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VERSUCHSANORDNUNG

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Objekt 1: Du, Mitte zwanzig, sommergesprosst, wolltest als Kind Heißluftballonfahrerin werden, mit dem Heißluftballon einmal um die Welt oder zumindest einmal raus aus dem Lavanttal, aber als du dreizehn warst, hat man dir die Sandbeutel aufgeschlitzt. Seitdem rieselst du. Seitdem hebst du nur mehr selten ab und fliegst tief, ganz tief, unter jedem Radar.

Objekt 2: Er, Ende dreißig, schütteres Haar, schüttere Gedanken, vielleicht auch schüttere Absichten. Wollte als Kind gar nichts werden. Berufswunsch: Kind bleiben. Nur ganz kurz wollte er nach Hollywood und Schauspieler in Sexfilmen werden, aber dann haben ihm seine Freunde erzählt, dass die Brüste der weiblichen Darstellerinnen aus Plastik sind und bloße Attrappen. Also doch nicht Hollywood, sondern lieber Mietwohnung in Klagenfurt.

Du kennst ihn schon seit über zehn Jahren, kennst ihn noch mit vollerem Haar, kannst dich an den einen Tag erinnern, als er seinen Bart abrasiert hat, dass er dir nicht gefallen hat ohne Bart, du weißt, wie er riecht am Morgen, wie er riecht am späten Nachmittag. Weißt, wie er ausschaut, wenn er zu wenig geschlafen oder am Vortag zu viel Bier getrunken hat. Jetzt willst du wissen, wie er am Abend riecht und spät in der Nacht, wenn keine Busse mehr fahren. Und einmal willst du der Grund sein, warum er aufbleibt die ganze Nacht.

Er kennt dich, kennt deine Handschrift, hat jahrelang deine Buchstaben entziffert, dein Geschriebenes decodiert, hat seine Schrift über deine Schrift gelegt, ein Wechselspiel, ein Dialog – ein Palimpsest aus Nicht- und Fast-Gesagtem. Er weiß, dass du an heißen Sommertagen zu wenig anhast, er weiß, in welche Richtung du deine Locken um den Finger wickelst, wenn du nachdenkst. Und er weiß, dass dein Vater zu viel trinkt, dass dein Vater nicht weiß, wann es genug ist, auch wenn er nicht getrunken hat.

An ein Schicksal glaubst du nicht, also hilfst du nach. Schicksal ist Zufall, dem wir eine Bedeutung geben, hat er einmal gesagt. Dieser Satz ist hängen geblieben. Wie so viele andere seiner Sätze hängen geblieben sind zwischen deinen Zähnen. Seit du ihn nicht mehr gesehen hast, schmeckt alles, was die anderen sagen, nach Amalgam. Die Tage ohne ihn wie Plomben in deinem Kalender. Beim Strandurlaub in Italien füllst du eine leere Wasserflasche bis zum Rand mit Sand und verstaust sie in deinem Rucksack.

Er weiß zuerst nicht, ob er antworten soll. So etwas passiert doch nur in Büchern, denkt er, so etwas passiert doch nur in Filmen und in Serien. Und am Ende ist der Protagonist tot oder zumindest seine Existenz zerstört. Also antwortet er. Er schreibt: Sehr gern. Was machst du nächsten Samstag? Ich kenne da eine Bar ganz bei mir in der Nähe. Und dann schickt er noch die Adresse und eine Uhrzeit.

Jetzt hast du, was du wolltest: Koordinaten. Du hoffst, dass er immer noch raucht, hoffst, dass er nicht merken wird, dass dir Bier noch immer nicht schmeckt, hoffst, dass deine Sommersprossen nicht zu sehr leuchten im Licht der Bar, dass dein Kleid kurz genug ist und dass dein Träger in den richtigen Momenten rutscht, aber nicht zu weit. Es ist eine Inszenierung, die Art, wie du ihn begrüßt, ist eine Inszenierung, deine Lippen auf seinen Wangen, deine Lippen streifen seine Mundwinkel. Du hast gut aufgepasst, du hast viel von ihm gelernt: Du weißt, wie wichtig die Exposition und was ein erregender Moment ist. Ihr bestellt das erste Bier. Die Handlung steigt, und in dir drinnen rieselt der Sand jetzt langsamer.

Er weiß, welche Wirkung seine Stimme hat, wenn er erzählt von den Jahren, wenn er erzählt von früher, wenn er das Wort WIR verwendet, weiß, welche Wirkung seine flüchtigen Berührungen haben, wenn er dich am Oberarm berührt oder am Rücken. Jetzt glaubt er zu wissen, wie deine Haut funktioniert, jetzt glaubt er zu wissen, warum du da bist. Er zählt die Sommersprossen auf deiner rechten Wange anstelle der Jahre zwischen euch.

Es wird spät, und jetzt weißt du, wie er riecht, wenn die Busse nicht mehr fahren. Im Stiegenhaus fummelst du mit seinem Gewissen. Er holt eine Flasche Wein aus seiner Wohnung, und ihr klettert auf das Dach. Klagenfurt ist nicht Hollywood, sagt er und macht deinen BH auf. Du schmeißt die leere Weinflasche auf die Straße. Es ist zu dunkel, um den Sand zu sehen, der von deinen Lippen abhebt. Die Masken verrutscht, die Kostüme zu groß oder zu klein. Zwei Objekte ohne Fall.

Wie man Dinge repariert

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