Читать книгу Die vorderen Hände - Martin Zels - Страница 13
Anton, roxane & freunde
ОглавлениеAntons Lust hielt sich heute sehr in Grenzen. Inzwischen tat sie das öfter.
Dafür war die Wut wieder einmal schwer hinter den Gattern zu halten. Seine übergroße Wut. Es war ein kleines Wunder, dass die Gäste nicht manchmal krank wurden von der Wut in seinem Essen. Dass sie nicht über Nacht zu Käfern wurden. Oder einfach lautlos vergingen! Einfach, weil er ihr Essen mit solchem Grimm im Bauch komponiert hatte.
Stattdessen ließen sie ihm frech weiter Grüße zukommen – wenn es denn welche waren, die ihn noch von vorher kannten. Als sein Laden noch „Roxane“ geheißen hatte. Oder sie erzählten Gitti munter, wie außerordentlich und bemerkenswert und überraschend und wohltuend doch die Küche hier sei!
Seine Küche.
Über dem großen Herd hing bis heute der gleiche, goldene Spiegel. In dem er sich bis heute anschauen musste: Anton, der meisterhafte Koch von damals! Und heute? Der Totalversager. Ein Feigling.
Schon bei der ersten größeren Krise hatte er das Handtuch geschmissen. Hatte sich von seinem eigenen Personal einschüchtern lassen. Hatte ihnen geglaubt, dass sie ihn weiter regieren lassen würden, in seiner Küche.
In seiner Küche!
Und dann hatte er ihnen alles übergeben. Nur, damit der verdammte Laden nicht zumachte. Und hatte sich von ihnen in seinem eigenen Lokal anstellen lassen, als Koch.
Dieselben Idioten, angeblich waren sie einmal seine Freunde gewesen, hatten ihn vor Urzeiten sogar gedrängt, auf Knien angefleht, dass er sich doch endlich selbstständig machen solle, dass er sein Leben, seine Karriere, seine Küche in die eigene Hand nehmen solle, endlich, es sei doch verdammt nochmal höchste Zeit, dass er, der Anton, es allen zeige!
Und dann hatte er es allen gezeigt.
Seine Freunde hatte er natürlich mit hereingenommen, so wie sie es sich gewünscht hatten: bei ihrem Freund, beim Anton, im Dienst, im Roxane! Als einfaches Personal. Buchhaltung. Kellnerin. Chef de Partie. Alle zusammen hatten sie bei ihm lernen wollen, wie man so ein Lokal führt. Wie man es regiert. Regieren, ja! Hatte er schon immer so gesagt, denn er war ein König. Er war der König der Köche in Wien.
Und heute, zwei Jahre später? Hatte er seinen Stern längst abgegeben. Und sein Lokal auch. Abgegeben an das eigene Personal, an seine früheren Freunde. An genau die Leute, die sehr gut aufgepasst hatten, die gut bei ihm gelernt hatten, wie man regiert, und die er wegen Betruges verklagen würde, wenn er nur die Mittel dazu hätte.
roxane & freunde.
Heute stand er in ihren Diensten. Und als Chef de Cuisine in ihrer Küche. Bert stand daneben, viel zu oft. Als Chef de Partie. Das war die offizielle Bezeichnung für einen leitenden Gesellen. Es brauchte ja weiter einen. Der in der Vorbereitung auf den Abend in der Küche mithalf. Wenngleich es auch ziemlich lächerlich war, sich selbst als einzelnem Kerl den Titel „Chef de Partie“ zu verleihen. Aber Bert liebte Titel. Und Anton nannte ihn einfach „Parteichef“.
Gitti servierte, hatte das sogar gelernt, einst. Angeblich. Edi, der Buchhalter, hielt weiter die Bücher. Statt den Mund. Und er, Anton, kochte nach ihren Vorgaben. Nur seine Rezepte, das freilich schon! Davon verstanden sie ja bis heute viel zu wenig. Das war gut so. Aber er musste ihre Karte kochen. Ihren mittelmäßigen. Kleingeistigen. Weg. Mitgehen.
roxane & freunde!
