Читать книгу Losers' Ball - Martin Selm - Страница 10

Kapitel 7

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Tim: >>Was war denn nur mit dir los? Alles wieder klar bei dir? Wir haben uns echt sorgen gemacht. Du musst mal nachdenken, was du da machst.<<

Robert verstand nichts. Er versuchte mit aller Kraft die Augen zu öffnen, doch er schaffte es nicht darüber hinaus, aus zwei verquollenen Schlitzen hervor zu linsen. Tim stand über ihm.

>>Ich...ich...ich glaube der Joint war falsch...<<

Sein Schädel schmerzte entsetzlich. Es waren Kopfschmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Ein Kater war ein schlechter Witz dagegen. Er wagte es nicht sich zu bewegen. Das Licht in seinen Augen brannte sich in ihn ein, wie glühende Eisen, die auf seiner Hirnhaut eitrige, entzündete Wunden hinterließen. Er hatte keine Erklärung dafür, was, oder wer solch einen Zustand verursacht haben könnte. Nachzudenken bedeutete Schmerzen, unfassbare Schmerzen. Er konnte nicht erkennen wo er war. Tims Gestalt war nicht schwer zu erkennen, außerdem hatte er eine sehr auffällige Stimme, deren nasaler Charakter noch durch die nuschelige Aussprache betont wurde. Es war Tim, der bei ihm war, das war der einzige Fakt, der feststand.

Der Raum, in dem er sich befand war ihm nicht geheuer. Die Gerüche, die er vernahm trugen auch nicht gerade zu seinem Wohlbefinden bei. Er konnte nur danach urteilen, was ihm seine Gefühle als Rückmeldung übermittelten - und die waren negativ. Hätte er eingehender über die Zusammensetzung des in der Luft hängenden Geruches nachzudenken vermocht, so wäre ihm sicherlich der für diesen Ort typische beißende Charakter der Luft aufgefallen. Dem war zwar nicht so, doch seine Gefühle und Instinkte hatten ihm bereits darauf schließen lassen, dass er sich im Zimmer eines Krankenhauses befand. Dass dies blöd war musste er nicht weiter erörtern, das verriet ihm zum einen sein Gefühl und zum anderen der unerträglich schmerzhafte Zustand in dem er sich befand.

Es war eine zähe Woche gewesen. Urlaub zu haben war eine schöne Sache, doch da er, als von seiner Zeitarbeitsfirma herumgereichtes Serviceprodukt kaum die Möglichkeit hatte selbst zu bestimmen, wann er sich Auszeiten vom trostlosen Arbeitsalltag nahm, wurde er zu unpassendsten Zeiten zum faulenzen geschickt. Der nennenswerteste Vorteil war der, dass er ausschlafen konnte. Die meiste Zeit hatte er natürlich mit Robert verbracht. Sie waren schon seit Ewigkeiten befreundet. Er bewunderte, um nicht gar zu sagen liebte Robert dafür, dass er das Leben so sah, wie er selbst es sah. Es war schwierig in Zeiten, in denen die Oberflächlichkeit der Menschen immer neue Höhen erklomm sich selbst treu zu bleiben. Sie waren keine Humanisten, sie waren auch alles andere als besonders sozial oder alternativ. Ihre größte Leistung bestand im wesentlichen darin, einfach komplett unauffällig zu sein. Sie lebten ihr leben, waren dabei weder verschwenderische Konsumtrottel, noch von Verbesserung einer im Grunde längst untergegangenen Welt schwafelnde Träumer. In Zeiten, in denen der Hang zu Extremen immer größer wurde, so kam es Tim zumindest vor, war es schon eine Leistung wenn einem das Meiste im Leben schlicht egal war. Natürlich hätte es Robert anders haben können. Er war ein kluger Junge, wenn er wollte. Er hätte seinen Platz finden können, aber das war lange her. Fest stand, dass der Eine ohne den Anderen oft noch verlorener gewesen wäre. Tim hatte sich mit seinem Leben arrangiert, er hatte kein Problem damit niemals Karriere zu machen und sich von miesen Jobs zu ernähren. Er war keiner, den man deswegen schief ansah. Eines seiner größten Talente war, dass er schlicht unnachahmlich lustig war. Er konnte regelrecht umwerfend sein. Sein Lebensmut hatte ihn niemals verlassen und er war zufrieden mit sich und dem was er hatte. Bei Robert war das anders. Auch wenn er es nie zugegeben hätte, doch im Grunde war Robert seit langem verloren. Die Lethargie, die ihn zu umhüllen schien lähmte ihn und ließ ihn langsam verfallen. Er war wie ein Zahn, den man seit Jahren nur mehr oberflächlich putzte und in dessen inneren bereits alles von Bakterien zerfressen war. Doch die äußere Hülle schien, dem gewählten Lebensstil entsprechend, noch weitestgehend intakt.

