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Karla, Anton und ein später Gast

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Es war inzwischen schon ein Ritual: Sie kam spät, gegen zehn, gerade noch vor Küchenschluss, und bestellte Rehravioli mit einer Idee Blau. Die Gitti fragte nur noch der Form halber nach, wenn sie an ihren Tisch kam, vielleicht etwas widerwillig, aber immer höflich. Und Karla nickte. Lächelte. Auf diese Art, die viele bei ihr als hochnäsig erlebten. Oder undurchschaubar? Manche fanden sie auch einfach freundlich.

Dass der Wein erst dann kommen konnte, wenn sie wusste, was Anton ihr zubereitet hatte, war der Kellnerin klar. Aber das Seiterl vom Fass, das kleine Bier, das brachte sie inzwischen unaufgefordert, jedes Mal. Genauso wie das große Glas Leitungswasser. Karla trank es dazu, während sie geduldig auf das Essen wartete, ein wenig vor sich hinschaute, gelegentlich aber auch in Zeitungen oder Taschenpartituren blätterte. Gedankenverloren. Ohne etwas darin zu finden. Außer, vielleicht, eine Idee Karla.

Sie ließ sich stets Zeit beim Essen und blieb dabei am liebsten allein, meistens heilfroh, dass dieser eitle Koch sie nicht Beifall heischend beim Essen beobachtete. Üblicherweise hatte der nämlich erst die Küche aufzuräumen und picobello zu putzen, bevor er sich mit seinem Roten an Karlas Tisch setzen konnte.

Ab und an konnte sie freilich nicht verhindern, dass sich irgendein streunender Genießer näherte. Männlich, älter, vom Wein zu grotesker Selbstüberschätzung verführt. Sie blieb dann höflich, trotz ihres Ekels; im Moment wirklich keine Gesellschaft, tut mir leid, nein, später wird sich noch jemand einfinden, ein Herr, mit dem sie verabredet – natürlich. Schönen Abend. Und genoss weiter ihr kulinarisches Unikat.

Natürlich stimmte Anton die lästige Küchenputzerei an Karla-Abenden noch missmutiger als sonst, so sehr, dass er sich meist schon in der Küche einen eingoss, oder zwei. Und sich Aschenputtel oder Zwerg Nase nannte, während er Armaturen, Spülbecken, Arbeitsflächen und Gasherde schrubbte. Früher, als das alles hier noch ihm gehörte, hatte natürlich Bert sauber gemacht! Heutzutage geruhte der Parteichef am Nachmittag nur noch seine eigenen Arbeitsflächen zu reinigen und mit gnädigem Lächeln eine kleine Fuhre Gemüseabfall hinauszutragen. Fertig.

Heute war alles ein wenig anders. Die letzte Nacht hing dem Koch schwer in den Gliedern. Und er war auf so seltsame Art – nicht allein? Sein ganzer Tag war von dieser letzten Nacht gemacht worden, von ihren Bildern und Gerüchen. Viele unbekannte Gefühle. Oder nur unerwünschte? Es lag nicht am Alkohol, gar nicht. Am gestrigen Abend hatte er doch nur ein Glas beim Küchenputzen getrunken, war dann früh nach Hause und sofort ins Bett gegangen.

Und hatte wirklich geträumt!

Er träume nie, hätte er sonst gesagt. Aber natürlich träumte jeder Mensch. Jede Nacht, und das andauernd. Die Frage war nur: Was blieb? Was war so geträumt, dass es seinen Weg fand, zum Tages-Anton? So gesehen hatten ja die allermeisten Träumer keine großen Aussichten. Aber Anton hatte bisher gar keine gehabt.

Und doch. Er hatte geträumt! Und er erinnerte sich.

Wasser. Ganz viel Wasser. Und viel Geschrei. Ein Krieg, ein Kampf. Eine Schlacht war da im Gange gewesen. Eisige Kälte. Und das Wasser, in das seine Leute getrieben worden waren, sogar noch kälter – immer mehr von ihnen waren darin ersoffen und verblutet. Man hatte ihm im Kampf einen Finger abgehackt, wahrscheinlich schon einen Tag zuvor, den Schmerz spürte er aber gar nicht. Und dann, als er nur noch mit neun Fingern gekämpft hatte, da sah es nicht gut aus für ihn und seine Leute.

