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Stefflasphalt

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Als wir in den Sechzigerjahren nach Weitersfeld kamen, gab es kaum Asphaltstraßen. Vor unserem Haus führte eine Schotterstraße vorbei, auch die Straße bis ins Dorf, ja auch jene nach Mureck waren Schotterstraßen. Das machte das Fahrradfahren nicht gerade zum Vergnügen. Die blutigsten Wunden setzte es mit dem Flieger, wenn wir auf der Schotterstraße aus großer Höhe hinfielen.

In Weitersfeld gab es damals viele lange und harte Winter. Vater maß den Winter immer an der Menge an Koks, die er im Ofen während unserer Weihnachts- und Semesterferien verheizen musste, damit es im Haus behaglich warm war.

Vater fuhr vor den Ferien voraus nach Weitersfeld. Die Südautobahn gab es noch nicht. Die Bundesstraße war die berühmte Triester Straße, die Wien nach Süden verließ und auch in Graz die Südausfahrt darstellte. Sie galt als sehr gefährlich. Es gab nämlich bis Weitersfeld unzählige Ortsdurchfahrten. Immer wieder riss übermüdeten Autofahrern, oft auch Gastarbeitern, die im Urlaub möglich rasch zu ihren Familien nach Jugoslawien oder in die Türkei wollten und Tag und Nacht ohne Pause bis an ihr Ziel durchfuhren, der Geduldsfaden, und sie überholten im Ort oder im Überholverbot. Über die folgenschweren Unfälle wurde dann seitenlang in der „Kleinen Zeitung“ berichtet.

Graz – Feldkirchen – Thalerhof – Abtissendorf - Kalsdorf – Werndorf – Wildon – Lebring – Leibnitz – Retznei – Ehrenhausen – Spielfeld. Noch heute kenne ich jeden Bahnhof, bei dem der Zug stehenblieb. In Spielfeld stiegen wir dann in den Regionalzug, das „Bähnle“ – wie Vater es nannte – nach Weitersfeld.

Die Straße folgte der Bahnlinie. Besonders gefährlich war die Landscha-Allee, eine zehn Kilometer lange Gerade von Wagna bei Leibnitz bis Spielfeld-Straß. Es gab zwar eine fast durchgehende Sperrlinie, aber nirgendwo wurde so viel überholt wie hier. Und nirgendwo geschahen so viele Unfälle wie hier. Und das bei sehr hohen Geschwindigkeiten. Zu Allerheiligen wurden die Stellen, an denen es Todesopfer gegeben hatte, mit weißen Kreuzen gekennzeichnet und man fuhr wie durch einen Wald aus weißen Kreuzen: Es war erschreckend!

Vater wich der Bundesstraße 67 aus. Er fuhr nach Südosten, von Graz-Puntigam über Raaba zum Hühnerberg, dann nach Heiligenkreuz am Waasen und über St. Georgen an der Stiefing und Laubegg bis nach Gabersdorf und dann über die sogenannte Bauernautobahn über Weinburg, Brunnsee bis nach Weitersfeld. Auf dieser Straße, die auch sehr viele gerade Stücke hatte und ein schnelles Vorwärtskommen erlaubte, dauerte die Fahrt nach Weitersfeld eine Stunde.

Die kalten Winter in Weitersfeld waren auch feucht. Dazu trug sicher die Mur bei. Jedenfalls waren die Schotterwege stets mit einer Frostschicht bedeckt. Die wenigsten Baustoffe halten Feuchtigkeit und starken Frost aus. Die Kraft des frierenden Wassers ist unbezwingbar. So brachen schon während des Winters große Schlaglöcher in den Schotterstraßen auf und bei Frühlingsbeginn sahen die meisten Straßen aus, als hätten alle paar Meter kleine Bomben Trichter geschlagen.

Steffl war der Straßenarbeiter der Straßenmeisterei Weitersfeld. Er bewegte vor sich eine orange große Scheibtruhe, die an den Rändern mit rot-weiß-roten Streifen gekennzeichnet war. Die Scheibtruhe war voll Schotter. Steffls Aufgabe bestand darin, jeden Frühling alle Löcher in den Schotterstraßen Weitersfelds zu stopfen. Er machte dies hingebungsvoll und achtete dabei sehr sorgfältig darauf, dass ihm die Arbeit nicht ausgehen würde.

Sein Tag begann mit dem Beladen der Scheibtruhe. Geschwächt von dieser Arbeit, die er bei der Straßenmeisterei an der Bundesstraße zu erledigen hatte, schleppte er sich mühsam bis ins Dorf und sank beim Stockerwirt in die Gaststube. Hier war man sehr großzügig. Niemals musste Steffl alles bezahlen, was er so im Laufe eines Vormittags konsumierte. Und es war durchwegs hochprozentig, was er zu sich nahm. Leider hinterließen diese kräftigenden Schlucke Spuren an seinem Körper und er hatte eine dunkle, stark gegerbte Haut im Gesicht, wie man sie am Land bei all jenen sieht, die zu viel trinken und regelmäßig im Wirtshaus sitzen.

Steffl war sehr freundlich und gutmütig. Er grüßte alle, die an ihm vorbeifuhren. Manch einer blieb stehen, tratschte eine Runde mit ihm und dankte ihm dann für seine Arbeit.

Steffl schaffte mehrere hundert Meter am Tag. Die Straße sah danach wie ein Fleckerlteppich aus und die unebenen Stellen, an denen sich zuvor die Löcher befanden, machten das Radfahren um nichts leichter. Nach einigen Wochen, wenn viele Radler und Fuhrwerke über Steffls Meisterwerke gefahren waren, war der Schotter fest in den Boden gepresst und man merkte durch die Verwitterung auch farblich nicht mehr, wo Steffl den Belag geflickt hatte.

Diese spezielle Art des Straßenbelags nannten die Weitersfelder „Stefflasphalt“ und der Ausdruck wurde tatsächlich synonym mit Schotterstraße verwendet. Auf die Frage, wie eine Straße zu einem Gehöft beschaffen war, kam oft als Antwort: „Stefflasphalt“.

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