„Anton, ich will dir nicht zu nahe treten, aber die Ausgaben für die Ware müssen ein bissel runter.“
„Wie weit denn noch, ha?“
„Sag einmal, können wir nicht einen einzigen Großhändler nehmen, statt dass ich immer die ganzen Maxerln einzeln abfahre? Viel zu teuer, und meistens doch auch nicht besser, als wenn einer das en gros verkauft und in Einem liefert, meinst nicht auch?“
„Nein, meine ich nicht auch. Und, lieber, guter Bert, kannst du mir bitte aus dem Weg gehen? Siehst du das nicht, wenn du nichts arbeitest, stehst immer da, wo ich grade hinmuss!“
„Anton, du kommst mir nicht aus. Irgendwann musst du mit den Ausgaben runter! So oder so. Du kochst eine große Küche, aber wir leben beim Einkauf auf zu großem Fuß!“
„Das hier ist eine kleine Küche. Und du wirst immer dicker. Bert. Kein Platz hier, für noch einen wie mich, meinst nicht auch?“
Ihre miese Bezahlung musste er akzeptieren. Schließlich hatten sie ihm ja den Arsch gerettet, damals. Hatten sie selber gesagt. Genau so. Den Arsch. Immer wieder. Da half ihnen die falsche Freundlichkeit, die sie jeden Tag im Lokal herumtrugen, gar nichts. Er entlarvte ihre Süße.
roxane & freunde?
„Anton, Tisch 5. Der Kunde –“
„Der Gast.“
„Meinetwegen. Der Gast meint, dass die Sellerieschaumsuppe ein bissel zu heiß gewesen ist.“
„Muss man sie halt ein bissel weniger heiß servieren, meinst nicht, Gitti? Soll ich sie nach dem Eingießen vielleicht noch eine Zeit anblasen, oder was meinst?“
„Gib sie doch erst zum Servieren aus, wenn sie zwei Minuten gestanden hat!“
„Genau. Und dann meint dein Kunde vielleicht, dass sie ihm jetzt ein bissel zu kalt wäre? Nur weil du noch nicht fertiggeraucht hast? Geh bitte!“
„Ich habs dir jetzt gesagt. Und du wirst dich bitte danach richten.“
„Und wenn nicht? Willst mich entlassen? Sind wir schon so weit? Könnt ihr schon genug?“
„Geh, Anton, so war das nicht gemeint, das weißt du ganz genau.“
„So, Gitti? Weiß ich das?“
Er wusste ganz genau, was sie im Schilde führten. Aber er würde ihnen nicht auch noch dabei helfen. Er würde seine Kunst mit in sein Grab nehmen. Und es würde ein bayerisches Einzelgrab sein!
Fast täglich, seit zweieinhalb Jahren schon, landete Anton nun beim Kochen in diesem Grab, den großen Spiegel über dem Herd anstarrend, den er täglich putzte, als Letztes, wenn alles andere sauber war. In seinem goldenen Rahmen hing er dort. Schon seit damals. Als er begonnen hatte.
Er sah sich an. Dieses Bild.
Wie oft hatte er den Spiegel schon abnehmen wollen?
Und wie oft hatte er es auch getan! Heimlich.
Genauso heimlich hatte er ihn dann wieder hingehängt. Dahin, wo er gehangen hatte, als er hier der Maestro, der Chef von allen gewesen war, und niemand sonst. Genau da sollte er ruhig weiter hängen! Es mochte ja sein, dass es völlig lächerlich war. Aber er wollte, dass dieser Spiegel sein Zeuge war. Zeuge, dass Anton noch lebte, und dass er, der Meister, am Ende hocherhobenen Hauptes aus dieser Küche hinausgehen würde. Als Sieger! Das hatte er sich geschworen. Und er schwor es sich jeden Tag noch einmal. Er würde sie alle wieder aus dem Roxane hinausfegen! Und ganz neu beginnen. Eines Tages.
Er sah sich an. Da oben hing er also.
Und schon wollte er sich wieder abhängen. Als müsste dieses Spiel für immer und ewig genau so weitergehen.
Er atmete ein. Atmete aus. Und wusste, dass er jetzt nicht viel mehr tun konnte. Einfach weiter atmen, weiter kochen, weiter leben. Und dafür sorgen, dass er am Ende sein bayerisches Grab nicht verfehlte.