Centurio!

Er hörte jemanden hinter sich ganz laut schreien.

Centurio!

Dass man sich auch in Unterzahl mit seinen Feinden schlug, war ihm vertraut. Aber dass dieser Feind tatsächlich den Sieg erringen sollte? Mit einer ganz einfachen Finte? Diese Klippen! Ein kleiner, verschlagener Hinterhalt nur. Vor ihnen und rechts und überall. Klippen, wie Hochhäuser! Und links der einzige Ausgang aus diesem Irrweg: das kalte, salzige Nordmeer.

Dieses Meer war kein Ort des Lebens, war nicht umfangend, nicht zärtelnd wie zu Hause, im Süden. Sondern grausam und klar.

Er sah die rotgefärbten, kleinen Wellen, die gleichgültig seine Kameraden gefressen hatten, einen nach dem anderen. Mit dem Lederharnisch, dem weinroten Umhang und den Eisenbeschlägen viel zu schwer, um über Wasser zu bleiben. Jeder Einzelne. Hier war nichts zu machen gewesen, und er war verantwortlich. Schuld. Das würde bestraft werden. Er wusste, wie so etwas endete. Am Kreuz, ganz sicher, Centurio. Am Kreuz.

Dann die Schlussrunde. Es war stets der gleiche Tanz.

Der letzte Tisch zahlte, Gitti machte die Abrechnung, Anton übernahm gütig nickend den Sperrdienst, und endlich saßen er und Karla allein im roxane & freunde. Im Fenster hing „Geschlossen“.

Wie kindisch er es in diesen Augenblicken immer genoss, allein Hof zu halten! Seine Küche. Seine Eroberung. Alles seins. Weil absolut kein Zweifel daran bestehen konnte, wer hier die Fäden zusammenhielt, wer hier die Attraktion war. Anton. König der Köche in Wien!

Kerzenlicht reichte. Das Wesen des Raumes und seine beiden nächtlichen Genossen leuchteten dann, ganz leise, jeder für sich. Ob rot oder weiß, immer war es der gleiche Wein, den sie tranken. Anton liebte die beiden Sorten eben, fertig. Alles natürlich nicht zu knapp, und in letzter Zeit beinahe einmal die Woche! Karla hatte nicht genug Geld für sowas. Aber das war ja auch gar nicht nötig.

Anton war heute nicht ganz da. Die vergangene Nacht sendete einen Funkspruch nach dem anderen.

Centurio!

Hatte er denn fliegen können, im Traum? Oder sich einfach zweiteilen? Das war doch alles kaum zu begreifen! Und doch. Einer war er dort unten gewesen, am Rande des Meeres wie ein wilder Eber kämpfend, zusammen mit all seinen krepierenden, ersaufenden Männern. Aber dort oben, noch weit hinter den herandrängenden Horden von viehischen Dreinschlagern, war plötzlich ebenfalls er herangeritten, schreiend und mit vielen anderen! Und wie er so als gnadenloser Sturm über den Feind kam, dieser Centurio, mit all seinen Pferdemännern hinter ihm, da war Hoffnung! Da wurden all diese Barbaren zermalmt. Zwischen ihm und ihm. Centurio! So hatten sie also doch noch gesiegt, alle beide?

Und schon war alles vorbei gewesen. Das Wasser. Das Meer. Aqua …

„Das war wieder einmal der Hammer. Du kochst mich schwindlig.“

Karla saß Anton an Tisch 3 gegenüber. Sie waren inzwischen allein im Lokal, wie immer.

Schon am Anfang ihrer kurzen Zeit im roxane & freunde war Karla klar gewesen, dass sie Anton mochte. Nicht, dass er ihr wirklich von Herzen gefallen hätte. Aber sie erkannte etwas an seinem Wesen in sich selber wieder, etwas an ihm klang in ihr nach Nahesein, nach kleinen, hinnehmbaren Einheiten von „Warum nicht?“

Und ebenso schnell hatte sich herausgestellt, dass Anton die junge Musikstudentin nicht nur auch mochte, sondern ihr auf eine seltsam unsentimentale Weise sogar verfallen war. Nicht, dass er etwas Hübscheres nie mehr hätte haben können. Das nicht. Er stand, ungeachtet seines Alters, ungeachtet auch seines beträchtlichen körperlichen Umfangs, noch immer gut im Kurs. Weil er es wirklich draufhatte, Menschen schwindlig zu kochen. Wenn er es drauf anlegte. Und das tat er bei Karla.

