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Eine Idee Blau

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Die Beiried von der Kalbin lag schon auf dem Teller. Die reduzierte Madeira-Jus kochte kurz noch einmal im Kupfertopf auf, bevor sie erst als feine, sämige Spur am Rand des Tellers entlangwanderte, geschickt einmal um die drei Variationen vom Kohlrabi herumtanzte – roh, glasiert und als beinahe schaumiges Püree – und sich dann sachte an das Fleisch legte. Die dunklen Schalotten, in Rotwein, Lorbeer und Butter reduziert, bekamen als zwei gelöffelte Nocken ihr kleines Solo gegenüber. Eine Spur grünes Öl zwischen Püree und Schalotten. Die Pinzette nahm huschend die Zucchiniblüten auf, gruppierte sie auf den höchsten Punkten des Gerichts, Püree, Kalbin, dann steckte sie die Brunnenkresse an den Rand der Nocken. Schnell noch zwei eingelegte, dünne Radieschenscheiben an das Fleisch gelehnt, und schon zog sie sich tanzend wieder zurück in Antons Brusttasche. Seine Zunge schnalzte. Tschlak. Er konnte das einfach nicht abstellen! Karla hatte ihn erst neulich wieder ausgelacht. Wunderlicher alter, dicker Anton.

Gitti wartete schon.

Und nicht nur das. Warten hätte sie ja dürfen.

Aber dieser fixierte Blick auf jeden seiner Handgriffe! Studierte, registrierte, merkte sich, kalkulierte, verglich.

Anton sah hinauf zum Spiegel. Der Goldrahmen, seine heute fast noch ganz weiße Kochhaube darin, die lange Nase, die Backen. Unrasiert war er, gestern auch schon. Glänzende Stirn, die vollen, aufgeworfenen Lippen … früher hatte das alles sinnlicher ausgesehen.

„Eh wie sonst auch, Anton.“

Gitti lachte und streckte die Hände aus. Er atmete durch.

Über ihrem rechten Arm hing das Serviertuch, bei anderen, bei normalen Servierkellnern, hängt es links, logisch, aber bitte, die Gitti halt. Diese fordernden Arme. Er hätte einfach draufschlagen sollen. Aber er reichte Gitti stumm den Teller, den Kopf gesenkt, den Blick auf die nächsten Zettel werfend, vor sich an der Klemmleiste. Gittis Rücken stolzierte mit der Beiriedschnitte auf den letzten Tisch hinten rechts zu, Nummer 1.

Noch vier? Es ist doch schon viel zu spät! Haben sie wieder zwei Augen zugedrückt. Meine nämlich. Dieser Traum. Ich träum doch sonst nie. Ein Centurio? Ich versteh gar nichts mehr. Die Flusskrebse? Mensch, ich hab doch vorhin ausdrücklich dazugesagt, dass das die letzten waren!

Er schlug auf die Klingel und überflog die anderen drei Zettel.

Rehravioli mit einer Idee Blau? Karla ist da! Dann wird der grausliche Tag vielleicht noch eine schöne Nacht. Was war das, gestern? Ich mag nie wieder was träumen.

„Anton?“ Gitti war ungewöhnlich schnell zur Stelle. Wenigstens.

„Hab doch vorhin schon gesagt, die Flusskrebse sind aus!“

„Das ist nicht bei mir angekommen.“ Gitti bemühte sich um diskrete, leise Töne. Anton nicht.

„Kann ich auch nichts machen. Ich habs gesagt.“

„Ja, vielleicht zu dir selber. Aber nicht mir!“ Gitti wurde noch ein bisschen leiser. Anton nicht.

„Die Flusskrebse sind aus. Gehört?“

„Weißt du eh, dass du manchmal ein ziemliches Arschloch bist?“ Zisch.

„Merk dir einfach, was ich sag.“

Gitti öffnete schon wieder den Mund, aber Anton beugte seinen massigen Oberkörper derart unmissverständlich nach vorne, dass die Worte kehrtmachten. Stattdessen. Anbieten.

„Was kann ich dem Gast stattdessen anbieten?“

„Stell ihm einen Schnaps hin.“

„Und?“

„Ja, nix und! Die Karte gilt. Und es ist Küchenschluss, zum Kuckuck, und ich kann mich nicht zweiteilen!“

„Anton, du weißt genau, dass ich ihm dafür was anderes …“

„Die Flusskrebse sind aus!“ Anton hatte es jetzt so laut gesagt, dass es der freundliche, alleinsitzende Herr an Tisch 4 gehört haben musste.

„Sag ihm, ich hab sie selber aufgegessen, absichtlich! Ich bin schuld!“

„Wir müssen wirklich bald reden, Anton.“

Der lächelte nur kurz und künstlich, ließ Gitti stehen und betrachtete wieder die Zettel. Wenn Karla da war, musste immer etwas anderes her als die von ihr bestellten Rehravioli. Mit einer Idee Blau. Er schüttelte, nein, er zauberte dann schnell etwas aus dem Ärmel. Und es war jedes Mal ein kleines Meisterwerk. Viel teurer, viel ausgefuchster als das bestellte Gericht. Natürlich. Das war eine seiner zahlreichen, kleinen Unarten. Der Rösselsprung. Für die Kollegen. Für ihn selbst war es eine Königsgeste.

Das ist Werbung. Sagte Anton gern.

Die anderen hassten ihn sicher dafür. Weil: Das ist nicht Werbung! Geschäftsschädigung ist das! Und der jungen Dame sicher auch sehr unangenehm, so wie der dicke Koch sich da aufdrängt?

Nein.

Karla hätte jederzeit etwas anderes bestellen können, sich so setzen, dass Anton sie von der Küche her gar nicht sah, schon würde sie das bekommen, was sie sich ausgesucht hatte. Und den üblichen Preis dafür bezahlen. Sie dachte aber gar nicht dran. Und gar nichts war ihr daran unangenehm.

Dass sie immer die Rehravioli mit einer Idee Blau bestellte, war ihrer beider gemeinsames Ding. Sie liebte Überraschungen. Wenn sie nicht gerade die eigene Kunst betrafen. Karla hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Überraschungen in der Kunst. Nur wenige wussten sie wirklich zu meistern, zu gestalten. Aber für Karla war Anton so einer. Ein Künstler, ein großer sogar! Rehravioli mit einer Idee Blau hieß also: mach mir irgendetwas, verzaubere mich oder enttäusche mich, wie du willst. Aber bitte keine Rehravioli, ich hasse sie.

Wenn Anton darüber nachdachte, war es wohl dieses Gespräch gewesen, das ihn endgültig für Karla eingenommen hatte. Sie hatte sein Können erkannt. Und war auch völlig im Bilde gewesen, welchen Ruf er sich schon im Roxane erkocht hatte. Ohnehin schien sie offensichtlich wild entschlossen, nie mehr in ihrem Leben schlecht zu essen. Nicht, wenn sie es irgendwie verhindern konnte. Wofür sie gerne ihren Preis bezahlte.

Er ging in die Kühlkammer, besah sich die Regale, und fing in sich wild zu jonglieren an.

Die vorderen Hände

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