Читать книгу KÖRPER-HAFT - Martin Romey - Страница 21
Rodeo
ОглавлениеIch machte irgendwelche unanständigen Bewegungen im Bett. Mein Becken hob und senkte sich rhythmisch. Und ich hörte, wie die Luft heiser röchelnd aus meinen Lungen pumpte. War ich das? Eigentlich war ich mir keiner Schuld bewusst. Aber wenn ich es nicht war, wer dann? Plötzlich hatte ich den starken Eindruck, dass mein Bett zum Leben erwacht war. Es versuchte förmlich, mich zu verschlingen. Und im nächsten Moment war es, als würde ich Rodeo auf einem ungezähmten Pferd reiten.
»Gooooooood morning!«, donnerte eine Stimme über mir. Als ich die Augen aufmachte, sah ich das sonnengebräunte Gesicht von John Mc Lay über mir, der mich angrinste wie ein Kühlergrill. Erst jetzt realisierte ich, dass es eine dreidimensionale Projektion seines Gesichtes war. Das Holo-Flat-Pad hatte sich automatisch eingeschaltet. »Es ist 6:00 Uhr morgens und Zeit, etwas für die faulen Knochen zu tun. Wir haben also zwei Stunden Zeit, bevor das Erziehungsprogramm startet. Zur Lockerung starten wir mit ein paar Passiv-Chrunces.«
Von diesem Programmteil hatte Bruder Martin aber nichts gesagt … Das Bett zog mich zusammen, um mich gleich darauf wieder zu strecken. Erst durch die Bewegung und die verrutschte Bettdecke sah ich, dass ich sowohl an Hand- und Fußgelenken als auch um den Bauch herum mit Gurten fixiert war. Ganz zum Wohl meiner Gesundheit! Ich startete den Versuch, ein schiefes Grinsen aufzusetzen.
Ich hatte immer noch diesen trockenen, schalen Geschmack im Mund, den Drogen wie zum Beispiel Beruhigungsmittel hinterlassen. Aber etwas anderes war mindestens genauso präsent, die Träume der letzten Nacht. Jede einzelne Szene konnte ich vor meinem geistigen Auge sehen. Ich beschloss die Augen wieder zu schließen und griff mir jedes einzelne Bild des Traumes heraus und betrachtete es von allen Seiten, solange es noch so frisch war. Das Bett zog mich unterdessen auseinander und drückte mich wie eine Ziehharmonika wieder zusammen. Wieso hatte ich nur diesen Scheiß geträumt?! Julia Roberts und davor diese gottverdammte Grube!
Ich stand in diesem tiefen Loch und schaute nur nach unten, um noch tiefer zu graben. Während der Lichtblick, der Ausschnitt des Himmels, immer kleiner wurde. Es war ein Sinnbild für mein Selbstmitleid, mit dem ich mich immer tiefer nach unten zog. Ich groovte mich regelrecht in mein persönliches Jammertal ein.
Wenn ich nicht in meinem Selbstmitleid ertrinken und der Hirnwäsche entkommen wollte, dann musste ich mir ganz schnell einen Rettungsring schnitzen und ihn mir selbst zuwerfen!
»Und jetzt bringen wie die Wirbelsäule mit einer tollen Torsionsübung auf Vordermann«, keuchte John Mc Lay, der mit seiner Truppe im Hintergrund das Fitnessprogramm begleitete.
Währenddessen hob sich das linke Kopfende meines Bettes, während sich das rechte Fußende nach oben verdrehte. Völlig unfähig sich auch nur der kleinsten Bewegung zu widersetzen, schob mich das Bett hin und her wie einen Einkaufswagen.
»Und denkt immer daran, was ihr morgens schon erledigt habt, kann Euch niemand mehr nehmen«, keuchte John Mc Lay fröhlich von der Decke herab.