„Das ist mir schon ganz recht, schöne Frau. Ich mag das, wenn ich später selber davon profitieren darf.“

Sie überhörte den Ton nicht, übersah nicht sein unverstelltes Grinsen. Aber sie war einverstanden.

„Was macht dich da so sicher?“

„Ach, bin ich ja gar nicht. Ich denk mir halt, dass du schwindlig weniger streng mit mir bist?“

„Musst dir halt ein bissel mehr Mühe geben.“

Sie hatte es ihm schon auch leicht gemacht. Gleich nach dem ersten Essen im Frühling hatte sie Gitti gefragt, ob sie nicht einmal kurz auf die Brücke dieses unglaublichen Raumschiffes blicken dürfe? Die Kellnerin war aber nicht recht im Stande gewesen, dieses Wortbild zu übersetzen, und hatte stattdessen reflexartig „ihr dämliches Eliza-Doolittle-Grinsen“ aufgesetzt, das Anton so sehr an ihr hasste, weil es „ihr vollkommenes Nichtverstehen!“ und „ihren unerträglich engen Kopf!“ auch noch neugierig und liebenswert aussehen ließ.

Also anders fragen. Ob sie den Koch kennenlernen dürfe?

Ja, selbstverständlich, natürlich.

Keine drei Minuten später war Anton das erste Mal an ihrem Tisch gesessen. War zuerst in ihre Augen eingefallen, dann in ihren Mund, und etwa drei Stunden später brach er schon ein in die ganze Frau.

Warum träumte der Mensch überhaupt? Anton war doch bis jetzt wunderbar ohne Träume ausgekommen! Und wenn man schon träumte, warum so ein Zeug? Was sollte denn das alles? Wollte er sich selber etwas mitteilen? Sich selber aus irgendeiner Not retten, wie dieser zweigeteilte Centurio? Und das mit den neun Fingern. Das war überhaupt das Letzte. Anton!

Er blinzelte, rieb sich die Augen.

Und schnalzte mit der Zunge. Tschlak!

Ist der verheißungsvolle Abendwein mit dieser wunderbaren Elfe nicht Traum genug? Was irrst du herum in deinen eigenen Rätseln?

Es war nicht eben das, was Karla erfüllend genannt hätte, oder wenigstens aufregend. Und auch nicht eben das, was Anton als ausreichend wild oder zu ihm passend bezeichnet hätte. Aber irgendwie hatte sich an jenem ersten Abend eine tiefe, wenn auch banale Einsicht in diese so unterschiedlichen Zeitgenossen geschlichen. Er hatte ihr etwas zu geben. Und sie ihm auch. Karla liebte Antons Küche, aber sie verabscheute seinen Körper. Wenn sie ehrlich war. Anton liebte Karlas Körper, aber er war völlig überfordert von ihrem Wesen. Was ihn nicht weiter kümmerte.

Dass dennoch eine so eigenartig passend gestimmte Musik von den beiden ausging … vielleicht war es ein vorübergehendes Abkommen des Himmels mit der Hölle. Eine Gnade besonderer Art. Wenn auch auf eine Weise nur ein lächerlicher Aufschub.

In Wien. In einer Zeit wie dieser.

Inmitten von immer noch mehr Unordnung, inmitten von täglicher Vergängnis. Und außerhalb jeder Vorstellung, wie diese Stadt je wieder zu ihrem Gleichgewicht kommen sollte. Wer wusste schon, wann der erste Stein durch die Scheibe knallen würde? Jeder Mensch in Wien, der öffentlich sichtbar und genussvoll etwas viel Besseres aß, als die meisten Menschen sich hier je würden leisten können, musste doch inzwischen fast damit rechnen, dass man ihn genauso öffentlich sichtbar und genussvoll auch dafür bestrafen würde. Und Karla wäre nicht Karla gewesen, wenn sie sich nicht eingestanden hätte, dass es genau diese Lust war, die ihr einen Besuch im roxane & freunde so süß machte: die Lust an einem diffusen Schuldigsein bei gleichzeitig durchaus elitärem Trotz gegen jegliche breite Masse.

