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Amenhotep

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Als Amenhotep nach dem Tod seines Vaters Thutmosis IV. zum Pharao gekrönt wurde, wählte er sich als Horus-Name Neb-maat-Re. Das bedeutet: Re ist der Herr der Wahrheit. Die Stellung der Großen Königsgemahlin, die den König bei allen offiziellen Anlässen begleitete, behielt, wie wir wissen, seine Mutter Mutemuia, bis der junge Pharao sich vermählen und seine Gattin zur Großen Königsgemahlin machen würde.

Mutemuia trug ihren Namen mit etwelchem Stolz. Er bedeutete: Mut ist in der Sonnenbarke. Mut war die menschengestaltige Göttin mit der Doppelkrone. Amun, Mut und ihr Sohn Chons bildeten in Theben eine göttliche Dreiheit. Mut bedeutete Mutter, und als solche galt die Göttin auch als die Mutter des Pharaos. Es hieß jedoch auch, der Gott Amun habe seinen Samen in den Leib Mutemuias gelegt. Und Mutemuia hatte bereits in frühen Jahren ihrem Sohn beigebracht, dass Amun sein eigentlicher Vater sei.

Nach den eher kriegerischen Jahren der Herrschaft seiner Vorgänger, waren die ersten Jahre von Amenhoteps Königsherrschaft lediglich durch einige Strafexpeditionen in Nubien und die nicht sehr bedeutungsvolle Hilfe an Rib-Addi im Libanon gekennzeichnet.

Zu seiner Krönung war Amenhotep auf seiner königlichen Barke und einem Gefolge von weiteren Booten nilaufwärts nach Theben gefahren. In der gewaltigen Tempelanlage des Reichsgottes Amun-Re in Karnak fand die Krönungszeremonie statt.

Fast der ganze Hof hatte den jungen König zu seiner Krönung in Karnak begleitet. Am glücklichsten war seine Mutter Mutemuia. Theben war ihre Heimat, hier hatte sie ihre Jugendjahre verbracht. Im Geheimen träumte sie davon, dass die Residenz des Pharaos eines Tages wieder ganz nach Theben verlegt würde.

Auch Teje und ihre Eltern gehörten zum Gefolge. Schreiber, der königliche Sandalenträger, Fächerträger, Baumeister, Künstler und viele weitere Beamte waren dabei.

Der junge Pharao war beeindruckt vom Ausmaß dieser Tempelstadt. Hier befand sich auch der Kultpalast des Königs. Tausende von Priestern dienten Amun. In seiner Verbindung mit dem Fruchtbarkeitsgott Min war er als Amun-Min sich selbst erzeugender Ur- und Schöpfergott, als Amun-Re fortwährender Erneuerer. Zugleich war er der König der Götter und Herrscher der Erde und des Himmels. Kein Wunder, dass ihm so viele Priester dienten, allen voran der Hohepriester oder Erste Prophet mit dem zweiten, dem dritten und dem vierten Gottesdiener. Groß war die Zahl der Wab-Priester, die, in jahreszeitlich, also viermonatlich sich abwechselnden Gruppen für den täglichen Tempelkult sorgten. Viele von ihnen waren in der Verwaltung tätig. Dazu kamen unzählig viele, theologisch ausgebildete Ritual- und Vorlesepriester, und zuletzt die Sem-Priester, die für den Totenkult und die Einbalsamierung der Toten zuständig waren.

Das Heiligtum von Karnak war ein Staat im Staat. Es verfügte nicht nur über einen ungeheuren Tempelschatz, in dem sich Gold und Edelsteine anhäuften, sondern auch über ausgedehnte Ländereien mit großen Viehbeständen. Karnak war eine Wirtschaftsmacht sondergleichen, und der junge Pharao, Amenhotep III., ahnte bereits bei seinem ersten Besuch die Konkurrenz der übermächtigen Priesterschaft.

Als Amenhotep als frisch gekrönter König nach Memphis zurückkehrte, atmete er auf. Hier war die Priesterschaft nicht allgegenwärtig. Die Priester des Re in Iunu, nördlich von Memphis am Eingang zum Delta, waren doch so weit weg, dass man hier ihren Einfluss nicht so sehr spürte.