So ganz unrecht hatte er ja nicht. Ich hatte früher einige Zeit lang vehement das Motto Der frühe Vogel wurmt sich vertreten, doch die alte Volksweisheit Der frühe Vogel fängt den Wurm hatte sich langsam aber sicher auch bei mir durchgesetzt. Vielleicht lag es am Alter? Mit 36 war man schließlich schon ein alter Sack! Nichtsdestotrotz hatten die frühen Morgenstunden einen gewaltigen Vorteil: Man hat alle Ruhe der Welt um nachzudenken, Sport zu treiben oder ungestört zu arbeiten. Für mich hatten sich die frühen Morgenstunden in den letzten Jahren als die kreativsten und erholsamsten Stunden des Tages herauskristallisiert, obwohl ich immer von mir geglaubt hatte, eine Nachteule zu sein.
Es stellt sich wohl generell immer die Frage: Ist mein Verhalten ein Produkt meiner Umwelt oder entspricht mein Verhalten tatsächlich meinen Neigungen?
Irgendwie tat mir die Bewegung des Bettes tatsächlich gut und brachte nicht nur meinen Kreislauf, sondern auch mein Denken wieder in Schwung. Ich versuchte, ein Resümee aus meinem Traum zu ziehen: Vergrabe Dich nicht in Deinem Selbstmitleid und warte nicht auf irgendeine Fernsehanwältin, die Dich hier herausholt. Du bist völlig auf Dich alleine gestellt. Dieses ständige Gejammer … Warum ausgerechnet ich? … half ganz entschieden nicht weiter.
Und warum nicht ausgerechnet ich? Wenn ich nicht hier liegen würde, würde es ein Anderer tun, der mit der Situation nicht so gut umgehen kann … also steh das Ganze durch, so gut es geht! Mit dieser Selbstanalyse sprach ich mir selbst gut zu, denn mir war inzwischen klar geworden: Es gab niemanden mehr, der zu mir stand, außer vielleicht meinem Anwalt, der mir versprochen hatte, weiter am Ball zu bleiben. Und bei ihm war ich mir absolut nicht sicher, ob er es wegen seiner persönlichen Reputation in der Öffentlichkeit, des Geldes oder tatsächlich wegen mir tat. Was also blieb mir übrig, als mich selbst an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen?
»Und jetzt kommen wir zu den Dehnübungen, denn nur wer körperlich flexibel ist, kann dies auch geistig sein!«, gab der braungebrannte Bettenmogul zum Besten. »Als Erstes werden die Füße von der Matratze nach hinten gedrückt, um einer Sehnenverkürzung entgegenzuwirken. Immer schön in die Dehnung atmen!«, kam schon der nächste Tipp von Mc Lay. Ich versuchte diese aktive Zeit dafür zu nutzen, mir einen Schlachtplan für die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre zusammenzuzimmern. Wenn ich mich nicht von der Hirnwäsche des Erziehungsprogramms fortspülen lassen wollte, musste ich folgende Regeln einhalten:
1.) Die Augen während des Erziehungsprogramms nicht länger als fünf Sekunden schließen, da ich ansonsten von einem immer stärker werdenden Elektroschock zur Aufmerksamkeit gezwungen werde.
2.) Die gezeigten Bilder und den Ton nicht an mich herankommen lassen. So wie das aktive Ignorieren von Pop-Up-Seiten im Internet.
3.) Nicht auffallen! Vollzugskonform erscheinen!
4.) Versuchen, während des Erziehungsprogramms den eigenen zu Gedanken folgen.
5.) Darüber nachdenken, ob Sunnys Tod ein Unfall war oder tatsächlich ein Mord, den jemand erfolgreich versucht hatte, mir in die Schuhe zu schieben.
Wenn es eine sechste Regel gegeben hätte, dann hätte sie gelautet: Keine weiteren Regeln – fünf sind eigentlich schon fast zu viel! Zu viele Regeln führen immer dazu, dass man erst eine nicht einhält, dann die nächste und am Schluss fällt das gesamte Regelwerk mangels Konsequenz und Übersichtlichkeit auseinander.
»So und jetzt bleiben wir ruhig liegen, entspannen uns und fühlen unseren Körper!«
Was glaubte dieser Betten-Fitness-Idiot eigentlich, was ich den ganzen lieben langen Tag machte? Im Park spazieren? Nicht einmal in der Nase bohren war mir vergönnt! Ich lag hier wie eine einbalsamierte Mumie, wurde von einem Wunderbett gebogen, gefaltet und gestreckt, damit die Bandagen elastisch und beweglich bleiben!