Читать книгу WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN - Martin Selle - Страница 7

Die Königswege zur Bestsellerfigur

Оглавление

Nun haben wir schon eine ganze Menge über Figurencharakterisierung erfahren. Natürlich muss man einer Figur nicht einfach die ›knallrote Krawatte‹ verpassen, und das war es dann. Als Bestseller-Autor sind Sie daran interessiert, Ihre Figurenmerkmale professionell an den Leser zu bringen. Und wie Sie erahnen, gibt es auch dafür eine Handvoll bewährter Königswege der Profis. Diese Techniken stellen praktisch den Olymp des Figurencharakterisierens dar.

Königsweg 1: Darstellung durch Handlung

Erzählen Sie dem Leser nicht einfach, wie eine Figur aussieht, gekleidet ist, sich bewegt, zeigen Sie es ihm durch Handlung. Lassen Sie Ihre Figur aktiv etwas tun und sagen, anstatt mitzuteilen, was die Figur tut oder sagt. Man nennt diese Technik auch ›szenische Charakterisierung‹.

Der Vorteil dieser Meister-Technik besteht darin, dass Sie den Leser, indem Sie ihm den Helden in einer Aktion zeigen, sofort in die Welt der Geschichte hineinziehen. Ihr Held charakterisiert sich durch sein Verhalten, durch die Umgebung und durch die Reaktionen anderer Personen auf sein Tun. Dazwischen können Sie kurze ergänzende Sätze zum Aussehen und zur Vorgeschichte der Figur einflechten.

Sie war an die vierzig, schlank wie eine Gazelle und hatte ein kastanienbraunes Gesicht mit hellwachen, eiskalten Augen. Die breite Krempe ihres Strohhutes warf einen Schatten auf ihre Brillantohrringe, die im Licht der Südseesonne glitzerten. Sie trug einen gestreiften Bikini, dem man nicht ansah, dass er mehrere Hundert Dollar gekostet hatte.

Hier erfahren wir Genaueres über die Person (schlank wie eine Gazelle) und das Alter der Frau. Ebenso wichtige Details über ihr Gesicht. Vor allem, dass ihre Augen hellwach und eiskalt sind (unter der warmen Südseesonne), weisen deutlich auf Charakterzüge hin, wir ordnen diese Frau sofort einer ›gewissen Kategorie‹ zu. Bestimmt denkt der Leser nicht an eine Zeitungsverkäuferin. Die Brillantohrringe und der Ort, die Südsee lassen uns auf Reichtum schließen.

Oder dieses Beispiel:

»Wir schlagen los – jetzt sofort. Ich trau der Sache nicht!«, sagte Rick in seinem gewohnt gebrochenen Englisch.

Wir erfahren, dass ein Mann namens Rick ›losschlagen‹ will. Eine Handlung beginnt unmittelbar jetzt. Offenbar, so erfahren wir über Rick, ist er ungeduldig und misstrauisch. Es hat den Anschein, als müsse er mit jemandem zusammen einen Auftrag erledigen. Und er spricht ein gebrochenes Englisch, stammt also demnach aus einem anderen Land, Englisch scheint nicht seine Muttersprache zu sein.

Verwenden Sie also, vor allem am Anfang Ihrer Geschichte, zeigende, handelnde Techniken zur Charakterisierung. Beschreibende Techniken, die erzählen, behaupten, anstatt zu zeigen, um Figuren zu charakterisieren, wirken auf den Leser ermüdend, ziehen ihn nicht in die Welt Ihrer Geschichte tief hinein.

Jenny trug heute Turnschuhe, eine enge Jeans sowie ein gelbes T-Shirt und ihr Stirnband.

Leser unterscheiden Figuren aufgrund ihrer Handlungen, nicht dadurch, was Sie als Autor über die Figur berichten. Sagen Sie niemals, wie eine Figur ist, bringen Sie es durch Handeln der Figur zum Ausdruck. Sehen wir uns ein Beispiel an, wie wir eine Charaktereigenschaft einer Figur durch Handlung deutlich machen könnten:

Tobias war mehr als mutig.

Dieser Satz stellt eine bloße Behauptung des Autors dar. Uns wird mitgeteilt, dass Tobias mutig ist. Diese Form der Charakterisierung ist ungeschickt, sie berührt uns gefühlsmäßig nicht. Wie könnten wir bildhaft zum Ausdruck bringen, dass Tobias Mut besitzt:

Tobias stieg als Erster auf den morsch wirkenden Baumstamm. Schritt für Schritt tasteten sich seine nackten Füße vorwärts. Ich wurde nur vom Zusehen fast wahnsinnig. Die Schlucht unter ihm musste mindestens hundert Meter tief sein und nur Felsen!

