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Erlösung

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Mein Trick mit dem Kehrwasser funktionierte überraschend gut. Kaum hatte ich die Situation auf dem Fluss vor meinem geistigen Auge, beruhigte ich mich zutiefst und konnte meine Umgebung ausschalten. Das pulsende Wasser vor dem Walbuckel verschaffte mir einen tiefen Frieden. Immer wenn ich versuchte die Details dieses Bildes stärker zu fassen und nach meiner Vorstellung zu formen, verblasste das Bild und geriet ins Wanken. Wenn ich jedoch losließ, wurde es von ganz alleine detailgetreuer und wirkte nur noch beruhigender auf mich.

Das Raft und auch meine Kollegen kamen darin praktisch gar nicht mehr vor. Es gab nur noch den Fels und die beiden Strömungen, die gegeneinander und doch miteinander arbeiteten, um die Beständigkeit des Wandels zu symbolisieren. Manchmal hatte ich den Eindruck, mit einem glücklichen Gefühl voll und ganz in diesen Strömungen aufzugehen und selbst zum Fluss zu werden. Ich hatte keine Ahnung, ob dies – wie auch die Rückenschmerzen? – eine Nebenwirkung von Professor Marquez’ Serum war oder schlichtweg ein Ergebnis der psychischen Anspannung. Oder näherte sich der Wahnsinn bereits auf leisen Sohlen? Völlig egal, ein Besuch im Kehrwasser strengte mich zwar an, war aber auch zutiefst beruhigend.

Nach einer unbestimmten Zeit zog ich mich aus meinem Kehrwasser wieder heraus und spürte meinen schmerzenden Rücken wieder. Etwas unter meiner Nase juckte fürchterlich. Der Geruch von Kot stieg in meiner Nase auf, allerdings deutlich weniger intensiv als zuvor. Entweder hatte ich mich daran gewöhnt oder der Gestank hatte tatsächlich nachgelassen. Ich tippte auf Variante eins. Es verhielt sich vermutlich wie bei Parfum: Wenn man es zu lange benutzt und ständig unter der Nase hat, versucht der Geruchssinn, diesen Eindruck auszublenden, um sich den wichtigeren Aufgaben zu widmen. Wie zum Beispiel überleben! Riecht Nahrung zum Beispiel bitter, geht der Geruchssinn davon aus, dass es den Magen angreift oder vielleicht sogar giftig ist. Bei Parfumfetischisten führt diese Geruchsunterdrückung meist dazu, dass immer mehr Duftwasser aufgetragen wird, bis Mann oder Frau stinkt wie ein einbalsamierter Iltis. Das ehemals dezente Düftchen wird für Außenstehende zur Duftkeule, aus deren Reichweite man sich am besten so schnell wie möglich entfernt.

Das Jucken unter der Nase hatte dafür an Reiz zugenommen und wurde fast unerträglich. Normalerweise hätte ich mich mit einem Finger gekratzt. Aber was half einem ein Finger, wenn die daran hängende Hand und der dazugehörige Arm neben einem liegen, als gehören sie nicht dazu. Das gleiche galt für den anderen Arm, beide Beine, den Kopf, die … Mir wurde bewusst, dass ich meinen Körper mit seinen Bestandteilen mittlerweile als Fremdkörper betrachtete. Nur die Schmerzen im Rücken und das furchtbare Jucken unter der Nase verhinderten, dass ich den Bezug zu ihm völlig verlor. Aber was sollte ich tun? Die Augen aufzuschlagen war nach meiner bisherigen Erfahrung nicht die beste Idee. Vielleicht wartete Mosquito immer noch auf seinen großen Auftritt. Und selbst wenn er inzwischen den Raum verlassen hatte – was sollte ich machen? Das rote Kreuz auf meinem Holo-Flat-Pad aktivieren? Nur um zu riskieren, dass ich damit Mosquito zurück an mein Bett lotste und ihm damit eine doppelte Genugtuung verschaffte? Nein Danke! Und Bruder Martin über das Kruzifix auf dem Schirm rufen? Vielleicht steckte er mit Mosquito unter einer Decke? Was bei einem Priester eine äußerst prekäre Lage, wenn auch nicht ungewöhnlich wäre. Und selbst, wenn sie nichts miteinander zu tun hatten … würde Bruder Martin dann nicht eine Meldung machen und der Verdacht automatisch auf mich zurückfallen? Nach dem Motto: Nr. 5 hat gepetzt! Ich konnte es drehen und wenden: Es war ein Teufelskreis! Am Schluss würde ich immer die Retourkutsche bekommen.

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