Über die Verteilung der Ämter brauchte sich der neue Pharao nicht den Kopf zu zerbrechen. Er war froh, dass er die Beamten und den diplomatischen Stab seines Vaters übernehmen konnte. Da war vor allem der Sohn des Hapu, der den gleichen Namen trug wie er und der, seit er Pharao war, sich zur Unterscheidung stets Amenhotep, Sohn des Hapu, nannte. Er war schon Berater seines Vaters Thutmosis gewesen. Der junge Amenhotep schätzte den Rat des bald sechzigjährigen Mannes, der als Gelehrter, als Weiser und Magier galt. Er war nicht nur Architekt, der schon manche Tempel und Paläste geplant, berechnet und gebaut hatte, er kannte auch die Gestirne des Himmels, wusste mehr über die Götter und über Leben und Tod als die meisten Hohepriester, er verfasste Schriften, und es schien überhaupt nichts zu geben, über das er nicht Bescheid wusste.

Amenhotep, der Sohn des Hapu, hatte den frisch gekrönten Pharao schon in Theben, wo die Königsfamilie und der Hof noch längere Zeit verweilten, daran erinnert, dass er sich, wie es die Tradition erforderte, bald einen Ort auf der Westseite des Nils für den Bau seines Grabes aussuchen müsse. Huy, wie sich der Sohn des Hapu auch nannte, empfahl dem Pharao eine ihm bekannte Stelle in einem einsamen Tal auf der Westseite des Flusses. Schon die ersten Könige Ägyptens, Djoser, Cheops und Chephren zum Beispiel, hatten ihre Wohnung für die Ewigkeit auf der Westseite des Flusses gebaut, dort, auf jener Seite, wo Re, der Sonnengott, jeden Abend seinen Tod erlitt. Selbst Osiris, der Totengott wohnte auf der Westseite, in Abydos. Die Ostseite, wo Re am Morgen neu geboren wurde, war dem Leben vorbehalten.

Wo aber würde der Körper des toten Pharaos besser ruhen und in das jenseitige Leben eingehen als hier, in der Nähe von Theben, der Stadt der hundert Tore, in der Gegenwart der Götter? Hier würde Amenhotep, der Sohn des Gottes Amun, seinem Vater ewig nahe sein.

Huy hatte Amenhotep mit zu dem Ort in der Wüste genommen, um ihm zu zeigen, wo er ihm seine Bleibe für die Ewigkeit bauen wollte. Sie hatten ein Tal durchquert, an dessen Westflanke sich senkrecht abfallende Felsen erhoben, hinter denen sich ein weiteres Tal verbarg. Dieses versteckte Tal schien dem Baumeister für das Königsgrab geeignet. Hier, hinter den fast unüberwindlichen Felsen, wäre es vor Grabräubern geschützt. Amenhotep war einverstanden gewesen und hatte den Sohn des Hapu gebeten, so bald wie möglich mit dem Bau zu beginnen.

Auch Juja, der Vater der sympathischen Teje, war ein Mann, auf den sich Amenhotep verlassen konnte. Ihn hatte Pharao als fleißigen und zuverlässigen Schreiber schätzen gelernt. Er fühlte sich wohl, wenn er den klugen Juja in seiner Nähe wusste.

Ab und zu besuchte Teje ihren Vater in seiner Amtsstube. Wenn sie mit Pharao zusammentraf, warf sie sich, wie es sich gehörte, auf den Boden. Mit seiner Zehenspitze berührte er sie dann ganz sacht zum Zeichen, dass sie sich erheben durfte. Gerne sah er in ihr Gesicht, in ihre schwarzen Augen, die sich verlegen senkten. Doch wenn er ihr Lächeln um ihre vollen Lippen bemerkte, schien ihm manchmal, als betrachtete sie ihn nicht als Pharao, sondern als einen Jungen, mit dem sie lieber gespielt und im Park herumgetollt wäre. Auch er hätte das gerne getan, waren sie doch gleich alt und damals mit ihren dreizehn Jahren eigentlich noch Kinder. Doch ließ seine Würde als König solches nicht zu.

Im Verlauf der nächsten zwei, drei Jahre wuchsen jedoch beide rasch heran, und Tejes Verhalten ihm gegenüber wurde, so schien ihm, förmlicher, distanzierter.

Teje befand sich in einem Gewissenskonflikt. Natürlich erinnerte sie sich an jenes Versprechen, das sie Eje gegeben hatte. Doch das war schon so lange her. Damals waren sie Kinder gewesen. Und eine lange Zeit waren sie getrennt gewesen. Jedes hatte seine eigenen Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen. Sie hatte Eje immer gemocht. Und sie mochte ihn auch jetzt noch. Wenn sie ehrlich war, dann musste sie sich eingestehen, dass sie sogar mehr empfand, eine tiefere Zuneigung. Oder war es gar Liebe?