Diese Beschreibung von Tobias’ Mut ist gelungener, weil der Leser die Eigenschaft sieht. Tobias wird durch eine Handlung charakterisiert, die seine Tapferkeit zum Ausdruck bringt. Natürlich sollte das Bild, mit dem Sie Tobias’ Mut zeigen, inhaltlich zur Geschichte passen. In Tobias’ Fall könnte es sich um eine Pfadfindergeschichte handeln. Noch ein Beispiel: das ängstliche Kind. Wir erklären nicht, dass das Kind Angst hat, wir zeigen es durch Handlung:

Sämtliche Lichter in dem unheimlichen Haus erloschen auf einen Schlag. Sarah sah nicht einmal mehr ihre Hand vor den Augen. Instinktiv wich sie zurück, presste ihren Rücken gegen die Wand und rutschte zu Boden. Zitternd kauerte sie sich in die Ecke und lauschte auf das nahende Geräusch.

Die Technik besteht also darin, Charaktereigenschaften, wie eine Person ist, durch Handlung darzustellen und dem Leser nicht einfach nur mitzuteilen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Suchen Sie nach geeigneten Bildern, die Eigenschaften zeigen. Ihre Fantasie wird Ihnen dabei helfen.

Königsweg 2: Darstellung durch Überzeichnung

Das Überzeichnen oder Übertreiben von Eigenschaften ist eine hervorragende Technik der Charakterbeschreibung. Denken Sie in diesem Zusammenhang an Karikaturisten, die den Erkennungseffekt von Personen, die sie mit nur wenigen Strichen darstellen, erreichen, indem sie ein oder zwei markante Körperteile überzeichnen, also übertrieben deutlich zum Ausdruck bringen. Da reichen die große krumme Nase, die extrem abstehenden Ohren oder die weit vorstehenden Zähne. Sofort wissen wir, wer gemeint ist.

Diese Technik machen sich auch Schriftsteller zunutze. Wenn Sie einen vollkommen neuen, unverwechselbaren Helden erschaffen wollen, dann dürfen Sie sich auf keinen Fall davor scheuen zu überzeichnen – und zwar frech wie Oskar! Das Mittel der Übertreibung ist für Sie als Schriftsteller wahrhaft unbezahlbar. Ein Beispiel:

War Ben erst einmal gestartet, dann brauchte er nur zwei Sekunden, um von null auf hundert zu sein.

Kein Mensch glaubt auch nur einen Augenblick daran, dass Ben 100 km/h laufen kann. ›Von null auf hundert‹ ist eine Redensart, um auszudrücken, dass etwas schnell geht. Aber diese Übertreibung bringt zum Ausdruck, dass Ben ein besonders guter Läufer ist. Wir können uns leichter ein Bild von Ben machen. Und darum geht es schließlich.

Aber auch hier Vorsicht: Ihre Überzeichnungen müssen sich immer im Rahmen des Glaubhaften bewegen und überzeugend bleiben.

Insider-Tipp: Besonders angebracht kann Übertreibung sein, wenn es darum geht, Kinder zu charakterisieren und unterscheidbar zu machen.

Sie können eine Vielzahl von Eigenschaften überzeichnen: Talente, Körperlichkeiten, geistige Fähigkeiten, Angewohnheiten, Ansichten, Einstellungen, Ängste, Behinderungen, Stärken, Schwächen. Es existieren praktisch keine Grenzen für Ihre Fantasie. Das Spektrum der Möglichkeiten, das sich Ihnen erschließt, ist schier unendlich.

Ein Ratschlag, der Ihnen hilfreich sein kann, um die Technik der Überzeichnung in den kleinen Finger zu kriegen, ist dieser: Setzen Sie sich in ein Straßencafé und beobachten Sie die Menschen. Versuchen Sie herauszufinden, welches Merkmal Ihnen an der einen oder anderen Person besonders auffällt. Stellen Sie sich nun dieselbe Person vor und übertreiben Sie das Ihnen aufgefallene Merkmal extrem. In diesem Moment haben Sie eine neue Figur erschaffen, die sich von allen anderen deutlich unterscheidet. Diese Übung wird Ihnen auch zeigen, dass es tatsächlich eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten gibt, eine Person nur durch Überzeichnen von Eigenschaften zu charakterisieren, sie also für den Leser leicht erkennbar zu machen und sie in sein Gedächtnis ›einzubrennen‹. Schauen wir uns noch ein Beispiel an:

Wenn Marc O’Sullivan einen Raum betrat, konnte man binnen einer Sekunde selbst das leiseste Atmen hören.