An den Wochenenden verbrachten sie die Zeit meist in Bars oder heruntergekommenen Clubs. Es waren Orte, an denen normale Menschen verkehrten. Jungs und Mädels, die einfach feiern wollten und das ohne sich vorher einem bestimmten Dresscode zu unterwerfen. Das und der Besuch von Konzerten machte das kulturelle Programm aus, mit dem sie ihr Leben erhellten. Robert hatte sich an jenem Freitagabend nicht bei ihm gemeldet. Das war kein Anlass zur Sorge gwesen, oftmals tauchte er einfach auf, es gab nicht viele Orte, an denen man Freitagabende wie diesen verbringen konnte. Tim hatte nicht viel erwartet. Er wusste, dass Roberts erspartes zur Neige ging und er selbst war auch alles andere als vermögend. Robert war, was im Widerspruch zu einer Vielzahl anderer Charaktereigenschaften stand, die ihn auszeichneten, ein höchst zuverlässiger Mensch. An einem Wochenende war es eigentlich undenkbar, dass er nicht an sein Telefon ging. Tim war es zunächst egal gewesen, er hatte vermutet, dass diese Verrückte eventuell etwas damit zu tun haben könnte. Nachdem er dann jedoch vier Bier mit seinen aktuellen Arbeitskollegen hatte durchhalten müssen, und das in dem Club, in dem sie die Freitage oftmals zu verbringen pflegten, wurde er zumindest ungeduldig.

Es war bereits nach 2 Uhr nachts gewesen, als er sich entschlossen hatte Robert einen Besuch abzustatten. Auf dem Weg dorthin hatte es Verzögerungen gegeben. Er war betrunken gewesen, sehr betrunken. Sehr betrunken deswegen, da er zunächst beschlossen hatte sich den Abend mit Jägermeister zurecht zu trinken. Der Plan war misslungen, schlechte Musik und noch schlechtere Menschen ließen sich im Zustand einsamer alkoholischer Intoxikation auch nicht aushalten. Ohne einen Verbündeten würde das Unglück über ihn kommen. Der Alkohol ließ ihn stur werden im Bezug auf seine Gefühle. Hatte sich die depressive Stimmung erst einmal breit gemacht, würde er sich nicht mehr aufheitern lassen. Paradoxerweise war er sich dessen bewusst gewesen, auch wenn er nicht wusste, ob er nun bereits schlechte Laune hatte, oder ob ihm das noch bevorstehen würde. So hatte er den Club verlassen, wobei er einige Umwege in Kauf nehmen musste, da er von einem übermotivierten Türsteher dabei erwischt wurde, wie er im Außenbereich an eine Hecke gepisst hatte. So musste er kurzerhand fliehen, da er keinen Sinn darin sehen konnte sich belehren zu lassen warum sein Handeln unfassbar asozial sei und aus welchen Gründen man so etwas nicht tun würde. Kurzerhand war er erneut im inneren des Clubs verschwunden, bevor der Türsteher nah genug an ihn herankommen hätte können. Dort angekommen – und das war nun erneut Paradox – war er aufs Klo gegangen. Hier hatte er sich eine Zigarette angezündet, all die Arschlöcher, die ihn darauf hingewiesen hatten, dass dies verboten sei ignoriert und war schließlich, als er für einen Moment für sich war, aus dem Fenster ins Freie geklettert. All das hatte Zeit in Anspruch genommen.

