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Ausmisten

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Endlich ging die Tür auf und Mosquito und Daniel, den ich in Gedanken immer noch Brötchen nannte, schoben ihre Service-Wägelchen herein.

Mosquito donnerte los. »Es ist Freitag und Zeit zum … Scheiße, was ist denn hier los.«

»Du hast es erfasst!«, kommentierte Brötchen ungerührt und ging zum großen Fensterflügel, der sich über die Mittelachse öffnen ließ.

Endlich zog frische Luft von außen herein. Obwohl Ende Februar immer noch Schnee lag, war die kalte frische Luft, die hereinströmte, ein echtes Geschenk an die Geruchsnerven. Auf Mosquito schien sie allerdings keinen beruhigenden Einfluss zu haben:

»Wer von Euch Bettnässern ist hier das Oberstinktier? Ich sage Euch nur eins, das Chef-Opossum hat es bei mir im wahrsten Sinne des Wortes verkackt! Nr. 7 kann’s nicht sein, der ist auf der Flucht. Nr. 6 pennt immer noch und macht keine Anstalten, aus dem Reich der Träume zu kommen. Aber was ist mit Dir Nr. 5? Du bist doch ein geborener Schisser!«

Verdammt! Konnte dieser Gestank tatsächlich von mir stammen? Und wenn ja, was heckte dieser perverse Psychopath als Nächstes aus? Die Quelle des Gestankes schien tatsächlich ganz in meiner Nähe zu liegen. Und jetzt, da Mosquito auf mich zu schritt, bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun. Mosquito beugte sich über mein Gesicht und funkelte mich durch seine Nickelbrille an.

»Angst? Du kleines Arschloch?!«

Dann rückte er zurück, nur um gleich wieder nach vorne zu schnellen und sein Gesicht erst haarscharf vor meinem zum Stehen kommen zu lassen. Sein Blick war unmissverständlich: »Wie kann ich diesen Käfer so langsam wie möglich sezieren, sodass er so lange wie möglich noch zappelt, bevor er stirbt?«

»Buh!«

Ich schreckte innerlich tatsächlich zusammen und meine Augen weiteten sich. Mosquito freute sich wie ein kleines Kind: »Siehst Du, wie diesem kleinen, wohlbehüteten Muttersöhnchen die Düse geht? Auf seinem Vitalometer ist der Puls von 80 plötzlich auf 140 geschossen. Das macht viel mehr Laune als auf dem Jahrmarkt Hau den Lukas zu spielen!«

»Jetzt hör endlich auf mit Deinen albernen Spielchen«, brummte Brötchen. »Wir haben noch eine Menge anderes Zeug zu tun. Nr. 6 habe ich gecheckt, der ist in Ordnung und bewegen sollen wir ihn ja noch nicht, bis er zu sich gekommen ist. Also kümmere ich mich jetzt um Nr. 5 und Du ziehst dir endlich den Mundschutz und die Gummihandschuhe an und machst mit Nr. 4 weiter. Fang endlich an zu arbeiten!«

»Du bist vielleicht `ne Spaßbremse«, bäffte Mosquito zurück, zog aber tatsächlich die schwarzen, bis zum Ellenbogen reichenden Gummihandschuhe mit einem schmatzenden Geräusch an.

Inzwischen hatte Brötchen angefangen, meinen Bart inklusive des Schädels zu rasieren. Dann schrubbte er mich ab, so emotionslos, als sei ich ein dreckiger, abgewetzter Barhocker in einer Bahnhofskneipe. Dann spürte ich seine Hände in einem Bereich, der eigentlich nur meinen vorbehalten war. Oder Händen, denen ich nur zu gerne gestattete, mich dort zu liebkosen. Aber in diese Kategorie fielen die groben, schwieligen Fernfahrerfinger von Brötchen garantiert nicht. Auch die Vorstellung, dass er die langen, schwarzen, gestülpten Gummihandschuhe trug, machte die Vorstellung nicht gerade angenehmer.

Es war einfach entwürdigend, regungslos dazuliegen und diese Reinigungsprozedur über sich ergehen lassen zu müssen. Es war, als wolle man sich vor Scham von sich selbst wegdrehen. Weil ich dennoch verstand, dass sie notwendig war, würde ich mich im Laufe der Zeit vielleicht daran gewöhnen können.

Als geradezu unerträglich erniedrigend empfand ich es jedoch, weder verbal noch körperlich in der Lage zu sein, mich gegen die Anfeindungen von Mosquito zu wehren. Selbst wenn ich ihm Rache schwor, vor mir selbst feierlich gelobte, ihm all das heimzuzahlen, wenn ich meine Haftstrafe abgebüßt hatte … was würde es bringen, ihn vor der Presse bloßzustellen, oder ihm aufzulauern und eine überzubraten? Meine derzeitige Situation bis zur Entlassung würde damit um keinen Deut erträglicher. Es sei denn, man glaubt daran, dass einem der Gedanke an Rache Befriedigung bringen kann. Ich denke jedoch, dass einen die Rache auffrisst und man ein persönliches Mandala daraus macht, das einen nur noch tiefer in den Abgrund reißt.