Wir erhalten einen Eindruck davon, dass Marc O’Sullivan eine imposante Erscheinung ist, welche die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sobald er einen Raum betritt.

Der Trick hinter der Überzeichnung ist der, dass Leser an ›normalen‹ Menschen nicht interessiert sind. Gewöhnliche Durchschnittstypen berühren uns gefühlsmäßig nicht. Überzeichnete Figuren hingegen bewegen uns innerlich, berühren uns. Eine Person, die (nur) in Eile ist, interessiert uns nicht so stark wie jemand, der sich ›zu Tode hetzt‹. Die Kunst besteht darin, Figuren mit Eigenschaften und Merkmalen auszustatten und diese Kennzeichen dann zu übertreiben. Bleiben Sie dabei aber immer glaubwürdig. Beobachten Sie die Menschen und übertreiben Sie deren kennzeichnende Eigenschaften. Auf diese Weise erhalten Sie schnell eine einprägsame Figur.

Königsweg 3: Darstellung durch Vergleich

Ein wirklich hilfreiches Mittel, um im Kopf des Lesers ein Bild der Figur entstehen zu lassen, ist der Vergleich mit einer bekannten Größe oder Eigenschaft. Durch das Aufrufen einer geläufigen Größe in unserem Gedächtnis lassen wir unmittelbar ein Bild der Figur entstehen. Achten Sie aber darauf, dass Sie Vergleichsbilder verwenden, die der Leser auch mit Sicherheit kennt, sonst verwirren Sie ihn eher. So könnte ein Vergleich aussehen:

Sarah war so schlank, man hätte sie für Claudia Schiffer halten können.

Nick sprang die Treppe mit der Leichtfüßigkeit eines Grashüpfers hinauf.

Wenn Mama schrie, kam das für mich dem Start einer Boeing 747 gleich, so laut keifte sie.

Sie können auch einen vergleichenden oder übertreibenden Dialog verwenden, um eine Figur zu beschreiben und dem Leser einen deutlichen Eindruck von ihr zu vermitteln. Nehmen wir folgende Szene an: Harry sitzt auf einer Parkbank und wartet auf Maria, seine Frau. Maria ist verspätet, und Harry will ihr nahelegen, dass er von Unpünktlichkeit nicht viel hält. Ein Anfänger würde das vermutlich etwa so schreiben.

»Ich warte schon seit Stunden auf dich.«

Diese Aussage teilt lediglich eine Information mit, charakterisiert aber weder Harry, noch erfahren wir etwas über Maria. Weiters ist ›seit Stunden‹ eine schwache, klischeehafte Übertreibung, wie das auch ›eine Ewigkeit‹ sein würde. Besser wäre da schon:

»Sieh einer an, da ist ja mein Herzb latt. Ist es diesmal der zweite oder der dritte Frühling, der ins Land zieht, seit ich hier auf dich warte?«

Hier spürt der Leser, dass Harry über das Zuspätkommen von Maria nicht gerade erfreut ist. Ein gewisses Knistern liegt in der Luft. Harry wird als Mensch dargestellt, der auf Pünktlichkeit setzt, Maria wird charakterisiert als jemand, der gerne zu spät kommt, und das nur durch das kleine Wort ›diesmal‹.

Erlernen Sie die Technik des Vergleichens. Verwenden Sie dabei kreative Vergleichsbilder, die den Leser zum Vorstellen der Bilder anregen. Sie erwerben sich damit eine äußerst praktikable Methode der Figurencharakterisierung. Aber es gibt noch weitere faszinierende Tricks.

Königsweg 4: Außergewöhnlich sein

Es gibt ein paar Bereiche, die eine außergewöhnliche Figur ausmachen. Diese Bereiche überschneiden sich. Daher ist es für Sie als Autor dienlich, sich diese Bereiche bewusst zu machen. Auf diese Weise werden Ihnen Charakterisierungen leichter gelingen.

