Читать книгу Losers' Ball - Martin Selm - Страница 9
Kapitel 6
Оглавление>>Junge, hörst du mich?<< Klar hörte er ihn. >>Kannst du deine Beine bewegen? Kannst du aufstehen?<< Robert reagierte nicht. Es war gemütlich gewesen, dort auf dem Gras zu liegen. Der Mercedes hatte ihn gute vier Meter durch die Luft geschleudert. Der Aufprall war hart gewesen, jedoch nicht so hart, wie man es sich vorstellte. Die Windschutzscheibe hatte einen großen Teil der Aufprallenergie abgefangen, als sie nachgegeben hatte. Er war völlig unkontrolliert durch die Luft gewirbelt und wäre er auf der Straße aufgeschlagen, so hätten seine Chancen nicht schlecht gestanden das ganze nicht zu überleben. Trotz des immensen Pechs von einem Auto derart angefahren zu werden, hatte er im entscheidenden Moment Glück gehabt und durfte, so schien es zumindest, noch weiter auf dieser Erde verweilen. Anstatt auf dem Beton aufzuschlagen, Knochen zerberstend und blutend zu verenden, war er direkt in den ca 1,5 Meter hohen Busch herein katapultiert worden. Der Busch, der erst vor kurzem zurechtgestutzt worden sein musste, hatte nur sehr dünne Ästchen, die durch ihre starke Verwebung ineinander und die reichliche Beblattung einen idealen Landeplatz ergeben hatte. Von dem Busch war er auf das Gras daneben gekullert.
>>Alter, was war denn jetzt los?<<
Robert öffnete die Augen und sah – und wäre er nicht noch so benommen gewesen, so hätte er sicherlich schmunzeln müssen – einen Mann, der einige Jahre älter war als er und der in seinem Anzug über ihm gebeugt stand. Es schien nichts gebrochen zu sein. Er dreht den Kopf nach links und rechts, doch kein Wirbel knackte und kein Schmerz durchfuhr ihn. Er musste tatsächlich am Leben sein.
>>Junge, kannst du mich hören?<<
Robert lächelte freundlich und setzte sich auf.
>>Klar und deutlich, Mann.<<
>>Oh Gott sei Dank, ich dachte schon du wärst tot, oder so. Brauchst du einen Krankenwagen, ist alles okay bei dir?<<
'Tot oder so'. Klasse, dachte sich Robert, dickes Auto, damit nicht richtig umgehen können, Leute überfahren und dann auch noch derart dummes Zeug reden.
>>Nein. Aber du könntest mir mal aufhelfen.<<
Sofort ergriff der sprachlich nicht ganz sattelfeste Mann Roberts Hand und half ihm auf die Beine. Robert hatte nur leichte Kratzer an den Armen. Allerdings spürte er nun, dass er an der Hüfte und der Schulter starke Prellungen erlitten hatte. Das dürfte blau werden. Zum Anzug passend trug der Mann schwarze Lederschuhe. Auf dem Gesicht hatte er eine Designerbrille, Ray Ban, eines dieser Modelle mit dicken, schwarzen Umrandungen der Gläser. Er versprühte einen Duft, der sehr edel anmutete, auch wenn Robert das nicht allzu genau wusste, da er für Parfum und dergleichen noch nie etwas übrig gehabt hatte. Aber immerhin war er nicht von irgendeinem dahergelaufenen Landstreicher überfahren worden. Alles war stimmig. Die Kleidung, der Duft, die Brille, alles. Was nicht in das Bild passte, war die Nervosität die der Typ ausstrahlte. Man musste sich eben nur anfahren lassen.
>>Und... und also, ich meine, wie geht es denn jetzt weiter? Sollen wir die Polizei holen?<<
Robert fühlte sich erstaunlich wohl. Da war jemand, der was aus seinem Leben gemacht hatte, der erfolgreich und dem Anschein nach auch in einer mächtigen Position war und doch nutzte ihm all das nichts. Robert war sich sicher, dass seine eigene Reaktion, in keinster Weise böse, oder schlimmer noch verletzt zu erscheinen, die Unsicherheit dieses Mannes immens gesteigert hatte. Er atmete gelassen aus und suchte mit seinen Händen seine Hosentaschen nach etwas ab. Er wusste selbst nicht genau wonach er suchte, doch er war sich sicher, dass dies die in jener Situation am unangebrachtesten erscheinende Handlung darstellte. In der Brusttasche seines Hemdes fand er einen Joint. Er hatte ihn mitgenommen, um ihn mit dieser verrückten, die, die er gebumst hatte, zu rauchen. Ja, mit ihr hatte alles angefangen. Jetzt stand er hier und ein Typ, für den er sonst der letzte Dreck gewesen wäre, musste nach seiner Pfeife tanzen.
