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Teje und Eje

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Am Fluss, der aus der Unterwelt, aus dem Himmel und aus der Erde kommt, dessen Über­schwemmung Götter und Men­schen beglückt, der die Stadt Iti-tawi ergreift und in gehei­mem Lauf in das Delta strömt, an diesem Fluss, der zwischen Felsen im Osten und Westen das fruchtbare Land durchfließt und hier bei Ipu träge seine Flut nach Norden wälzt, sitzen ein Mädchen und ein Knabe, Teje und Eje.

Teje ist ein munteres Mädchen von sechs Jahren. Von sei­nem runden Köpfchen fällt die schwarze Jugendlocke. Dunkle, beinahe schwarze Augen blicken gewitzigt in die Welt. Die Lippen formen sich zu einem kleinen Schmoll­mund. Ein leichtes, kurzes Trägerröck­chen verbirgt kaum den dunkelhäutigen Körper, der die nubische Herkunft des Mädchens erahnen lässt.

Der Knabe ist wenig älter. Auch er scheint nubischer Her­kunft zu sein und lässt ver­muten, dass die beiden Geschwis­ter sind. Doch dem ist nicht so. Teje wohnt nur ein paar Schritte von hier in einem Haus, das ihren Eltern Juja und Tuja gehört. Eje wohnt ungefähr zwanzig Häuser weiter flussabwärts. Doch die beiden sind unzertrennlich, seit sie sich in der Schule kennen gelernt haben. Sie sind die flei­ßigsten und intelligentesten ihrer Klasse. Sie kennen schon einige hundert Hieroglyphenzeichen und haben schneller als die andern lesen gelernt. Auch die Zahlen sind ihnen nicht mehr fremd. Nach der Schule sitzen sie oft am Ufer des Flus­ses und stellen sich gegenseitig Aufgaben im Addieren und Subtrahieren, die sie rasch und meistens richtig im Kopf lö­sen.

Heute hat Teje ihrem Freund eine schlechte Nachricht mit­zuteilen. Sie hat gehört, wie ihr Vater Juja zu Tuja, seiner Frau, gesagt hat, dass er nach Memphis ziehen möchte. Nein, nicht nur auf eine Reise, sondern für immer.

Juja ist einer der vielen Priester des Min, des Gottes der Fruchtbarkeit. Der Tempel des Min in Ipu ist das Zentrum seines Kultes in Ägypten. Priester zu sein ist nichts Besonderes, es gibt davon Hunderte. Manche reinigen den Tempel oder bestellen die Felder, denn zu dem Tempel gehören große Ländereien. An­dere Priester arbeiten in den Stallungen. In einem besonderen Stall steht der Stier, dessen Stärke und sexuelle Kraft die Fruchtbarkeit des Gottes verkörpert, der im Tempel in einer Statue aus schwarzem Stein und als kraftstrotzender Mann mit erigiertem Phallus dargestellt ist.

Juja ist ein intelligenter Mann. Er kann lesen und schrei­ben. Obwohl er nubischer Abstammung ist und seine Eltern keinen vornehmen Familien angehörten, ist er Vorsteher der Ochsen des Min geworden. Doch er ist ehr­geizig und möchte höher hinaus. Deshalb hat er sich etwas ganz Besonderes vorgenommen.

Schon zu Zeiten der Pharaonen Mentuhotep und Sesostris gab es große Feste in Ipu. Zu Beginn der Aussaat und zu Be­ginn der Ernte wurden kultische Feste abgehalten. Dann kam der Pharao nach Ipu. In einem langen Zug der Priester und des Volkes trug man die Statue des Min aufs Feld. Der Pha­rao hackte ein Stück Erde um und bewässerte es oder erntete einige Büschel Getreide und band sie zu einer Garbe zusam­men. Der Gott schaute dem Pharao bei seiner zeremoniellen Handlung zu, und der Hohepriester sprach dazu die rituellen Verse, damit Min dem Land Fruchtbarkeit schenke und eine gute Ernte.