1: Persönlichkeit

Die Persönlichkeit bestimmt die Besonderheit eines Menschen. Dazu gehören Verhaltensweisen, die eine bestimmte Person kennzeichnen: Charme, Liebenswürdigkeit, Stärken, Schwächen, Charisma. Wir unterscheiden folgende Persönlichkeitstypen:

Melancholiker: Er ist nachdenklich, gefühlsbetont, kaum unternehmungslustig, empfindsam, grüblerisch, schwermütig.

Sanguiniker: Er ist fröhlich, sinnlich, optimistisch, hoffnungsvoll.

Choleriker: Er ist aufbrausend, zornig, rachsüchtig, ungeduldig, unbesonnen, heißspornig.

Phlegmatiker: Er ist zurückhaltend, gelassen, ruhig, gesetzt, gefestigt.

Der Extrovertierte: Er ist auf die äußere Welt fokussiert, er fühlt sich in der Menge wohl, geht auf Partys, teilt sich gerne mit. Extrovertierte Figuren sorgen für Konflikt und bringen deshalb die Handlung besonders gut voran.

Der Introvertierte: Er konzentriert sich auf die innere Realität, ist der Einzelgänger, eher sensibel, liest, meditiert.

Der Empfindsame: Er erfährt das Leben durch seine Sinne, konzentriert sich auf die körperliche Wahrnehmung seiner Umwelt - Farben, Formen, Geräusche, Gerüche, Geschmack. Er lebt im Jetzt, ist körper- und sinnorientiert (Koch, Maler, Designer ...).

Der Denkende: Er analysiert knallhart, erkennt ein Problem und sucht systematisch nach der besten Lösung. Er entscheidet nicht nach Gefühlen oder aus dem Bauch heraus, sondern logisch, objektiv, methodisch und prinzipiell.

Der Fühlende: Er ist warmherzig, fühlt mit dem Schicksal anderer mit und zeigt seine Gefühle offen (Kindergärtnerin, Krankenschwester, Sozialberufler ...).

Der Intuitive: Er lebt in der Zukunft, träumt vor sich hin, entwickelt Visionen, hat Ideen und schmiedet Pläne. Er hat Ahnungen und Vorgefühle, wartet, was da kommen mag (Künstler, Erfinder ...).

Die meisten Menschen und Figuren sind eine Mischung aus zwei oder drei verschiedenen Typen. Wir alle nehmen die Welt um uns herum mit den Sinnen (Erfahrungen) und zugleich intuitiv wahr. Diese Informationen verarbeiten wir dann mit Gehirn und Seele, also rational und emotional.

Sie sollten den Typus Ihrer Figuren kennen, das hilft Ihnen dabei, Figuren zu entwerfen, die sich deutlich unterschiedlich verhalten und aussehen. Besorgen Sie sich ein Buch, das Charaktertypen beschreibt – das wird Ihnen sehr weiterhelfen.

2: Einstellung

Die Einstellung schildert die Haltung einer Figur zu anderen Menschen, Orten und zeigt ihre Gefühlsregungen. Dazu gehören Denkart, Ideologien, Vorlieben, Fähigkeiten, Interessen, Sympathien, Abneigungen.

3: Temperament

Das Temperament offenbart dem Leser die Art und Weise, wie eine Figur handelt, anderen gegenüber auftritt, auf Ereignisse reagiert. Kurz: das Naturell.

4: Einzigartigkeit

Die Einzigartigkeit umfasst alle Merkmale, die eine Figur von anderen unterscheidet. Gemeint ist das Anderssein. Sie beschreiben und zeigen die konkreten Details einer Figur.

5: Verhaltensweise

Die Verhaltensweise beschreibt die Art, wie sich eine Figur verhält, kleidet, spricht und Ähnliches.

Insider-Tipp: Der Leser merkt sich am besten exzentrische, abartige Merkmale, also Eigenheiten, die von der allgemein üblichen Norm abweichen. Ihre Figur darf auf den Leser ruhig ein wenig verrückt, in einer Hinsicht durchgeknallt, komisch wirken. Es sind die launischen, unberechenbaren Figuren, die sich dem Leser tief einprägen. Achten Sie beim Entwerfen Ihrer Figuren darauf, dass diese ein exzentrisches Merkmal aufweisen. Gelingt Ihnen das nicht, kann die Figur auf den Leser schnell langweilig wirken. Unsterbliche Figuren sollten zu sehr launischem Verhalten in der Lage sein.

