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Blaue Augen

Anna ist neun Jahre alt, hat lange braune Haare und immer Flausen im Kopf. Sie liebt es, ihrem älteren Bruder Niklas Streiche zu spielen. Es ist ihr egal, ob sie erwischt wird und von ihren Eltern Stubenarrest bekommt. Sie lebt ganz nach dem Motto: Alles geben für den perfekten Streich. Wäre sie eine Comicfigur, dann würde sie eine Mischung aus Bart und Lisa Simpson perfekt beschreiben. Klug, witzig und unheimlich frech.

In der Nachbarschaft ist Anna bekannt wie ein bunter Hund. Einerseits mögen die Nachbarn sie, andererseits sind sie von den andauernden Streichen genervt. Denn jeder weiß, dass es Anna war. Ja, es war Anna, die alle Gartenzwerge von der alten Frau Merk im Garten von Herrn Laus platziert hat. Das war vielleicht ein Spaß, als Anna das erschrockene Gesicht der Alten gesehen hatte.

Ebenfalls auf ihr Streichekonto ging der verlorene Hund Bugs von den Müllers drei Häuser weiter. Anna hatte ihn mit einem saftigen Stück Schinken zu sich gelockt und ist dann mit ihm den ganzen Mittag im Park gewesen zum Spielen.

„Selbst schuld“, dachte Anna, „hätten die Müllers mich einfach mit Bugs spielen lassen, als ich gefragt habe.“

Der Einzige, der nicht dauernd mit ihr schimpft oder an ihr rumnörgelt, ist ihr Opa. Er ist schon alt, bestimmt schon so 120 Jahre, da ist sich Anna sicher. Seine Haare sind schneeweiß und hauchdünn. Er trägt eine so große Brille auf der knolligen Nase, dass Anna jede Ader in seinen trüben Augen sehen kann. Manchmal nennt sie ihn auch Froschopa. Doch ihn mag sie am allerliebsten. Er macht ebenfalls immer Späße und genau wie bei ihr schimpfen ihre Eltern dann auch mit ihm. Anna ist fest davon überzeugt, dass sie ihren Humor vom Froschopa hat, denn sie geht nicht zum Lachen in den Keller wie der Rest ihrer Familie.

Frau Klein ist Annas Klassenlehrerin und auch sie scheint keinen Spaß zu verstehen. Vor den letzten Sommerferien hat Anna mit Kreide an die Tafel geschrieben: Frau Klein ganz groß! Dazu malte sie die Lehrerin neben einem Ameisenhaufen.

Die ganze Klasse hatte sich vor Lachen den Bauch gehalten und der Deutschunterricht fiel aus, weil der Direktor ins Klassenzimmer kam und sich diese „Sauerei“ – laut Frau Klein – anschauen musste. Dann folgte eine riesige Standpauke. Keiner hatte Anna verpetzt, aber so wie der Direktor sie ansah, vermutete er schon, dass sie es gewesen war.

Anna ist der Meinung, nur wer oft und laut lacht, lebt lange und glücklich bis ins hohe Alter, so wie eben ihr Opa.

Heute fängt die Schule nach den viel zu kurzen Sommerferien wieder an. Anna geht gerne in die Schule, aber noch lieber hat sie frei. Sie ist in allen Fächern bis auf Mathe und Englisch eigentlich ganz gut und mit ihren Mitschülern versteht sie sich auch bestens.

Als sie in die Klasse kommt (wie immer ganz knapp vor Schulbeginn), sieht sie eine neue Schülerin neben Tina sitzen. Gerne hätte sich Anna gleich mit ihr unterhalten, um alles über die Neue zu erfahren, aber da kommt schon Frau Klein ins Klassenzimmer und alle müssen sich setzen und ruhig sein.

Anna kann sich gar nicht konzentrieren, die Worte von Frau Klein wandern einfach durch ihre Ohren hindurch. „Wie die Neue wohl heißt? Woher kommt sie nur? Wird sie mich mögen?“ Viele Fragen und keine Antworten vor der großen Pause. Die Zeit vergeht überhaupt nicht und Anna schaut immer wieder rüber zu der Neuen.

Doch dann – ding, dong – ertönt endlich die Pausenglocke. Anna geht sofort zu der Neuen hinüber und erfährt, dass sie Nina heißt, zehn Jahre alt und gerade umgezogen ist. Sie ist ein Einzelkind, mag Mathe auch nicht und hasst genau wie Anna Rosenkohl. Sie reden die ganze Pause über und im Handumdrehen klingelt es schon wieder und die Pause ist vorüber.