„Sagst mir, was ich da gegessen hab?“

„Gebratenen Oktopus?“

„Ja, das erkenn ich auch selber noch! Das andere, mein’ ich.“

„Fregola Sarda, Paprika, Taggiasca Olive, marinierter Fenchel.“

„Diese Kügelchen heißen Fregola Sarda?“

„Ja. Eine Art Pasta, aus Weizen.“

„Und aus Sardinien?“

„Genau.“

„Das war ein Gedicht! Eine Komposition, eine Fantasie aus Süden und Meer und Grün. Auch dieser Fenchel, unglaublich!“

„Keine Idee Blau?“

„Doch!“

Anton genoss ihre ungezügelte Freude über seine Kochkunst, sog Karlas Worte gierig auf. Konnte es ihr aber nicht zeigen. Er gehörte zu den Menschen, die alles taten, um bewundert zu werden, um dann jede Bewunderung bescheiden, wenn nicht gar brüsk von sich zu weisen. Wobei jeder mühelos sah, wie sehr da jemand rang. Mit sich. Im Grunde peinlich, als Darbietung. Aber so menschlich. Darum nahm Karla es gerne hin.

„Du bist heute irgendwie stiller als sonst. Hat dich jemand geärgert?“

„Mich ärgern immer alle. Wen genau meinst du?“

„Na, deine drei Chefs vielleicht?“

„Geh, hör auf, allein schon das Wort ‚Chef‘ macht mich völlig rotäugig.“

„Glühkohlen im Kopf!“

Anton musste lachen, Karla blieb ernst.

„Ja, so groß wie Stiereier! Heute war die Baba Yaga da.“

Karla verschluckte sich am Wein, prustete kurz, konnte aber das Schlimmste verhindern. Das Kerzenlicht flackerte. Der ganze Raum tanzte für ein paar Augenblicke.

„Die Hexe aus den russischen Märchen?“

Ein wunderbar geschmackvoller Raum! Hatte Karla von Anfang an gefunden. Etwa fünf Meter hoch, schätzte sie. Man kam nach der eisenbeschlagenen, alten Eichenholztüre durch den klassischen, weinroten Wollfilzvorhang herein, ein Windfang, zweigeteilt, auch schwer und alt, unten mit Leder abgesäumt, aufgehängt an Messingringen. Rechts daneben ein etwa drei Meter breites Fenster, unverhängt und von knapp über dem Boden bis etwa einen Meter unter die Decke durchgängig. Es gab einem das Gefühl, entweder selbst draußen zu sitzen, oder aber, dass die Hektik der Großstadt einem ungehindert über den Tisch lief. Und durch den Bauch. Ein Schild, alt. Geschlossen.

„Ja, die schlimmste Hex’, die in Wien herumläuft! Dass diese ganze Verwaltungsarmada in diesem Land immer blutrünstiger wird, ist das eine. Aber was diese Frau aufführt, ist nicht zu ertragen.“

„Du hast eine Rechnung mit ihr offen.“

Das Licht flackerte wieder.

„Sie ist im Marktamt die oberste Chefin der Abteilung Gastronomie.“

„Ui.“

Anton nahm einen übergroßen Schluck Wein und goss sich hektisch nach.

