Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 6 - Martina Meier - Страница 16
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Elvira auf der Fensterbank
Vergnügt blickte die kleine Schneeflocke vom Himmel hinunter zur Erde. Endlich war die Weihnachtszeit gekommen und überall blinkten Lichter und ertönte festliche Musik. Das war nicht nur die schönste Zeit des Jahres für die Kinder, sondern auch für kleine Schneeflocken.
Elvira lehnte sich ein Stückchen weiter nach vorne, um auch den Sternenschmuck in den Fenstern sehen zu können. Die Wolke, auf der sie saß, kippelte ein bisschen, aber das störte die kleine Schneeflocke nicht. Die Welt da unten sah so schön aus, dass sie alles um sich herum vergaß und vor Begeisterung laut juchzte. Temperamentvoll wippte sie mit ihrem Körper noch ein klein wenig über den Wolkenrand und schon spürte sie dieses Kitzeln im Bauch, das sie immer hatte, wenn sie aus großer Höhe in die Tiefe fiel.
Der Mond schien mit sanftem Licht auf die Straßen der Stadt und blickte neugierig in die Zimmer der Kinder. Überall traf er auf Jungen und Mädchen, die sich nichts sehnlicher als den Heiligen Abend herbeisehnten.
In der Straße, in der Elvira auf einer Laterne gelandet war, gab es ein Fenster, das nicht so festlich geschmückt war wie alle anderen. Nichts deutete auf die Weihnachtszeit hin. Nur eine Nachttischlampe erhellte den Raum und machte Marie sichtbar, die am Fenster stand.
Plötzlich geschah etwas Unvorhersehbares: Das Mondlicht ließ einen silbernen Stern auf der Fensterscheibe aufblitzen.
Marie begann sofort, mit dem Fingernagel das Glitzerding abzukratzen. Letztes Jahr hatte sie viele Sterne gebastelt und gemalt. In jeder Ecke ihres Zimmers hatte es gefunkelt, doch davon war jetzt nichts zu sehen. Nur dieser eine schillernde Stern klebte hartnäckig am Fensterglas und wehrte sich gegen Maries Versuche, ihn zu entfernen.
„Was machst du da?“, rief eine empörte Stimme. „Lass ihn sofort in Ruhe.“
Elvira hatte ihren Platz auf der Laterne verlassen und war auf dem Fenstersims direkt vor Maries Nase gelandet. Das Mädchen stieß einen kurzen Schrei aus und trat einen Schritt zurück.
„Hallo, ist da jemand?“, fragte Marie, aber ihre Stimme war ganz leise. „Stern bist du das?“ Im nächsten Augenblick schüttelte sie jedoch den Kopf. Was war das für ein Unfug! „Ich spreche mit einem Weihnachtsstern“, lachte sie schließlich und wollte mit dem Finger wieder an der Sternenspitze kratzen.
„Wie kannst du nur so gemein sein“, schimpfte Elvira und klopfte mit ihrer kleinen Faust gegen die Fensterscheibe.
Marie erschrak und wusste nicht so recht, wie sie reagieren sollte, doch dann beugte sie sich so weit nach vorne, dass ihre Nase den Stern berührte. Erst sah sie hinaus auf die Straße, dann wanderte ihr Blick zu diesem weißen Fleck, der an der Scheibe klebte.
„Wie schön, dass du mich auch schon bemerkst.“ Elvira hatte ihre Fäuste in die Hüfte gestemmt und schwebte vor Maries Nase auf und ab. „Nun mach schon auf. Es ist sehr unhöflich, einen Gast einfach vor der Tür stehen zu lassen.“
Marie richtete sich auf und öffnete das Fenster. Sie starrte dieses weiße Wesen ungläubig an. „Ein Geist“, polterte sie los, „ich werde verrückt. Du hüpfst übrigens vor meinem Fenster herum und nicht vor der Tür.“
„Ich bin eine Schneeflocke“, verbesserte Elvira das Mädchen schnell, „und ich möchte, dass du aufhörst, diesen armen Weihnachtsstern zu quälen.“
Marie musste schlucken. Sie dachte daran, wie viel Mühe sie sich gegeben hatte, die silberne Farbe auf die Folie zu bringen. Ihre Freundin Lena hatte ihr dabei geholfen. Zusammen hatten sie diesen wundervollen Stern gemalt und ans Fenster geklebt.
