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Warum bin ich hier?
ОглавлениеIch wollte Milch und bekam die Flasche,
ich wollte Eltern und bekam Spielzeug,
ich wollte reden und bekam ein Buch,
ich wollte lernen und bekam Zeugnisse,
ich wollte denken und bekam Wissen,
ich wollte einen Überblick und bekam Einblick,
ich wollte frei sein und bekam Disziplin,
ich wollte Liebe und bekam Moral,
ich wollte einen Beruf und bekam einen Job,
ich wollte Glück und bekam Geld,
ich wollte Freiheit und bekam ein Auto,
ich wollte einen Sinn und bekam eine Karriere,
ich wollte Hoffnung und bekam Angst,
ich wollte ändern und erhielt Mitleid,
ich wollte leben ...
(Gedicht eines Abiturienten)
Bis zu meinem 25. Lebensjahr führte ich ein ‚normales’ irdisches Leben. Ich bekam eine Schultüte, war leidenschaftlich Kapitän in meiner Fußballmannschaft, spielte leidenschaftslos Klavier, sammelte Altpapier in meiner Nachbarschaft, hatte meistens einen Dreierschnitt in der Schule, diente nach dem Abitur in einem kalten, verregneten Dorf in Oberhessen meinem Geburtsland, trat aus der Kirche aus, machte eine Industriekaufmannslehre in meiner Geburtsstadt. Und hätte ich nicht vor ungefähr sechs Jahren gekündigt, würde ich dort auf meine Pensionierung warten. Meine Seele wäre längst verödet auf der Strecke geblieben. Aber zum Glück fügte es das göttliche Geschick, dass meine Öde im Leben in Form von Reiki mein Leben verschönerte.
Aber bevor ich von meinem neuen Leben erzähle, möchte ich kurz ein Ereignis aus meiner Kindheit schildern, das mich prägte und wahrscheinlich so passieren musste, damit ich die Erfahrungen lernen kann, die ich mir vor meiner Geburt ausgesucht hatte.
Dieses Erlebnis hatte ich ganz aus meinem Bewusstsein verdrängt. Damals war ich drei Jahre alt. Ein Junge aus meiner Nachbarschaft kam auf mich zu und stieß mich ohne Grund vor die Brust. Ich fiel auf den Hinterkopf und fing von diesem Moment an zu stottern. Nur ganz wenige Worte bekam ich danach ohne Stottern heraus. Dies hatte zur Folge, dass ich mich in meiner Zurückgezogenheit noch mehr in mich zurückzog. Mein vermeintlicher Minderwert sprengte alle Grenzen und ich wurde feige, ich wurde unterwürfig. Somit hatte ich noch mehr Angst, obwohl ich schon mit diesen Gefühlen auf der Erde angekommen war. Ich hatte noch mehr Angst vor Menschen. Die Angst hatte nun vollends mein Leben fest im Griff. Angst, grundlos von anderen Menschen umgestoßen und verletzt zu werden. Das Stottern verschwand zwei Jahrzehnte später. Die Angst aber blieb. Und meine Seele blieb damals auf dem Boden liegen. Sie hatte Angst, wieder aufzustehen.
Meine schon immer vorhandene Lebensunfähigkeit war wieder aufgebrochen. Ich zog mich wie ein Autist in meine eigene Welt zurück und wollte nie wieder herauskommen. Nie wieder wollte ich meine sichere, aber lebensfeindliche Welt verlassen. Ich fühlte mich wertlos, allein, dumm und ganz klein. Ich war feige, unterwürfig und vegetierte vor mich hin. Und doch wusste ich, dass tief in mir etwas Wunderschönes versteckt liegt. Wo ist es, und welchen Sinn meines Lebens gab mir Gott mit auf diese Erdenreise? Und genau das machte mich noch trauriger, weil ich nicht an dieses Schöne herankam. Ich hatte Angst zu leben, Angst mich zu freuen und Angst, alles falsch zu machen. Ich probierte nichts Neues aus, denn somit konnte auch wenig daneben gehen. So verbrachte ich meine Jugendzeit in meinem selbstgebastelten Gefängnis. Mein Gott, wie viel meines Lebens habe ich verängstigt verschlafen? Es schien mir, als ob meine Seele immer noch auf diesen kalten Pflastersteinen lag, wo mich der Nachbarsjunge umgestoßen hatte.