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SEEUNGEHEUER

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Aus den Augen verloren, dich,

in ein Taschentuch gewischt, dich,

auf einer ungefähren Landkarte eingezeichnet, dich,

wo früher Seeungeheuer gewartet haben: ich.

Seit Wochen schon reden wir kein Wort. Wir sehen uns regelmäßig, es lässt sich nicht vermeiden, zu klein die Stadt, zu klein der Bezirk, wir schauen aneinander vorbei, schauen durch uns durch, manchmal passiert es auch, dass wir reinschauen, ich in dich und du in mich, dann bekommen wir Angst, weil da so viel ist, was wir nicht kennen, so viel ist, was wir nicht verstehen, so viel ist, was wir noch immer wollen, weil wir so nackt sind da drinnen.

In einem schwachen Moment Eichendorff zitiert, schon wieder, ich,

wieder einmal ohne Rhythmus und Reim geküsst, dich,

deine Augen verdreht bis zum Horizont und weiter,

als hätt der Mond die Erde, im falschen Film, schon wieder, ich.

Irgendwann passiert es dann wieder, wahrscheinlich, weil drei Monate vergangen sind und wir einmal pro Quartal zusammenstoßen müssen, einmal pro Quartal kommt es zur Kollision, es beginnt immer ganz harmlos, wir nehmen dieselbe U-Bahn, wir wechseln ein paar Worte, alles noch relativ harmlos, du lachst über mich und meine Halbsätze, nicht mehr ganz so harmlos, dann kommt meine Station und ich frage dich, ab jetzt ist nichts mehr harmlos, ob du schon genug hast von mir, also steigst du auch aus, weil du hast noch nicht genug von mir oder willst zumindest wissen, was ich mit dieser Frage meine, du willst zumindest wissen, wie sehr ich dich will und warum.

Dein Herz: eine Sommerrodelbahn im Winter, und schau,

deine Sprache: ein Getränkemarkt zu Silvester, und schau,

deine Küsse: Reservierungsbestätigungen per E-Mail, und schau,

LIEBEN HEISST, DAS EIGENE ICH RISKIEREN.

Keines unserer üblichen Lokale hat um diese Uhrzeit offen, also nehmen wir das nächstbeste, und du bestellst einen weißen Spritzer nach dem anderen und für mich immer ein großes Bier dazu, weil du mich nur aushältst, wenn du dich gleichzeitig betrinken kannst, nüchtern hältst du mich nicht aus, also betrinkst du dich, und nach dem fünften weißen Spritzer schiebst du deine Hand unter den Tisch, und du öffnest meinen Reißverschluss, ganz langsam, nach dem fünften weißen Spritzer unterstellst du mir, nur Sex zu wollen von dir, immer nur Sex, aber nicht deine Liebe. Was auch immer deine Liebe ist, wie auch immer deine Liebe funktioniert.

Ein paar Tage am Meer, ein paar Tage am See, wir,

der Hotelpianist spielt nur für uns, er trinkt:

kleine Bier und zwischendurch Likör, er spielt:

ein Lied, zu dem wir uns gerne verliebt hätten, einmal.

Dann muss ich weg, ich habe einem Freund versprochen, noch auf seiner Geburtsparty vorbeizuschauen. In der Straßenbahn schreibe ich einen Text, eine lange Liste mit Gründen, warum wir es noch einmal probieren sollten miteinander. Und ich stelle mir vor, wie ich später zu dir komme, dir die Liste vorlese und du mich vielleicht umarmst oder zumindest mich nicht mehr ganz so schrecklich und unmöglich findest, nur, weil ich ein Trottel bin, der sich nicht entscheiden kann, sich schon jahrelang nicht für dich entscheiden kann, obwohl er immer wieder zurückkommt zu dir, nicht loskommt von dir. Und ich stelle mir vor, dass du vielleicht sagst: Komm her, du Trottel, bleib heute Nacht bei mir.

REALITY CHECK, sagst du, ich erhöhe, ALL-IN, sage ich, kein Umtauschrecht, sagst du, keine Garantie, und ob wir eine gute Idee sind, weil die Wirklichkeit taucht alles in ein schwindeliges Licht, taucht uns unter.

In der Zwischenzeit bestellst du noch einen sechsten weißen Spritzer und dann vielleicht einen siebten, lernst den Typen vom Nebentisch kennen, er wohnt bei mir im Haus. Und während ich an meiner Liste schreibe, während ich schon auf der Rückseite weiterschreibe, weil mir immer mehr Gründe einfallen, gehst du mit zu ihm. Und während ich mir überlege, wer du bist für mich, ziehst du dich ein Stockwerk unter meiner Wohnung aus. Und während ich an deine Haut denke und wie sehr ich will, dass sie nur mir gehört, drückt sich dein nackter Rücken hinein, immer fester hinein in die Matratze meines Nachbarn.

In Bauchnabeln angesammelt deine Zweifel, restfeucht, ein fremdes Haar, an dem du baumelst, das Revier markiert, der Wind beschädigt, dein Blick schreit Mord, meiner Totschlag.

Auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten wir dann gemeinsam. Ich weiß nicht, warum ich hier bin, in deiner Wohnung, ich weiß nicht, warum ich jetzt deine Hand halte, während wir auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten, ich weiß nur, dass ich hier bin, dass ich in diesem Moment deine Hand halte, in deinem Bauch vielleicht ein Seeungeheuer, und ich halte deine Hand. Vielleicht zum letzten Mal. Wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.

Aus den Augen verloren, dich, in ein Taschentuch gewischt, mich, auf einer ungenauen Landkarte eingezeichnet, uns, wo früher wir gewartet haben: ein weißer Fleck.

Wie man Dinge repariert

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