Auch jetzt noch werden in Ipu Feste gefeiert. Doch der Pharao geht nicht mehr auf das Feld. Er opfert dem Gott in seinem Tempel. Das Fest dauert mehrere Tage. Es wird viel gelacht und getrunken, die Menschen berauschen sich, und dabei wird nicht nur an die Fruchtbarkeit auf den Feldern ge­dacht. Bevor der Pharao in seine Residenz zurückkehrt, emp­fängt er im Tempel Priester und Leute aus dem Volk, die Klagen oder Bitten an ihn vorbringen. Beim letzten Fest, das vor kurzem stattfand, hat sich auch Juja ein Herz gefasst. Er hat fein säuberlich auf einem Papyrus eine Bittschrift in Hie­roglyphenschrift geschrieben. Die hat er dem Pharao über­reicht. Thutmosis ist der kluge Mann mit dem fein geschnittenen Gesicht, der markanten Nase und den schmalen Lippen schon vorher unter den Bittstellern aufgefallen. Er hat erkannt, dass Juja zu Höherem berufen ist, und hat ihm seine Bitte erfüllt. Er hat ihn zu einem Schreiber am Hof in Memphis, seiner Lieblingsresidenz, ernannt. Mindestens einmal im Jahr residiert er zwar auch in Theben, im alten Waset, das auch Niut, Stadt der hundert Tore, oder Niut-Amun, Stadt des Gottes Amun genannt wird. Doch Thutmosis zieht die Residenz in Memphis vor, wo auch der größte Teil des Heeres stationiert ist, denn wenn Gefahr von den fremden Völkern droht, dann aus dem Norden von den Hethitern oder den Assyrern oder Babyloniern. Im Süden sorgen die nubischen Fürsten unter der Kontrolle der ägyptischen Gouverneure in Wawat und Kusch für die Sicherheit Ägyptens. Zurzeit ist allerdings auch die Lage im Norden verhältnismäßig ruhig.

Teje hat alles, was sie daheim gehört hat, wie es dazu kam, dass die Familie nach Memphis zieht, ihrem Freund erzählt. Eje ist bestürzt über diese Nachricht. Denn Memphis ist weit weg von Ipu. Mit dem Schiff braucht man einige Tage, auch wenn einen die Strömung rasch zum Delta hinab trägt.

Eje liebt das Mädchen und möchte es nicht verlie­ren. Teje ergeht es ähnlich. Sie bewundert den groß gewachsenen, starken Jungen. Für sie ist er wie ein Bruder. Doch er ist anders als Aanen. Der tut schon so erwachsen. Er ist älter als Eje. Aanen nimmt sie nicht ernst. Sie wollte, Eje wäre ihr Bruder. Und Eje? Er denkt nicht darüber nach. Er hat keine Schwester, weiß nicht, wie das ist. Er weiß nur, dass er sich jeden Tag auf die Begegnung mit Teje sehnt und dass ein wohliges Kribbeln über seine Haut fährt, wenn sie sich so nahe kommen, dass sich ihre nackten Arme manchmal wie von ungefähr berühren.

„Wenn ich älter bin und meinen Eltern nicht mehr gehorchen muss, komme ich nach Memphis“, verspricht Eje seiner Freundin. „Ich werde dich schon finden, und dann heiraten wir.“

Das ist ja noch besser als nur ein Bruder, denkt Teje. Aber da muss ich ja noch lange warten. Und ob er mich bis dann nicht vergisst? Sie ist glücklich über dieses Versprechen. Doch es genügt ihr noch nicht. Sie will eine Besiegelung dieses Gelöbnisses.

Sie denkt nur kurz nach. Dann hebt sie einen scharfkantigen Stein am Ufer auf, dreht ihn in der Hand und besieht ihn von allen Seiten. Ohne zu zögern ritzt sie sich den Arm auf. Sogleich dringt Blut aus der kleinen Wunde. Sie hält Eje den Arm hin und fordert ihn auf:

„Trink mein Blut!“

Er hebt ihren Arm an seinen Mund und saugt das Blut auf. Dann nimmt er ihr den Stein aus der Hand und ritzt auch sich die Haut auf.

Teje drückt ihre offenen Lippen auf seinen Arm, sobald sie das Blut herausquellen sieht, und schluckt sein dunkles Blut.

„Jetzt sind wir auf ewig verbunden“, frohlockt sie.

„Ja, ich werde dich heiraten, sobald ich dich in Memphis gefunden habe“, antwortet er. „Ich möchte Soldat und Wagenlenker und später Offizier oder Heerführer werden. In Sile ist der größte Teil des Heeres stationiert. Sile liegt im Delta, das ist nicht weit von Memphis. Dann werde ich immer in deiner Nähe sein.“

„Aber dann darf nie Krieg werden“, meint Teje, „sonst musst du in die Schlacht ziehen, und dann bin ich wieder allein.“

„Wenn die fremden Völker gegen uns in den Krieg ziehen, werden wir sie rasch besiegen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde bald wieder bei dir sein und dich beschützen.“

Teje ist überzeugt, dass Eje die Feinde besiegen wird. Dass er in der Schlacht sein Leben verlieren könnte, denkt sie keinen Augenblick. In ihren Augen ist Eje ein Held, der unsterblich ist.