Doch sie hatte bemerkt, dass Amenhotep sie manchmal mit demselben verliebten Blick ansah, wie dies Eje tat. Heimlich spielte sie mit dem Gedanken, Amenhotep würde sie zur Großen Königsgemahlin wählen. Wenn sie so dachte, durchfuhr es sie wie ein Erschrecken. Wäre dies nicht das Größte und Schönste, was ihr geschehen könnte? Sie fühlte, dass sie die Fähigkeit zu einer mächtigen Königin in sich hatte. Dürfte sie ein solches Angebot ausschlagen? Könnte sie es überhaupt? Nein, dem Wunsch des Pharaos müsste sie gehorchen.

Ihr Verhältnis zu Eje hatte sich in letzter Zeit geändert. Oft, wenn er gekommen war, hatte sie sich verleugnen lassen. Er tat ihr zwar Leid. Sie redete sich ein, sie brauche Distanz, um mit ihren Gefühlen ihm gegenüber ins Reine zu kommen. Doch war es nicht vielmehr, weil sie fürchtete, Amenhotep könnte sie in seiner Gegenwart antreffen und dann glauben, sie seien ein Paar? Ja, der Gedanke, Große Königsgemahlin zu werden, hatte sich so tief in ihr festgesetzt, dass sie bereits daran glaubte. Sie wollte sich frei halten für den Augenblick, da er kommen und sie erwählen würde. Dann wollte sie bereit sein, an seiner Seite die Herrscherin über ganz Ägypten zu werden. Natürlich läge die Macht ganz in seinen Händen. Aber die Vorstellung, die Gemahlin des mächtigsten Mannes der Welt zu sein, öffentlich an seiner Seite zu stehen und insgeheim mitzuregieren, versetzte sie in Entzücken, beinahe in einen Rausch. Es war ein aufregender Traum, und jedes Mal, wenn sie sich vor Pharao auf den Boden warf und er sie mit seiner Zehenspitze berührte, dachte sie, dies könnte vielleicht das letzte Mal sein, dass sie sich vor ihm niederwerfen müsste. Eines Tages, wenn er mir das Zeichen gibt, aufzustehen, wird er mich fragen, ob ich seine Gemahlin werden möchte. Sie wagte nicht mehr, ihm so frei in die Augen zu sehen, wie sie es noch vor kurzer Zeit getan hatte. Ob er wohl die Veränderung ihres Verhaltens bemerkte? Oder ob er gar ihre geheimen Gedanken erraten könnte? Dabei hätte sie doch wissen müssen, dass Amenhotep keine Frau ihres niederen Ranges heiraten durfte. Doch welches Mädchen träumt nicht trotzdem gerne von solchem Glück, wohl wissend, dass es nie erreicht werden kann?

An einem Morgen des Schemu, der heißen Jahreszeit, stand Teje früh auf, während ihre zwei Dienerinnen noch schliefen, und ging hinaus in den Garten. Eine Weile spazierte sie in Gedanken versunken umher, vernahm den Gesang der Vögel in den Bäumen fast wie im Traum aus einer weiten Ferne, einer anderen Welt. Doch plötzlich erschrak sie, als sie aufschaute und am Ende des Weges, nicht mehr weit von ihr entfernt, unter einer Sykomore Pharao sitzen sah. Sie wollte umkehren, denn sie fürchtete, ihn zu stören. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ihm jemand begegnen würde. Denn er war fast nackt und trug nur einen knielangen Wickelschurz aus feinem, hauchdünnem Leinen. Sein Haar war nicht wie sonst üblich von einer Perücke bedeckt, und sein Gesicht war noch ungeschminkt. Vermutlich hatte er sich wie sie aus dem Palast geschlichen, um den Dienern, die ihn wuschen und ihm beim Anziehen der Kleider und der Perücke halfen und mit Salben und Schminktöpfchen jeweils zur Morgentoilette erschienen, zu entkommen und einmal mit seinen Gedanken allein zu sein.

Als er Teje bemerkte, winkte er sie heran. Zögernd ging sie auf ihn zu, und als sie in gebührender Entfernung vor ihm stand, warf sie sich zu Boden.

„Steh doch auf, Teje, tritt näher!“, sagte er, beinahe in vertraulichem Ton. Und als sie aufstand und vor ihn hin trat, bat er sie, sich neben ihn zu setzen. Ungläubig und überrascht über die unverhoffte Ehre, ließ sie sich neben ihm auf dem Rasen nieder.