Er war nun letztendlich also vor Roberts Wohnungstür gestanden, ohne zu wissen, was er dort eigentlich wollte. Betrunken war er bereits zu genüge gewesen und er hatte auch keine große Lust verspürt sich noch zu übergeben, was ihn allerdings zwangsläufig erwartet hätte, hätte er sich entschlossen weiter zu trinken. Die erlebten Abenteuer hatten ihn auch vergessen lassen, dass er eigentlich sauer auf Robert war, da dieser ihn in mit seinem Suff alleine gelassen hatte. Während er diese Überlegungen zu ordnen suchte, hatte er festgestellt, dass Roberts Tür nur angelehnt war. Da war er eingetreten und hatte Robert auf dem Boden des Raumes in seinem Erbrochenen liegend gefunden. Die halb geöffneten Augen und die komisch anmutende Vermischung der Haare mit dem Erbrochenen, oder viel mehr die Art und Weise wie beides ineinander verflochten zu sein schien, das war es, was Tim noch immer vergegenwärtigte, dass dort eine ernste Situation vorgelegen hatte. Die Kotze war bereits angetrocknet gewesen. Robert war zusammen gekrümmt gelegen und sein Atem schwer gewesen. Tim hatte instinktiv gewusst, dass hier etwas aufs äußerste schief gelaufen war. Neben Robert waren die Scherben einer zerbrochenen Bierflasche gelegen. Die Bilder waren sich seltsamerweise sehr ähnlich. Hier die Scherben der Flasche in der Lache ihres Inhalts und dort die Scherben des Robert in der Lache seines Inhalts. Schließlich hatte Tim den Notarzt gerufen.

Die Gehirnerschütterung machte ihm noch über Tage zu schaffen. Bei der kleinsten unvorsichtigen Bewegung schien sein Kopf zu implodieren. Die Einsamkeit ließ ihn mehrmals weinend zusammenbrechen. Unter seiner Wohnung ging das Leben weiter, niemand kümmerte sich darum wie es ihm ging. Er hatte in dieser Stadt, seit er vor zwei Jahren hier angekommen war nur oberflächliche Bekanntschaften geschlossen. Besoffene, die sich über Fussball unterhielten - es waren keine Freundschaften von Substanz, die er hier eingegangen war. Er hatte nur Tim. Nachdem er damals nicht wusste, was er mit sich und der ihn zerfleischenden Wut machen sollte, war er Tim einfach gefolgt. Tim hatte eine gute Stelle in Aussicht gehabt und Robert wollte einfach nur weg. Die gute Stelle hatte sich natürlich bald als der letzte Dreck entpuppt, als ein weiterer Tritt des Lebens in Tims Gesicht. Robert war ohnehin gestrandet gewesen und so hatten sie ihr Leben einfach irgendwie weiter gelebt. Doch nun, da er alleine seinen Schmerzen ausgesetzt war brannte in Robert eine schreckliche Sehnsucht nach seinem alten Leben. Er hätte wohl sogar seine Eltern angerufen, doch die waren mehrere hundert Kilometer entfernt und außerdem verursachte jeglicher akustische Reiz starke Kopfschmerzen. Er lag auf dem Bett und spürte wie sein Kreislauf sich von ihm verabschiedete. Seit Tagen hatte er kaum etwas gegessen. Jetzt, so dachte er, wäre es doch ein gutes, wenn sich sein Körper zu sterben entschließe.

Marie fühlte sich, als hätte sie gerade etwas schlechtes gegessen. Noch wohlauf, aber in dem Wissen, dass die Vergiftung unausweichlich sein würde. Das beschrieb ihre Gefühle wohl am besten. Sie hatte gelernt ihre Gefühle kontrollieren zu können. Vermutlich manipulierte sie sich gar selbst, indem sie sich – bewusst, oder unbewusst – stets Kerle aussuchte, bei denen gewährleistet war, dass man mit ihnen Spaß haben könnte, die jedoch derart farblos waren, dass sie nicht Gefahr laufen würde sich in sie zu verlieben. Sie wusste, dass sie sich in Robert geirrt hatte ebenso wie sie wusste, dass er sich bereits in ihrem Kopf, oder schlimmer in ihrem Herzen niedergelassen hatte. Zunächst hatte sie ihn dafür gehasst, dann sich selbst, schließlich die Welt als ganzes und am Ende war sie schlicht verwirrt gewesen.

Der Schlaf lies eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten und der neue Tag, Samstag, begann mit Regen. Sie duschte sich und gab die sinnlosen Versuche sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren auf. Sie musste ihn sehen. Sie musste herausfinden, ob hinter dieser unsicheren Fassade tatsächlich mehr war. Als sie wachgelegen hatte, war ihr klar geworden, warum sie ihn so gleich wieder verlassen hatte, als sie das erste mal in seiner Wohnung gestanden hatte. Auch war es ihr nun ersichtlich, warum sie ihn derart wutentbrannt davon gescheucht hatte, als er sie wiederum besucht hatte. Sie war von ihm fasziniert, mehr noch, sie hatte sich wohl oder übel in ihn verliebt. Das war ein großes Problem.

