Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 7 - Martina Meier - Страница 7
Оглавление*
Der Apfelbaum, der ein Weihnachtsbaum sein wollte
Es war einmal ein kleiner Apfelbaum, der wuchs langsam und mühsam im Schatten einer großen Tanne heran. Langsam und mühsam war das Wachsen, weil die große Tanne ihm nicht viel Wasser und Sonne übrig ließ, da sie alles für sich selbst brauchte. Doch der kleine Apfelbaum war zäh und wuchs stetig jedes Jahr ein bisschen. Eines Tages war er dann alt genug, um sprechen zu können. Doch weil er so schwach war, verstand er nur die Sprache der Bäume, die Sprachen der Tiere des Waldes blieben ihm unverständlich. Vor allem die zweibeinigen Tiere, die sich Menschen nannten, redeten viel zu schnell, als dass der kleine Apfelbaum auch nur ein Wort vom anderen hätte unterscheiden können.
Der kleine Apfelbaum aber war froh, endlich zumindest die Sprache der Bäume zu sprechen, und sobald er die Kraft dazu fand, sprach er die große Tanne an: „Du, Tanne“, fragte er, „hörst du mich?“ Die Tanne nickte knapp mit ihren Zweigen. Der kleine Apfelbaum freute sich so sehr, dass er vergaß weiterzusprechen.
„Nun mach schon“, drängte die große Tanne, „ich habe keine Lust, mit dir kleinem Pimpf zu sprechen.“
„Aber wieso denn nicht?“, fragte der kleine Apfelbaum verwirrt.
„Warum sollte ich mich mit einem wie dir abgeben“, erklärte die Tanne, „du wirst doch eh bald sterben.“
Der kleine Apfelbaum war entsetzt.
„Schau dich doch einmal an“, sprach die Tanne weiter, „wie mickrig du dort unten in meinem Schatten stehst. Du wirst niemals groß werden. Und weil Bäume nun aber einmal dafür gemacht sind, groß zu werden, sterben die, die es nicht können, irgendwann. So einfach ist das.“
„Aber das will ich nicht!“, rief der kleine Apfelbaum und schüttelte sich vor Angst.
„Da wirst du keine andere Wahl haben. Wenn du eine Tanne so wie ich wärst, dann sähe die Sache schon anders aus. Dann würdest du entweder so schön und groß wie ich sein oder von einer Menschenfamilie mitgenommen werden, die dich in ihre Stube holt, dir Lichter, bunte Kugeln und Zimtsterne ansteckt, so wie es jetzt der Brauch ist. Aber das gilt eben nur für Tannen. Ein Apfelbaum ist als Weihnachtsbaum nicht geeignet. Und nun schweige still und lass mich meine Wipfel im Wind schaukeln!“
Der kleine Apfelbaum hatte auch gar keine Lust mehr zu reden. Was sollte denn nur aus ihm werden? Er hatte sich so darauf gefreut, groß zu werden, und nun sollte er das nie erleben? Und alles nur, weil er keine Tanne war? Er dachte an Kugeln, Lichter und vor allem an Zimtsterne, die er sich besonders schön vorstellte. Und mit diesen Gedanken fiel er in einen unruhigen, aber tiefen Schlaf. So merkte er gar nicht, wie der erste Schnee des Winters langsam vom Himmel zu fallen begann.
Klara hingegen blickte begeistert aus dem Fenster der kleinen Wohnstube ihrer Eltern, die im oberen Geschoss eines großen, alten Bauernhofes lag. „Schau nur, Vater“, rief sie. „Der Schnee kommt, nun können wir einen Weihnachtsbaum aussuchen, ja?“
„Aber Klara“, sagte der Vater, „wir brauchen hier oben doch keinen eigenen Weihnachtsbaum, weil wir doch Weihnachten unten bei Großvater und Großmutter auf der großen Diele feiern werden.“
„Ich hätte aber so gerne einen eigenen Weihnachtsbaum!“ Klara schaute mit glänzenden Augen zu ihrem Vater auf.
Nun kam aus dem Nebenzimmer auch Klaras Mutter hinzu. „Erfüll ihr doch den Wunsch!“, raunte die Mutter dem Vater zu. Klara war den ganzen Herbst sehr krank gewesen und keiner hatte gewusst, ob sie Weihnachten überhaupt noch erleben würde. Nun jedoch ging es ihr viel besser und weder Mutter noch Vater, weder Großmutter noch Großvater und auch die Knechte und Mägde, die auf dem Hof arbeiteten, konnten ihr einen Wunsch abschlagen.
„In Ordnung, Klara, lass uns in den Wald gehen und einen Baum aussuchen.“
„Oh, ja!“, rief Klara. „Einen ganz großen!“
„Na, aber ein ganz großer passt doch gar nicht in unsere Stube!“, erklärte Vater.