Stellen Sie sich dazu einen Mann vor, der, immer wenn er sein Bier ausgetrunken hat, das Glas aufisst. Sie glauben, ich habe das erfunden? Weit gefehlt! Ob Sie es glauben oder nicht: In meinem Dorf gab es diesen Mann tatsächlich. Auch Glühbirnen zählten zu seinen bevorzugten ›Mahlzeiten‹

Jemand spuckt in sein Getränk, nachdem es serviert wurde, damit niemand daraus trinkt.

›Da werden Sie geholfen.‹ Statt ›wird Ihnen‹; grammatikalisch falsche Sprache als Merkmal.

Königsweg 5: der Blick durch das Schlüsselloch

Bei dieser Technik beschreiben Sie den Charakter einer Figur aus den Augen einer dritten Person heraus. Jemand blickt sozusagen durch ein Schlüsselloch und versorgt uns mit Informationen über Eigenheiten einer Figur.

Zum Beispiel könnte Henry in einem Gespräch mit Paula wesentliche Merkmale von Chris nennen. Der Leser kennt Chris noch gar nicht, wird aber schon neugierig auf ihn gemacht.

Jemand könnte eine Figur in der Menge beschreiben. Kurz: Eine dritte Person erzählt etwas über eine Figur. Schriftsteller, die diese Technik verwenden, lassen Dritte die unglaublichsten Geschichten über eine Figur verbreiten, sie schildern eine Person als den ultimativen Bösewicht, den Besten unter den Seinen, den schnellsten unter allen Revolverhelden.

Ist eine Figur erst mal so definiert, dann kann der Leser den Auftritt dieses Helden kaum noch erwarten. Er klebt regelrecht an Ihrer Geschichte.

Sehen wir uns dazu ein Beispiel an:

»Eddi sieht vielleicht komisch aus, kann ich Ihnen sagen: mit seinen Ferkelaugen, d ie wie schwarze Punkte funkeln, daneben die abstehenden Ohren wie bei Fledermäusen und die speckige Glatze dazu. Könnte in einem Comic auftreten, der Typ.«

Königsweg 6: der Kontrast

Kontraste, Gegensätzlichkeiten, können eine Figur charakterisieren, und so eine Menge über eine Person aussagen. Menschen sind unberechenbar, unlogisch und handeln oft unvorhersehbar.

Leute tun überraschende und erschreckende Dinge. Diese Aspekte, die wir an Figuren nicht sofort sehen, wirken auf den Leser besonders anziehend. Bei dieser Technik suchen Sie nach Widersprüchlichkeiten zwischen dem, was eine Figur tut, und dem, was der Leser aufgrund der Erscheinung der Person als Verhalten erwarten würde. Sie sind also auf der Jagd nach Dingen, die überhaupt nicht zusammenpassen.

Wie wenden Sie die Technik ›Kontrast‹ praktisch an? Legen Sie zuerst ein bestimmtes Charakterelement fest. Dann suchen Sie nach einem zweiten Element, das im Gegensatz zum ersten Wesenszug steht, und zeigen beides.

Am besten lassen Sie Ihre Figur etwas tun, dass der Leser nicht von ihr erwarten würde. Vielleicht so: Der Ehemann kommt nach Hause, mit einem Strauß roter Rosen zum Hochzeitstag. Die Frau ist hingerissen, fällt ihrem Mann um den Hals. Die Kinder kommen gelaufen und begrüßen Papa. Das Familienglück ist perfekt. In der nächsten Szene geht derselbe Mann mit seinen Freunden in das Freudenhaus.

Dieses Verhalten weicht deutlich von dem ab, was der Leser von dem treuherzigen Familienvater und Ehemann erwarten würde. Der Leser wird sich diese Figur merken. Suchen Sie nach Kontrasten und Sie sind auf dem besten Weg, eine Figur zu erschaffen, die für den Leser interessant ist.

Königsweg 7: das Geheimnisvolle

Diese Technik ist eine der wirkungsvollsten. Warum? Weil wir Menschen von Natur aus neugierig sind. Denken Sie nur an Ihre Kindheit zurück, an die Geschenke unterm Weihnachtsbaum. Sie konnten es überhaupt nicht mehr erwarten zu erfahren, was sich in den verpackten, geheimnisvollen Geschenken befand. Diese unbändige Neugier! Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den Geschenken.

Dieses Verhalten machen sich Schriftsteller zunutze. Wenn Sie also eine Figur erfinden möchten, die sich auf immer und ewig im Gedächtnis des Lesers einbrennt, dann lassen Sie Ihren Helden geheimnisvoll, mysteriös erscheinen.