Die Haustür stand offen. Es war ein Samstag und in dem Haus in dem er wohnte ging es laut zu. Der Geruch von Gerichten verschiedenster Kulturkreise, die zu Mittag verspeist worden waren hing im Treppenhaus. Niemand öffnete. Die Ungewissheit bezüglich ihrer Gefühle nagte an ihr. Sie drückte die Klinke nach unten und die Tür öffnete sich. Das Erste, was ihr von der Wohnung des Jungen in den sie sich vermutlich verliebt hatte entgegen kam, war ein widerlicher Gestank. Auf dem Boden lagen die verkrusteten Reste von Erbrochenem. Daneben lagen die Scherben einer Bierflasche. Sie stieg darüber hinweg und öffnete das einzige Fenster. Unentschlossen, was sie nun hier sollte holte sie Luft. Die ganze Bude war heruntergekommen, das wusste sie ja bereits. In seinem Bad stapelte sich die Schmutzwäsche und die Duschkabine war in fester Hand von Kalk und Schimmel. Neben dem CD Regal, aus dem sie sich ja bereits bedient hatte, gab es noch ein weiteres Regal in dem einige Bücher und Schuhkartons zu finden waren. Bücher hatten sie nie interessiert. Was jedoch ihr Interesse weckte waren einige zusammengeheftete Manuskripte. 'Die Sache mit dem Sinn'. Sie nahm sich den etwa hundert Seiten starken Text heraus und blätterte darin. Es hatte ganz den Anschein, als hätte er so etwas wie ein Tagebuch geführt. Mehr hätte sie wohl kaum erreichen können. Ihr war klar, dass eine Beziehung, an deren Anfang ein derartiger Vertrauensbruch stünde, keinen Bestand haben würde, doch sie musste so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen. Daran führte kein Weg vorbei, es war ihr ein Grauen, wenn sie Situationen ausgeliefert war. Ihre Gefühle ihm gegenüber nicht kontrollieren zu können bedeutete für sie einen schweren Kampf mit sich selbst auszutragen. Da er sie demnach in so große Schwierigkeiten gebracht hatte, war es durchaus legitim, dass sie in seine intimsten Gedanken eindrang. Zumal er diese einfach in einem verstaubten Regal aufzubewahren schien. So fuhr sie nach Hause, kochte Kaffee und begann zu lesen.

Es waren Dokumente aus der Zeit, in der er wohl noch mit seinem Studium beschäftigt war. Episoden voller Selbstzweifel folgten Anekdoten aus seinem Liebesleben und Trinkgeschichten. Trinkgeschichten gab es reichlich. Zwischen all den Abstürzen, den gestürmten Hausparties und vom billigen Schnaps verursachten Katern fanden sich immer wieder Zeilen, die auf einen zutiefst sensiblen Charakter schließen ließen. Sie, die immer rational dachte und sich Gefühlen nur insofern stellte, als dass sie sie möglichst zu unterdrücken, oder besser noch gar nicht erst aufkommen lassen suchte, war seltsam bewegt von dem, was sie da las. Er war ein Grübler. Seitenlang reflektierte er über Dinge, die Marie so selbstverständlich vorkamen, wie das abendliche Zähneputzen. Noch nie war sie mit derart komischen Gedankengängen konfrontiert gewesen. Nachdem sie die 111 Seiten überflogen hatte, war sie zunächst verwirrt. Es fiel ihr schwer ihn anhand des Textes einschätzen zu können, womit sie natürlich nicht gerechnet hatte. Er schien hin und her zu pendeln, zwischen Momenten des größten Glücks und tiefster Depression. Alles hatte den Anschein, als sei er äußerst sprunghaft. Den Eindruck hatte sie von dem Menschen, der in Fleisch und Blut stöhnend über ihr gelegen hatte nicht gehabt. Dagegen sprach zudem, dass immer wieder eine Freundin erwähnt wurde, die ihn schon lange begleitet hatte. Ordnung war, wie man auch an dem Zustand seiner Wohnung sehen konnte, nichts worauf er Wert zu legen schien. Sie jedoch versuchte das Manuskript zu ordnen.

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