Während des Unterrichts lässt ihr Nina einen Zettel zukommen mit ihrer Adresse und Telefonnummer. „Super“, denkt sich Anna, es kommt ihr vor, als ob sie Nina schon ewig kennt. Sie mögen dieselben Sachen und hassen auch das Gleiche. Das Allerbeste jedoch ist, dass Nina über jeden ihrer Witze gelacht hat und selbst auch ein paar echt lustige auf Lager hatte.

Nach zwei weiteren Wochen sind die Mädchen unzertrennlich. Sie sitzen in der Schule nebeneinander, treffen sich nach den Hausaufgaben und telefonieren vor dem Zubettgehen. Der Spruch ein Herz und eine Seele passt perfekt zu ihnen.

Nach einigen weiteren Wochen haben die beiden sogar schon drei Nachbarn von Nina Streiche gespielt. Bei dem einen waren die Mülltonnen wie von Zauberhand auf die andere Straßenseite gewandert. Bei Familie Listig haben sie mit einem Filzstift den Namen am Briefkasten zu Lustig geändert. Und den letzten Streich haben sie dem alten Herrn Neff gespiet. Sie klingelten und versteckten sich, sobald er die Tür öffnete und dabei ganz verdutzt dreinblickte.

Ja, sie sind wirklich die allerbesten Freundinnen.

Nina hat vorgeschlagen, beim Schulausflug in drei Wochen einen riesigen Streich zu spielen. Die ganze Klasse fährt in ein Naturschutzgebiet und hält mit Ferngläsern Ausschau nach seltenen Vogelarten.

Anna besorgt im Laufe der Wochen Stück für Stück die Utensilien, die sie für dieses Vorhaben benötigen. Sie teilen diese am Tag des Ausflugs wie besprochen auf ihre Rucksäcke auf. Keiner hat irgendwas bemerkt oder auch nur den Hauch einer Ahnung.

Um 7.45 Uhr fährt der Bus zum Naturschutzgebiet los. Klara sitzt ganz vorne neben der Klassenlehrerin und stimmt laut das Lied Die Vogelhochzeit an. Die ganze Klasse stimmt mit ein und es herrscht eine ausgelassene Stimmung während der ganzen Busfahrt.

Kaum angekommen müssen sich alle in einem Kreis aufstellen, und wie vorab von Frau Klein erklärt, soll sich jeder gleich ein Fernglas aussuchen und in Zweierteams Ausschau halten. Außerdem bekommt jeder noch ein Blatt mit den heimischen Vogelarten und soll die gesehenen markieren und zählen.

Plötzlich muss Anna ganz arg husten. Es wird immer schlimmer und alle stehen aufgeregt um sie herum. Sie klopfen auf ihren Rücken und heben ihre Arme hoch, doch erst als Anna einen kurzen Blick zur nickenden Nina wirft, hört der Hustenanfall wieder auf. Frau Klein erkundigt sich besorgt, ob es Anna wieder gut gehe, und diese nickt fröhlich. Alles läuft genau nach Plan.

Jeder nimmt sich nun ein Fernglas und macht sich auf Erkundungstour. Nach einer Stunde treffen sich alle wieder zur Auswertung.

Doch als alle Schüler und Frau Klein im Kreis stehen, können sich Anna und Nina vor Lachen nur noch krümmen. Sie haben die Ferngläser an der Umrandung für die Augen mit blauer Farbe angemalt. Dafür war das Ablenkungsmanöver mit dem gefälschten Husten gedacht. In der Zeit hat niemand darauf geachtet, dass Nina mit einem Pinsel und blauer Farbe die Ferngläser präpariert hat. Nun stehen 25 Schüler und Frau Klein mit dick blau umrandeten Augen im Kreis herum.

Die Mädchen bekommen es plötzlich mit der Angst zu tun, ob sie nicht doch zu weit gegangen sind. Doch da fängt jemand an zu lachen. Erst etwas zögerlich, dann immer lauter, die Stimme gehört Frau Klein. Alle Schüler stimmen in das Gelächter mit ein.

Frau Klein schreibt etwas auf ihr Notizblatt und liest es laut vor. „26 ganz seltene Vögel entdeckt, besonderes Merkmal: blau umrandete Augen.“

Alle lachen und niemand ist wütend. Scheint so, als hätte die Lehrerin doch Humor, denkt Anna zufrieden.

Julia Elflein lebt in Friedrichshafen.

Das Lachen des Schmetterlings

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