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Eine kleine Geschichte vorab

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Schau der Angst in die Augen und sie wird zwinkern. (aus Russland)

Es ist geschafft. Ich liege auf Amrum in einem schnuckeligen Strandkorb und erhole mich von den Strapazen der letzten Monate. Viel Arbeit und Stress prägten diese Zeit. Jetzt liege ich ruhig da und lasse mit dem Nordseewind meine ganzen Gedanken frei. Die Gedanken, die sich immer wieder um meine Existenzängste drehen. Drei Tage gelingt mir dies, am vierten Tag allerdings liege ich abends flach. Mit Schwindel und dickem Hals. Am nächsten Tag kommen noch Gliederschmerzen hinzu, bis ich schließlich an einem traumhaften, sonnigen Tag bewegungsunfähig und frierend unter riesigen Qualen im Garten liege.

‚Ach, wie schön haben es die Möwen, die sich frei am Himmel treiben lassen können, ohne auch nur einmal mit ihren Flügeln schlagen zu müssen!’ Ja, die Möwen haben es gut, denke ich noch, als es plötzlich laut wird am Himmel. Von überall her kommen Möwen angeflogen, formieren sich und kreisen über mir. Hunderte, Tausende fliegen hektisch und mit wichtigtuendem Geschnatter herum. Tatsächlich ist das Zentrum, um das die Möwen kreisen, genau über meiner Liege. Auf einmal sind die Möwen meine Gedanken und meine Gedanken sind die nordischen Aasfresser. Ohne System und in großem Chaos schwirren sie herum. Ohne Ziel. Ohne Sinn. Lautes Geschrei, hässliches Lachen und viel Geschiss prägen die nächste halbe Stunde, bis sie endlich wieder verschwunden sind. Mein fiebriger Wahn löst sich und ich habe, zwar noch unter Schmerzen, einen kristallklaren Geist, der versteht, wie meine Gedanken Ängste hervorbringen, wie diese Gedanken auch andere Menschen beeinflussen und vor allem, wie diese Ängste mich total bewegungsunfähig machten. Wie müssen diese Ängste mich die ganzen Jahre gefesselt haben!

Ich erinnere mich, wie ich viele Jahre lang schwermütig war und ein hoffnungsloses Gemüt hatte. Eine dunkle, düstere Wolke sank auf mich herab, bis ich nichts mehr sah und zu großen Teilen in einer hilflosen Antriebsschwäche versank. Diese Wolke aus puren Ängsten war sehr dick und stark. Ich fand nicht aus ihr heraus. Sie war ein Gemisch aus Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Existenzängsten, Weltschmerz, Lebensmüdigkeit mit vielen Zutaten wie Selbstmitleid und Zurückgezogenheit. Diese Depression war wie ein Labyrinth ohne Ein- und Ausgang. Ich war einfach darin gefangen. Egal welchen Weg ich ging oder auf welchen Gedanken ich kam, ich war gefangen und blieb liegen. Schließlich verkroch ich mich im Bett und wollte nur noch schlafen.

Hier auf meiner Liege in diesem wunderschönen Garten auf Amrum liege ich nun, immer noch bewegungsunfähig, eingemummelt in eine Decke, die mittlerweile schon Ätzspuren aufweist von diesem elenden Möwenschiss. Die Klarheit in mir tut aber wieder gut, nachdem ich die letzten zwei Tage wie in einem Wahn verbracht habe. Meine Ängste werden mir klar, die Ängste vor dem Leben, die Ängste, irgendwann mittellos unter einer Brücke zu liegen und zu erfrieren. Und zu verhungern.

Vor allem wurde mir aber dies klar, wie sehr meine Ängste mich am Leben hinderten. Wie sie mich mit ihrem Gewicht niederdrückten, mit ihren Krallen mir Wunden zufügten und vorgaben, mir die Wunden zu lecken, aber statt dessen auch noch gefühllos Essig hineinschütteten, bis ich total erschöpft und verzweifelt von selbst am Boden liegen blieb. Versuchte ich mich zu erheben, fehlte nicht mehr viel, um mich wieder ganz und gar auf den Boden zu werfen. Irgendwann blieb ich einfach liegen.

Aber auf Amrum sprach meine Seele zu meinem Geist: „Steh endlich auf. Lass dich nicht immer von Ungerechtigkeit und Egoismus anderer Menschen gängeln, drängen, verletzen, foltern, demütigen, vergewaltigen. Auch nicht von deinen Ängsten. Steh endlich auf, erhebe dich. Schau den Ängsten in die Augen und bleib stehen. Bleib einfach nur stehen. Lass dich vom Sturm des Lebens bewegen, aber lass dich nicht mehr brechen. Denn der Weg führt aus dem Licht in die Dunkelheit und wieder in das Licht. Und die Zeit der Dunkelheit ist jetzt vorbei. Erkenne das Leben in dir selbst und folge dem Licht. Steh endlich auf!“

Ja, das war es. Ich muss für mich endlich Partei ergreifen. Ich muss das „Fieberchen“ in den Fieber verwandeln. Ich muss für mich einstehen und endlich wieder aufstehen. Ja, das ist es, das magische Wort: aufstehen!

Von meinen schwierigen Erfahrungen in den Zeiten meiner Abhängigkeiten und den Kämpfen mit meinen Ängsten und Gefühlen, die ich vor diesem seltsamen Erlebnis auf Amrum hatte, möchte ich allen interessierten Seelen auf den folgenden Seiten erzählen.

Steh' endlich auf!

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