrschaftlichen Fahrrad hin und verdankten ihm so manche Abschürfung an Händen und Knien.

Trotzdem wollten wir alle genau mit diesem Rad fahren. Es gab fast nichts Schöneres, als in der großen Höhe des Sattels mit dem breiten Lenker die Welt quasi aus dem ersten Stock zu betrachten und von oben auf die anderen Fahrräder herabzublicken. Irgendwer erfand den Namen „Flieger“ für das Fahrrad. Und genau das war es: das Gefühl des unbeschwerten Fliegens, wenn man mit diesem alten Fahrrad über Stock und Stein kreuzte.

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