„Willst das wirklich wissen?“

„Erzähl ruhig. Wird dir auch guttun.“

„Das glaub ich weniger. Das mit der Baba Yaga hab ich halt so irgendwie erfunden, weil sie immer, wenn sie sich verabschiedet, so schrill wienerisch ‚Ba Ba!‘ schreit, so laut und hoch, dass dir das Blut in den Adern gefriert! Scheißfreundlich tut sie, und hintenrum sperrt sie dir deine Küche zu.“

„Ist das die, von der du schon erzählt hast? Die mit deinen Freunden gemeinsame Sache gemacht haben soll?“

„Genau die. Stauffacher. Adele. Diese Idiotin.“

„Und die war heute da?“

„Ständig kommt sie her, rein privat, selbstverständlich, und auch erst, seit es das ‚roxane & freunde‘ ist. Was für ein Zufall, oder? Mir hat sie damals die Hölle heiß gemacht, hat mir so horrende Nachbesserungen aufgebrummt, dass ich fast gespieben hätt. In der Küche hauptsächlich, von wegen Holzbrettln und Kühlregale und Hygiene, aber auch bei den Klos, obwohl das immer alles sauber war, Klimaanlage, und was weiß ich noch alles! Überall hat ihren Leuten was nicht gepasst. Ich hab so einen grandiosen Start hingelegt, zwei Jahre lang war meine Küche jeden Tag voll, verstehst? Und dann kommt die daher, schreibt eine Liste und ruiniert mit einem kleinen Wisch mein Lebenswerk. Und dann?“

„Weil du die Nachbesserungen nicht bezahlen hast können?“

„Das war doch ein Wahnsinn! Und dann hat sie so freundlich mit mir getan, dass ihr das auch leidtut, und dass sie überzeugt ist, dass ich ein großer Koch bin, vielleicht einer der besten in Wien, aber dass ihr da halt die Hände gebunden sind. Die falsche Sau. Dieses Geld. Ich hab dieses scheiß Geld so satt!“

Anton schmiss gerne mit Sachen. Zuerst flog heute die Tischblume. Quer durch den Gastraum.

Der Gastraum. Hoch. Unten ein zwei Meter hoher, weiß getünchter Sockel, rundherum. Unterbrochen von einem weiteren weinroten Vorhang, hinten: „Zu den Toiletten“, wunderschöne, alte Schrift, grüngrau. Und von der kleinen Theke zur Küche hin Messing. Oberhalb dieses weißen Sockels war alles bloß, war Zeugnis, stehengelassene Zeit, illustriert von unzähligen verschiedenen Anstrichen aus wenigstens zwei Jahrhunderten. Teils farbig, teils abgeblättert. Wasserflecken, Gasrohre. Alles von einer Patina überzogen, die nicht nur von Zigarrenrauch erzählte. In der Mitte ein quadratischer, hoher, mattschwarzer Kachelofen, modern, und durchgängig umlaufen von einer schwarzen Ledersitzbank. Fünf gleich große, quadratische Tische, ebenfalls schwarz, Eiche, schlicht.

„Aber deine Freunde haben die Sache –“

„Das sind nicht meine Freunde, merk dir das! Sie haben das Geld gehabt, ich hab es nicht gehabt. Ganz einfach. Das war halt mein Pech. Aus. Kann passieren! Ja, stimmt schon, das waren einmal Freunde, und sie haben mir das damals ja sogar eingeredet, dass ich unbedingt selbstständig sein soll und einen eigenen Laden brauche. Waren halt Fans von meiner Küche, und wahrscheinlich haben sie von Anfang an spekuliert auf die Nummer! Ich bin aber auch ein Depp! Ich hätte spätestens hellhörig werden müssen, als die bei mir als einfaches Dienstpersonal anfangen wollten.“

„Und wie ist das dann zugegangen?“

„Ganz einfach. Watscheneinfach! Die Baba Yaga hat nicht lockergelassen, da hab ich telefonieren können, oder selber hingehen, so oft ich wollt. Einen Zahlungsplan hat sie mir noch gemacht, und eine Frist gesetzt, und dann war Schluss. Ba Ba! Ciao. Und das haben halt die drei mitbekommen. Zumindest haben sie es mir so erzählt! Dann ist dieser Anruf gekommen. Dass ihnen das so leidtut und dass sie einen Vorschlag machen möchten. Bummsdi, war ich meine Selbstständigkeit wieder los.“

Ein alter Dielenboden, liebevoll restauriert. Und Stühle, alle verschieden. Keiner glich dem anderen, alles war vertreten, Biedermeier, Jugendstil, Fünfziger, alles. Nicht selten versuchten Stammgäste, immer auf demselben Stuhl zu sitzen. Verzeihen Sie, gnädige Frau, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Ihnen diesen wunderschönen Art-déco-Hocker überlasse, und mir dafür den ihren …? Nein, bitte nicht böse sein, ich häng sehr an dem Stuhl, und hab ihn mir grad vorhin erst selber eintauschen müssen!