Wie machen Sie das in der Praxis? Sie zeigen eine Figur, die der Leser nicht einordnen kann, von der er sich nicht sicher ist, auf welcher Seite sie steht, die ihm Rätsel aufgibt über sein wahres ›Ich‹. Denken Sie nur an Figuren, von denen Sie bis zum Ende der Geschichte nie wirklich gewusst haben, ob sie ein ›Freund‹ oder ein ›Feind‹ sind. Eine geheimnisvolle Figur zieht jeden Leser in ihren Bann; er muss einfach die Wahrheit über diese Figur erfahren. Hier ein Beispiel aus meinem Jugendkrimi ›Der Millionenschüler‹. Da führe ich auf Seite 18 eine geheimnisumwitterte Figur ein, die ich den ›Schatten‹ nenne:

Sandra, Armin und Mario bezahlten und verließen das Café in Richtung Getreidegasse.

Klick.

Das Foto war scharf.

Wenige Schritte hinter SAM trat der Schatten auf die Straße hinaus, folgte den Detektiven in sicherer Entfernung und verschmolz dann ebenso mit der Menschenmenge in der engen Gasse.

Spüren Sie das Mysteriöse an dieser Figur? Sofort wollen wir wissen, wer dieser ominöse Schatten ist, für wen er arbeitet, weshalb er von den drei Kindern, die sich SAM nennen, Fotos schießt. Wir sind gefesselt, neugierig und wollen mehr wissen. Ich habe durch diese kurze Szene einen Spannungsbogen eingeleitet, der sich bis zum Schluss hinzieht, ehe der Leser erfährt, wer dieser geheimnisvolle Schatten ist und was es mit seiner Person auf sich hat.

Sorgen Sie also dafür, dass sich der Leser über das Verhalten einer Figur Fragen stellt. Aber nicht nur das Verhalten einer Figur kann Geheimnisse bergen, auch deren Vergangenheit, Verbindungen zu anderen Personen, Milieus. Die Technik des Geheimnisses eignet sich besonders gut, um am Beginn einer Geschichte Spannung zu erzeugen. Durch geheimnisvolle Figuren ziehen Sie Ihre Leser besonders schnell und intensiv in Ihre Geschichte hinein.

Niemand kannte seinen Namen. Niemand wusste, woher er kam. Und niemand würde ihn jemals zu Gesicht bekommen. Nur die Überlebenden, sie würden sich an ihn erinnern – für ewig. Seine Zeit war gekommen.

Königsweg 8: Abnormität

Figuren lassen sich ebenfalls durch abnorme Verhaltensweisen stark charakterisieren. Da gibt es in der Literatur viele Typen: den Paranoiker, den Psychotiker, den Hysterischen, den Manisch-Depressiven. Jeder Mensch trägt ein gewisses Quantum an Abnormität in sich, jeder ist ein bisschen verrückt auf seine ganz eigene Art und Weise.

Manische Figuren glauben, sie können alles und jeden erreichen. So könnte Ihr Held über Leichen gehen, um sein Ziel zu erreichen.

Schizophrene wirken schüchtern, unsicher, verlegen und äußerst sensibel. Man hat das Gefühl, nie wirklich zu wissen, woran man ist.

Paranoiker fühlen sich ständig von allen anderen verfolgt und neigen deshalb zu Aggressivität, sie wollen der Anführer sein.

Angstneurotiker fürchten sich vor allem und jedem. Sie machen sich ständig Sorgen um Gott und die Welt. Überall vermuten sie Untergang und Verderben.

Bedenken Sie, dass solche Charaktere immer (auch zum Ende Ihrer Geschichte) bleiben, was sie sind. Abnorme Personen ändern sich nicht grundlegend. Die Psychopathin wird nicht plötzlich die liebevolle Säuglingsschwester sein können.

Suchtverhalten wirkt auf den Leser abnormal. Stellen Sie sich vor, Ihr Held verspeist jeden Tag zehn Tafeln Schokolade, die Kindergärtnerin bringt liebend gerne achtjährige Mädchen um, zerstückelt sie und schickt den Eltern mit der Post Teile nach Hause. Das geht unter die Haut.

Abnormitäten rütteln an unseren Gefühlen und machen Figuren somit interessant und leichter erinnerbar.

WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN

Подняться наверх