>>Nun, wenn ich mir dein Auto so ansehe, dann müsste es noch fahren, oder?<< Während Robert mit seinen Händen den Joint glatt strich, da dieser stark mitgenommen war, drehte sich der Mann zu seinem Auto um. Der Riss in der Scheibe verlief nur entlang der Beifahrerseite, da sich Robert dem Auto von rechts genähert hatte.
>>Weißt du es ist so, ich will eigentlich nur heim und die Polizei, ja also das ist so eine Sache. Den Schaden kriege ich schon geregelt, das ist ja mein Privatauto. Also, wenn du willst, nehme ich dich ein Stück mit und dann, naja, sagen wir wir vergessen das Ganze, wäre das ein Problem für dich?<<
Robert hatte in allen Belangen richtig gelegen. Der Mann war keiner der Sorte, die unnötig Aufmerksamkeit erregen wollten. Die Polizei hätte er vermutlich nur dann geholt, wenn sich für ihn irgendein Vorteil daraus ergeben hätte. Mit Sicherheit hatte er einen guten Draht zu seinem Versicherungstypen, wenn er nicht selbst einer war. Da ließ sich schnell die Teilkasko mobilisieren. Oder sein Mercedes Händler hatte mal seine Frau gebumst, oder sie bumsten zusammen die Frauen von wieder anderen Typen. Ja, so musste es sein. Er hatte in jedem Fall die Kontakte und Möglichkeiten das diskret regeln zu können. Lag auch eine leichte Lähmung durch den Schock über ihm, so funktionierten seine Instinkte dennoch bestens. Da war ein unangenehmes Ereignis, das negative Konsequenzen hätte haben können. Aber auch wenn er nur sabbernd vor sich hin gebrabbelt hatte, die Worte, die sein vernebelter Verstand gewählt hatten waren die Richtigen. Eigentlich war das, das Beste, was Robert hätte passieren können. Nun musste er nicht mehr laufen. Und ein dummer Pisser wie Robert war das Beste, was diesem Businesstypen hätte passieren können. Man stelle sich nur vor, er hätte einen Rentner gerammt, dessen alte Knochen reihenweise gesplittert wären. Unangenehm.
>>Naja, meine Klamotten kann ich wohl weg schmeißen.<<
>>Schon gut, sagen wir hundert Euro?<<
Robert klopfte ihm auf die Schulter, nahm den Joint zwischen die Lippen und lief an ihm vorbei auf das Auto zu.
>>Ist auch nicht weit von hier.<<
Die Schicht hatte noch nicht lange begonnen. Gabi fuhr, da es so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz bei der Polizei war, dass immer die Frauen fuhren. Oft hatte sie sich schon gefragt, ob man dies bei den Männern intern so bestimmt hatte und ob das geschehen war um dem Vorwurf Frauen gegenüber diskriminierend zu sein entgegenzutreten, oder ob man genau das damit bezweckt hatte. Es war wie so vieles, was passiert, wenn Menschen Umgang miteinander pflegen, es war einfach so geschehen, hatte sich eben so ergeben. Sie hatte sich schon lange abgewöhnen wollen immer unnütze Gedanken wie diesen zu verfolgen, doch gelungen war ihr das bisher nicht. Ihr Kollege war von allen, mit denen sie bisher auf Streife gewesen war der angenehmste, auch wenn er derjenige war, der seine Geilheit am wenigsten verbergen konnte. Sie war 32, blond und hatte enorm große Brüste. Das war in einem Beruf, in dem man die maximal hässlichste Berufskleidung tragen musste Fluch und Segen zugleich. Ihr an sich hübsches Gesicht kam mehr zur Geltung, da in brauner Hose kombiniert mit Urin- beigefarbenem Hemd einfach niemand gut aussehen konnte, wäre da nicht die Tatsache, dass die Hemden der bayerischen Polizei für Frauen mit wenig bis keiner Brust ausgelegt zu sein schienen. So nützte es ihr wenig, wenn ihr Gesicht bei all der Hässlichkeit ihrer Kleidung herausstach, denn das Hemd spannte an ihrer Brust so gewaltig, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass jeden Moment die Knöpfe weg fliegen und zwei riesige Brüste einen zum Motorboot fahren einladen würden. Gregor war zwar der netteste unter den Kollegen, aber wenn es darum ging ihr auf die Brüste zu starren, war er derjenige, der sich am dämlichsten, weil offensichtlichsten, anstellte. Klar war sie stolz auf ihren Körper, doch ein bisschen mehr Diskretion wäre ihr manches mal lieber gewesen.