Die einzige Möglichkeit sich gegen Mosquito zu stellen war, sich ihm zu entziehen. Aber wie? Brötchen hatte seine Gummihandschuhe inzwischen ausgezogen. Er hatte den Kopfkissenbezug gerade neu bezogen und schüttelte das Kissen auf. Mit der Handkante drückte er eine Kerbe ins Kissen, um meinen Kopf besser darin betten zu können.

Da war es wieder, mein Werbefuzzi-Halbwissen, das es mir bisher ermöglicht hatte, meinen Lebensstandard auf hohem Niveau zu halten. Die beiden Worte Kopfkissen und Kerbe spülten bei mir eine Geschichte aus dem Unterbewussten herauf, die ich irgendwann einmal gehört oder gelesen hatte und die sich irgendwie in meinem Gedächtnis verhakt hatte:


Russland kann nicht eingenommen werden. Es ist einfach zu groß. Wenn es von einer Armee angegriffen und eine Kerbe ins Reich geschlagen wird, so weicht es zurück wie ein weiches Kissen, nur um danach die Angreifer von der Rückseite zu umschließen und zu verschlucken!

Ich war mir nicht sicher, von wem diese Aussage stammte. Ich glaubte mich jedoch zu erinnern, dass es sich um irgendeinen großen Feldherrn gehandelt hatte. Vielleicht sogar um den großen Kleinen namens Napoleon, nachdem er mit seinem Feldzug gegen Russland gescheitert war. Vielleicht hatte ich es diesem Herrn, der so gerne seine Hand am eigenen Bauch wärmte, zu verdanken, dass ich auf diesen Gedanken kam … Die Frage war nur: Wie konnte ich vor Mosquito zurückweichen, ohne mich aufzugeben? Und war ich wirklich groß genug dafür?

»Mein Gott, es ist Nr. 4, der so stinkt. Murgh Korma gemischt mit den Abwässern von Kalkutta. Der fault ja von innen raus!«

Mosquito war wieder in seinem Element … »He Daniel, Du hast gewusst, dass unser indischer Brandstifter das Stinktier ist, Du Sack!«

»Nein, ich hab’s nicht gewusst, sagen wir eher … geahnt«, entgegnete Brötchen ungerührt. »Aber mach nicht so dicke Backen und versorg den Guten erst mal oder muss ich Dir erst in Deinen knochigen Hintern treten?«

»Und wie ich den versorgen werde, religiöse Haartracht hin oder her, der Bart ist ab, hihi.«

Brötchen hatte mich auf die Seite gedreht und fuhrwerkte hinter meinem Rücken herum. Ich war mir nicht sicher, ob er mir zur Veranschaulichung ihrer »Macht« das ganze Schauspiel zeigen wollte, oder ob er tatsächlich irgendetwas in Seitenlage mit mir zu schaffen hatte.

Jedenfalls konnte ich sehen, wie Mosquito einen Langhaarschneider aus seinem Servicewagen hervorkramte und vor den Augen des zuerst entsetzt, dann zornig dreinblickenden Inders hin und her schwang.

»Der Bart ist ab, mein Lieber!«, wiederholt er noch einmal und blickte ihm prüfend in die Augen. »Diese verfilzte Matte werde ich mir daheim als Fußabstreifer vor die Türe legen!«

Aus den Augen des Inders loderte blanker Hass, gemischt mit dem Entsetzten, dass er mit seinem Bart auch sein religiöses Ansehen verlieren würde.

Mosquito grinste das gemeinste Lächeln, das ich je gesehen hatte, setzte den Langhaarschneider an und scherte Nr. 4 wie ein Schaf. Die langen Haupthaare fielen dem Rasierer ebenfalls zum Opfer.

»Gehst Du da nicht ein bisschen zu weit?«, fragte Brötchen. »Wenn das die Gefängnisleitung rauskriegt, haben Sie Dich am Kanthaken!«

»Wieso?«, grinste Mosquito herüber. »Ich mache das ja nur aus hygienischen Gründen. In so einer Matte kann sich ja alles Mögliche einnisten. Vermutlich lebt dort ohnehin schon die weltgrößte mobile Milbenkolonie!« Er gluckste und grinste zufrieden, um sich wieder an seinem Opfer zu laben. »Sein Puls ist schon bei 175 – geil!«

»Du bist schon ein perverser Hund«, meinte Brötchen. »Wenn Du Freunde hättest, würden Sie Dich von einer Brücke stoßen!«

»Das ist gut, hihi, wenn ich Freunde hätte«, gluckste Mosquito vor sich hin, offenbar irre zufrieden mit diesem Start in den Tag.

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