„Vergiss nie“, beschwört Eje das Mädchen, „dass du jetzt mein Blut in deinem Körper hast, so wie dein Blut in mir fließt. Wir gehören zusammen in diesem Leben, und unsere Kas sind auch unzertrennlich im jenseitigen Leben.“

Auch Eje denkt nicht, dass er im Krieg umkommen könnte. Trotzdem hat er natürlich wie Teje als Kind einer Familie, die nicht wie die Bauern und Handwerker dem niederen Volk, sondern einer bevorzugten Oberschicht angehört, bereits in der Schule gelernt, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Auch er hat schon erlebt, dass verstorbene Nachbarn einbalsamiert wurden, und hat dieses Geschehen mit dem in der Schule Gelernten in Verbindung gebracht. Ka, Ba und Ach, wurde den Kindern beigebracht, seien unsichtbare und unzerstörbare Bestandteile des Menschen.

Beide, Eje und Teje gehen gerne in die Schule. Sie haben auch gelernt, dass das Ach eine schöpferische Kraft ist, die man täglich erneuern und vermehren muss. Dazu dient auch die Schule. Das Wissen, das einem hier vermittelt wird, vermehrt diese Energie, die dem Ach innewohnt. Wenn es ihnen einmal in der Schule doch nicht so gut gefällt, weil sie lieber draußen spielen oder schwimmen gehen möchten, dann denken sie einfach an ihr Ach, das sie auf keinen Fall vernachlässigen oder gar verkümmern lassen wollen. Nur mit einem starken Ach können sie es im Leben zu etwas bringen. Und das wollen beide.

Auch über die andern beiden unsterblichen Elemente im Menschen wissen sie Bescheid. Der Ba, so wissen sie, könne, wenn die Mumie im Grab eingeschlossen sei, aus ihr entweichen und wie ein Vogel das Grab verlassen und alle Mauern durchdringen, müsse aber immer wieder zu ihr zurückkehren.

In seiner kindlichen Fantasie stellt sich Eje in den kommenden Tagen und Wochen immer wieder vor, dass er, wenn er doch einmal in einer Schlacht umkommen sollte, als bunter Eisvogel zu Teje fliegen und sich auf ihre Schulter setzen würde. So könnte er jeden Tag bei ihr sein und müsste sie nur des Nachts verlassen, um in sein Grab zurückzukehren. Und wenn auch Teje einmal tot sein würde, so malte er sich aus, dann könnten sie zusammen als zwei verliebte Vögel über ganz Ägypten hinwegfliegen und die Welt erkunden.

Heute, an diesem Tag jedoch, sind beide glücklich und verbringen noch viel Zeit mit Spielen am Ufer. Doch noch ehe Re am Horizont hinter den Felsen verschwindet und vom Mund der Göttin Nut verschlungen wird, um am Morgen erneut aus ihren Lenden geboren zu werden, hört Teje ihren Namen rufen. Es ist Tuja, ihre Mutter, die sie ruft.

Nur ungern trennt sie sich von Eje. Erst als er ihr verspricht, dass er sie jeden Tag nach der Schule hierher an den Nil begleitet und sie noch eine Weile zusammen bleiben, verabschiedet sie sich und eilt barfüßig nach Hause.

Teje drückt ihre Hand auf die kleine Wunde an ihrem nackten Arm. Doch lange kann sie sie nicht verbergen. Auf Mutters besorgte Frage weicht sie aus. Sie habe sich an einem Strauch die Haut aufgekratzt. Etwas ungläubig schaut die Mutter das Mädchen an, das mit einem verlegenen Lächeln die kleine Lüge zu vertuschen sucht. Doch weil die Wunde zu bluten aufgehört hat, bohrt Tuja nicht weiter, sondern holt aus ihrer Schlafkammer eine kleine Dose und reibt ihrem Kind die Wunde mit einer heilkräftigen Salbe ein.

Aanen, Tejes älterer Bruder, hat seine Schwester durchschaut. Er zwinkert ihr zu. Er vermutet, dass ein kleines Geheimnis dahinter steckt und möchte sich gerne zum Komplizen und Mitwisser machen. Sobald sie allein sind, bohrt er mit Fragen nach. Doch vergeblich. Teje gibt ihr Geheimnis nicht preis, auch nicht in den folgenden Tagen, in denen Aanen sie immer wieder zu bedrängen sucht.

Es dauert noch einige Monate, bis Juja mit seiner Frau und den beiden Kindern und mit Hab und Gut nach Memphis zieht.

An dem Tag, da die Familie das Schiff besteigt, das, nachdem es abgehoben hat, langsam von der Strömung weggetragen wird, steht Eje am Ufer und winkt seiner Freundin nach, bis das Schiff seinen Augen entschwindet. Die beiden Kinder haben ihr mit Blut besiegeltes Versprechen nicht vergessen. Noch ein letztes Mal hatten sie sich gegenseitig daran erinnert und es erneut bekräftigt, ehe sie sich umarmt und Eje die Abschiedstränen Tejes an seiner Wange gespürt hatte. Er aber, wie es einem angehenden Soldaten ansteht, hatte tapfer gegen die Rührung in seinem Ka gekämpft und Haltung bewahrt.

Echnatons Wahn

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