Freitag Abend bedeutete meist Ärger und Auseinandersetzungen. Es gab angenehmeres in ihrem Beruf. Von besoffenen Teenies bepöbelt zu werden war einer der Gründe dafür gewesen, weshalb sie irgendwann endgültig mit dem Wunsch nach Kindern abgeschlossen hatte. Auf dieser Welt ging einiges schief und sie war, zumindest an den Abenden am Wochenende, in der ersten Reihe um dem Verfall von Moral und Sitten beizuwohnen. Vor knapp drei Monaten hatte sie mitgeholfen einen 15 jährigen festzunehmen, der, nachdem er reichlich Wodka getrunken hatte, beschlossen hatte seine Freundin zu verprügeln. Das waren die Schattenseiten des Berufes, den sie eigentlich liebte.
Vor ihnen fuhr ein Mercedes. Sie fuhr neben ihn auf die linke Spur und kam an der nächsten Ampel genau neben ihm zum stehen.
>>Das fasse ich ja jetzt nicht. Der hat doch die halbe Scheibe eingedrückt.<<
Ohne zu fragen hatte sich Robert den Zigarettenanzünder geschnappt und den stark verkrüppelten Joint angezündet. Norbert, so hieß der Typ, hatte nur geseufzt und anschließend die Fenster herunter fahren lassen. Das Adrenalin steigerte die Wirkung des THCs aufs äußerste. Robert war total bekifft. Der Effekt wurde zusätzlich gesteigert, da der Rauch sich stark im Auto verfing. Die Richtung stimmte. Robert war bereits in der Nähe seiner Wohnung.
Es war das geringste Übel. Er musste diesen Jungen fahren. Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Kurz musste Norbert Meiser dennoch überlegen, ob das was er da tat nicht komplett verrückt war. Doch ehe er nachdenken hätte können waren sie auch schon unterwegs gewesen. Dass der Junge angefangen hatte zu kiffen war dann noch die Krönung gewesen. Doch es half alles nichts. Er wollte nur noch heim. In einem anderen Leben würde er ihn sicherlich für seine Dreistigkeit bestrafen. Doch nicht in diesem, oder zumindest nicht an diesem Wochenende. Vom Fahrersitz aus betrachtet war der Schaden doch weitaus größer, als zunächst angenommen.
Robert hatte die Polizei bereits bemerkt, als sie noch hinter ihnen gewesen waren. Das konnte unangenehm werden. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm ein, dass er überhaupt nicht wusste, ob er über eine gültige Krankenversicherung verfügte.
Der Streifenwagen überholte sie und hielt an der Ampel neben dem Mercedes. Norbert hatte es scheinbar nicht bemerkt. Robert fiel auf, dass seine Augen stark gerötet waren. Klar, konnte sein, dass er müde war, war sicher ein harter Tag im Büro gewesen. Der Schock jemanden überfahren zu haben hatte sicher auch seine Spuren hinterlassen, doch diese Art der Rötung, bei der sich gleichzeitig die Pupillen geweitet und die Mundwinkel nach oben gezogen hatten, das kam Robert doch bekannt vor. Er nahm einen tiefen Zug von dem Joint. Mit gepresster Stimme, da er den Rauch noch nicht ausgeatmet hatte, verabschiedete er sich von seinem Fahrer:
>>Also dann, hier ist es okay, dann mach es mal gut. Und immer dran denken, im Straßenverkehr höchste Aufmerksamkeit walten zu lassen.<< Dann atmete er den Rauch aus, öffnete die Tür und lief geduckt davon. Hinter ihm hörte er kurz die Sirene der Polizei aufheulen und sah das Blaulicht flackern. Ihn hatten die Bullen nicht bemerkt. Grinsend spazierte er nach Hause.