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7. Eine sonderbare Begegnung

Zur gleichen Zeit als Justus und seine Freunde mit Edolfin zusammen saßen und Informationen über „ihren“ Erzengel Metatron und die Geschichte der Seherfamilien zu hören bekamen, bewegten sich Ottokar und Edelmund leise durchs obere Stockwerk der Bibliothek. Unbehelligt hatten sie die Wendeltreppe hochlaufen können. Wenn sie jedoch geahnt hätten, was sie erwartete, wären sie auf der Stelle wieder umgekehrt.

Oben galt es sich erst einmal zu orientieren. Die Treppe mündete in einen kleinen kreisrunden Raum, der rundum mit Büchern vollgestellt war. Drei schmale Gänge strebten von diesem Raum sternförmig auseinander.

Man konnte immer nur ein Stück in die Gänge hineinsehen, und das machte sie unheimlich. Es war hier nicht anders als in dem Gang, in dem Justus mit seinen Freunden gelandet war. Alle beschrieben einen bogenförmigen Verlauf. Betrat man sie, konnte man nach wenigen Schritten den Ausgangsort nicht mehr sehen. Doch warum sollte es Edelmund und Ottokar besser gehen als Justus und seinen Freunden?

Die beiden Ausreißer entschieden sich nach einigem Hin und Her für den Gang, der rechts von ihnen lag. Er führte zunächst scharf nach rechts und bog dann abrupt in die andere Richtung ab.

Hin und wieder kamen sie an einem der runden gläsernen Bodeneinsätze vorbei, durch die man bequem in den Lesesaal hinabsehen konnte. An diesen Stellen war für die beiden unbedingte Vorsicht geboten. Es genügte, dass die „gnädige“ Madame Ruborrak einen Blick nach oben warf, und schon wäre es um die Ausreißer geschehen.

Während Edelmund einen der Einsätze höchst vorsichtig umrundete, wäre Ottokar in seiner Dusseligkeit beinahe genau darüber hinweg gelaufen.

»Mensch, nun pass doch auf, wohin du trittst«, fuhr Edelmund ihn an und zog ihn hastig zur Seite. »Die können dich von unten jederzeit sehen. Mann bist du ein Depp.«

Ottokar stammelte Worte der Entschuldigung und trabte weiter hinter seinem Freund her.

Es waren aber nicht nur diese Hindernisse, die ihnen zu schaffen machten. Die Atmosphäre hier oben war bedrückend. Alles erschien verlassen. Es war still, totenstill, kein Mensch weit und breit. Aber so blieben sie auch unentdeckt. Wenn sich diese Stille nur nicht so schwer auf ihr Gemüt legte.

Langsam bekam es Ottokar mit der Angst zu tun. Er fühlte sich überfordert mit der Situation, in die sie sich gebracht hatten. Auf ihn wirkte alles nur unheimlich und bedrohlich.

Selbst Edelmund spürte das und bemühte sich, Ottokar einigermaßen bei Laune zu halten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als einfach weiterzugehen.

Nach einer weiteren Gangbiegung standen sie plötzlich vor einer Wendeltreppe, die wieder nach unten führte. Auf der anderen Seite der Treppe gab es zwei Gänge. Welchen davon sollten sie nehmen?

»Ich will hier r-raus.«

»Kein Problem, das schaffen wir«, versuchte Edelmund seinem Kumpel und sich selbst Mut zu machen. »Ich weiß schon, wohin die Treppe führt«, erklärte er Ottokar in selbstsicherem Ton, doch ohne den blassesten Schimmer. Seine eigene Unsicherheit überspielend, schob er seinen Freund kurzerhand vor sich her die Treppe hinunter.

Unten angekommen umgab sie ein seltsam nebelhaftes Dämmerlicht, obwohl die zweiarmigen Kerzenleuchter an den Regalen ausreichend Helligkeit verbreiteten.

Ottokar rutschte das Herz nun gänzlich in die Hose. »W-was ist das hier? Alles dunkel! Wo s-sind wir denn jetzt?«, wandte er sich jammervoll an Edelmund. »W-wollen wir den We-weg nicht besser w-wieder zurückgehen?«

»Das geht nicht. Wenn wir jetzt zurückgehen, kriegen wir fürchterlich eins auf die Mütze und das nicht zu knapp. Stell‘ dir doch bloß diese Ziege im Foyer vor.« Auch seine Stimme ließ jegliche Zuversicht missen.