„Es ist schön, dass du gekommen bist.“ Er sagte es beinahe flüsternd.

Es ist, als hätte er mich erwartet, dachte Teje.

„Ich möchte mit dir reden.“

Teje antwortete nicht. Eine ganze Weile schwieg er. Dann erhob er sich auf einmal und forderte sie auf: „Komm, lass uns miteinander umhergehen.“

Sie gingen auf den sandigen Wegen an kleinen Teichen vorüber, in denen Enten schwammen und Lotos blühte. In den Sykomoren sangen die Vögel und begrüßten mit ihrem Zwitschern den wiedererstandenen Re, der sich anschickte, seine Wanderung am Himmel über den Beiden Ländern zu beginnen.

Wieder dauerte es eine ganze Weile, bis der junge Pharao anfing:

„Ich habe dich oft beobachtet. Ich finde dich sehr hübsch. Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Und mir scheint, dass auch du mich magst. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du meine Gemahlin wirst. Ich möchte dich zur Großen Königsgemahlin machen.“

Teje schloss die Augen. Ihr war, als befinde sie sich in einem Traum, in ihrem Traum. Erst als sie stolperte, schlug sie die Augen wieder auf. Er hatte sie aufgefangen und drückte sie an sich. Wie benommen trat sie einen Schritt zurück. Nein, es war kein Traum. Sie war wach, auf einmal hell wach. Ihr war, als gingen tausend Gedanken durch ihren Kopf. Und ihr Herz schien vor Schreck still zu stehen. Eje, dachte sie, wie soll ich ihm das erklären? Im gleichen Augenblick hörte sie sich sagen:

„Aber das geht doch nicht. Ich bin nicht von königlichem Geblüt. Ich bin nicht einmal eine Adelige.“

„Mach dir keine Sorgen“, erwiderte er. „Ich bin Pharao. Habe ich nicht alle Macht? Wenn du nur willst, dann werde ich alles tun, dass du die erste bürgerliche Große Königsgemahlin wirst.“

„Was werden die Hohepriester des Amun in Karnak dazu sagen? Amun ist dein göttlicher Vater. Du selbst bist der sichtbar gewordene Amun. Die Hohepriester werden nicht damit einverstanden sein.“

Teje wagte noch nicht, dem Pharao in die Augen zu schauen. Ihr Blick war auf seine Lippen gerichtet, als müsste sie aufpassen, dass ihr kein Wort, das aus seinem göttlichen Mund kam, verloren ging.

„Ich lasse mir von ihnen nichts verbieten“, antwortete er. „Ich habe selber darüber nachgedacht. Die Macht der Priesterschaft in Karnak ist ohnehin zu groß. Ich bin bereit, sie zu brechen. Wenn auch du dazu bereit bist, werden wir es vollbringen.“

In Tejes schwarzen Augen blitzte es auf. Ja, auch sie wollte den Kampf wagen. Die Priester durften ihren Traum, der nun Wirklichkeit werden sollte, nicht zerstören.

„Ja, Majestät“, antwortete sie, „ich bin bereit, deine Gemahlin zu werden.“

Erst jetzt schaute sie offen in die glücklich strahlenden Augen des Mannes, nein des Gottes, der sie erwählt hatte.

„Nenne mich von jetzt an nie mehr Majestät“, bat er und zog sie an sich. Etwas schüchtern zuerst schmiegte sie sich an ihn, dann aber schlang sie ungestüm ihre Arme um seinen Hals. Ihre Lippen suchten sich. Und für beide war es der erste leidenschaftliche Kuss, und ein bisher ungekanntes Gefühl und körperliches Empfinden stieg in ihnen auf, das sie so glücklich machte wie nie zuvor.

Teje sah mit Bangen dem nächsten Wiedersehen mit Eje entgegen. Trotzdem wollte sie es möglichst bald hinter sich bringen. Unbewusst tat ihr Eje den Gefallen. Denn schon am nächsten Tag wurde er durch einen Diener, den der Haushofmeister gesandt hatte, angekündigt. Teje erschrak. Das kam ihr nun doch fast zu schnell. Sie bat den Diener, Eje möge warten, bis man ihn rufe.

Rasch zog sie sich ein knöchellanges Kleid an. Dann bat sie ihre Dienerin, sie zu schminken. Als diese zeitaufwändige Prozedur zu Ende war, suchte sie sich aus ihrer Schmuckschatulle Hals- und Armreifen und passende Ohrgehänge. Zum Schluss legte sie sich eine Perücke an. Erst als sie sich in ihrem Silberspiegel betrachtet hatte, ließ sie Eje holen.

