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Die Schöne ist gekommen

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Bald nach der Rückkehr lud Chunes seinen Vorgesetzten und Freund Eje zum Essen in sein Haus, vor allem, um ihm seine Schwägerin vorzustellen.

„Fühlst du dich nicht einsam in deinem Haus?“, fragte er Eje. „Du bist nicht verheiratet, hast nur einen einzigen Diener. Hast du kein Verlangen nach einer Frau in deinem Haushalt?“

Für Eje kam diese Frage überraschend. Seine heimliche Liebe galt nach wie vor Teje. Ans Heiraten hatte er noch nicht gedacht.

„Ich fühle mich ohne Frau ganz wohl in meiner Haut“, log er, obwohl er dabei dachte, wie herrlich es wäre, mit einer Frau wie Teje zusammen leben zu können.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön das Eheleben ist“, schwärmte Chunes. „Seit Tamit bei mir ist, bin ich ein anderer Mensch geworden. Tamit ist nicht nur schön und fröhlich, sie ist auch klug und lieb. Und ihre Schwester gleicht ihr in all ihren Tugenden. Ich wüsste für dich keine bessere Frau und für sie keinen besseren Mann.“

Teje musste zugeben, dass ihm Ti ganz gut gefiel.

„Es ist ja nicht so, dass Ti uns stören würde. Aber du verstehst sicher, dass Tamit und ich...“

„Ja, ja, ich verstehe. Ihr möchtet in eurem jungen Glück nicht stets auf Ti Rücksicht nehmen müssen“, antwortete Eje.

„Es ist auch für sie besser, wenn sie nicht täglich unser Glück vor Augen hat, das ihr selber noch nicht zuteil wird. Du brauchst sie ja nicht gleich zu deiner Frau zu nehmen. Sie könnte dir vorerst einmal den Haushalt machen. Und ich verspreche dir, ich kenne keine bessere Köchin.“

„Gemach, gemach, mein Freund. Du weißt ja noch gar nicht, ob sie auch will“, gemahnte Eje.

„Du brauchst sie ja nicht gleich mitzunehmen. Besuch uns doch öfter. Dann lernt ihr euch besser kennen.“

Eje kam in den folgenden Wochen der Aufforderung seines Freundes häufig nach. Und tatsächlich begann in ihm das Verlangen nach der jungen und schönen Ti aufzukeimen. Doch hütete er sich noch, sie zu sich in sein Haus zu nehmen, würden sie doch dann schon als Eheleute gelten.

Mit gemischten Gefühlen erfuhr Teje eines Tages doch von Eje, dass er die junge Ti in sein Haus genommen hatte. Es gab ihr zwar einen kleinen Stich ins Herz, andererseits war sie froh, dass Eje nun eine Frau hatte. Das gab ihr auch einen gewissen Schutz vor dem Gerede, das bei Ejes Besuchen aufkommen könnte.

Fast zur gleichen Zeit wurden die beiden Schwestern schwanger. Als erste gebar Ti eine Tochter – Mutnedjemet.

Zwei Wochen später erwartete auch Tamit ihre Niederkunft.

Chunes war gerade von der Kaserne zurückgekehrt, als die Wehen begannen. Er ließ die Hebamme kommen, die kurze Zeit später eintraf. Dann, als er Tamit in guter Obhut wusste, eilte er zu Ejes Haus. Ti hatte gerade die kleine Mutnedjemet an ihrer Brust gesäugt und wiegte das Kind noch in ihren Armen, bevor sie es in die Wiege legen wollte. Da trat Chunes herein und verkündete die Nachricht. Hoch erfreut, dass ihre Schwester auch bald das Mutterglück erfahren durfte, begleitete sie mit dem Kind auf dem Arm und mit Eje den Schwager, um bei der Geburt dabei zu sein und helfen zu können.

Auf einem Tischchen hatte die Hebamme eine Geburtshelferkröte aus Keramik hingelegt. Sie stellte Heket, die Göttin der Geburt dar und sollte der Gebärenden beistehen und zu einer leichten Geburt verhelfen.

Chunes und Eje hielten sich in einem Nebenraum auf. Anders als bei der Geburt eines königlichen Kindes, wo viele Zeugen dabei sein mussten, hatten hier die Männer nichts zu suchen.

Als die Abstände zwischen den Wehen immer kürzer wurden und Tamits Stöhnen in lautes Schreien überging, bekam es Chunes mit der Angst zu tun. Er schritt im Zimmer auf und ab. Eje versuchte ihn zu beruhigen. Bei Ti sei das auch so gewesen.

Doch als Tamit immer lauter schrie und das Kind noch immer nicht kommen wollte, fing auch ihre Schwester zu bangen an. Mit leiser Stimme flehte sie zu Hathor, der Liebesgöttin, die auch bei der Geburt beistand. Doch als auch das nichts nützte, schickte sie Eje in den am nächsten gelegenen Tempel, um einen Priester oder Magier zu holen.