„Also, sie haben dir das Geld geliehen?“

„Nein, das wollt ich nicht! Lieber hätt ich meine Küche zugemacht und wäre wieder zum Frondienst in irgendeinen besseren Laden gegangen, Jobprobleme hab ich ja nicht. Nein. Sie haben vorgeschlagen, dass sie das ‚Roxane‘ pachten, also übernehmen, alle Nachbesserungen einrichten, und es zu dritt führen. Der Bert weiter neben mir, als Hilfe in der Küche, und die Gitti im Service. Der Edi als Geschäftsführer, aber nur von Zuhause aus. Ich soll für ein festes Gehalt weiter kochen, zwei Ruhetage, ein bissel veränderte Küche, aber im Prinzip mein Ding, und sie haben so auch was davon.“

„Eigentlich nicht schlecht, die Idee.“

„Ja, das hab ich erst auch gedacht. Und dann hat es auf einmal ‚roxane & freunde‘ geheißen. Der Laden ist bombig weitergelaufen, und ich war einer von vier. Und zwar der Hinterste. Und wer ist seither immer wieder im Lokal? Sicher einmal im Monat?“

„Die Baba Yaga.“

„Bingo, Bummsdi! Kommt herein, lässt mich immer schön in der Küche grüßen und versteht sich mit der Gitti so prächtig, dass man sie fragen möcht, ob sie schon zusammenwohnen. Wie die miteinander tuscheln, und nachher immer schön noch zwei, drei Grappa! Da erzählt mir keiner, dass das nicht ein vollkommen abgekartetes Spiel war.“

„Was meinst genau?“

„Wenn du mich fragst, dann haben die das zu viert eingefädelt. Die drei sind irgendwann zu der ins Amt gegangen, haben ihr einen Hinweis gegeben, man könnt doch beim Anton Roggen mal ein paar Sachen finden, und was weiß ich, vielleicht haben sie die Hexe sogar beteiligt! Wenn sie nur dafür sorgt, dass ich den Löffel von der Roxane abgeb! Vielleicht speist sie seither umsonst, weiß ich das?“

Es klopfte an die Scheibe.

Draußen stand ein schmaler, eher hagerer Kerl, zeigte auf Karla, winkte, hüpfte von einem Bein auf das andere, und grinste.

„Den kenn ich. So, Bürscherl, jetzt wart einmal!“

Anton sprang auf. Sein Gewicht? Vergessen. Und war mit einem Satz schon vor dem roten Windfang.

„Anton, hör auf!“ Karla verstand erst jetzt, was vor sich ging.

„Ich kenn ihn auch, der ist meinetwegen da.“

Anton blieb genauso jäh stehen, wie er sich auf die Beine geschmissen hatte. Drehte sich um, und –

„Das ist der –“ Beide, gleichzeitig.

Jetzt Karla: „Darius, ein Freund von mir!“

Und Anton: „– der immer meine Kundschaft vertreiben will!“

Draußen hatte der Kerl auch innegehalten. Größere Augen jetzt als sonst. Aber schon hüpfte er wieder, grinste, winkte, klopfte.

„Sag mir einen Grund, warum ich den nicht auf der Stelle windelweich schlagen soll? Schnell!“

Schon war er wieder auf dem Weg. In diesem Moment fiel Anton ein, wer er jetzt in allererster Hinsicht war: ein Mann, der verdammt scharf auf Karla war. Sein Groll war nur noch halb so groß, ganz plötzlich.

Der Mann, draußen, schaute. Die Frau, drinnen, schaute. Der Mann, drinnen, fragte, atmete schwer. Kein Rösselsprung.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, den kleinen Stinker –“

„Anton, ich glaube, du bist ein Trottel. Komm, lass ihn kurz rein.“

„Hey, spinnst du?“

„Was soll das Gehabe?“

Der Mann, draußen, war noch kein Mann.

Da stand er einfach, der Kerl.

Und grinste.

Stumm.

Die vorderen Hände

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