„Das geht dich gar nichts an“, fauchte Marie, „weil ich nämlich machen kann, was ich will!“
„So, so.“ Elvira rümpfte ihre kugelrunde Nase. „Du denkst wohl, nur weil er ein Stern an einer Fensterscheibe ist, hätte er keine Gefühle!“
Marie schlug das Fenster zu und rief dabei: „Das ist mir echt zu blöd!“
Doch eine Schneeflocke wie Elvira lässt sich nicht so einfach abschütteln! Mit aller Kraft trommelten zwei kleine Fäuste gegen die Fensterscheibe. Wie ein weißer Wirbelwind huschte Elvira von links nach rechts und wieder zurück. Ihre feine Stimme wurde immer wütender und dabei auch immer lauter. „Lass mich rein! Und mach endlich dieses Fenster auf!“
Marie schüttelte mit dem Kopf. Schließlich seufzte sie, flüsterte kaum hörbar: „Okay“, und stand dann auf, um das Fenster zu öffnen. Elvira hüpfte sofort ins Zimmer, setzte sich auf die Fensterbank und sah mit großen blauen Augen auf das Mädchen, das verdutzt zurückblickte.
„Nicht zumachen!“, rief die Schneeflocke und deutete auf das geöffnete Fenster, durch das kalte Winterluft blies.
„So, nun erzähl mal.“ Elvira verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte freundlich.
„Da gibt es nichts zu erzählen“, schnaufte Marie. „Weihnachten ist blöd. Das ist alles!“
„Aha“, brummte die Schneeflocke, „und seit wann ist das so?“
„Wie meinst du das?“, entgegnete das Mädchen und zog die Brauen fragend nach oben.
„Na, es sieht so aus, als hättest du im letzten Jahr noch ein wunderbares Weihnachtsfest gefeiert“, kicherte Elvira. „Der Stern klebt ja noch immer am Fensterglas.“
Da wurde Marie traurig. Ihr Blick verfinsterte sich und sie senkte den Kopf. „Ich spreche nicht mit Schneeflocken“, flüsterte sie ganz leise, doch Elvira hatte jedes Wort verstanden.
„Doch“, lachte die Schneeflocke, „du bist ja gerade dabei.“
In diesem Moment flog ein erster Hauch von Weihnachtsstimmung durch das geöffnete Fenster. Ein bisschen Vanille- und ein bisschen Zimtgeruch kitzelten in Maries Nase. Er erinnerte sie an das letzte Weihnachtsfest, als sie mit Mama und Lena Plätzchen gebacken hatte. Es war genau der gleiche Duft, der sich jetzt in ihrem Zimmer breitmachte. „Lena ist weg“, brach es aus ihr heraus. „Sie musste in eine andere Stadt ziehen, weil ihr Vater dort eine neue Arbeit gefunden hat.“ Tränen flossen über ihre Wangen. Zum ersten Mal seit Lena weg war, weinte Marie. „Lena war meine beste Freundin!“
„War?“, staunte Elvira.
„Ja“, schluchzte Marie, „jetzt ist sie weg und ich bin allein.“
Die kleine Schneeflocke schwebte ein bisschen auf und ab. „Glaubst du, Freunde müssen immer in der gleichen Stadt wohnen?“, fragte Elvira. „Ich finde ja, dass echte Freunde nichts trennen kann. Schon gar nicht so ein paar Kilometer von Stadt zu Stadt oder Wolke zu Wolke. Also mein allerbester Freund wohnt auf einer Wolke über der Arktis …“
„Sei still!“, schrie Marie und starrte die Schneeflocke wütend an. „Nichts kann uns trennen. Wir sind die allerbesten Freundinnen und werden es auch bleiben.“
Der Stern an der Fensterscheibe begann zu blinken.
„Dann weißt du ja, was zu tun ist.“ Elvira flatterte auf das geöffnete Fenster zu. „Früher war die Post ja sehr lange unterwegs, aber heutzutage braucht ein Weihnachtsbrief nur zwei oder drei Tage.“ Die kleine Schneeflocke schwebte in die Dunkelheit, und als Marie das Fenster schloss, war sie schon nicht mehr zu sehen.
Zwei Wochen später duftete Maries Zimmer nach Tanne und Sandelholz und war festlich geschmückt.
„Sieh nur, es schneit, Mama“, rief das Mädchen und lief zum Fenster. Überall auf der Scheibe glitzerten Sterne, nur an einer Stelle war so viel Platz, dass man gut hinaussehen konnte. Da schwebte eine einzelne Schneeflocke vorbei, und es sah so aus, als würde sie winken.
„Glaubst du, dass Schneeflocken kleine Lebewesen sind?“, fragte Mama. Sie war ins Zimmer gekommen und hatte sich hinter Marie gestellt.
„Na klar, und manchmal winken sie sogar!“, juchzte das Mädchen und nahm den Weihnachtsbrief, den sie heute von ihrer allerbesten Freundin Lena bekommen hatte, in die Hand und winkte zurück.
Ramona Stolle schreibt Geschichten und Gedichte für kleine und große Leser. Sie hat bereits Beiträge in mehreren Anthologien veröffentlicht. Mehr unter ramonastolle.de.to