Auch Chunes hielt es im Nebenzimmer nicht mehr aus. Er ging hinüber und trat zu Tamit ans Bett. Mit einem feuchten Tuch wischte er den Schweiß von ihrer Stirne, während seiner ihm über das Gesicht und von der nackten Brust auf den Wickelschurz rann. Auch Ti, obwohl sie selber Schlimmes befürchtete, redete auf Chunes ein. Sie habe das auch durchgemacht und überstanden. Ohne Schmerzen gehe das nun einmal nicht.

Eje brachte einen älteren, untersetzten Mann mit, der in der Hand eine kleine Statue der Göttin Thoëris in der Gestalt eines aufrecht stehenden Nilpferds trug. Die langen Brüste hingen über dem dicken, schwangeren Bauch des Nilpferdes. Der Priester hielt die Statue über Tamit und murmelte unverständliche Beschwörungsformeln.

Es war eine schwere, schmerzvolle Geburt. Doch umso größer war die Freude und Erleichterung, nicht nur bei Tamit, sondern bei allen Umherstehenden, als das Kind, es war ein Mädchen, endlich aus der Mutterhöhle herausgezogen werden konnte und zu schreien anfing.

Tamit verlor viel Blut und versank nach kurzer Zeit in einen tiefen Schlaf.

Es war schon dunkle Nacht, als Eje und Ti mit ihrem Kind nach Hause zurückkehrten, ermattet, aber glücklich, dass alles überstanden war.

Am nächsten Tag, gegen Mittag, kam Chunes angerannt. Er war aufgelöst und hielt ein schreiendes Bündel vor sich in den Händen. Er streckte es Ti entgegen und sank, als sie es ihm abgenommen hatte, auf einen Stuhl.

Eje, der ebenfalls zugegen war, und Ti waren erschrocken.

„Was ist geschehen?“, fragte Eje. Doch Chunes gab keine Antwort. Er saß da und hielt das Gesicht in den Händen verborgen.

Das Kind heulte. Doch Ti hielt die Kleine noch immer fassungslos in den Armen und starrte auf den armen Vater, der sich offensichtlich in seiner Verzweiflung nicht zu helfen wusste.

„Gib ihm endlich zu trinken!“, schrie Chunes und sah seine Schwägerin mit irrem Blick an.

„Sag mir zuerst, was los ist!“, gab Ti zurück. Sie begann an seinem Verstand zu zweifeln.

„Tamit ist tot“, würgte er hervor.

Eine beklemmende Stille trat ein. Selbst das Kind hatte für einen Augenblick aufgehört zu schreien. Als es wieder zu heulen anfing, entblößte Ti instinktiv ihre Brust und gab ihm zu trinken.

Allmählich war aus dem verstörten Chunes herauszubekommen, was geschehen war. Tamit war nach einem langen Schlaf aufgewacht. Von dem großen Blutverlust war sie geschwächt. Sie hatte nach dem Kind verlangt, und Chunes hatte es aus der Wiege gehoben und es ihr an die Brust gereicht. Beinahe entzückt hatte er zugeschaut, wie das Kind trank, bis er auf einmal bemerkte, wie sich der weiße Überwurf, der die Stillende bedeckte, rot färbte. Er schlug die Decke zurück und sah, dass Tamit wieder eine Menge Blut verloren hatte. Er war verzweifelt, wollte einen Arzt oder die Hebamme holen, wagte aber auch nicht, seine Frau zu verlassen. Es war ohnehin zu spät. Tamit hauchte ihr Leben aus, noch während das Kind an ihrer Brust lag.

„Ihr müsst das Kind nehmen“, bat Chunes. „Es braucht doch eine Amme. Ich weiß mir sonst keinen Rat.“

Ti und Eje waren sich einig. Sie brauchten dazu kein Wort zu verlieren.

„Hat das Mädchen denn schon einen Namen?“, fragte Eje.

„Nein, wir hatten noch gar keine Zeit, darüber nachzudenken“, erwiderte Chunes.

„Ist es nicht ein schönes Kind?“, meinte Ti, als sie das Mädchen gesäugt hatte und sie es mit ausgestreckten Armen vor sich hinhielt.

„Nennen wir es doch Nofretete, ‚die Schöne ist gekommen’“, sagte Eje. Und Chunes und Ti waren einverstanden.

Chunes kehrte mit Eje in sein Haus zurück. Eje ließ Hilfe holen, um die Tote zu waschen und für die Einbalsamierung vorzubereiten.

Die Einbalsamierer holten die Leiche ab. In wochenlanger Arbeit würden sie nun ihrem Körper die Organe entnehmen, den präparierten Leib einbalsamieren und mit Leinentüchern umwickeln. Chunes brachte den Priestern einige Amulette und die Schmuckstücke, die Tamit besonders gerne getragen hatte, damit sie diese in die Tücher einwickeln konnten.

Am Ende der siebzig Tage dauernden Trauerzeit wurde der mumifizierte Körper in einen bemalten Sarg gelegt und in der Nekropole Saqqara auf der Westseite des Nils begraben, nachdem Chunes seiner verstorbenen Gemahlin den Liebesdienst der Mundöffnung erwiesen hatte, damit sie Osiris in der Duat auf seine Fragen antworten und ihr Ba den Körper verlassen und wieder in ihn zurückfinden konnte.

Echnatons Wahn

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