Der war schon erstaunt gewesen, dass man ihn so lange hatte warten lassen. Was hatte dies zu bedeuten? Sonst hatte er meist nur dann, und auch nur kurz, warten müssen, wenn sie sich gerade ein wenig ausgeruht hatte und noch nicht angekleidet war. Auf ihr Äußeres hatte sie kaum geachtet. Er hatte ihre Ungezwungenheit und Natürlichkeit geliebt. Umso überraschter war er deshalb, als sie ihn beinahe förmlich wie zu einer Audienz empfing.

Er begrüßte sie kurz. Sonst sagte er nichts. Sein erstaunter Blick auf die wie eine Fremde vor ihm stehende Frau war Frage genug.

„Komm, setze dich!“, forderte sie ihn auf. „Ich muss mit dir reden.“

Als er sich neben sie gesetzt hatte, ergriff sie seine Hand. Sie schwieg lange. Eje wartete und sah sie an. Doch sie wich seinem Blick aus, schaute nur auf ihren Schoss, in dem zwischen ihren Händen die seine lag. Eje spürte ein leichtes Zucken in ihren Fingern.

Endlich schaute sie auf. Er sah eine Träne über ihre Wange laufen und sich mit der Schminke zu einem kleinen ockerfarbigen Fleck vermischen.

„Was ist geschehen?“, fragte er besorgt.

„Eje“, stieß sie endlich hervor, „du weißt, dass ich dich liebe. Schon als Kind war ich dir zugetan. Und ich habe jenes Versprechen, das wir damals mit unserm Blut besiegelten, nie vergessen, das musst du mir glauben...“

Wieder schwieg sie.

„Aber...?“ half ihr Eje, den Faden wieder aufzunehmen, obschon er ahnte, dass er jetzt etwas erfahre, das er lieber nicht hören wollte.

„Gestern bin ich am frühen Morgen im Garten spazieren gegangen. Da habe ich Pharao angetroffen. Ich wusste nicht, dass er dort war. Doch es schien, als hätte er auf mich gewartet, auch wenn er nicht wissen konnte, dass ich kommen würde. Denn es ist nicht meine Gewohnheit, so früh aufzustehen und den Palast zu verlassen, um mich im Garten zu ergehen. Ich wollte umkehren, doch er hat mich zu sich gerufen und mich gebeten, mich neben ihn zu setzen. Nach einer Weile sind wir unter den Palmen umhergegangen.“

Was hat das zu bedeuten, dachte Eje, dass sie mir diese morgendliche Begegnung mit Pharao so ausführlich schildert?

Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte sie auf einmal: „Um es kurz zu machen, Pharao hat mir gesagt, dass er mich liebe und zur Großen Königsgemahlin machen wolle.“

Ejes Herzschlag stockte. Traf nun ein, was er befürchtet hatte? Doch eine Hoffnung blieb ihm.

„Das ist doch unmöglich“, warf er ein. „Du bist eine Bürgerliche. Nur eine Frau königlichen Geblüts kann Große Königsgemahlin werden. Das muss Pharao doch wissen.“

„Er weiß es“, erwiderte Teje. „Aber er will sich darüber hinwegsetzen. Als Pharao hat er die Macht dazu.“

„Die Priesterschaft wird es zu verhindern suchen“, meinte Eje, und wünschte sich, dass sie das mit all ihrer Autorität auch tun werde. Aber Teje widersprach:

„Nein, er will sich nichts verbieten lassen. Er ist entschlossen, sich der Macht der Priester zu widersetzen.“

„Und du?“, fragte Eje, während sein letzter Hoffnungs­schimmer schwand, denn er wusste wohl, dass Teje nicht ab­lehnen konnte und, vielleicht, auch gar nicht wollte.

„Was hätte ich tun sollen? Einem Pharao darf man doch keinen Wunsch abschlagen“, sagte sie, doch es klang wie eine Ausrede, eine Rechtfertigung, an die sie selbst nicht glaubte.

„Es ist mir nicht leicht gefallen“, fuhr sie fort. „Du musst mir glauben, ich liebe dich, und wenn mich Pharao nicht zu seiner Großen Königsgemahlin machen würde, gäbe es keinen andern Mann als dich, den ich heiraten wollte.“

„Liebst du ihn denn auch?“, fragte Eje.