Aufmunternd fügte er hinzu: »Komm‘ schon, wir werden das schaffen. Früher oder später werden wir hier herausfinden.«

»Und w-was ist, wenn das Sp-päter sehr v-viel später ist?«, jammerte Ottokar. Langsam ging er seinem Kumpan auf den Nerv. Edelmund wünschte sich inzwischen nichts sehnlicher, als wieder in der Halle zu stehen.

Auch er fühlte sich nun hilflos. Wohin, fragte er sich insgeheim, waren sie geraten? Wieso leuchteten die Kerzen alle ganz normal hell und trotzdem lagen die Räumlichkeiten in einem ominösen Halbdunkel? Dieser Schleier, der über allem schwebte, nagte an seinen Nerven. Die Atmosphäre hier unten wirkte unheimlich und beängstigend. Alles war so anders, als in den übrigen Räumen der Schule. Zu allem Überfluss ließ ihn sein Orientierungssinn im Stich. Wo und in welchem Teil der Bibliothek befanden sie sich? Hier stimmte was nicht! Das konnte er förmlich spüren.

Im nächsten Augenblick bekamen sie leibhaftig zu sehen, was ihre Stimmung so niederdrückte. Kaum hatten sie begonnen, sich in diesem Raum umzusehen, da bewegte sich schwarzer Nebel aus einem der Gänge lautlos auf sie zu.

Ottokar schrak entsetzt zurück und stieß einen Schrei aus. Er suchte Halt und klammerte sich an die Kukulle seines Freundes. Der Nebel kam näher und verdichtete sich zu einer schemenhaften Gestalt, die nicht fassbar war. Sie schwebte auf sie zu und füllte fast den ganzen Raum.

»Seid gegrüßt«, klang es eisig aus dem Nebel heraus. »Zwei Neuankömmlinge in unserer altehrwürdigen Schule«. Ein abgründiges Rollen, wie direkt aus einem Grab, lag in der Stimme.

»Mein Name ist Cha‘ur Ha’muttaht.«

Der Name klang kehlig und abgehackt. Besonders die t’s wurden hart ausgestoßen. Die kalt klingende Stimme ließ die beiden schaudern. »Darf ich erfahren, wie eure werten Namen sind?«

Obwohl die Höflichkeit einen ziemlich spöttischen Unterton besaß, ließ sie Edelmund ein Stück von seiner Selbstsicherheit zurückgewinnen. Er machte einen Schritt auf die Gestalt zu. »Gestatten: Edelmund von Windhausen, und mein Begleiter heißt Ottokar Driessen.«

Auf ihre Vorstellung ließ ihr Gegenüber eine wabbrige Bewegung folgen. Die Gestalt schwebte näher heran, was die frostige Aura, die ihr anhaftete, noch spürbarer machte.

Instinktiv spürten sie die sonderbare Gefahr, die von diesem nebligen Etwas ausging. Die Kälte des Nebels war kaum auszuhalten. Hinzu kam die bizarre Sprechweise dieses tiefschwarzen Monsters.

Um ihr Vertrauen zu gewinnen, wich die Gestalt ein Stück zurück. Dadurch ermuntert bemühte sich Edelmund um eine Erklärung für ihre Anwesenheit.

»Wir haben uns in diesen weiten Gängen der Bibliothek verlaufen und finden nun nicht mehr heraus. Könnten sie uns vielleicht behilflich sein?«

Es kostete all seine Kräfte, um das starke Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Am liebsten wäre er auf der Stelle davongerannt.

»Gerne will ich euch helfen«, kam es mit eisiger Freundlichkeit zurück, »aber ich glaube, ihr seid nicht von ungefähr an diesen Ort gelangt. Mir scheint vielmehr, ihr seid für besondere Dienste ausersehen, sonst wäret ihr jetzt nicht hier.«

Edelmund und Ottokar bekamen große Ohren. Bevor sie noch fragen konnten, was gemeint sei, redete ihr Gegenüber schon weiter.

»Seid ihr bereit, solche besonderen Dienste zu übernehmen, wenn man euch dazu ruft?«, fragte die Stimme sie mit einem herausfordernden Unterton. »Es soll in diesem Fall euer Nachteil nicht sein.«

Cha‘ur Ha’muttaht musste geahnt haben, dass seine Worte bei den beiden auf fruchtbaren Boden fallen würden. Schmalzlocke fing den Ball direkt auf: »Wenn wir behilflich sein können, dann ist es für uns eine Selbstverständlichkeit.«

Dabei knuffte er Ottokar in die Seite, damit er nichts Falsches von sich gab. Dem hatte es inzwischen die Sprache dermaßen verschlagen, dass er überhaupt nicht fähig war, nur ein Wort hervorzubringen. Er starrte mit offenem Mund auf die Szene, als wäre sie ein Traum.