Klara überlegte kurz. „Dann nehmen wir einen ganz besonders besonderen!“, beschloss sie. Und schon machten sich Vater und Klara auf, um einen ganz besonderen Weihnachtsbaum zu finden.
Mittlerweile hatte es so viel geschneit, dass im Wald eine dünne Schneedecke lag. „Schau nur, Klara, wir machen feine Fußspuren. Wenn es nicht zu viel schneit, müssen wir nicht fürchten, uns zu verirren“, sagte Vater.
Aber Klara hatte sowieso nie Angst davor, sich im Wald zu verlaufen, denn sie hatte eine besondere Gabe: Sie konnte die Sprache der Bäume verstehen. Auch jetzt lauschte Klara den vielen Stimmen. Alle begrüßten sie mit fröhlichem Hurra, denn auch die Bäume hatten große Angst um Klara gehabt und waren nun froh, sie gesund und munter wiederzusehen. So groß war das Stimmengewirr, dass sie beinahe die kleine zittrige Stimme gar nicht gehört hätte. Als Klara sich jedoch konzentrierte, konnte sie die Stimme deutlich von den anderen unterscheiden, denn während die anderen fröhlich klangen, lag in dieser einen eine tiefe Traurigkeit.
Klara folgte der Stimme und Vater folgte Klara. Schließlich standen beide vor dem kleinen Apfelbaum, der im Schatten der großen Tanne noch immer schlief.
„Ein Weihnachtsbaum, ich wäre so gerne ein Weihnachtsbaum“, murmelte er im Traum. Klara tat der kleine Baum leid. Sie konnte spüren, dass er nicht mehr viel Kraft hatte und nur dank seines großen Willens überhaupt noch am Leben war. Das erinnerte sie an sich selbst und so war für sie die Entscheidung gefallen. „Diesen hier möchte ich“, sagte sie.
Vater schaute erschreckt auf die riesige Tanne. „Aber Klara“, sagte er, „der Baum wäre doch sogar für die große Diele viel zu groß!“
„Nicht die Tanne“, erklärte Klara ungeduldig, „das Apfelbäumchen hier!“
Da staunte der Vater sehr. Ein Apfelbaum als Weihnachtsbaum? „Aber der ist doch ganz kahl“, wandte Vater ein, „wollen wir nicht lieber eine schöne grüne Tanne nehmen?“
„Nein“, beharrte Klara, „ich möchte diesen. Wir werden ihn schmücken mit Lichtern, Kugeln und Zimtsternen, dann ist er gar nicht mehr kahl!“
Bei dem Wort Zimtsterne erwachte der kleine Apfelbaum plötzlich und erschreckte sich sehr, als er ein kleines Menschenmädchen und einen großen Mann mit einer Axt vor sich stehen sah. Der Mann sprach etwas in der schnellen, knatternden Sprache der Menschen und verschwand dann.
Das Mädchen hingegen beherrschte zu seiner Überraschung die melodische Sprache der Bäume. „Vater bringt nur die Axt zum Hof und holt stattdessen einen Spaten“, erklärte ihm das Mädchen, „damit holen wir dich aus der Erde, und dann darfst du unser Weihnachtsbaum sein. Wenn du den Winter überstehst und im Frühling gesund und kräftig bist, pflanzen wir dich in den Garten an einen luftigen und sonnigen Platz, und wenn es dir dort gefällt, kannst du wachsen und uns bald schon jeden Herbst frische Äpfel schenken.“
Von Herzen gerne wollte das der kleine Apfelbaum! Aber vorher wollte er ein Weihnachtsbaum sein, mit Lichtern, Kugeln und vor allem Zimtsternen. Erst danach würde er wachsen und groß werden und der Familie über viele Generationen hinweg Äpfel schenken. Und manchmal, alle paar Jahre, würde an ihm ein besonderer Apfel wachsen, der würde größer und runder als die anderen werden. Er schmeckt auch anders, denn statt saftig und leicht sauer, duftet er nach Zimt und schmeckt süß wie Kuchen. Anstatt eines Kerns trägt er in seinem Inneren einen goldenen Zimtstern – und so werden Klaras Urururenkel noch heute daran erinnert, wie einst dem kleinen Apfelbaum sein größter Wunsch erfüllt wurde und er ein Weihnachtsbaum sein durfte.
Britta Voß wurde 1979 in Bremen geboren. Sie lebt in Göttingen, wo sie auch studiert hat. Wenn sie nicht gerade in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Ehemannes arbeitet, im Fitnessstudio trainiert, sich mit ihren „Literatur-Mädels“ über Bücher austauscht oder an einer neuen Kurzgeschichte schreibt, liest sie gern und viel. Ihre Kurzgeschichten haben bereits Aufnahme in viele Anthologien gefunden, darunter auch fast alle „Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland“-Bücher und alle „Wie aus dem Ei gepellt“-Bände.