„Warum fragst du? Warum willst du von mir eine Antwort darauf? Ich möchte dir nicht wehtun; denn ich liebe dich. Aber ich glaube, ich liebe auch ihn. Ja, gewiss, ich liebe ihn. Ich liebe euch beide. Ein wenig habe ich gefürchtet, dass dieser Augenblick kommen könnte, da ich dir wehtun muss. Ich hab nicht gewusst, dass Schmerz und Glück so nahe beieinander sein können. Ja, versteh doch: Ich bin auch glücklich, dass ich die Gemahlin des Pharaos werden darf. Gibt es für eine Frau etwas Schöneres, als die Frau des mächtigsten Mannes zu sein? Wir werden doch Freunde bleiben. Ich werde Amenhotep bitten, dir ein Amt zu geben, damit du in meiner Nähe sein kannst. Ich werde dich brauchen, denn du bist mein aufrichtigster Freund, auf den ich mich verlassen kann. Ich werde dich immer lieben und ich bitte dich, hör nie auf, auch mich zu lieben.“

„Wenn ich dir eines versprechen kann, dann ist es sicher das, dass ich dich immer lieben werde. Aber du sollst nicht bei ihm für mich bitten. Ich werde meinen Weg auch ohne seine Hilfe machen. Du musst nur an mich glauben.“

Auch darum werde ich ihn immer lieben, dachte sie. Er ist nicht wie die andern, die um Empfehlungen betteln. Eje wird es ganz allein schaffen. Vielleicht aber kann ich trotzdem einmal ein wenig nachhelfen. In dieser Beziehung war sie wie andere ehrgeizige Frauen, die es sowohl für sich als auch für ihren Mann oder Geliebten sind.

Auf Ejes Gesicht hatte sich, ohne dass er es gewollt oder gemerkt hätte, Enttäuschung abgezeichnet.

„Eines Tages wirst du eine andere Frau nehmen“, sagte Teje und nahm wieder seine Hand in ihre. „Dann wirst auch du glücklich sein können.“

„Auch dann werde ich nicht aufhören, dich zu lieben“, bekräftigte Eje.

Teje drückte fest seine Hand als Zeichen des Dankes und ihres Glaubens an seine Worte. Sie war beruhigt, dass ihr Freund die Nachricht mit Fassung aufgenommen hatte und dass sie ihn nicht verlieren würde.

Eje ging von ihr, mit dem Willen, sie seinen Schmerz nicht anmerken zu lassen. Doch in den nächsten Wochen und Monaten brauchte er viel Kraft, um nicht dem Trübsinn zu verfallen.

Die Nachricht, dass Amenhotep die bürgerliche Teje heiraten und zur Großen Königsgemahlin machen wolle, hatte sich rasch verbreitet und war in kurzer Zeit bis zu der Priesterschaft nach Karnak gelangt. Dass der Sohn des Gottes Amun dies zu tun beabsichtigte, hatte dort Bestürzung ausgelöst. Doch Amenhotep war gewillt, sich den Priestern zu widersetzen. Er beschleunigte die Vorbereitungen für seine Vermählung mit Teje. Und er hatte sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Er ließ eine große Anzahl handtellergroße Skarabäen anfertigen, wie sie in kleinerem Maß als Amulett oder als Siegel dienten. Die wollte er am Hof und im ganzen Land verteilen, damit jedermann erfahre, dass er auf ewige Zeit mit Teje vermählt sei, so wie auf Zeit und Ewigkeit diese Nachricht auf der Unterseite dieser Skarabäen eingegraben sein würde.

Die Hochzeit wurde ein großes, berauschendes Fest. Der ganze Hofstaat war zu den Feierlichkeiten geladen, und das niedere Volk, das jedes Fest liebte, tanzte in den Straßen von Memphis und betrank sich mit Bier, das der König gestiftet hatte. Und jeder im ganzen Land schätzte sich glücklich, der einen der mit grüner Glasur überzogenen Skarabäen geschenkt bekam, auf dem zu lesen war: „Amenhotep III. und Teje. Der Name ihres Vaters ist Juja, der Name ihrer Mutter ist Tuja. Sie, Teje, ist die Gemahlin eines mächtigen Königs, dessen südliche Grenze bis Karaj reicht, dessen nördliche bis Naharina.“

So konnte jedermann lesen, dass Teje die Gemahlin des mächtigsten Herrschers der Welt war, dessen Reich sich von Nubien bis zum Mitannireich am oberen Euphrat ausdehnt. Und damit war angedeutet, dass niemand es wagen solle, sich der Macht dieses Königs zu widersetzen, auch die Priester nicht.

Echnatons Wahn

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