»Das ist sehr gut«, klang die Antwort Cha‘ur Ha’muttahts zufrieden. »Dann kehrt jetzt wieder zurück in die Halle, woher ihr gekommen seid. Ihr werdet es merken, wenn ich euch brauche. Ich mache mich zu gegebener Zeit bemerkbar. Nun geht!«

Sie waren entlassen. Cha‘ur Ha’muttaht hatte kaum die Sätze ausgesprochen, als sich hinter ihnen auch schon die Regalwand öffnete. Auf der anderen Seite wurde das Foyer sichtbar.

Blitzschnell huschten sie durch die Tür und mischten sich unbemerkt unter ihre Mitschüler.

»Ha-ast du das b-begriffen? W-wer war das? Was sollte d-das?«, fragte Ottokar noch immer ganz benommen.

»Mensch«, raunte Edelmund zurück, »hast du gar nichts verstanden? Wir sind gerade für eine ganz besondere Mission ausgewählt worden.«

»Ja, aber so a-astrein schien mir di-dieser Nebel nicht zu sein«, stotterte Ottokar in seiner Aufregung, was Edelmund mit einer knappen Geste wegwischte.

»Papperlapapp, wir sind auserwählt, begreif das endlich!« Schmalzlocke hatte inzwischen wieder zu seiner Überheblichkeit zurückgewonnen, und so schritt er mit stolzgeschwellter Brust, Rotfuchs im Schlepptau, durchs Foyer. An den Nebel, der ihnen durchaus hätte gefährlich werden können, verschwendete er keinen weiteren Gedanken.

Dummerweise hatten sie durch dieses Intermezzo ihre Aufgabe völlig aus den Augen verloren. Das war peinlich. So mussten sie der Bibliotheksoberaufseherin, Madame Ruborrak, gestehen, dass sie nichts gemacht hatten.

»Ihr beide seid die Einzigen, die ihre Aufgabe nicht gelöst haben«, zischte sie los. »Das hat zur Konsequenz, dass ihr selbstverständlich eine Mehrarbeit leisten müsst. Ihr werdet hier im Foyer alle herumliegenden Bücher an ihren Platz zurückbringen.« Sie zeigte hinter sich auf drei Bibliothekswagen, auf denen sich riesige Berge von Büchern stapelten. »Am besten, ihr geht gleich ans Werk. Die anderen sind entlassen.«

Die Strafe wurde von den anderen Schülern mit hämischem Feixen quittiert, was den Zorn der beiden über die ausgesprochene Strafe noch erhöhte. Doch blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zu fügen und sich widerwillig an die Arbeit zu machen.

Unter all den zurückgegebenen Büchern befand sich eine Reihe von Quartbänden, große Teile, die ein erhebliches Gewicht auf die Waage brachten. Sie waren so unhandlich, dass immer nur wenige von ihnen zu den Regalen geschleppt und dort einsortiert werden konnten.

Die Aufräumarbeit geriet für Edelmund und Ottokar zu einer wahrhaft nicht enden wollenden, schweißtreibenden Aktion. Zu ihrem Unglück standen sie unentwegt unter der unerbittlichen Fuchtel der »ungnädigen« Madame Ruborrak, die jeden Fehler unbarmherzig ahndete. Sobald eines dieser schweren Bücher mit Gepolter auf dem Boden landete, keifte Madame Ruborrak schon los.

»Meine Herren, wie oft muss ich es denn noch sagen: Die Bücher haben einige hundert Jahre in diesen Regalen überlebt, und ihr bringt sie durch eure Ungeschicklichkeit an den Rand der Zerstörung. NEHMT EUCH BESSER IN ACHT, SONST KÖNNT IHR IM DUNKLEN VERLIESKELLER DER SCHULE GLEICH WEITERMACHEN.«

Hoppla, was war das? Edelmund und Rotfuchs trauten ihren Ohren nicht. Verlies in der Schule? Verstohlen tauschten sie einen Blick. Das klang spannend, vielleicht fanden sie den Zugang und konnten sich da mal ungestört umsehen.

Justus Peyrikus

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