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Getrennte Welten

Prolog

Weil Rosa nicht zu Schwarz gehört. Weil Sonne sich in kalten Städten nicht wohlfühlt und weil der Wind sich nicht entfalten kann, zwischen den grauen Mauern. Weil die Herzenswärme sich nicht in einem dreckigen Hinterhof finden lässt und sich Liebe hier nie auf das kalte Pflaster legen würde.

Sie würde nicht hier sein wollen.

Weil man keinen Dreck auf einen roten Perserteppich streut und sich Asche aus den Häusern nicht vertreiben lassen würde. Weil man Diamanten und Gold nun mal nicht in Schmutzwasser legt und man fasst Samt eben nicht mit Krallen an.

Die Liebe würde Verstecken spielen ... und sie würde nicht gefunden werden.

Getrennte Welten

„Es ist so kalt. So komm doch endlich rein, Kasimir.“

Seine Augen lösten sich nur schwer von den nächtlichen Straßen Londons.

Die Schwanzspitze von Tayla tippte vor ihm auf die Dachpfanne und sie sah ihn fordernd aus ihren honigfarbenen Augen an. „Nun komm schon!“

Kasimir, der allzu bekannte Straßenkater, zwängte sich zu Tayla in den ausgepolsterten Karton.

Sie musterte ihn. „Jeden Abend sitzt du da und starrst in dieses Lichtermeer zu unseren Füßen, warum?“

Er schwieg.

„Ab und zu wandern deine Augen zu dem kleinen Fenster, was suchst du?“

Unwillkürlich schloss er die Augen. Ein Schnurren ertönte und er spürte ihre Blicke auf sich.

„Kasimir, Liebster. Wir haben einen Platz über den Lichtern. Du siehst sie dir jede Nacht an. Siehst du denn nicht, dass wir wie Könige über ihre Leuchtkraft verfügen? Du bist der Prinz der Nacht, du kannst selbst ein Licht sein. Was wünschst du dir mehr?“ Tayla machte eine kurze Pause. „Es ist doch nur ein Fenster zu der Dunkelheit, fernab der Lichter.“

Er blinzelte sie an, ehe er mit seiner rauen Zunge über ihr struppiges Fell fuhr. Sie fing an zu schnurren und es klang wie ein leises Singen, welches draußen in der Nacht verebbte.

Kasimir hatte aufgehört sie zu liebkosen und seine grünen Augen hafteten erneut auf dem kleinen Fenster. „Es ist nur ein Fenster. Und trotz seiner Dunkelheit das hellste Licht von allen.“

Der Applaus prallte im Hinterhof von den kahlen Wänden ab und es entstand ein Echo, dem Kasimir gebannt lauschte. Seine spitzen Ohren richteten sich in alle Richtungen, aus denen das scheppernde Geräusch erklang.

Eine Hintertür wurde geöffnet und der Kater sprang hinein. Welch eine Ewigkeit er auf diese Gelegenheit gewartete hatte.

In dem Zimmer war es dunkel und es roch nach Mottenkugeln, altem und beißendem Parfum und nach altem Leder.

Kasimirs Augen waren perfekt an das Nachtleben angepasst, wie bei allen anderen Katzen auch, weshalb es eine Leichtigkeit für ihn war, zwischen den unzähligen Garderobenständern sein Ziel in den Augen zu behalten.

Etwas in der Ecke regte sich.

Er hielt kurz inne, als das kleine Etwas auf einen Hocker sprang. Kasimir ließ von der Maus ab.

Erneut wurde eine Tür geöffnet. Dieses Mal kamen lauthals lachende Damen hineinspaziert, die sich im Gehen ihrer Ohrringe und Federboas entledigten.

Jede Zweite hielt eine Katze auf dem Arm, die mit zahlreichen Krönchen, Bändern und Schleifchen beschmückt waren. Sie konnten Kasimir kaum wahrgenommen haben, nachdem ihnen literweise Parfum ins zarte Gesicht gesprüht und kiloweise Puder auf das Näschen getupft worden war.

Er bemerkte, wie er schon beinahe Mitleid für sie empfand, doch ihre hochnäsigen Blicke ließen dieses Gefühl abklingen und er besann sich wieder auf sein Ziel. Unbemerkt schlüpfte er durch die Tür und fand sich in dunkelroten Samtvorhängen wieder. Verwirrt sah er sich um, fand aber nur Samt und Dunkelheit vor.

Er zuckte zusammen und kauerte auf dem Boden. Wie sehr er sich nun wünschte, sich die Ohren zuhalten zu können, als die schrille Singerei von einer der Damen begann. Die viel zu lauten und hohen Töne gellten in seine Ohren, die sich schon beinahe zu krümmen schienen. Er unterdrückte ein Fauchen, als ihm ein schwarz gekleideter Mann beinahe auf seinen Schwanz trat.

Dann war er wieder allein zwischen all dem Samt.

Kasimir blickte nach oben und erkannte eine kleine Treppe, die hinaufführte, bis über die riesigen Vorhänge. Applaus ertönte. Er musste sich beeilen. Schwungvoll erklomm er die Treppe und ertastete sich vorsichtig einen Weg über die schwebende Brücke über der Bühne.

„Die mehrfach preisgekrönte … von Lady … mit ihren … bitte ich sie um Applaus … Duchesse!“, ertönte es aus den Lautsprechern, die mit ihrem Geknarze einige Teile des Aufrufs verschluckten.

Gebannt hatte Kasimir den Blick auf die Bühne gerichtet, auf der sich nun sämtliche Scheinwerferkegel sammelten und ein atemberaubendes Spiel von Licht darboten. Ventilatoren an jeder Ecke ließen bunte Tücher durch die Lüfte wirbeln. Es zuckte Kasimir in den Pfoten, als er die wirbelnden, bunten Tücher sah, doch seine Aufmerksamkeit wurde nun wieder zur Mitte der Bühne gelenkt.

Es hatte sich eine Tür im Boden geöffnet und empor ragte ein Katzenkopf, der langsam immer mehr in die Höhe gefahren wurde. Nun wurde langsam, aber sicher der restliche Körper der Katze sichtbar. Es war totenstill, bis ein leiser Trommelwirbel begann. Nur das Pusten der Ventilatoren war noch zu hören.

Knack – das ausfahrbare Podest, auf dem nun die Türkische Angorakatze Marie-Rose Duchesse thronte, war eingerastet und der Trommelwirbel abgeklungen. Ihre Augen strahlten wie die Sterne in der Nacht und ihr Fell war so weiß und so rein.

Kasimir war für diesen einen Moment gekommen und er würde ihn sich nicht nehmen lassen.

Die Bewunderung, die sie bekam, konnte seine Liebe nicht übertrumpfen und er würde auf Ewigkeiten auf den Dachpfannen sitzen und auf ihre Ankunft im Fenster warten. Jede Nacht würde er sich wünschen, sie denke an die Lichter der Stadt London, und jedes Mal wünschte er sich, sie würde sich erinnern, dass sie ihn genau hier vor einigen Jahren zum ersten Mal gesehen hatte.

Und ganz plötzlich richtete sich ihr Kopf zu ihm nach oben und ihre blauen Augen ließen ihn spüren, sie hatte ihn nicht vergessen.

Jennifer-Louisa Kamann (16) aus Vluyn / Deutschland

Maunz & Minka

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